Oskar Lafontaine ist aus der LINKEN ausgetreten. Dieser Schritt des ehemaligen LINKE-Vorsitzenden ist der tragische Schlusspunkt seines politischen Irrwegs. Betreten hatte Lafontaine ihn schon bei Gründung der Partei, meint Hans Krause
Als hätte er den Ablauf selbst organisiert. Am 17. März erklärte Oskar Lafontaine, erster Partei- und Fraktionsvorsitzender der LINKEN, im Saarland seinen Austritt aus der Partei, nur zehn Tage vor der Landtagswahl. Offensichtlich wollte er der LINKEN damit so viel wie möglich schaden, sonst hätte er bis nach der Wahl gewartet.
Zufällig wurden einen Tag später zwei Saarland-Wahlumfragen veröffentlicht, wonach die LINKE von 13 auf 4 Prozent fällt und aus dem Landtag fliegt. In der neuesten Nordrhein-Westfalen-Umfrage ist sie mit 3 Prozent noch schlechter.
Dass die LINKE heute die niedrigsten Wahlergebnisse ihrer Geschichte hat, ist nicht allein Lafontaines Schuld. Seine Prominenz als früherer SPD-Vorsitzender und Finanzminister hat die Gründung der LINKEN mit zehntausenden neuen Mitgliedern und 8,7 Prozent beim ersten Wahlantritt 2005 erst möglich gemacht. Wobei ohne die Massenproteste gegen die Agenda 2010 auch Lafontaine nichts hätte ausrichten können. Mit ihm als Spitzenkandidat erreichte die Partei 2009 mit 12 Prozent ihr bis heute bestes Ergebnis.
Jedoch lag im damaligen Erfolg schon der Keim des Niedergangs. Denn was sowohl Lafontaine aus der SPD als auch der damalige Co-Spitzenkandidat Gregor Gysi aus der PDS mitbrachten, war die hundertprozentige Orientierung auf Parlament und Regierung.
Niemand kümmert sich
Lafontaine hielt flammende Reden, in denen er den Marktradikalismus und manchmal sogar den gesamten Kapitalismus angriff. Doch versuchte er nie, die LINKE zu einer sozialistischen, aktivistischen Partei aufzubauen. Die dann hätte den Antikapitalismus auf die Straße und in die Betriebe tragen können.
Stattdessen forderte Lafontaine zwar eine tiefgreifende Veränderung von Wirtschaft und Politik, behielt aber die parlamentarische Strategie für das Erreichen seiner Ziele immer bei. Und das wiederum konnte mittelfristig nur eine Regierungsbeteiligung mit der SPD bedeuten.
Auch wenn es dazu im Bund bisher nicht kam, hatte diese rein parlamentarische Ausrichtung katastrophale Folgen für die LINKE. Schon bei Regierungsbeteiligungen in Bundesländern zeigte sich schnell: Links wirkt eben nicht. Zudem wurde die Entwicklung der Partei selbst stark vernachlässigt.
Weder Lafontaine noch die restliche Führung kümmerten sich um die Kreisverbände und Mitglieder der Partei. In der Parteizentrale oder den Landesverbänden wurden kaum Strukturen aufgebaut, in denen die Partei hätte lernen können, Motor des außerparlamentarischen Widerstandes zu werden, geschweige denn in Gewerkschaften oder Warnstreiks aktiv zu sein, betriebliche Initiativen zu starten und zu begleiten. Diese Initiativen gab es, aber sie blieben die Ausnahme.
Stattdessen arbeitete die LINKE unter Lafontaine ähnlich wie die SPD oder frühere PDS. Die Mitglieder brauchte man nur alle vier Jahre für den Wahlkampf. Während Lafontaine und die restliche Parteiführung sich auf Talkshows und Bundestag beschränkten. Die rein parlamentarische Orientierung spiegelt sich auch in der Aufbaupraxis der Partei wider.
Lafontaine: Keinen Meter nach links
Doch Lafontaine wollte die herrschende Politik nicht nur kritisieren. Er wollte sie verständlicherweise auch verändern. Bemühte er sich in der Gründungsphase der Partei noch darauf, ihr radikales Profil zu schärfen, zum Beispiel bei umjubelten Auftritten bei den Protesten gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm 2007.
So verfolgte er später wieder die wohl größte Illusion seines Lebens: Lafontaine wollte die SPD zu einer linksreformistischen Regierungspolitik bringen. Daran scheiterte er als SPD-Vorsitzender und Finanzminister unter Kanzler Gerhard Schröder. Weshalb er 1999 über Nacht von allen Ämtern zurücktrat und verschwand.
Doch genauso wenig konnte Lafontaine nach der Abwahl Schröders 2005 mit der LINKEN Druck auf die SPD ausüben. Selbst als 2009 CDU und FDP die Regierung übernahmen und die SPD in die Opposition ging, rückte sie keinen Meter nach links.
Mit der SPD fusionieren
Im Februar 2022 erklärte Lafontaine gar, es sei immer sein Ziel gewesen, die LINKE und eine links gewendete SPD zu einer gemeinsamen Partei zu vereinigen. 2017 habe er gar mit dem damaligen SPD-Vorsitzenden Martin Schulz über die Möglichkeit einer Fusion gesprochen.
Lafontaine wollte den Marktradikalismus für immer beerdigen. Doch er versuchte niemals dieses Ziel zusammen mit der Arbeiter:innenbewegung zu erreichen. Deshalb hat die LINKE auch unter seiner Führung keine Strategie, Gruppen in den Büros und Betrieben aufzubauen, die dort Einfluss auf die sozialpartnerschaftlich orientierten und deswegen wenig streikbereiten und zahmen Gewerkschaften hätten nehmen können.
Stattdessen kandidierte Lafontaine 2010 nicht mehr als Parteivorsitzender und legte sein Bundestagsmandat nieder. Seitdem war er Fraktionsvorsitzender der saarländischen LINKEN.
Strategisch betrachtete er Wähler und Mitglieder weiterhin nicht als Menschen, die sich ihre politischen Ziele selbst erkämpfen, sondern lediglich alle vier Jahre ihr Kreuz bei der LINKEN machen können, um sie eines Tages vielleicht doch irgendwie an die Regierung zu bringen.
Lafontaine will Abschiebung
Um das zu erreichen, wollte Lafontaine nur Positionen vertreten, die er für massentauglich hielt. Antirassismus gehörte nicht dazu. Lafontaine war schon 1993 maßgeblich daran beteiligt, dass die SPD zusammen mit CDU und FDP das Grundgesetz änderte und dem Asylrecht die sogenannte »Drittstaatenregelung« hinzufügte. Wer aus einem sicheren „Drittstaat“ nach Deutschland einreist hat grundsätzlich kein Recht auf Asyl mehr. Weil Deutschland aber von sicheren „Drittstaaten“ umgeben ist, war dieses Grundrecht seitdem weitgehend ausgehebelt.
Vor der Bundestagswahl 2017 forderten Lafontaine und seine Ehefrau und LINKE-Abgeordnete Sahra Wagenknecht mehr Abschiebungen von Geflüchteten. Angeblich sei die Offenheit der LINKEN für Einwanderung schuld daran, dass „so viele Arbeiter AfD wählen“ und „der Ruf nach offenen Grenzen eine zentrale Forderung des Neoliberalismus“ (Lies hier den marx21-Artikel: Oskar Lafontaine, Migration und der »Arbeiterprotektionismus«).
Ratlos im Regen stehen
2020 nahm Lafontaine an einer Buchvorstellung des rechtsradikalen Autors Thilo Sarrazin teil und erklärte dabei, man könne „einer Sozialrentnerin nicht erklären, dass ein unbegleitetes Flüchtlingskind 5000 Euro im Monat koste“. Lafontaine behauptete die letzten Jahre mehrfach, Antirassismus sei die Ursache für Wahlniederlagen der LINKEN oder wie er es in seiner Austrittserklärung verschämt formuliert: „Die LINKE wandelte sich zu einer Partei, die sich um dasselbe Wählermilieu bemüht wie die Grünen.“
Weil Lafontaine sich niemals um den Aufbau einer Bewegung bemühte, verstand er nie, wie wichtig beispielsweise Antirassismus und Feminismus sind, um sich nicht spalten zu lassen. Jeder Arbeiterstreik ist zum Scheitern verurteilt, wenn die Beschäftigten Vorurteile gegeneinander haben und nicht zusammenhalten. Traut man Menschen hingegen nicht mehr zu, als zur Wahl zu gehen, kann man sich für nahezu jede Position einreden, dass sie und nur sie die entscheidenden Prozentpunkte gebracht hätte.
Leider ist Lafontaine nie auf die Idee gekommen, dass es genau seine Illusionen in die SPD war, die der LINKEN all die Jahre geschadet hat. Wer die Sozialdemokraten für irregeleitete Schwestern und Brüder hält, denen man die Hand zum Regieren entgegenstrecken muss, kann nie eine eigenständige Strategie entwickeln, seine Ideen auf der Straße und in den Betrieben durchzukämpfen.
Lafontaine war davon ausgegangen, dass die SPD früher oder später auf die LINKE zugehen wird. Als das nicht passiert ist, blieben er und die gesamte Partei ratlos im Regen. Und da steht sie größtenteils noch heute.
Der dringende Neuanfang
Dass Lafontaine jetzt die LINKE verlässt, ist tragisch, aber konsequent. Er hat sich zu weit von allem entfernt, was eine linke Partei in den 20er Jahren unbedingt ausmachen muss. Entscheidend ist jedoch, ob die LINKE weiter Lafontaines Illusionen nachhängt, die SPD verändern zu können. Oder ob sie die Wirtschafts- und Aufrüstungs-Partei endlich rechts liegen lässt, und ihre eigenen Anhänger für Diskussion und Klassenkampf mobilisiert (Lies hier das marx21-Thesenpapier: DIE LINKE: Raus aus der Regierungsfalle!).
Die Antikriegsbewegung ist auf der Straße und auch der Kampf für Klimaschutz wird weitergehen. 2021 haben die Beschäftigten der staatlichen Berlin Krankenhäuser vier Wochen für einen „Tarifvertrag Entlastung“ gestreikt und auch künftig wird es Arbeitskämpfe gegen Personalmangel geben. In all diesen Kampagnen werden linke Ideen dringend benötigt und deshalb hat die LINKE auch eine reale Chance, sich als Partei der Streiks und Bewegungen zu etablieren, wenn sie denn nur endlich damit anfängt.
Denn seine Illusionen in die SPD zu verlieren, mag erstmal schmerzhaft sein. Mittelfristig ist es jedoch der einzige Weg zu einem echten Neuanfang. Und den braucht die LINKE dringender denn je.
Bild: DIE LINKE
Schlagwörter: Austritt, Inland, Lafontaine, Linke, SPD