Seit Mitte Februar besetzen Studierenden der Universität Amsterdam (UvA) mehrere Universitätsgebäude gegen Schließungen von Studiengängen und den Verkauf von Unigebäuden. Nun organisieren sich auch Dozentinnen und Dozenten im besetzten Präsidiumsgebäude (dem Maagdenhuis) und drohen mit Streik und Besetzung. marx21 sprach mit dem Amsterdamer Aktivist Ewout van den Berg über die Ursachen und die Perspektiven der Bewegung.
Seit fast 2 Wochen läuft nun schon die Besetzung des Maagdenhuis gegen den Ausverkauf der Universität Amsterdam und die Bewegung scheint nur zu wachsen. Wie ist das möglich?
Dafür gibt es zwei Gründe. Zwar hat es in den letzten Jahren nur wenig Studierendenproteste gegeben, jedoch war die Uni in Amsterdam hier eine Ausnahme. Schon seit mehreren Jahren kämpfen Studierenden und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an den Amsterdamer Universitäten. Die vergangenenAktionen, Demonstrationen und Besetzungen haben eine Generation erfahrener Aktivistinnen und Aktivisten hervorgebracht, die an den unterschiedlichen Universitäten vernetzt sind. Aber die Studierendenbewegung »Neue Universität« wäre ohne Unterstützung der Lehrbeauftragten und der breiteren Gesellschaft nicht möglich gewesen. Während der Besetzung der Fakultät der Geisteswissenschaften (Bungehuis) in Februar kamen viele Dozentinnen und Dozenten vorbei, um Reden und Vorlesungen zu halten. Jetzt organisieren die Studierenden täglich ein volles Programm im Präsidiumsgebäude (Maagdenhuis). Auch aus dem Rest der Gesellschaft kommt viel Rückhalt. Die Gewerkschaft der Reinigungskräfte hat am zweiten Tag der Besetzung das Maagdenhuis besucht und sich bei den Studierenden für die Solidarität bei ihrem Streik vor 3 Jahren bedankt. Andere Gewerkschaften erklärten sich solidarisch, und trugen somit auch dazu bei, dass die Berichterstattung in den Medien vorwiegend wohlwollend ist.
Im Maagdenhuis ist jeden Tag ein volles Programm mit kulturellen, politischen und organisatorischen Versammlungen. Wie ist die Atmosphäre und was diskutieren die Besetzenden zurzeit?
Die Atmosphäre ist gut. Unter der Woche besuchen 100-200 Menschen manche Versammlungen. Die Besetzung schafft einen Raum, wo Systemkritik endlich diskutiert werden kann. Das ist eine große Erleichterung für ein Land, das seit 2008, trotz aller politischen Angriffen auf die Lebensumstände der Leute, nur wenig Klassenkampf erlebt hat, und der Rassismus die Bevölkerung spaltet. Das Organisieren eines täglichen Veranstaltungsprogramms bringt aber auch Nachteilen mit sich. Es erfordert nämlich eine Menge Zeit und Energie. Gleichzeitig wird zu wenig diskutiert, wie Besucherinnen und Besucher Teil der Bewegung der Studierenden und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden können. Bezeichnend für dieses Verhältnis ist, dass der Zeitpunkt der Versammlungen, wo demokratische Beschlüsse gefällt werden, von dem Veranstaltungsprogramm abhängig gemacht wird. Dies erschwert es, Menschen die weniger Zeit haben, sich in der Planung des Protests einzubringen. Die Studierenden orientieren sich gerade neu. Vorher hat das UvA-Präsidium den Kampf mit seinen Beschlüssen eskaliert. Jetzt lassen sie uns hier schon fast zwei Wochen gewähren. Deshalb müssen jetzt die Studierenden und Dozentinnen und Dozenten die Initiative ergreifen.
Was sind die zentralen Forderungen der Besetzenden?
Zentrale Forderungen sind die Demokratisierung der wichtigsten Verwaltungsebenen der Universität, finanzielle Transparenz, Stopp der Fusion der beiden Unis Amsterdams, Abschaffung der bestehenden Leistungsindikatoren für die Forschung und die Verbesserung der Vertragsbedingungen für den akademischen Mittelbau. Unsere Aufgabe ist es jedoch auch schneller umsetzbare Forderungen aufzustellen. Denn der Appetit kommt erst beim Essen. Der Rücktritt der autoritären UvA-Präsidentin Louise Gunning ist dafür ein konkretes Beispiel. Es bringt nicht direkt eine demokratische Universität hervor, schafft aber Selbstbewusstsein.
Dozentinnen und Dozenten haben eine Aktionsgruppe namens »Rethink UvA« gegründet. Teilt diese Gruppe alle Forderungen der Studierenden, und wie verhält sie sich zur Gewerkschaft?
Dass die Lehrbeauftragten sich jetzt auch organisieren, ist eine unglaublich wichtige Entwicklung. Vorher hatten sie nicht das Selbstbewusstsein, aktiv zu werden. Denn 60 Prozent der Lehrbeauftragten haben nur befristete Verträge.. Anfangs fand die Mobilisierung außerhalb der Gewerkschaften statt. Auf der ersten Versammlung von Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter kamen 20 Leute, während eine Veranstaltung im besetzten Maagdenhuis mehr als 200 Dozentinnen und Dozenten anzog. Aber seitdem gibt es mehr Koordination zwischen den beiden Gruppen. Das ist gut, denn die Lehrbeauftragten brauchen Unterstützung der Gewerkschaft, wenn sie in den Streik ziehen wollen. Die Dozentinnen und Dozenten teilen die Forderungen der Studierenden, die die fehlende Demokratie an den Hochschulen und deren Umwandlung in ein Unternehmen anprangern. Auch haben sie eigene Forderungen aufgestellt, die ihren eigenen Problemen entsprechen. Beispielsweise, das Forschenden und Dozierenden gegeneinander ausgespielt werden, wobei Forscherinnen und Forscher eine privilegierte Position bekommen.
Auch die Doktoranden organisieren sich. Im Moment sind diese noch an der Universität angestellt, doch die Bildungsministerin will sie zu Studierenden, die von einem Stipendium leben müssen, abstufen, wie es in vielen anderen Ländern schon der Fall ist. Dieser Protest bringt Doktoranden aus ganz Amsterdam zusammen.
Inzwischen gibt es überall in den Niederlanden Gruppen der »Neuen Universität«. Am 3. März fand ein erster landesweiter Aktionstag statt. Wie viele haben bisher außerhalb Amsterdam mitgemacht?
Die Besetzung des Maagdenhuis hat eine landesweite Ausstrahlungskraft. In Maastricht nahmen 120 Menschen an einer Diskussionsveranstaltung über Demokratie an der Uni Teil, in Utrecht waren es 150, in Nimwegen 70. Aber zwischen den Studierenden und Lehrbeauftragten befanden sich auch Führungskräfte der Universitäten, die die Sorgen der Studierenden zu dämpfen versucht haben, und so taten, als gäbe es die Probleme nur in Amsterdam. Also ist es jetzt an den Studierenden, sich unabhängig von denen weiter zu organisieren, und radikalere Aktionsformen zu wählen.
Am 18. März sind Regionalwahlen in den Niederlanden. Hat die Bewegung bisher im Wahlkampf eine Rolle gespielt?
Nicht wirklich. Die Sozialistische Partei (SP) ist vom Anfang an solidarisch mit den Studierenden. Am Abend der Besetzung des Maagdenhuis kam bildungspolitischer Sprecher Jasper van Dijk vorbei um Schlafsäcke zu spenden und andere Formen von Solidarität zu versprechen. Das Studierenden so lange im Maagdenhuis toleriert wurden, hat wahrscheinlich schon mit den kommenden Wahlen zu tun. Alle anderen Parteien passen sich in ihrer Rhetorik an den Studierenden an, ohne viel zu versprechen. Denn sie alle sind mehr oder weniger mitverantwortlich für den neoliberalen Umbau der Hochschulen
Das Mitgliederparlament des Gewerkschaftsdachverbandes FNV hat vor kurzem entschieden, die Bewegung »mit allen Mitteln zu unterstützen«. Was ist dieses Parlament und wie ist die Solidarität aus anderen Sektoren der Gewerkschaften zustande gekommen?
Das FNV-Mitgliederparlament ist das neue zentrale Organ der niederländischen Gewerkschaften. Im Parlament sind gewählte Vertreterinnen und Vertreter aus unterschiedlichen Branchen vertreten. Auf Papier ist es auch das höchste Organ, doch in der Praxis muss es seine Relevanz noch unter Beweis stellen. Im Alltagsgeschäft hat die konservative Führung die Kontrolle. In den letzten Wochen ist aus unterschiedlichen FNV-Gewerkschaften Druck ausgeübt worden, damit die FNV als Gesamtorganisation die Besetzung unterstützt. Das Mitgliederparlament aber auch lokale Ortsgruppen der Universitätsbeschäftigten und ähnlichen Berufen haben dabei eine wichtige Rolle gespielt. Nun hat der Vorsitzende der FNV Ton Heerts sich solidarisch mit der Besetzung erklärt. Das ist ein großer Schritt, und bedeutet, dass die Unibeschäftigten auch mit mehr Solidarität bei eigenen Aktionen rechnen können. Auch Studierenden selber haben um Unterstützung aus der Gewerkschaft gebeten. So haben sie eine Solidaritätserklärung geschickt an Pflegerinnen und Pfleger in Oss, die das Rathaus besetzten. Aber auch die Gewerkschaften sehen im Studierendenprotest eine Möglichkeit, verlorene Rechte wieder zu erkämpfen und den anti-neoliberalen, demokratischen Protest in den Betrieben zu stärken.
Das Präsidium der Universität hat um Bedenkzeit bis einschließlich Montag 16. März gebeten, bevor es auf die Forderungen der Protestierenden eingeht. Was erwartest du von der kommenden Woche?
Wir haben das Maagdenhuis schon fast zwei Wochen unter unserer Kontrolle, doch wir müssen uns mehr an die Außenwelt richten. Auch die UvA ist auf unterschiedliche Standorte in der Stadt verteilt. Wir müssen uns auch an den Fakultäten mehr etablieren. Das wollen wir erreichen, indem wir zum Beispiel Teach-Ins organisieren. Auch müssen wir wieder gemeinsam Präsenz auf der Straße zeigen, auch um künftige Räumungen zu verhindern. Kommender Freitag ist eine Demonstration entlang den unterschiedlichen UvA-Gebäuden, die an Investoren verkauft und als Hotel genutzt werden sollten, geplant. Diese Woche ist entscheidend für die Zukunft dieser Bewegung.
Das Gespräch führte Frederik Blauwhof
Schlagwörter: Besetzung, Neoliberalismus, Niederlande, Protest, Studierende, Universität