Anfang Oktober nahmen 150.000 Menschen in Wien an Protesten gegen die repressive Flüchtlingspolitik der EU teil und forderten von der Regierung in Österreich eine »menschliche Asylpolitik«. marx21 sprach mit Manfred Ecker, Mitorganisator der Proteste, über seine Eindrücke und die weiteren Perspektiven.
marx21: Du warst bei den Protesten dabei, was hast du dort erlebt?
Manfred Ecker: Da waren zuerst einmal diese unerwarteten Massen an Menschen, die jeden von uns total überwältigt haben. Über 70.000 sind auf der Demo mitmarschiert und dann waren 150.000 Menschen auf dem Open Air Event »Voices for Refugees«. Vor allem wir Aktive, die es gewöhnt sind mit wenigen hundert Menschen gegen Abschiebungen und ähnliches zu kämpfen, konnten sich so etwas unmöglich vorstellen. Die Umfragen, wonach eine Mehrheit der Bevölkerung von über 60 Prozent für eine menschliche Asylpolitik eintritt, erscheinen uns jetzt völlig realistisch. Wenn man sich die Bilder ansieht, dann fällt vor allem auf, dass es ganz normale arbeitende Menschen waren, die die Demonstration geprägt haben.
In der Wiener Fußgängerzone klebten Aktivistinnen und Aktivisten von der Initiative »Inside Out Austria« tausende Porträts von Flüchtlingen und Helfern auf den Asphalt – über eine Länge von rund 300 Metern. Was war die Botschaft dieser Aktion?
Ich bin am Morgen vor der Demo mit Mustafa, einem befreundeten Flüchtling aus Afghanistan, über diese 300 Meter spaziert und wir haben die Szenerie beobachtet. Ein Rassist war total empört und hat ein Plakat mit dem Bild einer jungen Frau zerstören wollen. Passanten haben ihn vertrieben und man hat ihm richtig angemerkt, dass er die Welt nicht mehr versteht. Wieso sind Flüchtlinge plötzlich etwas Positives? Wieso will ihnen alle Welt helfen? Mustafa und ich haben uns riesig über diese Szenen gefreut. Der Mythos vom Flüchtling als bedrohlichen Schmarotzer scheint erfolgreich zertrümmert worden zu sein. Das Projekt »Inside Out Austria« ist ein künstlerischer Ausdruck dieser Veränderung.
Wer organisierte die Proteste und das Konzert »Voices for Refugees – Konzert für ein menschliches Europa«?
Vor allem die großen Hilfsorganisationen, wie Volkshilfe, Caritas und Rotes Kreuz stehen hinter dieser Initiative. Alle Helferinnen und Helfer auf und um die Bühne haben umsonst gearbeitet, weil es sonst unmöglich zu realisieren gewesen wäre.
Wie hat die etablierte Politik auf den Protest reagiert?
Natürlich gab sich die Regierung begeistert und der Präsident durfte sogar von der Konzertbühne eine Ansprache halten. Hinter den Kulissen sieht es ganz anders aus. SPÖ und Grüne müssen einerseits froh und dankbar sein, weil unser Protest endlich einmal sichtbar gemacht hat, wie die Mehrheiten verteilt sind. Auf der anderen Seite hat die Regierung ein riesiges Problem damit wieder zu ihrer bisherigen Asylpraxis zurückzukehren. Die Innenministerin Mikl-Leitner will rigoros abschieben und am liebsten die Grenzen dicht machen. Aber sie sind mit einer regelrechten Rebellion gegen die Festung Europa konfrontiert, die derzeit die Mehrheit hinter sich hat. Ein echtes Dilemma für die Regierung.
Du kritisiert die Flüchtlingspolitik der österreichischen Regierung. Warum?
Die Flüchtlingspolitik der vergangenen 25 Jahre war bemerkenswert grausam und unmenschlich. Man hat sogar eigene Gesetze eingeführt, die darauf abzielen, einfache Hilfestellung zu kriminalisieren. Das hat dazu geführt, dass Flüchtlinge und die so genannten »Schlepper« immer gefährlichere Wege und Methoden suchen um ins Land zu kommen. Die 71 Toten, die am 27. August nahe der ungarischen Grenze entdeckt wurden, gehen auf ihre Kappe. Bei Abschiebungen wurden Ehepaare, Väter, Mütter und Kinder auseinander gerissen. Die Regierung hat mit Diktatoren kollaboriert und Regimegegner ausgeliefert, etwa an den berüchtigten Präsidenten von Tschetschenien, Kadyrow. Diesen Sommer hat die Innenministerin, um ihre Unnachgiebigkeit zu demonstrieren, Flüchtlinge in Zeltlager gepfercht oder überhaupt dazu gezwungen in Lagern im Freien zu schlafen. Dass sie momentan einen anderen Umgang mit Flüchtlingen pflegt, ist nur dem Druck der Straße zu verdanken. Egal wo die tausenden Menschen angekommen sind, es waren immer private Initiativen, welche die Begrüßung und Verpflegung besorgt haben. Diese Helferinnen und Helfer sind das Herz der Rebellion gegen die Festung Europa.
Wie geht es nach den Protesten weiter?
Wir müssen verhindern, dass die Regierung ihre Pläne für die Flüchtlingspolitik umsetzen kann. Gemeinsam mit den meisten EU-Regierungen wollen sie Deportationen wieder rigoroser durchführen und die Ankommenden in Sammellagern, so genannten Hot Spots, darben lassen. Aber unsere größte Herausforderung ist sicherlich der erschreckende Aufstieg der Faschisten. Bei den Wahlen in Wien hat die FPÖ viele Stimmen dazugewonnen und es ist gut möglich, dass die FPÖ die Parlamentswahlen im Jahr 2018 gewinnt. Wir müssen die linken Mehrheiten und die weit verbreitete systemkritische Stimmung auch politisch verwerten. Wir brauchen hier auch eine radikale Linkspartei, anders ist die FPÖ letztlich nicht aufzuhalten. Sie sahnt ab, weil sie als einzige Partei radikale Oppositionspolitik macht und die Menschen zornig sind über die Regierungspolitik, über die EU und vor allem über die ausweglos erscheinende Krise.
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