Die Rückkehr der Agenda-Kämpfer belegt, dass eine nachhaltige Linkswendung der SPD so gut wie ausgeschlossen ist. Stefan Bornost über die Krise der Sozialdemokratie
Mit der Ersetzung von Kurt Beck durch Franz Müntefering als Parteivorsitzender und der Installation von Franz-Walter Steinmeier als Kanzlerkandidaten hat der rechte Flügel der SPD die Führung der Partei zurückerobert. Steinmeier und Müntefering sind die Architekten der Agenda 2010 und ihrer Folgepolitik – wie zum Beispiel der Rente mit 67. Deshalb sind diese Personalentscheidungen auch politische Weichenstellungen – zu Recht titelte ein Kommentar im Stern: »Der Putsch der Agenda-Kämpfer«.
Wie üblich hatten die Mitglieder der SPD nicht den geringsten Einfluss auf zentrale Personalfragen. Noch nicht einmal die Mitglieder des Parteivorstands waren eingeweiht. Sie wurden vor vollendete Tatsachen gestellt und waren dementsprechend völlig überrascht. Die Besetzung der wichtigsten Führungsämter fand ohne Diskussion in den Parteigremien statt. »Wie viel innerparteiliche Undemokratie lässt sich die Partei gefallen?«, fragte am Tag nach Becks Entmachtung die »Süddeutsche Zeitung«.
Durch den Austausch des Spitzenpersonals ist vielleicht die Führungskrise der SPD gelöst, aber nicht die fundamentale Existenzkrise der Partei selbst. Gerhard Schröders Agenda-Politik hat die SPD fast die Hälfte ihrer Mitglieder gekostet, sie bei Umfragen in Richtung der 20-Prozent-Marke gedrückt und den Erfolg der LINKEN erst möglich gemacht. Nun sitzt, außer Schröder und Clement, das im Wesentlichen dafür verantwortliche Personal wieder fest im Sattel – mit dem Versprechen, die Politik auf der Agenda-Linie weiterzuführen. Nicht nur die »Berliner Zeitung« fragt sich: »Aber warum ausgerechnet Müntefering es gelingen soll, die Spannungen, die seine Partei zu zerreißen drohen und die er selber mit verursacht hat, zu lösen, bleibt das Geheimnis derer, die ihn zurückgeholt haben.«
Tatsächlich werfen die Ereignisse am Schwielowsee wichtige Fragen über den Charakter der SPD auf. Warum setzt die neue Führung auf einen selbstmörderischen Kurs? Ist es denkbar, dass die Linke die Partei zurück erobert?
Immer gegen die Linke…
Der Schlag des rechten Parteiapparats gegen die Linke ist kein Einzelfall, sondern hat historische Kontinuität in der SPD. Wenn eine gesellschaftliche Linksverschiebung drohte, sich in einer innerparteilichen Opposition zu reflektieren, hat die Parteiführung immer wieder unnachgiebig gegen Linksabweichler gehandelt. Sie wurde nur solange geduldet, wie sie keinen bestimmenden Einfluss auf die Kommandohöhen der SPD gewann. Dabei ist die Parteiführung weder vor Ausschlüssen noch vor Spaltungen, noch vor Rückschlägen bei Parlamentswahlen zurückgescheut.
Den ersten Fall dieser Art stellte 1917 der Ausschluss von prominenten SPD-Reichtagsabgeordneten dar, die im Reichstag – unter dem Eindruck der immer stärker werdenden Anti-Kriegs-Stimmung in der Arbeiterschaft – gegen die Verlängerung der Kriegskredite gestimmt hatten. Die Ausgeschlossenen gründeten im April 1917 ihre eigene Partei, die USPD, die wesentliche Teile der SPD-Mitgliedschaft für sich gewinnen konnte. Sechs Monate nach der Spaltung zählte die USPD 120.000 Mitglieder gegenüber 150.000 SPD-Mitgliedern. Trotz dieses katastrophalen Schwundes verteidigte SPD-Parteichef Friedrich Ebert diese Ausschlüsse nicht nur, sondern setzte nach der Novemberrevolution 1918 auch das ehemals kaiserliche Militär gegen maßgeblich von der USPD beeinflusste Arbeiteraufstände in Marsch.
Nicht zufällig fiel die nächste durch Ausschlüsse verursachte Spaltung der SPD wieder mit einer großen gesellschaftlichen Krise zusammen. In Folge der 1929 beginnenden Weltwirtschaftskrise zerschlug die damalige konservative Regierung Brüning den Sozialstaat fast vollständig. 1932 bekam ein Arbeitsloser nur noch maximal 6 Wochen Arbeitslosengeld. Gleichzeitig wurde es fast halbiert. Die Fürsorge (heutige Sozialhilfe) bezahlte nur noch die Miete und eine warme Suppe aus der Notküche. In den Städten herrschte Hungersnot. Die SPD tolerierte diese Politik und unterstützte Brüning als »kleineres Übel« gegenüber den erstarkenden Nazis. Als sechs Mitglieder der SPD-Reichtagsfraktion diese Politik nicht mehr mittragen wollten, wurden sie von der Parteiführung aus der Fraktion ausgeschlossen und gründeten in Folge 1931 die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands, die SAP. Die Partei, der auch Willy Brandt angehört, hatte vor der Machtergreifung der Nazis bis zu 30.000 Mitglieder.
Auch in der Nachkriegssozialdemokratie setzte sich diese Verfahrensweise fort. 1961 schloss die SPD-Führung den sozialdemokratischen Studentenverband SDS aus, weil sich dieser kritisch gegenüber der in Bad Godesberg beschlossenen programmatischen Rechtswendung (1959) und der von der SPD unterstützten Wiederbewaffnung positioniert hatte.
Auch der Sturz Willy Brandts 1974 war von der SPD-Rechten eingeleitet worden. Brandt war Symbolfigur für die Reformhoffnungen infolge der großen Bewegung von 1968 und den Folgejahren geworden und hatte 1972 fulminant die Wahlen für die SPD gewonnen. Die Unternehmer, denen die Brandtsche Reformpolitik und die Aufbruchstimmung innerhalb der Gewerkschaftsbewegung zu weit gingen, übten massiv Druck auf die Regierung aus. Infolgedessen änderte Brandt die Tonlage und rief zum »Maßhalten« und »härter arbeiten« auf. »Wer nur neue Forderungen stellt, kann nicht erwarten, ernst genommen zu werden«, sagte er im Januar 1973.
1974 setzte sich Brandt persönlich für Lohnzurückhaltung ein und lehnte deutliche Lohnerhöhungen im öffentlichen Dienst ab. Die Gewerkschaft ÖTV aber stand derart unter Druck der eigenen Basis, dass sie in einem Streik eine Lohnerhöhung von elf Prozent durchsetzte. Brandt war nicht in der Lage, eine selbstbewusste Arbeiterbewegung in die Schranken zu weisen. Für das Kapital war klar: Der muss weg. Doch gestürzt wurde Brandt nicht durch die Unternehmer selber, sondern durch den rechten Flügel der eigenen Partei. Der profilierte Parteirechte Helmut Schmidt begann gemeinsam mit Fraktionschef Herbert Wehner offensiv für einen Kurswechsel zugunsten einer unternehmerfreundlicheren Politik einzutreten und Brandt zu demontieren. Der von der Regierung verlorene Lohnkampf war die innere Ursache für Brandts Rücktritt im Mai 1974, die Spitzelaffäre um den DDR-Spion Günter Guillaume lieferte den Anlass. Wehner und Schmidt waren lange vor Brandt vom Verfassungsschutz über Guillaume informiert worden. Sie ließen Brandt absichtlich in Unkenntnis und trieben ihn zu seinem Rücktritt. Die SPD-Parteiführung opferte ihre populärste Führungspersönlichkeit, um es sich mit dem Kapital nicht zu verderben.
Arzt am Krankenbett des Kapitalismus
Die Liste ließe sich noch weiter verlängern – etwa mit der gemeinsamen Kampagne von Unternehmern, Schröderianern und Springer-Presse gegen Oskar Lafontaine, die ihn 1999 zur Aufgabe des Parteivorsitzes zwang. Oder dem Rauswurf der WASG-Gründer aus der SPD. Klar ist: Eine derartig lange Kontinuität von Aktionen gegen die Parteilinke ist nicht einfach durch die persönliche Bösartigkeit der jeweils handelnden Personen zu erklären, sondern hat tiefere Ursachen in der Art wie die SPD in den Kapitalismus eingebunden ist.
Die Politik der SPD baut darauf auf, dass die Früchte von Wachstum und Aufschwung mittels Reformen an die Bevölkerung weitergegeben werden. Dieser Ansatz setzt natürlich Wachstum voraus – einen immer größer werdenden Kuchen, von dem die Regierung Stücke verteilen kann. In Zeiten der Krise ist dagegen eine unternehmerfreundliche Politik notwendigerweise verbunden mit Angriffen auf die abhängig Beschäftigten.
Schröders Agenda 2010 zielte darauf ab, dem deutschen Kapital in der sich verschärfenden internationalen Konkurrenz die besten Standortbedingungen zu verschaffen. Diese Politik bedeutete immer weitere Steuergeschenke an das Kapital und die verschärfte Ausbeutung der abhängig Beschäftigten. Dafür war die SPD als Regierungspartei auch bereit, ihre eigene Anhängerschaft unter Arbeitern, Arbeitslosen und Rentnern anzugreifen. Das machte Schröder im Augenblick seines Wahlsiegs 1998 sinnfällig als er sagte »Das Land ist wichtiger als die Partei« und »Mit mir wird es keine Politik gegen die Wirtschaft geben«.
Gerade dies wird Schröder von Seiten der Unternehmer ja als »historischer Verdienst« ausgelegt – dass er die Erosion der SPD-Basis billigend im Kauf nahm, um das deutsche Kapital auf dem Weltmarkt zu stärken.
Schröder folgte hier einer Logik, die bereits 1931 der damalige SPD-Theoretiker Fritz Tarnow prägnant formuliere: Die SPD müsse der »Arzt am Krankenbett des Kapitalismus« sein. »Wenn der Patient [= der Kapitalismus, Anm. d. Red.] röchelt, hungern die Massen draußen. Wenn wir das wissen und eine Medizin kennen, selbst wenn wir nicht überzeugt sind, dass sie den Patienten heilt, aber sein Röcheln wenigstens lindert, (…) dann geben wir ihm die Medizin und denken im Augenblick nicht so sehr daran, dass wir doch Erben sind und sein baldiges Ende [= den Sozialismus, Anm. d. Red.] erwarten.« Praktisch bedeutete das jedoch die Kapitulation vor der Politik der damaligen Regierung für die Bosse und gegen die Arbeiterklasse.
Das Kapital und die SPD
Dank hat die sozialdemokratische Rechte für diese Politik nicht zu erwarten. Die Unternehmer nutzen sie und greifen auf sie zurück, wenn konservative Regierungen aufgrund von wachsendem Widerstand in der Bevölkerung und insbesondere in den Gewerkschaften nicht mehr in der Lage sind, jenen Sozialabbau zu betreiben, den sie für nötig erachten. Dann wird die Sozialdemokratie wegen einer speziellen Eigenschaft zur interessanten Option: Aufgrund ihrer organischen Verbindung mit den Gewerkschaften kann sie die Arbeiterbewegung von innen heraus lähmen. Genau dies geschah unter Schröder. Helmut Kohl wäre niemals in der Lage gewesen, die Agenda 2010 durchzusetzen – er scheiterte schon beim Versuch die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall durchzusetzen (1997) an massiven Streiks in der Metallindustrie. Nur ein SPD-Kanzler konnte ein so radikales Kürzungsprogramm unternehmen und gleichzeitig den Widerstand deckeln.
Jetzt stellt sich Frank-Walter Steinmeier hin und sagt, er will an der Politik der Agenda 2010 anknüpfen und die SPD als »wirtschaftsfreundliche Partei der politischen Mitte« positionieren. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass das Wahljahr 2009 ihm mit einer bösen Überraschung aufwartet und die Unternehmerverbände dann für eine Koalition aus CDU, FDP und eventuell den Grünen plädieren. Die SPD hat für die Bosse ihre Schuldigkeit getan und kann gehen.
Perspektiven für die Linke
Nicht mal in ihren Blütezeiten hat die SPD-Linke diesen eingebauten Zug der SPD an die Seite der Unternehmer etwas entgegensetzen können – sie wurde entweder rausgeschmissen, innerhalb der Partei marginalisiert, oder noch häufiger, wie im Falle des ehemals radikalen Jusos Schröder – oder aktuell Andrea Nahles – über Pöstchen und Karriere in den rechten Apparat integriert. Heute ist die SPD-Linke ein Schatten ihrer selbst. Der Niedergang der aktiven Parteimitgliedschaft hat die Parteilinke härter getroffen als die Parteirechte. Denn im Unterschied zur Rechten ist die Linke auf Aktivismus an der Basis, in der Mitgliedschaft, angewiesen. Der Parteirechten stehen dagegen die Medien jederzeit offen. Dazu hat sich die SPD-Linke politisch kompromittiert, weil sie sich in den Jahren der Schröder-Regierung ein ums andere Mal widerstandslos ergeben hat. So zum Beispiel bei den Abstimmungen über die Hartz-Gesetze, wo sie sich durch Schröders Rücktrittsdrohungen wiederholt erpressen ließ.
Deshalb sollte die LINKE schon einmal beginnen, darüber nachzudenken, wie Reformen und Sozialismus ohne und gegen die SPD-Führung erkämpft werden können. Denn das Warten auf eine substanzielle Linkswendung der SPD ist wie das Warten auf Godot – der ihn Samuell Becketts Theaterstück bekanntlich nie kam. Eher wird ein Kamel durch ein Nadelöhr gehen, bevor aus dieser SPD eine wirklich linke Partei wird.
Es gibt für die LINKE im Parlament keinen Partner, der sich mit dem Kapital anlegen möchte und die Ausgangsbedingungen für linke Politik werden sich auch nicht allein durch die wachsende Anzahl der LINKEN-Parlamentssitze verbessern. Die Hoffnungen darauf, die SPD nach links zu drücken, im Sinne des viel bemühten Slogans »DIE LINKE wirkt«, entbehren jeder Grundlage. Die damit verbundene strategische Perspektive von linken Koalitionen im Parlament, um die »Politik zu gestalten«, fällt damit erstmal in sich zusammen.
Der LINKEN stehen angesichts dieser Situation zwei Pfade offen: Sie passt sich dem Kurs der SPD an und verzichtet im Interesse einer Regierungsbildung auf ihre Forderungen – damit wird sie auf lange Sicht genauso ein Totalausfall für abhängig Beschäftigte, Rentner und Arbeitslose, wie es die SPD derzeit ist. Oder sie versucht durch außerparlamentarische Mobilisierungen, und Aufbau von Klassenkämpfen die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse zu Ungunsten des Kapitals zu verschieben.
Ich meine: DIE LINKE kann in dieser Situation nur Opposition sein und hat keine andere Waffe gegen das Kapital als die Mobilisierung der abhängig Beschäftigten. Das ist ein langer und harter Weg – aber der einzig gangbare.
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