Ein zahnloses Wahlprogramm, Ex-Kanzler Schröder als Tonangeber und ein Parteitag der Banalitäten bejubelt. Mit dieser SPD ist kein Politikwechsel möglich, meint Volkhard Mosler
Die FAZ feiert den SPD-Rechten Olaf Scholz als eigentlichen Gewinner des Wahlparteitags der SPD. Olaf Scholz und Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD Hessen) haben Kanzlerkandidat Martin Schulz in den letzten Wochen politisch begleitet und beraten. Scholz habe die Regie des Parteitags geführt und Scholz wird als kommender Mann nach der Bundestagswahl hingestellt, der sich bereit hält, Schulz nach der (verlorenen) Bundestagswahl im Herbst als zukünftiger starker Mann der SPD zu beerben. Scholz hat wohl auch durchgesetzt, dass Ex-Kanzler Schröder ganze 21 Minuten Redezeit am Sonntagvormittag erhielt. Kein Zufall! Seine Aufgabe war es, am Beispiel des Wahlkampfes von 2005 zu zeigen, dass es die SPD noch schaffen kann. Was war damals passiert?
SPD und Schröders Wahlkampf 2005
Im Wahlkampf 2005 habe, laut Schröder, die SPD zwischenzeitlich 20 Prozentpunkte gegenüber der Union zurückgelegen. Am Wahlabend sei es nur noch ein Prozent gewesen. Zwei Themen haben der SPD damals bei der Aufholjagd geholfen: das Steuerkonzept des Professor Kirchhof mit einem einheitlichen Steuersatz von 25 Prozent hätte eine dramatische Absenkung der Steuern für Reiche und Vermögende bedeutet. Kirchhof sollte neuer Finanzminister unter einer Kanzlerin Merkel werden. Einen solchen Fehler, der ihr damals fast den sicher geglaubten Wahlsieg gekostet hätte, wird Merkel aber nicht wiederholen. Das zweite Thema, mit dem Schröder Wählerstimmen zurück gewann, war die Nichtbeteiligung seiner Rot-Grünen Regierung am Irakkrieg der USA 2003. Merkel und die CDU/CSU hatten Rot-Grün dafür scharf kritisiert. Inzwischen hatte sich die Begründung für den Krieg, dass Saddam Hussein Atomwaffeb besessen hätte, als glatte Lüge erwiesen. Die Versicherung Schröders, dass Deutschland sich an »abenteuerlichen Kriegen« wie dem Irakkrieg von Bush auch in Zukunft nicht beteiligen werde, nutzte Schröder genen Merkel, sich als Friedenskanzler zu verschönern.
Wohin will die SPD?
Man kann Schröders Auftritt auch so werten, dass es gar nicht mehr darauf ankommt, ob die SPD unter Schulz stärkste Partei wird, sondern dass sie stark genug werden muss, um die Fortsetzung einer Großen Koalition zu erzwingen – wie damals 2005. Auch jetzt empfahl Schröder dem Kanzlerkandidaten, das Thema Friedenspolitik zu »besetzen«, indem er sich gegen die beschlossene Zwei-Prozent-Linie beim Verteidigungshaushalt stellen solle. Schulz solle sich auf die große Friedenstradition der SPD berufen. Schröder nannte dabei ausdrücklich neben Willy Brandt, mehrmals Helmut Schmidt, obwohl dieser mit dem Beschluss (1979), neue atomare Mittelstreckenraketen in Deutschland zu stationieren, Europa und die Welt in eine neue Runde des Kalten Kriegs mit der UdSSR führte. Schröder erwähnte zwar, dass er als Kanzler sich geweigert hatte, den Irakkrieg von Bush Jr. 2003 zu unterstützen, sagte aber nichts über die beiden anderen Kriege, die er als Kanzler zu verantworten hatte (Jugoslawien und Afghanistan). Helmut Schmidt als Friedenskanzler zu feiern – so etwas kann nur Schröder, der sich selbst als solcher zu sehen scheint.
Die SPD und das Notwendige
Schröders Auftritt sollte der Partei Mut machen. Aber er nutzte seinen Auftritt auch, um das Thema »Soziale Gerechtigkeit« im Sinne seines mit Tony Blair 1999 verfassten Aufsatzes (»Schröder/Blair-Papier«) zu deuten und seine Agenda-Politik zu verteidigen. Er wiederholte einen Ratschlag, den Helmut Schmidt 1998 ihm als Kanzlerkandidat der SPD mit auf den Weg gegeben hatte: »Ich wünsche Dir die Tapferkeit, das Notwendige auch dann zu tun, wenn es zunächst unpopulär ist.«
Dazu passt, dass der Ex-Kanzler das Thema soziale Gerechtigkeit im Sinne des Schröder-Blair-Papiers von 1999 definierte. Damals hieß es: »In der Vergangenheit wurde die Förderung der sozialen Gerechtigkeit manchmal mit der Forderung nach Gleichheit im Ergebnis verwechselt.«
Der Fortschritt der sozialen Gerechtigkeit bemesse sich danach, »inwieweit … die Gesellschaft die Menschen in die Lage versetze, sich selbst zu helfen,« so Schröder heute. Schröders unausgesprochene Botschaft an Schulz und die SPD heute war: Macht es so wie ich damals! War doch erfolgreich. Dass seine Agenda-Politik Millionen Menschen in die Armutsfalle zwang, zu einer Abspaltung der SPD nach links (WASG) und zum Verlust hunderttausender Mitglieder geführt hat, verschwieg er natürlich. »Gerecht ist, was Menschen in Erwerbsarbeit bringt« rief er den Delegierten zu und an die Adresse der LINKEN rief er: »Verteilen kann man nur, was man vorher geschaffen hat.« Banalitäten, über die der Parteitag auch noch jubelte!
Antwort der LINKEN
Dass angesichts des Rechtsrucks der SPD und ihres Spitzenkandidaten Schulz seit der Saarland-Wahl der Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (LINKE) immer noch an einer Chance für Rot-Rot-Grün nach der Bundestagswahl festhält, ist absolut unverständlich. Gegenüber der Deutschen Presse-Agentur sagte er: »Alles, was keine große Koalition ist, ist besser« und weiter: »Man sollte die außenpolitischen Fragen nicht hochstilisieren. Das ist wenig hilfreich«, betonte Ramelow. »Man kann Kernfragen in einer Koalition klären.«
Ramelows Irrglaube
Ramelow wiederholt hier den Fehler der PDS vom Anti-Stoiber-Wahlkampf 2002. Damals hatte unter Führung von Bartsch die PDS einen Lagerwahlkampf mit Rot-Grün gegen Stoiber (CSU) geführt und sich damit selbst aus dem Bundestag rausgeschossen. Er fällt damit Wagenknecht in den Rücken, die auf dem Parteitag ganz richtig betont hatte, dass es keinen wesentlichen Unterschied mache, ob »Raute« (Merkel) oder »Zottelbart« (Schulz) den Kanzler oder die Kanzlerin stelle.
LINKE: Klare Kante statt Lagerwahlkampf
Wagenknecht hat mit ihrer Kritik an Martin Schulz und der SPD völlig recht. Auch der Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke hatte in einer Talkshow wenige am Vorabend des Parteitags Schulz als tragische Figur dargestellt, der im Februar einen kometenhaften Start hatte, weil er versprach, die alte SPD der sozialen Gerechtigkeit vor Schröder und der Agenda 2010 wieder zu beleben. Er sei angelaufen, dann aber nicht gesprungen und deshalb der tiefe Absturz.
Bei der SPD stehen die Zeichen stehen auf Große Koalition. Angesichts der Hegemoniekrise der Herrschenden und des Aufstiegs der Rechten wäre der größte Fehler, den DIE LINKE begehen kann, sich selbst zum Verwalter des neoliberalen Status quo zu machen und eine Regierung mit SPD und Grünen einzugehen. Keine der beiden Parteien ist für einen grundlegenden Politikwechsel zu haben. Mit einer Regierungsbeteiligung würde DIE LINKE die Rechten weiter stärken und zugleich ihren eigenständigen politischen Nutzen verlieren. Statt auf ein mögliches Linksbündnis zu hoffen, muss DIE LINKE sich dafür einsetzen, gesellschaftliche Gegenmacht aufzubauen.
Kampf gegen rechts und Abschiebestopp
An drei Fragen kann die LINKE hier an Entwicklungen in der SPD anknüpfen: Schulz hat die AfD zu recht eine »NPD light« genannt, deren Einzug in den Bundestag es unter alle Umständen zu verhindern gelte. Das eröffnet der LINKEN die Chance zu gemeinsamen Aktionen auch mit der SPD gegen die AfD. Und der Parteitag hat für sich gegen den Bundesvorstand mit großer Mehrheit für einen Abschiebestopp nach Afghanistan ausgesprochen. Glaubwürdiger wäre das allerdings, wenn er sich auch für einen Rückzug der Bundeswehr aus diesem nun 16 Jahre dauernden Krieg ausgesprochen hätte. Und Schulz hat die geplante Einführung von Studiengebühren durch die neue CDU/FDP-Regierung in NRW kritisiert. Das eröffnet dem SDS und Der LINKEN in NRW die Möglichkeit, jetzt breit gegen die Einführung von Studiengebühren zu mobilisieren.
Foto: European Parliament
Schlagwörter: Agenda 2010, Analyse, Bodo Ramelow, Gerhard Schröder, Große Koalition, Linke, Martin Schulz, marx21, Parteitag, Politikwechsel, Sahra Wagenknecht, Sozialdemokratie, SPD