Schluss mit »ruffen Lines« und »tighten Skills«: Zugezogen Maskulin zeigen auf »Alles brennt«, wie präzise beißend deutscher Rap sein kann. Von David Jeikowski
»Ähnlich wie schon in den Zwanzigern ist Berlin heute wieder ein Sehnsuchtsort, wo vieles möglich ist, wo es unzählige Lokale und Bars gibt, wo man die ganze Nacht unterwegs sein kann«, verkündete die 24-jährige Schriftstellerin Rebecca Martin jüngst in der Magazinbeilage der »Zeit«. Auch auf der stadteigenen Website wird das Nachtleben als eines der »aufregendsten der Welt« gepriesen, das Kulturangebot sei »umfangreich genug, um leicht den Überblick zu verlieren«.
Freiwillig nach Berlin zu ziehen, ist derart Mainstream geworden, dass es längst angesagt ist, eben nicht dort zu leben: nicht einer von fast 160.000 Menschen zu werden, die jedes Jahr neu nach Berlin kommen. Entscheidet man sich doch dafür, ist nach geglückter Assimilation der Abgrenzungsdruck umso größer und es wird lieber künstlich berlinert, als weiterhin zu »den Zugezogenen« zu zählen.
Die Rapper Testo und Grim104 sind als Zugezogen Maskulin dagegen allein wegen des Bandnamens locker eines Bambis für Integration würdig: fremdartig wie ein Stralsunder und ein Friesländer eben sind, so heimisch, wie man mit Verweis auf die Band Westberlin Maskulin – gewissermaßen der Ursprung der Berliner Rapszene – nur werden kann.
Durchgehend streitsüchtig
Das Album »Alles brennt« ist fast durchgehend so pointiert streitsüchtig und mit politischem Zynismus gespickt, dass man ganze Strophen am liebsten auf das nächste Demotransparent pinseln möchte.
»Oranienplatz« beispielsweise beschreibt den beschwerlichen Weg eines Flüchtlings über Griechenland (»gespült ins Land der einstmals ewig blühenden Antike/ wo die Morgenröte golden ist, willkommen in der Krise«) nach Berlin (»wo die Samba-Gruppen, Weinkulturen, Karneval zwar klar geht/ doch sich Argwohn in den Blick legt, wenn ein schwarzer Mann im Park schläft«) in das inzwischen geräumte Refugeecamp auf dem Oranienplatz. Das Instrumental kratz mit wuchtigem Sub-Bass, abgehackten Roland TR-808-Drums und hallender Klanghölzer-Melodie stark am Subgenre Trap (Hip-Hops neuster Inkarnation) und verleiht dem Ganzen eine passiv-aggressive Grundstimmung. Nach einer fast nur aus Claps bestehenden Verschnaufpause folgt der Refrain: »Wir haben viel zu viel/ wir haben viel zu viel/ um euch was abzugeben!/«. Immer wieder, damit auch die Letzten das zynische Resümee zur europäischen Grenzpolitik mitbrüllen kann.
Musikalisch und Refrain-technisch in die gleiche Kerbe schlägt »Endlich wieder Krieg«. Das von Verteidigungsministerin und Co. geforderte »Ende der Zurückhaltung« findet hier konkrete Formen: Kriegsbegeisterung vermischt sich mit einem Alltag aus WM-Party-Patriotismus (»Hashtag WW3, sexy Uniform von Adidas/ und das Oranje-Pack kriegt mal wieder auf den Sack«) und Party-Drogenexzessen (»vom Berghain an die Front/ erst wird geballert, dann wird gebombt«), Deutschrapklassiker mit deutschen Großmachtsfantasien (»Wir drehen den Swag auf vom Mars bis an die Memel«).
In »Guccibauch« beweisen Zugezogen Maskulin ein für Linke erstaunlich großes Maß an Selbstironie, wenn sich aller Ideologiefestigkeit zum Trotz besagter Luxus-Körperteil, sprich: der Konsumwunsch durchsetzt: »Ich trinke nur Coca Cola – Gewerkschafterblut/ Es gibt kein richtiges im Falschen, deshalb schmeckt’s mir auch so gut«. Der anfängliche Mix aus Autotune-Filter und langgezogenen Synthesizer-Melodien schickt einen irgendwo Richtung Miami Beach und ist nicht ganz einfach zu ertragen, verläuft sich dann aber im Laufe des Liedes. Am Ende tönt es in Chopped-&-Screwed-Manier »Beamer, Benz und Bentley – Lenin, Marx und Engels«, während Miami Beach vollends unter wütenden Trompeten-Sample-Salven untergeht.
So archaisch wie eine Mammutjagd
Zwei Songs später geht es jener Gattung Gutbetuchter an den teuren Kragen, die sich wochenends bevorzugt in sogenannten Problembezirken vergnügen, um sich montags bei Latte Macchiato vor Bürokolleginnen und -kollegen hiermit zu brüsten: »Agenturensöhne«, wie es so schön im Titel heißt. Dank unerbittlichem Bassgerolle und leider sehr treffender Sinnbilder (»Wir tanzen durch dein’ Kiez, wie deine Eltern durch den Zoo/ Guck mal wie der Penner kotzt – Instagram-Foto/«) ein ganz schöner Brecher.
Zugezogen Maskulin sind wahrhaftig »Vatermörder«, wie sie es im gleichnamigen Track mit Verweis auf Freud problematisieren. In »Totem und Tabu« beschreibt der Psychoanalytiker den Mord am diktatorischen Vater und die spätere Identifizierung mit ihm als zentrale Quelle der Kultur. Und tatsächlich: vom väterlichen Boombap-Rap ist hier nicht viel übriggeblieben. Kick und Snare werden gnadenlos vom Bass zerquetscht, Vokabeln wie »ruffe Lines, tighte Skills« sind so archaisch geworden wie eine Mammutjagd. Das mag nicht allen Zuhörenden schmecken. Dass Grim104 und Testo mit »Alles brennt« ihren Papi zumindest in puncto Präzision locker unter den Tisch rappen, ist aber mehr als offensichtlich.
Das Album: Zugezogen Maskulin: Alles brennt, Buback 2015.
Foto: newthinking communications
Schlagwörter: Berlin, Hip Hop, Kultur, Musik, Rap