Die rechtsextreme FPÖ erhält bei der Wahl in Wien mehr als 30 Prozent der Stimmen. Ohne die große Solidaritätsbewegung für Geflüchtete wäre es noch viel schlimmer gekommen. Eine Analyse von Manfred Ecker.
Die meisten Umfrageinstitute prognostizierten für die Landtags- und Gemeinderatswahl, die am 11. Oktober in Wien stattfand, ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der ehemaligen Haider-Partei FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs) und den Sozialdemokraten von der SPÖ. Diese Prognose verbreitete Panik – sowohl an der SPÖ-Basis als auch unter Antirassistinnen und Antirassisten.
Die SPÖ hat seit 1919 jede demokratische Wahl in Wien gewonnen und stellt seitdem, mit Ausnahme der Periode des Austrofaschismus und der Nazizeit (1934-1945), den Wiener Bürgermeister. Im Roten Wien der Jahre 1919 bis 1934 wurden radikale Reformen im Wohnungs- und Sozialwesen umgesetzt, die bis heute für den hohen Lebensstandard der Stadt prägend sind. Zudem lebt in Wien rund ein Viertel der gesamten Bevölkerung Österreichs, weshalb die Auswirkungen der Wienwahl für die Nationalratswahlen im Jahr 2018 natürlich sehr groß sind.
Man darf angesichts von neun Prozentpunkten Differenz zwischen SPÖ und FPÖ also durchaus erleichtert sein: Die Sozialdemokratie erhielt 39,6 Prozent, die Freiheitlichen wurden Zweiter mit 30,8 Prozent, und die Grünen wurden deutlich abgeschlagene Dritte mit nur 11,8 Prozent.
Antirassismus und Standhaftigkeit
Zwei Faktoren haben wir es zu verdanken, dass die Wahl nicht noch viel schlimmer ausgegangen ist: Zum einen ist die Wiener SPÖ nicht auf eine ausländerfeindliche Rhetorik eingeschwenkt, wie zuvor ihre Genossinnen und Genossen in der Steiermark und dem Burgenland. Bürgermeister Michael Häupl hat verstanden, dass er seine Basis mit Standhaftigkeit gegen Rassismus am besten mobilisieren kann.
Zum anderen erleben wir gerade eine höchst inspirierende Rebellion gegen die Festung Europa. Hunderttausende Menschen sind in irgendeiner Form in Solidaritätsarbeit betätigt. 150.000 Menschen gingen eine Woche vor der Wahl für eine menschliche Asylpolitik in Wien auf die Straße.
Die Öffnung der Grenzen durch die Wucht und Entschlossenheit der Flüchtlingsmassen hat die Wahl ganz entscheidend beeinflusst. Es besteht gar kein Zweifel, dass es auch anders hätte ausgehen können. Hätten sich die Rechten durchgesetzt und wäre die hauptsächliche Reaktion auf die Ankunft der Flüchtlinge feindselig gewesen, dann wären die Solidarischen in der Defensive gewesen und es hätte nur sehr schwachen Gegenwind für die FPÖ gegeben. Die wahren Kräfteverhältnisse zwischen rechts und links sichtbar zu machen, war ein wichtiger Verdienst der Solidaritätsbewegung und der Großdemonstration samt Konzert am 3. Oktober. In der Politik ist die Dynamik, wer wie selbstbewusst nach vorne zieht, ganz entscheidend. Wenn die rassistischen Pöbeleien von FPÖ-Anhängern überall auf Widerspruch stoßen, dann wirkt das.
Nachfolgepartei der NSDAP
Trotzdem sind 30 Prozent für die FPÖ 30 Prozent zu viel. Sie ist keine »normale« rechte Partei. Die FPÖ ist eine qualitativ andere, im Kern faschistische Partei, angeführt von deutschnationalen Burschenschaftern. Ihre Abgeordneten lassen dahingehend auch keine Missverständnisse aufkommen und bekennen sich demonstrativ zum Faschismus, indem sie sich blaue Kornblumen ans Revers heften. Damit – die blaue Kornblume war das Symbol der österreichischen Nationalsozialisten – weisen sie sich als stolze »Nachfolgepartei der NSDAP« aus, wie der Politikwissenschaftler Anton Pelinka schreibt. Ihre Verachtung für alle demokratischen Gepflogenheiten im Parlament und im Wiener Gemeinderat ist legendär. »Die FPÖ repräsentiert die Fortsetzung der deutsch-völkischen Tradition, deren Höhepunkt der Nationalsozialismus und der von diesem zu verantwortende Holocaust war«, diagnostiziert Pelinka.
Aber die FPÖ tarnt sich. Niemals würde der Parteivorsitzende Heinz-Christian Strache der Öffentlichkeit auf verständliche Art und Weise mitteilen, was die Freiheitlichen von Demokratie und Menschenrechten halten. Um sie richtig einzuschätzen, muss man schon die Codes der modernen Rechten kennen, wie die Kornblume oder den Kühnen-Gruß, der den Hitler-Gruß ersetzt hat. Man muss sich daran erinnern, dass Strache gemeinsam mit der Wiking-Jugend demonstriert hat, einer der gefährlichsten Neonazigruppen Europas und dass er bei Wehrsportübungen mit dem Führer der gewaltbereiten Naziszene Gottfried Küssel und dessen Konsorten teilgenommen hat. Und man muss wissen, dass der größte Teil der freiheitlichen Parteikader aus den rechtsextremen Burschenschaften kommen. Hierbei handelt es sich um elitäre Gruppierungen, die für das Proletariat oder die »kleinen Leute« nichts als tiefste Verachtung empfinden. Umso erschreckender sind die Ergebnisse für die FPÖ in den Arbeiterbezirken Floridsdorf (erster Platz mit 42 Prozent), Simmering (erster Platz mit 44 Prozent) und Favoriten (knapp zweiter Platz mit 41 Prozent).
Die Wut ernst nehmen
Die meisten Stimmen bekommt die FPÖ aber nicht wegen, sondern trotz des Bekenntnis zahlreicher zentraler Kader zum Faschismus. Dem Großteil der Wählerinnen und Wähler der Partei ist die Zurschaustellung der faschistischen Sympathien nicht bekannt. Die Hauptmotive FPÖ zu wählen sind Wut und Enttäuschung über das »System« und die Regierung, was durchaus legitim und verständlich ist.
Die Abwendung von den alten Großparteien wird sich auch in Wien nicht umkehren. Sie regieren in Zeiten einer globalen Wirtschaftskrise ein System, das immer mehr Ungleichheit und Zerstörung erzeugt. Drohende Massenarbeitslosigkeit und Umweltzerstörung sind gute Gründe diesem System zu misstrauen und nach grundsätzlichen Veränderungen zu verlangen. Zu Recht wird der SPÖ vorgeworfen, dem permanenten Sozialabbau nicht genug Widerstand zu leisten, oder noch schlimmer, ihn aktiv voranzutreiben. In Wien werden auch in der nächsten Regierungsperiode Einsparungen in Milliardenhöhe durchgeboxt werden. Das spüren die Geringverdiener am stärksten: Ihre Aussichten auf ein abgesichertes Leben in Wohlstand sinken mit jedem Sparprogramm.
Für eine neue Linkspartei
Leider ist die FPÖ aktuell die einzige Oppositionspartei, die radikale Veränderung verspricht. Deshalb sahnt sie unter Protestwählerinnen und –wählern ab. Weder Grüne noch die liberalen Neos sind dazu imstande. Die konservative ÖVP gilt in Wien ohnehin nur als Relikt der Vergangenheit und wird zudem für ihre Rolle in der Koalitionsregierung im Bund bestraft.
Wir brauchen deshalb ganz klar eine radikale, linke Protestpartei, sonst wird die Wut vieler Menschen in rassistische Bahnen gelenkt. Wir brauchen eine aktive Linkspartei, die zusammen mit den wütenden Menschen eine deutlich antikapitalistische Protestbewegung aufbaut. Wenn uns Linken das gelingt, dann gibt es keinen Zweifel, dass wir die FPÖ schlagen können.
Autor: Manfred Ecker ist Mitglied der sozialistischen Organisation Neue Linskwende in Wien.
Foto: © Daniel Weber
Schlagwörter: Flüchtlinge, FPÖ, Geflüchtete, Grüne, NSDAP, ÖVP, SPÖ, Wien