US-Präsident Donald Trump kündigt regionale Freihandelsabkommen und verhängt Strafzölle. Ist seine Politik ein Gegengewicht zum weltweiten Freihandel und zur Exportorientierung Deutschlands? Von Christian Schröppel
Jahrzehntelang war der Freihandel das erklärte Ziel der mächtigsten Industriestaaten. Aus dem nach dem Zweiten Weltkrieg ins Leben gerufenen Allgemeinen Abkommen über Zölle und Handel (General Agreement on Tariffs and Trade, GATT) entstand 1995 die Welthandelsorganisation (World Trade Organization, WTO). Die Staaten der G7-Gruppe – also die USA, Japan, Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien und Kanada – bestimmten die politische Agenda. In ihren Zusammenkünften präsentierte sie sich als informelle Weltregierung.
Gegen diese Weltregierung formierte sich schnell weltweiter Protest. Nach der Großdemonstration gegen die WTO-Ministerkonferenz in Seattle im Jahr 1999 entstand eine Bewegung, die die Mächtigen bei ihren Gipfeltreffen bis in abgelegene Orte der Welt verfolgte. Neben Fragen der internationalen Finanzordnung und des Klimaschutzes stand bei den Protesten ein Thema im Mittelpunkt: der Freihandel.
Der Freihandel und die Welthandelsorganisation
Ziel der zahlreichen Verhandlungsrunden im Rahmen des GATT war es, immer mehr Güter und immer mehr Staaten in weltweite Abkommen über die Reduzierung von Zöllen und anderen sogenannten Handelshemmnissen einzubeziehen. Die WTO führte dies zunächst fort. Alle Mitgliedstaaten der Welthandelsorganisation müssen gewährleisten, dass ihre Gesetze mit den Bestimmungen der WTO in Einklang stehen. Gerade für schwächere Staaten gleicht das WTO-Abkommen einem Knebelvertrag, der ihre staatliche Souveränität faktisch aushebelt. Die 2001 eröffnete sogenannte Doha-Runde der WTO zeigte bereits Interessengegensätze der beteiligten Staaten auf: Bislang führte sie nicht zu einer Vereinbarung über die weitere Liberalisierung des globalen Handels.
Linke Kritik am Freihandel
Nicht erst seit der Gründung der WTO haben Linke den kapitalistischen Welthandel kritisiert. Sie haben Bestrebungen, sich der Kontrolle der mächtigen Industriestaaten und ihrer Konzerne zu entziehen, unterstützt. Die Kritik galt dem politisch kontrollierten Handel in abgeschotteten Kolonialreichen ebenso wie der Durchdringung der Länder des Südens durch profitorientierte Großkonzerne. In beiden Fällen sind Handels- und Wirtschaftsbeziehungen Teil der politischen Herrschaft über die Bevölkerung dieser Länder. Zahlreiche politische und militärische Eingriffe nicht nur der USA in diesen Ländern belegen den engen Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher und politischer Beherrschung. Auch die stalinistische Sowjetunion hat repressive Regimes unterstützt, um ihren Einfluss weltweit auszubauen.
Unmittelbaren Anlass zu Widerstand und Kritik boten und bieten die unmenschlichen Arbeitsbedingungen, unter denen die Beschäftigten der internationalen Konzerne arbeiten müssen: giftige Pflanzenschutzmittel auf Plantagen, lebensgefährliche Bedingungen in Bergwerken, überlange Arbeitszeiten in Textilfabriken.
Freihandel zum Wohl aller?
Der Behauptung, dass diese Bedingungen ein notwendiges Durchgangsstadium auf dem Weg zu wirtschaftlicher Entwicklung und Wohlstand seien, hielten Vertreter der sogenannten Dependenztheorie (Theorie der Abhängigkeit) zu Recht entgegen: Freie Konkurrenz auf dem Weltmarkt führt zu einer Spaltung der Volkswirtschaften in wenige Wirtschaftsmächte, in denen technologisch fortgeschrittene Güter produziert werden auf der einen, und viele Länder, die sich auf die Produktion einfacher Güter mit möglichst geringen Arbeitskosten spezialisieren auf der anderen Seite.
Damit stellt sich die Dependenztheorie insbesondere gegen die These der klassischen und neoklassischen ökonomischen Theorie, dass »komparative Kostenvorteile« letztlich zum Wohl aller genutzt werden könnten. Das bedeutet, dass sich die einzelnen Volkswirtschaften auf diejenigen Produkte spezialisieren würden, die sie auf Grund äußerer Umstände – wie etwa Klima und Boden – besonders effizient herstellen können. Allerdings hat die Spezialisierung auf Kaffee, Kakao und Südfrüchte nur den Plantagenbesitzern Wohlstand gebracht, und bei den meisten technologisch fortgeschrittenen Produkten spielen unveränderliche äußere Faktoren keine Rolle. Tatsächlich waren in Ländern wie Japan, Südkorea, Malaysia und zuletzt China industriepolitische Steuerung und die Regulierung des Außenhandels wichtige Elemente einer Wirtschaftspolitik, die den Aufbau einer eigenständigen Produktionsbasis ermöglichten. Oft war eine Landreform der Ausgangspunkt für die Weiterentwicklung der Landwirtschaft als Basis für die allgemeine Wirtschaftsentwicklung – im Gegensatz zur Ausbreitung großer Plantagen im Besitz transnationaler Konzerne. In dieser Politik spiegelt sich allerdings nicht das Interesse der Arbeiterinnen und Arbeiter wider, sondern die spezifischen Interessen der herrschenden Klasse in diesen Staaten, ihre Wirtschaft auf einer eigenständigen Basis zu entwickeln. Eine international orientierte Linke wird daher nicht auf Abschottung der Staaten setzen, um autarke (selbstversorgende) Wirtschaften aufzubauen, sondern auf Kooperation, um neue technologische Erkenntnisse und Entwicklungen möglichst schnell weltweit anwenden zu können. Aber sie ist zugleich solidarisch mit Befreiungsbewegungen, die auf eine eigenständige wirtschaftliche Entwicklung setzen.
Kritikpunkte gegen den Freihandel
Die globalisierungskritische Bewegung brachte ab Ende der 1990er Jahre darüber hinaus weitere Kritikpunkte gegen den Freihandel vor: Er untergräbt die erkämpften Rechte von Beschäftigten durch ungezügelte Konkurrenz, führt zu einem Wettlauf nach unten um die niedrigsten Unternehmenssteuern, gefährdet öffentliche Betriebe und Dienste, befördert Dumpingkonkurrenz durch mangelnden Umweltschutz und verhindert einen wirksamen Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher vor gesundheitsschädlichen Produkten.
Weltweite Abkommen, ebenso wie regionale Vereinbarungen wie das Transatlantische Freihandelsabkommen (Transatlantic Trade and Investment Partnership, TTIP) gelten zudem als Hintertür, um die Rechte von Beschäftigten sowie Verbraucherinnen und Verbrauchern auszuhebeln. Die Handels- und Investitionsabkommen werden regelmäßig von Wirtschaftsvertreterinnen und -vertretern und weitgehend unbekannten politischen Handelsbeauftragten geheim vorbereitet. Die gesamte undemokratische Konstruktion dieser Abkommen wird dazu genutzt, die Interessen von Konzernen und mächtigen Staaten auch gegen die eigene Bevölkerung durchzusetzen. Die Kritik an den geheimen Verhandlungen trug wesentlich zum Scheitern des »Multilateralen Abkommens über Investitionen« (MAI) im Jahr 1998 bei.
Regionale und bilaterale
Abkommen als Alternativen zum Freihandel?
Als Alternative zu den seit längerem blockierten globalen Verhandlungen gelten regionale Abkommen und bilaterale Vereinbarungen. Solche Vereinbarungen wurden lange als Vorstufen für weltweit gültige Abkommen auf globaler Ebene verstanden. Viele Staaten sahen sich auch unter Druck, solche Vereinbarungen abzuschließen, um zu verhindern, dass sich andere Länder ohne ihre Beteiligung zusammenschließen und globale Regeln und Standards bestimmen.
Einerseits war die Rhetorik, mit denen die Verhandlungen über regionale Abkommen geführt wurden, weiterhin von der Perspektive geprägt, Vorarbeit für globale Vereinbarungen zu leisten, die – so die Ideologie – zum Wohle aller auf gleichberechtigter Basis geschlossen werden. Andererseits waren die Verhandlungen auf allen Ebenen schon immer durch Auseinandersetzungen insbesondere über technische Normen und Produktmerkmale gekennzeichnet, mit denen sich Staaten und transnationale Konzerne Vorteile gegenüber der Konkurrenz verschaffen wollten.
Heuchelei der kleinen Lügen
Auch in der Öffentlichkeit zeigte sich zuweilen, dass es nicht um die beste Lösung für alle, sondern um politische Macht geht: So warnte der frühere US-Präsident Barack Obama Großbritannien davor, dass sich das Land nach einem Austritt aus der Europäischen Union bei der Gestaltung des weltweiten Handels »hinten anstellen« müsse. In den letzten Jahrzehnten gab es immer wieder mit Zöllen und Einfuhrbeschränkungen ausgefochtene Handelskriege zwischen Staaten, auch und gerade zwischen Mitgliedstaaten der WTO. Bekanntlich steht US-Präsident Donald Trump auf Kriegsfuß mit der Wirklichkeit. Die Umdeutung der Realität lässt ihn für seine Anhängerinnen und Anhänger besonders kraftvoll und durchsetzungsstark erscheinen. Sie haben das Gefühl, dass Trump ihre eigene Ohnmacht als Räder in einem von Profit getriebenen System aufhebt. Die Heuchelei der kleinen Lügen, mit denen eine von Profitinteressen getriebene Politik als Ringen um die besten Konzepte im allgemeinen Interesse umgedeutet wird, liegt Trump nicht.
So personifiziert Trump die Verrohung eines durch immer schärfere Konkurrenz getriebenen Kapitalismus. An die Stelle einer auf Allgemeingültigkeit gerichteten Ethik – die sich auch gegen einen radikalisierten Kapitalismus wenden könnte – setzt Trump den Kampf aller gegen alle, Erfolg und Macht als Ziele an sich. Nicht die Leistung für die Gemeinschaft, sondern die Durchsetzung im Konkurrenzkampf legitimiert in dieser Gedankenwelt politische Führung. Faktisch ist Trumps Projekt: Die Menschen moralisch für einen radikalisierten, rohen Kapitalismus fit zu machen. Nicht zuletzt aus diesem Grund genießt Trump, der innerhalb der politischen Sphäre eine Außenseiterrolle innehatte, große Unterstützung der Börse und bedeutender Teile der Wirtschaft.
Donald Trump und der Freihandel
Trump hat gleich nach seinem Amtsantritt die sogenannte Transpazifische Partnerschaft aufgekündigt. Er droht damit, das Nordamerikanische Freihandelsabkommen zu verlassen. Trump hat Strafzölle auf Importe von Stahl und Aluminium – auch aus NATO-Mitgliedstaaten – eingeführt und dies mit Erfordernissen der nationalen Sicherheit begründet. Zugleich erklärt er, bilaterale Abkommen zu bevorzugen, da sich die USA dort besser durchsetzen und solche Vereinbarungen jederzeit aufkündigen könnten.
Mit immer neuen Drohungen spitzt Trump den Handelskonflikt mit China zu. Der Wirtschaftsjournalist Gideon Rachman mutmaßte in der »Financial Times«, dass Trump den Handel mit China prinzipiell einschränken will: »Große Teile des amerikanischen Establishments, weit über die Regierung Trump hinaus, kehren der Idee, dass wirtschaftliche Zusammenarbeit der beste Weg ist, einem aufstrebenden China zu begegnen, den Rücken. Stattdessen nimmt der Drang zur Konfrontation zu.«
Zuweilen garniert Trump seine Drohungen mit dem Vorschlag, Zölle auf bestimmte Produktgruppen beiderseitig ganz entfallen zu lassen. An der Gesamteinstellung Trumps ändert dies jedoch nichts: Das Recht des Stärkeren soll sich durchsetzen, und aus der Perspektive Trumps sind das die Vereinigten Staaten, die immer noch größte und am weitesten entwickelte Volkswirtschaft der Welt. Die Frage, ob dies durch Liberalisierung in manchen Bereichen oder durch willkürliche Zölle in anderen Bereichen erreicht wird, ist diesem Ziel und diesem Interesse untergeordnet.
Die Folgen des Protektionismus
Aus der Sicht der großen Mehrheit der Bevölkerung, die von Lohnarbeit leben muss, ist Trumps Politik deshalb keine gute Alternative zum allgemeinen Freihandel. Auch schränkt sie nicht die Exportorientierung von Ländern wie Deutschland oder Japan ein, sondern verschärft den weltweiten Konkurrenzkampf und erweitert ihn durch den verstärkten Einsatz politischer Machtmittel. Die Interessen der Lohnabhängigen, der Verbraucherinnen und Verbraucher und der Umweltschutz spielen bei Trump ebenso wenig eine Rolle wie in den Verhandlungsrunden der Welthandelsorganisation.
Über die Folgen des Protektionismus in den USA schrieb bereits Friedrich Engels, der gemeinsam mit Karl Marx u.a. das »Kommunistische Manifest« verfasste, im Jahr 1888: »Der Schutzzoll ist im besten Falle eine Schraube ohne Ende und man weiß nie, wann man mit ihm fertig ist. Wenn wir einen Geschäftszweig schützen, so schädigen wir direkt oder indirekt alle anderen und müssen sie demzufolge ebenfalls schützen.« Tatsächlich binden die Auseinandersetzungen um Schutzzölle und politische Protektion die Arbeiterinnen und Arbeiter an das Kapital und verwischen die Klassengegensätze, ohne dass die Arbeiterklasse insgesamt aus der protektionistischen Politik Vorteile ziehen könnte.
Foto: Gage Skidmore
Schlagwörter: Donald Trump, Freihandel, USA, Wirtschaft