Nach den Landtagswahlen in Thüringen und Brandenburg ist eine Debatte über die Strategie der LINKEN notwendig. Welche Ausrichtung soll die Partei in Zukunft haben? Und wie kann der Aufstieg der AfD gestoppt werden?
Bei den jüngsten Landtagswahlen in Thüringen und in Brandenburg war die Wahlbeteiligung historisch niedrig. DIE LINKE konnte diesem Trend nicht entgegenwirken. In beiden Ländern verlor sie Stimmen an die Nichtwähler und die AfD. Deren Erfolg bedeutet eine Verschiebung des politischen Spektrums nach rechts.
In Brandenburg regiert DIE LINKE seit dem Jahr 2009 zusammen mit der SPD. Ihr Ziel war es, zum ersten Mal in ihrer Geschichte aus einer Regierungsbeteiligung heraus keine Stimmen zu verlieren. Das hat sie weit verfehlt: Hatten bei der letzten Wahl noch 377.000 Menschen für DIE LINKE gestimmt, waren es dieses Jahr nur noch 183.000. Mehr als die Hälfte ihrer Wählerinnen und Wähler hat sich also von ihr abgewandt. Ihr Stimmenanteil sank von 27,2 auf 18,6 Prozent. Rund 115.000 ehemalige LINKE-Wähler blieben diesmal zu Hause, 20.000 wählten die AfD und 7000 die SPD.
Im Wahlkampf gab sich DIE LINKE staatstragend und wenig profiliert (»Brandenburg ist nicht Berlin«). Auf Kritik an der SPD und an existierenden Missständen hat sie verzichtet. Um ihren Koalitionspartner zu schonen, prangerte sie einen der größten Baufilz-Skandale der Republik, den BER-Flughafen, nicht an. Zudem sitzen Minister der LINKEN im Aufsichtsrat und sind damit mitverantwortlich. Nach einem erfolgreichen Volksbegehren für ein Nachtflugverbot unterstützte die Regierung zwar dieses Anliegen, konnte sich damit aber gegenüber Berlin und dem Bund als Mitanteilseignern nicht durchsetzen.
Die AfD hat das Thema dankbar aufgegriffen, warb massiv für ein Nachtflugverbot und konnte so Kritik und Protest nach rechts wenden. Die Freien Wähler haben derweil den Protest gegen die Flugrouten vereinnahmt und ein zu ihnen gewechselter ehemaliger SPD-Abgeordneter und bekannter Flughafengegner hat damit einen betroffenen Direktwahlkreis gewonnen.
DIE LINKE hat es in den vergangenen fünf Jahren nicht vermocht, Brandenburg spürbar zu verändern. Sie konnte in der Koalition zwar einige positive Reformen durchsetzen, etwa die Einführung des Wahlrecht ab 16 oder eines Mindestlohns bei öffentlichen Aufträgen. Auch wurden unter Rot-Rot mehr Lehrkräfte eingestellt, die Kitabetreuung wurde verbessert und das Schüler-BAföG erweitert. Dies sind aber keineswegs Verbesserungen, die nur aufgrund der Regierungsbeteiligung der LINKEN erreicht werden konnten. Beispielsweise ist der vergabespezifische Mindestlohn mit 8,50 Euro sogar niedriger als in Schleswig-Holstein (9,18 Euro), Rheinland-Pfalz (8,90 Euro) und NRW (8,62 Euro). Und Brandenburg war sogar erst das zehnte Bundesland, das den Mindestlohn überhaupt auf 8,50 Euro erhöht hat. Von einer Vorreiterrolle der LINKEN kann also keineswegs die Rede sein.
Die Regierung hat zugleich die öffentlichen Investitionen gesenkt und Millionen Euro an die Banken zurückgezahlt. Trotz Steuermehreinnahmen und einer besseren Finanzierung der Kommunen können einige von ihnen keinen Haushalt aufstellen. Verantwortlich dafür sind die zahlreichen Steuersenkungen für Reiche und Unternehmen auf Bundesebene in den letzten zehn Jahren. Hierdurch fehlen den Ländern jährlich Millioneneinnahmen.
Mit vielen Maßnahmen hat sich die brandenburgische LINKE gegen ihre Anhängerinnen und Anhänger gestellt: Beispielsweise hat sie an den Hochschulen die Beibehaltung von Rückmeldegebühren, eine Art Studiengebühren, mitgetragen. Wirtschaftsminister Ralf Christoffers (LINKE) hat sich für die umweltschädliche Vergrabung von Kohlendioxid im Boden starkgemacht – gegen den Protest vieler Gemeinden und Parteigliederungen. Erst im Frühsommer stimmten die Minister der LINKEN einer Ausweitung des Braunkohle-Tagebaus für Vattenfall in Welzow zu. Das widersprach nicht nur dem eigenen Parteiprogramm für eine soziale Energiewende, sondern auch dem Landtagswahlkampf von 2009 (»Konsequent gegen neue Tagebaue«). Nicht von ungefähr hat die Partei in den Braunkohlegebieten im Süden Brandenburgs mit elf bis dreizehn Prozentpunkten überdurchschnittlich viele Stimmen verloren.
Zudem hat die rot-rote Regierung den Stellenabbau im öffentlichen Dienst fortgeführt und das Pensionsalter von Beamten angehoben. Das Tariftreuegesetz für öffentliche Aufträge wiegt den Stellenabbau keineswegs auf.
Der Personalabbau traf insbesondere die Polizei. Die Gewerkschaft der Polizei hat fast 100.000 Unterschriften gegen Personalabbau und Umstrukturierungen gesammelt. Das hat die AfD für ihre rechte Rhetorik gegen »grenzenlose Kriminalität« und für antipolnischen Rassismus ausgenutzt. Damit konnte sie besonders in der Grenzregion punkten. Teilweise ist die AfD auch mit vermeintlich linken Positionen zu Sanktionen gegen Russland und mit »Banken in die Schranken«-Plakaten aufgetreten. Dem hatte DIE LINKE wenig entgegenzusetzen: Sie selbst hat im Wahlkampf kein einziges antikapitalistisches Plakat geklebt – und auch kein antirassistisches. Gerade das wäre aber dringend notwendig gewesen angesichts der rassistischen Kampagnen der AfD gegen Flüchtlingswohnheime.
Der ehemalige Abgeordnete und Staatssekretär der LINKEN in Berlin, Benjamin-Immanuel Hoff, bestreitet in einer Wahlauswertung, dass Regierungsbeteiligungen der LINKEN automatisch schaden. Doch genau das hat die Vergangenheit gezeigt: In Mecklenburg-Vorpommern verlor die PDS im Jahr 2002 nach vier Jahren rot-roter Regierung acht Prozentpunkte, in Berlin 2006 mehr als neun Prozentpunkte. In den folgenden Wahlen verharrten die PDS und später dann DIE LINKE auf diesem niedrigen Niveau. In diesen Trend fügt sich nun Brandenburg ein. Es existiert hingegen kein Beispiel dafür, dass DIE LINKE als Regierungspartei neue Wählerinnen und Wähler gewonnen hätte.
Das Problem bei einer Regierungsbeteiligung ist, dass sich DIE LINKE durch Tauschgeschäfte – zum Beispiel Tariftreuegesetz gegen Stellenabbau in Brandenburg – vor ihren Wählerinnen und Wählern diskreditiert. Denn dabei opfert sie die Grundsätze der Partei dem vermeintlichen sofortigen Erfolg. Genau diese Entzauberung wünscht sich die SPD. Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner plädierte beispielsweise für Rot-Rot-Grün in Thüringen. Das führe dazu, dass DIE LINKE »gemäßigter« auftrete: »Die Desperados in der Partei würden geschwächt.«
Wenn die Linkspartei in der Regierung aber sozialen und politischen Protest nicht unterstützt, wie in Brandenburg, oder ihn sogar ideologisch bekämpft, wird sie schwächer. Die wenigen Verbesserungen, die unter den gegebenen Machtverhältnissen möglich sind, lassen sich nur mit Widerstand auf der Straße erkämpfen. Dass dies möglich ist, zeigte sich bei den Flüchtlingsprotesten in Berlin und Hamburg, beim Energie-Volksbegehren in Hamburg oder beim Volksentscheid gegen die Teilprivatisierung des Tempelhofer Feld in Berlin. In den meisten Bundesländern hat DIE LINKE die Erfahrung gemacht, aus der Opposition heraus etwas zu verändern – auch in Brandenburg und Thüringen.
Nur in der Opposition kann DIE LINKE ihre Grundsätze aufrechterhalten. Gibt sie diese auf, verliert sie die Achtung ihrer Anhängerinnen und Anhänger und entledigt sich der Möglichkeit zur Mobilisierung einer Gegenmacht und dazu, eine Partei der »besitzlosen Klassen« aufzubauen. Harald Wolf, ehemaliger Senator der PDS und der LINKEN in Berlin, schreibt aus leidvoller Erfahrung: »Bei allen Schwierigkeiten, es bleibt dabei: Die notwendige Veränderung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse kann nicht durch noch so kluge Verhandlungstaktik und Entscheidungen am Kabinettstisch ersetzt werden.«
DIE LINKE in Brandenburg sollte gegenüber der SPD nicht nur eine Liste mit positiven Forderungen aufstellen, sondern auch klar benennen, was mit ihr nicht zu machen ist. Das bedeutet, Mindestbedingungen für eine Regierungsbeteiligung aufzustellen und zum Beispiel dem Sparkurs und neuen Tagebauen oder Braunkohle-Kraftwerken eine klare Absage zu erteilen.
In Thüringen hat DIE LINKE ihr gutes Ergebnis aus dem Jahr 2009 noch verbessert und Wählerinnen und Wähler der SPD gewonnen, die keine Große Koalition wollen. Aber mit der Perspektive auf eine rot-rot-grüne Regierung konnte sie die Nichtwähler nicht begeistern. Im Gegenteil: 11.000 ihrer ehemaligen Wähler sind nicht zur Wahl gegangen, 16.000 hat sie an die AfD verloren. Dem Aufstieg der AfD konnte die Perspektive auf ein linkes Regierungsprojekt nicht entgegenwirken.
Bereits im Wahlkampf drosselte Bodo Ramelow die Erwartungen. Auf dem Parlamentariertag der LINKEN sagte er: »Wir versprechen niemandem, dass im Keller Geld gedruckt wird. Die Schuldenbremse haben wir abgelehnt, aber nun gilt sie.« Im »Neuen Deutschland« versprach er, »die Dinge ordentlich zu machen«. DIE LINKE werde, so Ramelow, an die Regierung gelassen, wenn die Haushaltslage schwierig ist. Tatsächlich gibt es unter einem linken Ministerpräsidenten keinen Cent mehr in der Kasse, deshalb stellt Ramelow alles unter den Vorbehalt des Kassensturzes. Er beschreibt selbst die Probleme: »Thüringen hat 16 Milliarden Euro Schulden. Ein Viertel der Kommunen haben keinen Haushalt. Sämtliche Kultureinrichtungen sind unterfinanziert. Das Landestheater kriegt kaum Geld. Die Geraer Stadtwerke wurden in die Insolvenz getrieben.«
Es gibt also keinen Spielraum für linke Politik. Warum sollte da DIE LINKE für eine Situation Verantwortung übernehmen, die sie nicht geschaffen hat?
Die Lage wäre nur zu ändern, wenn die Schuldenbremse aufgehoben und die Reichen auf Bundesebene besteuert würden. DIE LINKE in Thüringen muss aufpassen, nicht dasselbe Schicksal zu erleiden wie die Genossinnen und Genossen in Mecklenburg, Berlin und Brandenburg. Die Erfahrungen mit Regierungsbeteiligung und Haushaltskonsolidierung waren schmerzhaft. In Berlin hat DIE LINKE Mitglieder verloren, obwohl es einen Aufschwung von sozialen und linken Bewegungen gab. Die Partei soll aber ein Instrument werden, die Kräfteverhältnisse in der Gesellschaft zu verändern.
Zudem gibt es zahlreiche politische und juristische Beschränkungen einer Landesregierung, zum Beispiel in der Flüchtlingsfrage oder beim Verfassungsschutz: DIE LINKE übernimmt in der Regierung auch Verantwortung für Abschiebungen und polizeiliche Willkür. Der Staat ist kein Fahrrad, auf das man sich setzt und die Richtung ändert. Der Staatsapparat ist nicht neutral, sondern von den Eliten aufgebaut. Er ist nicht demokratisch organisiert. Polizei, Justiz, Verwaltung verteidigen die Eigentumsrechte der Reichen und Konzerne und ihre eigenen Privilegien und Befugnisse. Die Regierung und das Parlament haben keine Macht über die Wirtschaft – nicht einmal dann, wenn DIE LINKE die absolute Mehrheit hätte. Linke Regierungen sind in der Geschichte entweder mit dem Kapital und dem Staatsapparat in Konflikt geraten oder sie haben ihre Prinzipien verraten.
Die Schlussfolgerung – auch aus der bitteren Erfahrung mit Rot-Rot in Berlin – sind die Grundsätze des Erfurter Programms: »DIE LINKE strebt nur dann eine Regierungsbeteiligung an, wenn wir damit eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen erreichen können. An einer Regierung, die Kriege führt und Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland zulässt, die Aufrüstung und Militarisierung vorantreibt, die Privatisierungen der Daseinsvorsorge oder Sozialabbau betreibt, deren Politik die Aufgabenerfüllung des öffentlichen Dienstes verschlechtert, werden wir uns nicht beteiligen.«
Diese Mindestbedingungen müssen erst recht für eine Koalition gelten, in der DIE LINKE zum ersten Mal die führende Kraft wäre. Doch im Wahlkampf nannte Bodo Ramelow genau wie die Brandenburger LINKE keine Mindestbedingungen, sondern nur einzelne Kernforderungen.
In der Debatte um das Parteiprogramm hatte er sich sogar dafür eingesetzt, den Stellenabbau im öffentlichen Dienst aus den Haltelinien zu streichen. Er argumentierte im Dezember 2010 in der »Thüringer Allgemeinen«: »Der öffentliche Dienst ist nicht heilig. Die Strukturen in Thüringen müssen dringend angepasst werden, damit sie noch bezahlbar sind.« Das widerspricht den Forderungen der Bundespartei, den öffentlichen Dienst wieder aufzustocken. Seit 1990 wurden bundesweit mehr als zwei Millionen Arbeitsplätze im Bereich der öffentlichen Dienstleistungen abgebaut, ob in Krankenhäusern, Schulen oder Bürgerämtern. Angesichts dieses Kaputtsparens rechtfertigt auch kein Bevölkerungsrückgang einen weiteren Stellenabbau. Eine Partei, die auf Landesebene Arbeitsplatzabbau rechtfertigt, kann nicht erfolgreich gegen Arbeitsplatzabbau beim Bund, bei Kommunen oder Unternehmen mobilisieren.
Der DGB Hessen-Thüringen schreibt in seinen Eckpunkten zur Landtagswahl: »Durch den Stellenabbau im öffentlichen Dienst haben die Arbeitsverdichtung und damit die Arbeitsbelastung für die verbliebenen Beschäftigten stark zugenommen. Einen weiteren Stellenabbau darf es nicht geben! Nicht weniger, sondern mehr Beschäftigung im Landesdienst ist erforderlich.« Susanne Hennig-Wellsow, die Landesvorsitzende der LINKEN in Thüringen bezieht sich auf die DGB-Eckpunkte als »gemeinsamen Kern einer möglichen rot-rot-grünen Landesregierung«. Aber die Thüringer LINKE schließt Stellenabbau in ihrem Wahlprogramm nicht aus. Die bisherige schwarze-rote Regierung will im öffentlichen Dienst bis zum Jahr 2020 über 8.000 Stellen streichen
DIE LINKE sollte in Thüringen und Brandenburg bei den Sondierungsgesprächen neben positiven Forderungen auch Mindestbedingungen formulieren, also keinen Sozialabbau, keinen Stellenabbau, keine Privatisierungen sowie die Abschaltung aller V-Leute des Verfassungsschutzes. So kann sie ihren Anhängern, die auf einen Regierungswechsel hoffen, offenlegen, unter welchen Bedingungen sie nicht bereit ist zu regieren.
Eine linke Regierungsbeteiligung um jeden Preis ist abzulehnen. Sie ist nicht das kleinere Übel zu einer großen Koalition, weil DIE LINKE als Oppositionskraft ausfällt und Rechte diese Rolle einnehmen können. Die gegebenen Verhältnisse können wir aber nur als sichtbares Rückgrat von außerparlamentarischen Bewegungen, Streiks und Bürgerinitiativen verändern. Dazu kann die Begleitung durch parlamentarische Arbeit eine große Hilfe sein. Aber unsere politische Arbeit als LINKE darf nicht durch Regierungsbeteiligung behindert oder unmöglich gemacht werden. Auch die AfD können wir nur stoppen, wenn wir glaubwürdig bleiben und an unseren sozialen Prinzipien festhalten.
Foto: hailippe
Schlagwörter: Brandenburg, Thüringen