Sie nennen ihn »Tschechiens Trump« oder »Berlusconi von der Moldau«: Der Milliardär und umstrittene Medienmogul Andrej Babiš hat mit einem rechtspopulistischen Kurs die Parlamentswahl in Tschechien gewonnen. Doch das ist längst nicht die einzige Herausforderung für die geschwächte Linke. Jan Májíček über einen Kampf an vielen Fronten und die Hoffnung auf Erneuerung durch Widerstand
Die Abgeordnetenhauswahl in Tschechien Ende Oktober markiert einen heftigen Rechtsruck. Der Milliardär Andrej Babiš, Gründer und Führer der ANO-Bewegung (»Aktion unzufriedener Bürger«), gewann mit knapp 30 Prozent der Stimmen mit deutlichem Abstand vor der zweiten Partei, der neoliberalen und konservativen »Demokratischen Bürgerpartei« (ODS), die 11,3 Prozent erhielt. Einen großen Erfolg erzielte auch die neofaschistische »Freiheit und direkte Demokratie« (SPD) unter Tomio Okamura, die 10,6 Prozent der Stimmen erreichte. Katastrophal waren hingegen die Ergebnisse der tschechischen Sozialdemokratie (ČSSD), die von 20,5 auf 7,3 Prozent abstürzte, und der »Kommunistischen Partei Böhmens und Mährens« (KSČM), die von fast 15 Prozent auf 7,8 Prozent fiel. Die Grünen (Z) fuhren mit 1,5 Prozent das zweitschlechteste Ergebnis ihrer Geschichte ein und verloren ihren Anspruch auf staatliche Gelder.
Ein Milliardär als Kämpfer gegen Korruption?
Der Erfolg der ANO-Bewegung beruht auf zwei sich ergänzenden Erzählungen. Die erste ist die Erzählung von einer korrupten politischen Elite, die seit der Samtenen Revolution vor 28 Jahren nur die eigenen Taschen füllt. Da ist natürlich viel Wahres dran. Mit einer ganzen Reihe von skandalösen Privatisierungen während der 1990er und 2000er Jahre hat die politische Klasse den Ausverkauf des öffentlichen Eigentums vorangetrieben, was zu einer schreienden Ungerechtigkeit geführt hat. Die zweite Erzählung ist hingegen eine Lüge. Es ist die Erzählung von einem erfolgreichen Geschäftsmann, der wisse, wie das Land wieder auf Kurs gebracht werden kann. Babiš hat es geschafft, ein riesiges Industrieimperium aufzubauen. Dazu zählen die Herstellung von Agrardüngemitteln, Pharmazeutika sowie mehrere Medienkonzerne. Ihm gehören indirekt zwei der größten Tageszeitungen und einer der beliebtesten Radiosender. Babiš stellt sich als fleißiger Unternehmer dar und verspricht, die Korruption zu beseitigen und ein effizientes Regierungssystem zu schaffen. Dabei ist er selbst Teil der korrupten Elite und musste im Mai 2017 wegen mutmaßlichen Steuerbetrugs als Minister zurücktreten.
Im Jahr 2014 war seine ANO-Bewegung Teil einer Regierungskoalition mit den Sozialdemokraten und den Christdemokraten geworden. Babiš selbst wurde Finanzminister. Dank der positiven Konjunktur und niedriger Arbeitslosigkeit konnte der größte Gewerkschaftsverband (ČMKOS) die Regierung dazu drängen, den Mindestlohn regelmäßig zu erhöhen und die Löhne der Staatsbediensteten zu steigern – ein langsames aber stabiles Programm des »sozialen Friedens«. Trotz einer Reihe von Interessenkonflikten, die Babiš als Unternehmer und Finanzminister hatte und die ihn im Mai dazu zwangen, sein Ministeramt niederzulegen, gelang es der ANO-Bewegung ihre Teilnahme an der Regierung als Erfolgsgeschichte darzustellen.
Das Versagen der parlamentarischen Linken
Die Sozialdemokraten waren überhaupt nicht in der Lage, auf die neue politische Situation zu reagieren. Ein Grund dafür ist die allgemeine Krise der sozialdemokratischen Bewegung in Europa, wobei die britische Labourpartei unter Corbyn die einzige Ausnahme bildet. Die ČSSD ist vollkommen auf einen neoliberalen Kurs eingeschwenkt und betrachtet die kapitalistische Globalisierung als Naturprozess, den man zwar korrigieren müsse, aber bloß nicht allzu sehr, um keine ausländische Investoren abzuschrecken. In der Flüchtlingsfrage war die ČSSD gespalten. Während einzelne Parteimitglieder sich an der Solidaritätsbewegung mit den Geflüchteten und an antirassistischen Demonstrationen beteiligten, erklärte die Parteiführung offen, dass sie gegen die Quoten der EU sei. Daraufhin schloss sich Tschechien mit Victor Orbáns Ungarn und Jarosław Kaczynskis Polen zusammen und stellte Flüchtlinge als eine nahezu existenzielle Bedrohung für die Bürger der EU dar. Anstatt Hilfe zu leisten, förderte die Regierung die Panikmache. Ähnlich wie in der Slowakei, wo der Sozialdemokrat Robert Fico und seine Partei SMER durch die Verbreitung rassistischer und islamfeindlicher Hetze dazu beitrugen, die Positionen der Neofaschisten und Rechtsradikalen zu stärken, bereitete die ČSSD den Weg für den Aufstieg der SPD von Tomio Okamura.
Man könnte fast das Gleiche über die KSČM sagen. Die Reaktion der Partei war zunächst gut, indem sie zum Antifaschismus und zur Solidarität aufrief. Aber bald verschoben viele ihrer führenden Politiker den Fokus auf Fragen der Sicherheit, auf kulturelle Konflikte und auf islamfeindliche Standpunkte über eine »eindringende ausländische Armee«. Viele Ortsgruppen der Partei verbreiteten Falschmeldungen über ihre Facebook-Seiten. Wie bei den Sozialdemokraten beteiligte sich nur eine Minderheit der Parteimitglieder an Aktionen gegen die Faschisten und für Solidarität mit Geflüchteten.
Kapitulation vor dem Rassismus in Tschechien
Bei einem solchen Versagen der parlamentarischen Linke, fiel die führende Rolle auf Revolutionäre und andere radikale Aktivistinnen und Aktivisten. Das berühmte besetzte Haus »Klinika« in Prag war einer der zentralen Orte für Nahrungsmittel- und Kleidungssammlungen, die dann an die Flüchtlingslager an der serbischen Grenze geschickt wurden. Dasselbe galt für die Proteste gegen Rassismus und Islamfeindlichkeit. Organisationen wie Socialistická Solidarita, die Grüne Jugend, die Anarchisten und teilweise auch einige Liberale waren bereit, auf der Straße gegen die Rechtsradikalen zu mobilisieren. Es war eine sehr schwierige Lage, besonders für die radikale Linke. Einerseits kapitulierte die Mehrheit der Linken vor dem Rassismus, andererseits war die einzige traditionelle politische Kraft, die sich »für Flüchtlinge« einsetzte, die liberalen Rechte. Das waren genau dieselben Politiker und Parteien, gegen die wir vor einigen Jahren wegen ihres Austeritätsprogramms protestierten, und jetzt stellten sie sich als Antirassisten dar. Aber sie versuchten nie Teil der Proteste zu werden.
Die sogenannte Flüchtlingskrise hat innerhalb der Linken eine tiefe Kluft gegraben, die noch nicht überwunden werden konnte. Neben der politischen Kapitulation vor dem Rassismus besteht der andere Grund für die Fragmentierung der Linken im Fehlen einer politischen Vision, die auf sozialer Gerechtigkeit beruht und sowohl radikal als auch internationalistisch ist.
Kampf an vielen Fronten
Wenn die Analyse sich nur auf die Wahlprogramme stützt, muss man zum Schluss kommen, dass die politische Rechte eine überwältigende Mehrheit hat. Eine Herausforderung für die Linke ist insbesondere die rechtsradikale SPD, die zwar einerseits Sozialhilfeempfänger angreift, aber gleichzeitig ein kostenloses universelles Gesundheits- und Pflegesystem einfordert.
Für die radikale Linke bedeutet die jetzige Situation einen Kampf an vielen Fronten. Die erste Front ist der Kampf gegen alle unsozialen Maßnahmen der neuen Regierung. Babiš selbst hat erklärt, dass die ihm am nächsten stehende politische Partei die neoliberale ODS sei. Die zweite Front ist der Kampf gegen Rassismus und Islamfeindlichkeit. Da die SPD im Aufwind ist, wird dieser Kampf alles andere als einfach, aber die erste Gelegenheit gibt es noch in diesem Jahr, wenn die Führer der Fraktion »Europa der Nationen und der Freiheit« im Europäischen Parlament, wie Marine Le Pen oder Geert Wilders, nach Prag kommen, um die Position Okamuras zu stärken und der SPD beim Wahlkampf für die Europawahl 2019 zu helfen.
Die dritte Herausforderung für die Linke in Tschechien wird die Suche nach neuen Wahlalternative sein. Momentan läuft die Debatte darüber, wie es weitergehen soll. Im Gespräch sind insbesondere zwei Szenarien: Das erste ist die Gründung einer neuen Partei von Grund auf, die sich auf lokale Aktivistinnen und Aktivisten und kleinere linke Organisationen stützt. Das zweite Szenario basiert auf den Erfahrungen im Aufbau der Partei DIE LINKE in Deutschland, wobei Aktive in die KSČM eintreten und die Partei kollektiv umzuwandeln versuchen. Zurzeit ist es schwierig zu sagen, welche Strategie die Oberhand gewinnt. Ein wichtiger Faktor werden die Sonderkonferenzen der Sozialdemokraten im Februar und der Kommunisten im April sein. Was aber schon jetzt sicher ist, ist die Tatsache, dass wir nächstes Jahr den Widerstand auf die Straße werden tragen müssen, um dem Rechtsruck etwas entgegenzusetzen.
Übersetzung von Einde O’Callaghan.
Foto: Österreichisches Außenministerium
Schlagwörter: Flüchtlinge, Korruption, Rassismus, Rechtsruck, SPD, Trump