Studentische Beschäftigte an den Universitäten kämpfen für ihre Interessen. Wir sprachen mit Heidi Heil von TVStud Hamburg über die aktuellen Tarifauseinandersetzungen an deutschen Hochschulen
Du bist Teil der aktuellen TVStud-Kampagne Hamburg, also einer Initiative für einen Tarifvertrag für Studentische Beschäftigte. Wer seid ihr und wer steht alles hinter dieser Kampagne?

Heidi Heil, Master-Studentin der Geschichte an der Universität Hamburg. Sie arbeitet als Studentische Hilfskraft und als Studierende Angestellte am Arbeitsbereich Alte Geschichte.
Hi, schön, dass du fragst! Wir sind eine Studentische Initiative, die sich für einen Tarifvertrag und Mitbestimmungsrechte für Studentische Beschäftigte an den Hamburger Hochschulen einsetzt – das heißt für Tutor:innen, Studentische und wissenschaftliche Hilfskräfte.
Denn neben niedrigen Löhnen – die gerade in einer Stadt wie Hamburg nicht zum Leben reichen – Kettenbefristungen und Verstößen gegen arbeitsrechtliche Mindeststandards in unseren Arbeitsverhältnissen, haben wir auch keine Personalvertretung. Wir werden im Kampf gegen diese Bedingungen von den Gewerkschaften ver.di und GEW unterstützt. Außerdem sind wir breit vernetzt mit anderen Statusgruppen an den Hochschulen und mit zivilgesellschaftlichen Bewegungen sowie in die Landespolitik. Seit Anfang des Jahres hat die Bewegung auf Hamburger Initiative auch bundesweit Fahrt aufgenommen. In ganz Deutschland haben sich weitere TVStud-Kampagnen gegründet und vernetzt, um gemeinsam gegen unsere prekären Arbeitsbedingungen zu vorzugehen (Lies hier das marx21-Interview mit TVStud-Aktiven aus Berlin: »Ohne uns läuft hier nix!«).
Es fehlen studentische Freiräume, deshalb haben wir einen Hörsaal besetzt
Du bist Studentin an der Universität Hamburg. Was ist eure gegenwärtige Situation in Hamburg?
So groß die Freude über die Rückkehr zur Präsenz im Wintersemester auch ist, können wir nicht einfach wieder zum normalen Tagesgeschäft zurückkehren als wäre nichts passiert, wie es die Hochschulen und die Landespolitik uns vorgaukeln wollen. Die Studierenden wurden in den Corona-Semestern komplett allein gelassen. Viele haben ihre oft sowieso schon prekären Jobs pandemiebedingt verloren und in den letzten Semestern mussten insgesamt fast zwei Milliarden Euro an neuen Schulden aufgenommen werden. Die Isolation hat zahlreiche soziale Netzwerke und Austauschräume zerstört und gezeigt welchen Stellenwert unsere Studien- und Lebensbedingungen in der Politik haben: keinen.
Bei der Rückkehr an die Hochschulen erwarten uns nun neue Kürzungsoffensiven, die die sowieso schlechten Bedingungen in Forschung und Lehre noch weiter verschärfen und Ungleichheiten im Studium zementieren. Gleichzeitig verliert die Studierendenschaft in diesem Semester zwei studentische Freiräume am Campus der Uni. Daher haben wir direkt am ersten Vorlesungstag einen Hörsaal besetzt, um uns einen Raum zur Organisierung zu erkämpfen. Damit haben wir medial viel Aufmerksamkeit und so Druck auf die Politik erzeugt, und konnten uns schließlich durchsetzen! In dem gewonnen Raum haben wir nun ein Streikcafé eingerichtet und bereiten dort gemeinsam mit wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen, dem technischen und Verwaltungspersonal und den Kommiliton:innen Aktionen zur Tarifrunde der Länder vor.
Ökonomische Kämpfe sind immer auch politische Kämpfe
Was sind eure politischen und ökonomischen Forderungen an die Universitäten und die Länder? Warum der Aufruf zum bundesweiten Streiksemester?
Statt leerer Worte von Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Bündnis 90/Die Grünen), fordern wir fundamentale Verbesserungen für Studierende und Beschäftigte an den Hochschulen! Dazu gehört die Solidarität mit dem Arbeitskampf der Studentischen Beschäftigten und die Aufgabe der Blockadehaltung der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) – des Arbeitgeber:innenverbandes der Länder – gegen die Einführung von Tarifverträgen für Studentische Beschäftigte. Dazu gehört das Ende der jahrelangen Unterfinanzierung der Hochschulen, die zum Beispiel in Hamburg von SPD und Grünen während der Coronakrise sogar noch verschärft wurde, obwohl gerade in dieser Zeit der gesellschaftliche Wert der Wissenschaft ganz deutlich geworden ist. Wie #IchbinHanna gezeigt hat, brauchen auch die Kolleg:innen im akademischen Mittelbau entfristete Stellen in Vollzeit.
Denn das jetzige System zwingt sie zur vollkommenen Selbstausbeutung, wenn sie gute Lehre und Qualifikationsarbeit unter einen Hut bringen wollen. Zu guter Letzt braucht es ein unbürokratisches und elternunabhängiges BAföG für alle, das sich in seiner Höhe an der Realität orientiert und als Vollzuschuss gewährt wird, der nicht zurückgezahlt werden muss. Es kann nicht sein, dass bereits vor der Pandemie über 50 Prozent der Hamburger Student:innen unter der Armutsgrenze lebten, aber nur 18 Prozent BAföG bezogen. Die Pandemie wird dieses Verhältnis noch verschlimmert haben. Alle diese Forderungen bündeln wir im Aufruf zum Streiksemester, der die Kämpfe der verschiedenen Statusgruppen vereint, denn die Bedingungen an den Hochschulen betreffen uns alle. Gemeinsam sind wir stärker und erkämpfen uns bessere Arbeits- und Studienbedingungen!
Bundesweite Aktionen und Streiks gegen das Fallenlassen von Studentischen Beschäftigten
Seit wann bist du in der Kampagne aktiv? Was ist euer Zeitplan, wann sollen die Tarifauseinandersetzungen abgeschlossen werden?
Nachdem sich die Berliner Kolleg:innen 2018 erfolgreich eine Erneuerung ihres seit Jahrzehnten bestehenden TVStud erkämpft hatten, kam auch wieder Bewegung in andere Hochschulstandorte – darunter Bremen, Göttingen und Hamburg. Die Hamburger TVStud-Initiative hat sich dann Mitte 2019 gegründet und ich bin Ende desselben Jahres bei einer ersten großen Semester-Auftaktveranstaltung dazugestoßen. Seitdem wurde die Arbeit Stück für Stück immer intensiver und ich habe auch ein Ehrenamt im Fachbereichsvorstand von ver.di übernommen. Eigentlich wollten wir schon letztes Jahr streikfähig sein, aber die Pandemie hat uns einen Strich durch die Rechnung gemacht.
Daraufhin haben wir unsere Kapazitäten vor allem für intensives Organizing, medienwirksame Öffentlichkeitsarbeit und für die bundesweite Vernetzung genutzt. Wir sind mittlerweile so stark geworden, dass wir unsere Gewerkschaften überzeugen konnten die Forderung nach einem TVStud mit in die Tarifrunde der Länder zu nehmen. Es wird gefordert, dass der Arbeitgeber:innenverband TdL nicht länger die Landesregierungen von Tarifverhandlungen mit den Studentischen Beschäftigten abhält. Damit würde die Ausrede wegfallen, dass man willig wäre, aber die TdL-Verhandlungen über TVStuds bundesweit verboten hat, hinter der sich die Landesregierungen jedes Mal wegducken können. Das würde den lokalen Initiativen den Weg frei machen, um noch wirksamer politischen Druck ausüben zu können.
Natürlich könnte die TdL uns 300.000 Studentische Beschäftigte bundesweit auch einfach direkt in den TV-L aufnehmen und allen Beteiligten Nerven und Lebenszeit sparen, aber wann haben Arbeitgeber:innen uns jemals etwas geschenkt? Deswegen werden wir unabhängig vom Verhandlungsergebnis unseren Kampf nach der Tarifrunde der Länder ab Dezember fortführen und den Tarifvertrag erkämpfen.
In welchen Städten finden die Tarifauseinandersetzungen überall statt und wie können sich Studierende an Streiks und Aktionen beteiligen?
TVStud-Initiativen gibt es in über 40 Städten in 12 Bundesländern und auch an anderen Orten befinden sich Inis in Gründung. Eine Liste mit den Kontaktdaten findet man auf der Homepage der bundesweiten Vernetzung. Dort kann man sich einfach melden, zu den regelmäßigen Plena dazustoßen und mit anpacken, je nachdem wie es die eigenen Kapazitäten zulassen. Außerdem kann man sich über die diversen Social Media-Kanäle auf dem Laufenden halten und spontan zu Aktionen und Streiks dazustoßen, wenn sie angekündigt werden. Manche Initiativen stehen noch ganz am Anfang, andere – wie Bremen und Hamburg – sind schon stark genug, um in die Auseinandersetzung zu gehen. Aber es braucht jetzt alle, damit wir unsere Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen kollektiv und solidarisch durchsetzen können. Also informiert euch und sprecht eure Kommiliton:innen und Kolleg:innen an. Macht sie auf Kampagne aufmerksam. Niemand schenkt uns einen Tarifvertrag. Nur wenn wir uns organisieren, können wir genug Druck aufbauen. Deswegen, kommt vorbei und bringt euch ein!
Studentische Beschäftigte sind keine »Sachmittel«!
Warum ist es aus eurer Sicht so wichtig, dass Studentische Beschäftigte eine eigene Vertretung ihrer Interessen an Hochschulen erhalten? Was ist der Unterschied zum Allgemeiner Studierendenausschuss (AStA) oder dem Studierendenparlament (StuPa)?
In der Corona-Pandemie ist sichtbar geworden, dass wir Studentischen Beschäftigten nicht als eigene Statusgruppe wahrgenommen werden. In Austauschrunden zu Auswirkungen der Pandemie wurde zwischen Studierenden als Teilnehmenden von Lehrveranstaltungen und den Beschäftigten unterschieden. Dass es Studierende gibt, die auch von den prekären Verhältnissen im HomeOffice betroffen sind und daneben noch das eigene Studium unterbringen müssen, blieb hierbei unsichtbar. Dies zeigt, wie wichtig es ist, dass wir als eigenständige Gruppe mit eigenen Interessen sichtbar werden. AStA und StuPa sind wichtig, um die Interessen der Studierenden als Studierende zu vertreten. Sie sind auch wichtige Unterstützer:innen in unserer Auseinandersetzung. Aber sie sind eine Studierendenvertretung – keine Arbeitnehmer:innenvertretung.
In den bestehenden wissenschaftlichen Personalrat an der Universität Hamburg zum Beispiel können wir weder gewählt werden, noch können wir die Mitglieder wählen. Eine eigene Interessenvertretung – wie auch einen Tarifvertrag – ist aber unser Recht als Arbeitnehmer:innen und es ist eine Frechheit, dass der Hamburger Senat uns diese verweigert.
Zusammen mit Kettenbefristungen und weiteren Defiziten besteht hier eine unglaublich große Machtasymmetrie zwischen Studentischen Beschäftigten und den Hochschulen bzw. Vorgesetzten. Dass Kolleg:innen unter solchen Bedingungen nicht auf Urlaubsanspruch oder Krankheitstage bestehen – teilweise nicht einmal wissen, dass sie diese Rechte haben – verwundert nicht. Auch gibt es keine Anlaufstelle bei ausbleibenden Gehaltszahlungen und Verträgen. AStA und StuPa haben keine Handhabe, um Studentischen Beschäftigten bei solchen Problemen in ihren Arbeitsverhältnissen zur Seite zu stehen. Dazu brauchen wir eine eigene offizielle Personalvertretung, mit aktivem und passivem Wahlrecht, die auf die Einhaltung gesetzlicher Mindeststandards achtet und das Wissen um unsere Rechte und Arbeitsbedingungen institutionalisiert.
Heidi, vielen Dank für das Gespräch!
Interview: Simo Dorn
Aktuell:
16.11.2021: Gemeinsamer Streiktag von Studentischen Beschäftigen und Schulhausmeistern in Hamburg & Streik in Göttingen
15.11.2021: Warnstreik für Studentische Hilfskräfte und Tutor:innen in Bremen
02.11.2021: Länder lehnen sämtliche Forderungen der Gewerkschaft ab
25.10.2021: Da die erste Runde der Tarifverhandlungen für die Beschäftigten bei den in der Tarifgemeinschaft deutscher Länder zusammengeschlossenen Arbeitgebern am 8. Oktober 2021 verlief ohne eine Annäherung wird weiter Druck gemacht. Am Mittwoch den 27. Oktober ruft TVStud Hamburg zusammen mit ver.di zum Solidaritätsstreik auf.
Titelbild: TVStud Hamburg
Schlagwörter: Gewerkschaften, Studentenproteste, Studierende