Die deutsche Sozialdemokratie hat in diesen Tagen, so stellt sie es dar, 150 Jahre Erfolgsgeschichte vorzuweisen. Aber diese Erzählung überzeugt nicht – meint Arno Klönne
Die SPD hat sich als ihren Gründer Ferdinand Lassalle ausgesucht und damit das Geburtsjahr 1863. In Betracht gekommen wären auch andere Personen und historische Daten. Aber so kommt das Jubiläum gerade recht, es ist Bundestagswahljahr, da wird ein geschichtspolitischer Nutzen für die Partei erwartet.
Also werden als Alleinstellungsmerkmale historische Verdienste der Sozialdemokratie gefeiert: Gegen den wilhelminischen Obrigkeitsstaat bildete sie die Opposition, die Weimarer Republik hat sie ins Leben gerufen, nur ihre Reichstagsabgeordneten haben 1933 gegen das Ermächtigungsgesetz für das Hitler-Regime gestimmt, nach 1945 hat die SPD dafür gesorgt, dass in der Bundesrepublik die Marktwirtschaft sozial ausgestaltet wurde…
SPD wuchs im Klassenkampf
Diese Lesart von Geschichte ist zu schön um wahr zu sein. Sie weist massive Gedächtnisschwächen und gedankliche Lücken auf. Es stimmt schon, im Deutschen Kaiserreich von 1871 war die Sozialdemokratie die einzige und rasch anwachsende parteipolitische Kraft, die politische und soziale Emanzipation anzielte.
Aber diese Partei wurde stark als Element einer vielgestaltigen Arbeiterbewegung, in der Austragung eines Konflikts der Klassen, mit einem Programm, das eine Alternative zum Kapitalismus entwarf. Das waren Eigenschaften, die der SPD heute völlig fremd sind. Allerdings waren diese hoffnungsvollen großen Zeiten der deutschen Sozialdemokratie schon bald vorüber.
Massenprotest im Konflikt mit der SPD
Der historisch nachhaltige Bruch geschah im Ersten Weltkrieg, und das Menetekel dafür war 1914 die Zustimmung zu den Kriegskrediten. Die Führungsmehrheit der Sozialdemokraten schloss ihren Burgfrieden mit den Machteliten in Militär und Industrie, um vaterländische Hilfsdienste zu leisten. So kam es zur epochalen Spaltung der Arbeiterbewegung, zur Gründung der USPD und dann der Kommunistischen Partei Deutschlands.
Der Massenprotest gegen den Krieg und gegen den Obrigkeitsstaat ab 1916, der den Übergang zur Weimarer Republik 1918 überhaupt erst möglich machte, war kein Werk der Mehrheits-SPD, er entwickelte sich im Konflikt mit dieser Partei. Der Untergang des wilhelminischen Systems war nicht ihr zu verdanken.
Blick auf die SPD vor 1933
Es war ehrenwert, dass die sozialdemokratischen Mandatare im März 1933 das Ermächtigungsgesetz ablehnten. Doch gegen das Ermächtigungsgesetz waren nicht nur die sozialdemokratischen, sondern auch die kommunistischen Abgeordneten – aber die konnten ihre Stimme nicht mehr abgeben, sie waren schon inhaftiert oder in die Illegalität verdrängt.
Wichtiger noch ist der Blick auf die Jahre vor 1933, auf das Verhalten der SPD gegenüber dem Vordringen der NSDAP, auch gegenüber denjenigen Gruppen in der deutschen Gesellschaft, die ihr dann in den Sattel verhalfen. Da ist alles andere als eine Erfolgshistorie zu besichtigen, auch keine Geschichte politischen Verstandes.
SPD demontiert soziale Marktwirtschaft
Und dann der gesellschaftliche Ausbau des westdeutschen Teilstaates: War Ludwig Ehrhardts »Soziale Marktwirtschaft« ein Sieg der Sozialdemokraten? Sie stellte eine Niederlage der SPD dar, die unter Kurt Schumacher noch den Sozialismus als Tagesaufgabe propagiert hatte.
Und eine sozialdemokratisch geführte Bundesregierung unternahm es dann später, das Soziale an der Marktwirtschaft zu demontieren.
Bebel und Liebknecht wären verblüfft
Selbstverständlich ist über Deutungen von Geschichte, auch über die hier kurz skizzierten, kontrovers zu diskutieren, anders ist Lernen aus historischen Erfahrungen nicht denkbar. Auch sozialdemokratische Parteigeburtstage könnten dazu Anstöße geben. Der Vorstand der SPD sieht das offenbar anders. Und die verbliebene Mitgliederschaft ist des kritischen Diskutierens inzwischen entwöhnt.
Weil jetzt ein Gründer der Sozialdemokratie vorgezeigt wird: Zwei andere, an die man da denken könnte, August Bebel und Wilhelm Liebknecht, wären ganz gewiss verblüfft, wenn sie sich den heutigen Zustand ihrer Partei anschauen könnten. Jubilieren würden sie nicht.
Foto: SPD-Schleswig-Holstein
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