Anstatt die Arbeitslosenversicherung zu privatisieren, fordert die AfD nun eine Dezentralisierung der Arbeitsmarktpolitik. Auch in der Linken findet diese Idee Anhänger – zu Unrecht. Von Klaus Henning
Die ursprüngliche Forderung der AfD nach einer Privatisierung der Arbeitslosenversicherung ist, wie die Abschaffung des Mindestlohns, auf Initiative des neofaschistischen Flügels aus dem endgültigen Programmentwurf gestrichen worden. An deren Stelle tritt nun aber die Abschaffung der Bundesagentur für Arbeit und deren Ersetzung durch kommunale Jobcenter. Das Arbeitslosengeld II soll durch eine »aktivierende Grundsicherung« mit höheren Zuverdienstmöglichkeiten für Arbeitslose ersetzt werden.
Der reaktionäre Charakter dieser Forderungen ist nicht sofort ersichtlich. In Ostdeutschland haben sich in der Vergangenheit auch einzelne linke Gemeindefraktionen für eine Kommunalisierung der Arbeitsmarktpolitik ausgesprochen, da sie sich stärkere Einflussmöglichkeiten im Sinne der Betroffenen erhoffen. Das AFD-Konzept der »aktivierenden Grundsicherung« deckt sich in Teilen mit dem Grundsicherungskonzept der »negativen Einkommenssteuer« von Dieter Althaus – einem von mehreren Modellen eines »Bedingungslosen Grundeinkommens«, dessen grundsätzlicher Ansatz auch in der LINKEN Anhänger findet.
Generalangriff auf Arbeitslose
Nichtsdestotrotz bedeuten diese Konzepte einen Generalangriff auf Arbeitslose und Beschäftigte. Das Grundsicherungskonzept der AFD läuft auf einen Ausbau des »Aufstockersystems« zu Gunsten der Klein- und Großkapitalisten hinaus. Die Erweiterung von Zuverdienstmöglichkeiten bei gleichzeitigem »Lohnabstandsgebot«, wie es die AFD ebenso fordert, ist nur durch eine radikale Absenkung der Grundsicherungsleistung zu haben. Dies würde die Not von Arbeitslosen vergrößern und den Lohndruck auf die Beschäftigten verschärfen.
Die AFD will sozialpolitisch zurück ins Deutsche Kaiserreich. Damals war die Arbeitsmarktpolitik noch ausschließlich Aufgabe der Gemeinden und wurde nach deren Gutdünken betrieben. Arbeitslose wurden kaum vermittelt und stattdessen bei kleinsten armutsbedingten »Übertretungen«, wie Betteln oder Landstreicherei, in Arbeitshäuser gesteckt. Die Forderung nach einer reichsweiten Arbeitsmarktpolitik stieß auf schärfsten Widerstand der Arbeitgeberverbände. Die Not der Arbeitslosen und das Fehlen einer nationalen Arbeitsmarktstatistik spielte ihnen in die Hände. Für die Gewerkschaften war dies ein solch zentrales Problem, dass selbst die rechte SPD-Führung noch während des ersten Weltkriegs damit drohte, die »Burgfriedenpolitik« aufzukündigen, sollte die Reichsregierung keine nationale Erwerbslosenfürsorge einrichten. In der Weimarer Republik führten zwei Gründe zu deren Einführung: Die Furcht der Unternehmer vor der erstarkten Gewerkschaftsbewegung und die Angst der Staatsbürokratie vor einer Radikalisierung der Erwerbslosen, die sich während der Revolution 1918 in Arbeitslosenräten organisierten.
Trotz vieler Mängel ein historischer Fortschritt
Die Bundesagentur für Arbeit geht zurück auf die Gründung der »Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung« im Jahr 1927. Sie ist wie damals noch immer eine selbstverwaltete Körperschaft öffentlichen Rechts, die durch einen drittelparitätisch besetzten Verwaltungsrat (Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Staat) geleitet wird. Daher hat die Arbeitnehmerseite im Unterschied zu den Gemeindeverwaltungen noch einen gewissen Einfluss auf die Geschäftspolitik, wenngleich dieser durch die Hartz-Gesetze weiter verringert wurde.
Genauso wie die Produktions- und Warenmärkte sind auch die Arbeitsmärkte im Kapitalismus längst nicht mehr regional begrenzt. Daher kann nur eine bundesweite Arbeitsverwaltung Arbeitnehmer adäquat vermitteln. Nur sie kann für einen Ausgleich zwischen Regionen mit höherer und niedrigerer Arbeitslosigkeit über Gemeinde und Landesgrenzen hinweg sorgen. Nur sie kann eine Berufsberatung für Jugendliche über die verengten Bedürfnisse lokaler Arbeitsmärkte bieten. Sie ermöglicht noch eine gewisse Kontrolle gegenüber den schlimmsten Auswüchsen der Konkurrenz des Arbeitsmarktes und ist zudem kostenlos. Und sie bietet die Grundlage für eine bundesweite Einheitlichkeit, so dass ein Arbeitsloser in München die gleichen Rechte hat wie in Flensburg. Deswegen war, bei allen Mängeln, die Schaffung der Anstalt für Arbeitslosenversicherung und Arbeitsvermittlung in der Weimarer Republik ein historischer Fortschritt.
Kommunalisierung der Arbeitsmarktpolitik
Die Arbeitsvermittlung auf Gemeindeebene ist nicht nur räumlich begrenzt. Sie ist auch vom finanziellen Druck der Gemeinden geprägt, Arbeitslose so schnell es geht in irgendeine Arbeitsgelegenheit zu pressen. Im Zuge des Hartz-IV-Gesetzes wurde die Arbeitsmarktpolitik bereits wieder teilweise auf die Gemeinden übertragen. Die bundesweite Arbeitslosenhilfe wurde mit der Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II zusammengeführt, eine Leistung, die zur Hälfte durch die Kommunen getragen wird. In die Arbeitsförderung wurden Instrumente der kommunalen Sozialhilfe, wie die berüchtigten »Ein-Euro-Jobs«, integriert. Die Vermittlung der Langzeitarbeitslosen blieb zunächst größtenteils in Zuständigkeit der Bundesagentur für Arbeit. In einem Viertel der Fälle (»Optionskommunen«) wurde den Gemeinden jedoch die Zuständigkeit übertragen.
Die Idee von Hartz IV bestand gerade darin, den Druck auf Langzeitarbeitslose zu erhöhen, da die Kommunen dem Wirtschaftlichkeits- und Sparsamkeitsdruck stärker unterliegen als der Bund. Die Erfahrungen mit den »Optionskommunen« belegen, dass Arbeitslose schlechter vermittelt werden und stärker der Willkür von Sachbearbeitern ausgesetzt sind. Die AfD plant, diesen Ansatz zu radikalisieren.
Zwischenschritt zur Privatisierung
Schließlich erleichtert die Auflösung der Bundesagentur für Arbeit zugunsten von über 400 lokalen Jobcentern eine spätere Privatisierung. Schritt für Schritt könnten zunächst in einigen kommunalen Jobcentern Dienste ausgelagert und privatisiert werden. Die Kommunalisierung wäre dann nur ein Zwischenschritt zur Privatisierung, wie sie im ersten Programmentwurf der AfD noch gefordert worden war.
Dass die AfD Abstand von ihrer ursprünglichen Forderung nimmt, ist also noch lange keine Verabschiedung von ihrer arbeitnehmer- und gewerkschaftsfeindlichen Orientierung. Obwohl die Bundesagentur für Arbeit auch für viele Linke ein Feindbild ist, müssen wir sie in diesem Fall verteidigen.
Foto: digitalcosmonaut
Schlagwörter: AfD, Hartz-IV, Privatisierung