In den Niederlanden sind die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise schon seit Jahren deutlich zu spüren. Die Mieten steigen, die Gesundheitsversorgung wird immer teurer und die Jugend muss sich verschulden, um studieren zu können. Doch seit Studierende an der Universität von Amsterdam (UvA) zwei zentrale Gebäude besetzen, flammt die Bewegung an den Hochschulen in den ganzen Niederlanden auf. Die Studierenden zeigen, dass wir die Kürzungspolitik auch auf kommunaler Ebene nicht hinnehmen müssen. Aus Amsterdam berichtet Ewout van den Berg
Innerhalb von zwei Wochen konnte sich die Studierendenbewegung »Die Neue Universität« von Amsterdam auf das ganze Land ausbreiten. Angefangen hat die Revolte am 13. Februar, als Studentinnen und Studenten an der Universität von Amsterdam die geisteswissenschaftliche Fakultät besetzten, aus Protest gegen den Verkauf des Gebäudes und die Schließung von Studiengängen. Doch ernsthafte Gespräche blieben aus. Stattdessen ließ das Präsidium das sogenannte »Bungehuis« mit erheblicher Gewalt und 47 Festnahmen räumen. Doch als Studierende am nächsten Tag nach einer Demonstration das »Maagdenhuis« besetzten mit Unterstützung von Dozentinnen und Dozenten, kamen UvA-Präsidentin Louise Gunning und Bürgermeister Eberhard van der Laan schon am gleichen Abend vorbei, doch wieder ohne konkrete Zugeständnisse zu machen. Gunning wurde von den Studierenden ausgelacht.Viele Teilnehmer an der Besetzung haben in den letzten Jahren erfahren, wie die UvA strukturell Projekte gegen den Willen der Studierenden und Lehrbeauftragten durchpeitscht. Bei wichtigen Themen wie der Zusammenlegung der naturwissenschaftlichen Fakultäten der UvA und der Freiem Universität Amsterdam ignoriert das Präsidium einfach die Beschlüsse des Personal- und Studierendenrates.
Praktische Solidarität
Die Studierenden hätten ihre Aktion nie ohne breite Unterstützung vieler Universitätsbeschäftigten und der Gesellschaft im Allgemeinen ausführen können. Als das UvA-Präsidium den Besetzern der Fakultät der Geisteswissenschaften ein Bußgeld von 100.000 Euro pro Tag auferlegte, erklärten sich 187 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zum Teil der Besetzung: »Natürlich teilen nicht alle die Ziele und Mittel des Protests. Aber das Besetzen eines Universitätsgebäudes ist schon immer Teil des Repertoires des Studierendenwiderstands. (…) Kriminalisierung und finanzielle Drohungen dieser Art gegen ihn sind unproportional und nicht zu rechtfertigen.«
Auch die Reinigungskräfte, die 2012 und 2014 wochenlang und hart gestreikt haben, waren vor Ort. Khadija Tahriri, Vorsitzende des Reinigungskräfteparlaments im Gewerkschaftsdachverband FNV, erklärte auf einer Versammlung im Maagdenhuis: “Wir Reinigungskräfte wissen was es ist, zu kämpfen und zu gewinnen! Ihr Studentinnen und Studenten habt uns immer unterstützt. In Utrecht, an der VU. Kämpft weiter, gibt nicht auf. Ihr habt ein Recht auf das, was ihr fordert! Wir stehen hinter Euch!”
Diese Solidarität konnten die Studierenden und Beschäftigten im Maagdenhuis nun in unglaublichem Tempo ausbauen. Seit Mittwoch, 25. Februar haben sich an Universitäten im ganzen Land »Die Neue Universität«-Gruppen gebildet. Auch UvA-Beschäftigte treffen sich in Aktionsversammlungen im Maagdenhuis. Und am Mittwoch, 3. März ist ein nationaler Aktionstag geplant.
Die Neoliberale Hochschule ist ein Unternehmen
Die Universität ist in ein Unternehmen verwandelt worden. Präsidentin Louise Gunning verdient den zehnfachen Lohn einer Reinigungskraft der UvA und ist gleichzeitig Kommissarin im Aufsichtsrat des Flughafens Schiphol. Die UvA spekuliert mit Immobilien in der Amsterdamer Innenstadt und kündigte einen Tag nach der Räumung der Besetzung des Bungehuis den Verkauf des Gebäudes an den Eliteclub Soho House an. Gleichzeitig wird die Arbeit der Dozentinnen und Dozenten immer weiter intensiviert und Studierende werden mit Bußgeldern fürs Studieren jenseits der Regelstudienzeit so schnell wie möglich durch ihre Studiengänge gejagt.
Der gleiche Prozess ist in der ganzen Gesellschaft zu beobachten. Während Führungskräfte in den öffentlichen Gesundheitseinrichtungen und der privatisierten Pflegebranche sich die Taschen füllen, schließen immer mehr Pflegeeinrichtungen die Türen. Nach Angaben des Gewerkschaftsdachverbandes haben fast 30.000 Pflegerinnen und Pfleger ihre Jobs verloren. Manche von ihnen wurden später unter schlechteren Bedingungen wieder angestellt. Es ist auch inspirierend zu sehen, dass Pflegerinnen in Oss dem Beispiel der Amsterdamer Studierenden folgten und das Rathaus besetzten. »Die Neue Universität« leistet Widerstand gegen:
- Die Profitlogik
Absolventen sind eine zu produzierende Ware, Lehrbeauftragte und andere Angestellte sind ein Kostenfaktor. Kleinere Studiengänge werden weggekürzt, zusammengelegt oder in größeren Studiengängen aufgelöst. Unter der Rubrik „Wissen ist Messen“ jagt die UvA Studierende von Deadline zur Prüfung. Auf dieser Art und Weise werden Studierende so schnell wie möglich durch ihre Studiengänge geschleust, doch darunter leidet die Qualität der Bildung. Zur Durchführung dieses Projekts werden immer mehr Manager eingesetzt. - Disziplinierung
Dieser Prozess der letzten Jahrzehnte ist wesentlich verbunden mit der Zunahme an Zeitverträgen. 60 Prozent der Lehrbeauftragten an der UvA wissen nicht, ob sie auch nächstes Jahr noch unterrichten dürfen. Dazu kommt die ständig steigende Arbeitsbelastung. Viele Dozenten wagen es nicht, in eine Gewerkschaft einzutreten.
Die fehlende Selbstorganisation beeinträchtigt auch die Widerstandskraft und lockt so neue Angriffe auf ihre Löhne und Arbeitsbedingungen an. Letzen Monat kündete Bildungsministerin Jet Bussemaker an, den Mitarbeiterstatus der Doktoranden ab nächstem Jahr abzuschaffen und sie stattdessen als Studierende mit einem niedrigeren Stipendium zu behandeln. Damit wurden auch ihre Rentenbeiträge ganz nebenbei völlig abgeschafft. - Aushöhlung der Demokratie
Schon die Besetzung des Maagdenhuis 1969, einer der Hauptmomente in der Geschichte der Nachkriegsbewegung hatte sich Mitbestimmung für Studierende und Belegschaft auf die Fahne geschrieben. In den letzten zwanzig Jahren sind Mitbestimmungsrechte immer weiter ausgehöhlt worden. So wurde die Zusammenlegung der naturwissenschaftlichen Fakultäten der UvA und der Freien Universität Amsterdam (VU) gegen den Willen des Personalrats und des Studierendenrates und gegen erhebliche Proteste durchgesetzt.
Bewegungserfahrung
Die Besetzung des Bungehuis und Maagdenhuis fällt also nicht aus heiterem Himmel. In den letzten Jahren hat es viele Aktionen an den Amsterdamer Unis gegeben. Ein paar Beispiele:
- Reinigungskräfte besetzen die VU gemeinsam mit Studierenden für zwei Tage. (2012)
- Aktionsgruppe Titanic gegen Kürzungen besetzt Hörsaal der VU (2013).
- Studierende in den Naturwissenschaften der UvA organisieren sich, stoppen die Zusammenlegung mit der VU und organisieren eine Besetzung, als das Präsidium sich durchsetzt (2014).
- Breites Aktionsbündnis organisiert Proteste gegen die Abschaffung des »Studiefinanciering«, ein Bafög für alle ohne Rückzahlung (2014).
- Gründung vo«n Humanities Rally«, eine Aktionsgruppe gegen Kürzungen und Schließungen von Studiengängen an der UvA (2014).
Um den Kampf an der Universität zu gewinnen, müssen wir Brücken zwischen den Lehrbeauftragten und anderen Angestellten und den Studierenden bauen. Die flexiblen Vertzräge erschweren es den Kolleginnen und Kollegen, direkt in den Streik zu ziehen. Trotzdem muss das unser Ziel sein. Wir brauchen den Geist des Maagdenhuis überall in den Niederlanden – von Rotterdam bis Groningen und Maastricht und auch sonst wo in Europa. Denn vor genau einer solchen Entwicklung haben steuerhinterziehende Konzerne und Kürzungspolitiker am meisten Angst.
Aus dem niederländischen übersetzt von Freek. Zuerst erschienen auf freiheitsliebe.de
Was tun?
Du kannst den Protest der »Neuen Universität« unterstützen: Unterzeichne die Petition zur Unterstützung der Initiative. Mitunterzeichner sind beispielsweise der Humangeograph David Harvey, die Philosophin Judith Butler, der Linguist Noam Chomsky, die Soziologin Saskia Sassen oder auch Axel Honneth, Professor an den Universitäten von Frankfurt am Main und New York (Columbia) sowie Direktor des Instituts für Sozialforschung.
Schlagwörter: Neoliberalismus, Protest, Streik, Studierende