Mehr Macht für die Geheimdienste, strengere Grenzkontrollen und Sicherheitsvorschriften: Als Antwort auf terroristische Anschläge und Attentate verschärfen viele EU-Staaten ihre Anti-Terror-Maßnahmen. Doch die Ursachen des Terrorismus werden damit nicht bekämpft. Von Volkhard Mosler und Yaak Pabst
Die Anschläge in zahlreichen europäischen Ländern haben eine Debatte über den islamistischen Terrorismus ausgelöst. Doch bei der Suche nach den Gründen wird über eines so gut wie gar nicht gesprochen: Die aggressive Außenpolitik des Westens. Sahra Wagenknecht war neben Oskar Lafontaine die einzige führende Politikerin der LINKEN, die unmittelbar nach den Pariser Anschlägen auf diesen Zusammenhang aufmerksam gemacht hat. Als »wichtigste Konsequenz« aus den Terroranschlägen von Paris forderte sie »das Ende aller Militäreinsätze des Westens im Nahen und Mittleren Osten«. Ein Blick auf die Fakten gibt ihr Recht.
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Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 haben die USA und ihre Verbündeten zwei mehrheitlich von Muslimen bewohnte Länder (Afghanistan und Irak) militärisch besetzt. Darüber hinaus haben sie militärische Spezialeinheiten in zahlreiche muslimische Länder geschickt, einen versteckten Drohnenkrieg gegen die Bevölkerungen Pakistans, Jemens, Somalias und des Sudans geführt, dessen Opferzahlen der Geheimhaltung unterliegen, und Hunderte von Muslimen und einige Muslimas ohne gerichtliche Verurteilung inhaftiert und gefoltert (in Abu Ghraib, Guantanamo und anderswo).
Eine Reaktion auf fremde Besatzung
Die Folge: Seit 2001 hat es mehr Selbstmordattentate gegen westliche Einrichtungen in Afghanistan, Irak und anderen muslimischen Ländern gegeben als in all den Jahren davor. Auch die der US-Regierung nahestehende Zeitschrift »Foreign Policy« hat erkannt: »Mehr als 95 Prozent aller Selbstmordattentate sind eine Reaktion auf fremde Besatzung. Das ergaben umfangreiche Forschungen, die wir an der Universität von Chicago im Projekt über Sicherheit und Terrorismus durchführten. Wir untersuchten jeden einzelnen der über 2200 Selbstmordanschläge in der ganzen Welt von 1980 bis heute. Während die Vereinigten Staaten Afghanistan und Irak, mit einer Gesamtbevölkerung von rund sechzig Millionen Menschen, besetzten, sind die Selbstmordanschläge weltweit dramatisch gestiegen – von etwa 300 (1980 bis 2003) auf 1800 (2004 bis 2009). Über 90 Prozent aller Selbstmordattentate sind antiamerikanisch. Die große Mehrheit der Selbstmordattentäter stammt aus Regionen, die durch ausländische Truppen bedroht sind.«
Der logische Schluss wäre, dass der Westen seine Kriege im Nahen und Mittleren Osten beendet. Doch das Gegenteil geschieht: Die Spirale der Gewalt von imperialistischen Interventionen in der muslimischen Welt und islamistischem Terrorismus dreht sich weiter. Zwei Tage nach dem Attentat in Paris hat ein Sprecher des Islamischen Staates (IS) in Mosul die Verantwortung für die »Operation in Frankreich« übernommen und kündigte weitere Anschläge in Großbritannien und den USA an: »Die Drohung gilt für alle Länder des Bündnisses, die Luftangriffe auf den Islamischen Staat fliegen.« Die Anschläge von Paris seien »eine gerechte Strafe« für die Bombardierung des IS. Zur selben Zeit befand sich Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) auf einem Kurzbesuch in Bagdad. Sie rief dazu auf, »angesichts des Anschlags in Paris im Kampf gegen den Terror nicht nachzulassen«. Es sei wichtig, »dass der Mythos der Unbesiegbarkeit des sogenannten Islamischen Staats und des islamischen Terrors zu brechen ist«, betonte von der Leyen. »Je länger der IS stark und attraktiv bleibt, desto mehr steigt die Bedrohung für uns zu Hause.«
Krieg und die Einschränkung der Bürgerrechte
Die Verteidigungsministerin verdreht hier die Tatsachen und erklärt die Folge ihrer Politik zur Ursache. Denn die Bundesrepublik ist durch die Einsätze am Hindukusch und nun auch im Irak immer mehr zur Kriegspartei geworden. Zugleich werden im Inneren Bürgerrechte eingeschränkt und die Anti-Terror-Maßnahmen verschärft. In mehreren Städten wurden Hausdurchsuchungen bei jungen Muslimen durchgeführt, die angeblich staatsgefährdende Gewalttaten vorbereiteten. Zugleich heißt es jedes Mal, es lägen keine konkreten Anhaltspunkte für Anschläge vor – so lautete beispielsweise die Meldung über die Ermittlungen gegen drei junge Männer aus Kassel. Dem 26-jährigen Syrien-Rückkehrer Ayoub B. aus Wolfsburg wird vorgeworfen, sich dem IS angeschlossen zu haben. Er kooperierte vom ersten Tag an mit der Polizei, wurde aber trotzdem nach drei Monaten festgenommen. Die Bundesanwaltschaft klagt ihn wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung an, obwohl Ayoub B.s Syrienaufenthalt beendet war, bevor die Bundesregierung im September 2014 den IS verbot. Hier wird mit zweierlei Maß gemessen: Tausende deutsche Söldnerinnen und Söldner haben in der französischen Fremdenlegion in Vietnam, Algerien, Kongo und anderen afrikanischen Staaten gekämpft. Im Irak beteiligten sich Deutsche im Rahmen der US-amerikanischen Blackwater (jetzt Academi) und anderen Privatarmeen an den Kampfhandlungen. Nach dem Strafgesetzbuch (StGB) ist das Anwerben von deutschen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern für eine fremde Armee strafbar, nicht aber die Tätigkeit als Söldnerin oder Söldner. Deshalb werden IS-Rückkehrer seit September 2014 wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung (§ 129a StGB) verfolgt und angeklagt. Noch ein halbes Jahr zuvor konnten junge Muslime mit Wissen der deutschen Polizei frei in Kampfgebiete ausreisen, eine Strafverfolgung fand nicht statt. Die Verhaftung von Ayoub B. steht ganz offensichtlich im Widerspruch zur Forderung von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), der sich für »eine Wiedereingliederungshilfe für IS-Kämpfer« aussprach, »welche dem Terror abschwören wollen, um sie wieder in die Gesellschaft zurückzuführen«.
Islamfeindlichkeit und Terrorismus
Zwar hat die Kanzlerin nun einen Schritt in die richtige Richtung gemacht, als sie sich auf den Ex-Bundespräsidenten Wulff berief und erklärte: »Der Islam gehört zu Deutschland.« In Folge dessen stellte selbst ein Scharfmacher wie Innenminister Thomas de Maizière klar, dass die Attentate von Paris mit dem Islam nichts zu tun hätten. An ihrer islamfeindlichen Politik änderte die Bundesregierung freilich nichts. Jetzt will sie jungen Muslimas und Muslimen auf bloßen Verdacht, sie könnten sich dem IS anschließen, die Personalausweise entziehen. Die vom Verfassungsschutz angegebene Zahl von Gefolgsleuten des »Islamismus«, »Salafismus« und anderen »Gefährdern« steigt von Monat zu Monat. Die Kriterien, nach denen das Bundesamt seine Einschätzung trifft, legt es jedoch nicht offen. Trotz gegenteiliger Beteuerung wird so der Islam verdächtig, Brutstätte des Terrors zu sein, nach dem Motto: »Nicht alle Muslime sind Terroristen, aber alle Terroristen sind Muslime.«
In den Medien häufen sich die Appelle an die offiziellen Vertreterinnen und Vertreter des Islam in Deutschland, sich für eine »moderne Interpretation« des Korans einzusetzen. Hinter solchen Appellen steckt der indirekte Vorwurf, dass der Islam eigentlich eine rückständige Religion sei und es deshalb immer wieder zu solchen Entartungen wie dem IS in Irak oder dem Salafismus hier kommen kann. Doch unterschiedliche Interpretationen des Korans, des Alten oder des Neuen Testaments hat es immer gegeben. In einem Beitrag für die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« (»Warum nur in Gottes Namen?«) schreibt der Soziologe Jens Alber: »Nun ist es richtig, dass sich im Koran manches finden lässt, was sich als Aufforderung zum Glaubenskrieg interpretieren lässt (Sure 2,191; 4,89; 9,111) oder als Ablehnung der Gleichstellung von Frauen (Sure 2,228; 4,11; 4,34) oder von Homosexuellen (Sure 26,165–166; 7,80-81; 4,16). Dennoch führt diese Suche nicht weit. Zum einen sucht man bestimmte Strafgebote für den Fall der Blasphemie oder bildlicher Darstellungen des Propheten im Koran vergeblich; sie sind dem Koran gänzlich fremd. Zum anderen zeigt sich, dass sich in der Bibel sehr ähnliche, zum Teil sogar schärfere Formulierungen finden, wenn es um den Kampf gegen Ungläubige (3. Mose 26,7–8; 4. Mose 33,52; 5. Mose 20,10–18; Josua 10,40; Esther 8,11), die Verteidigung des Patriarchats (Epheserbrief 5,22–23; Kolosserbrief 3,18; 1. Petrusbrief 3:1) oder die Verdammung von Homosexuellen geht (3. Mose 18,22, 20,13; 1. Korintherbrief 6,9), während sich überdies dort auch explizite Blasphemieverbote finden (2. Mose 20,4-7, 22,27; 3. Mose 24,16)«.
Radikalisierung hat soziale Ursachen
Der Terror kommt nicht »aus dem Herzen des Islam«, wie die »Welt« einst titelte. Der Blick auf junge Männer und Frauen, die sich konservativen oder reaktionären Strömungen des Islams zuwenden, ignoriert meist die sozialen Ursachen dafür. Zurecht sagte der Schauspieler Peter Ustinov im Jahr 2002: »Terrorismus ist der Krieg der Armen und Krieg ist der Terrorismus der Reichen.« Wer den Zulauf zu dschihadistischen Gruppen nur als irrational abstempelt und nach sicherheitspolitischen Antworten ruft, blendet die Verantwortung der deutschen Regierungen aus. Denn sie haben durch ihre verfehlte Asylgesetzgebung und ihre Unterstützung für die US-Kriege im Nahen Osten diesen Zulauf maßgeblich begünstigt. Auch die Diskriminierung von Menschen mit nichtdeutschen Namen auf dem Arbeitsmarkt und im Bildungssystem spielt hier eine Rolle. Wer von klein auf nur Ablehnung, Rassismus und ökonomische Chancenlosigkeit erlebt hat, ist empfänglich für Gruppierungen, die positive Identifikationsangebote bieten und scheinbar »den Spieß umdrehen« gegen den westlichen Imperialismus.
Die Ursache für die Entstehung des »islamistischen Terrorismus« ist die aggressive Außenpolitik der westlichen Staaten. Zuerst führten sie den Kampf ums Öl und dann entstand der Islamismus als Gegenreaktion. Ob der IS im Irak, die Mullah-Bewegung Khomeinis in Iran oder die Taliban in Afghanistan – der Aufstieg des Islamismus als politische Bewegung und Macht war stets eine Folge imperialistischer Interventionen und Kriege. Diese politischen Bewegungen, die sich auf den Koran und Allah beriefen, haben nicht zuletzt an Popularität gewonnen, weil sie sich antiimperialistisch geben. Sie schlüpfen in eine Rolle, die während des Kalten Kriegs noch kommunistische oder nationaldemokratische Parteien übernommen hatten. Natürlich gibt es die Gefahr von Terroranschlägen. Aber während Anschläge von Rechtsextremen – wie das Beispiel der NSU-Morde zeigt – in der Vergangenheit systematisch abgestritten und verharmlost wurden, wird seit einigen Jahren die Gefährdung durch islamistische Gewalt überdramatisiert. Dahinter steckt politisches Kalkül. Die Bundesregierung schürt Angst und Hysterie, um die Akzeptanz für die Militarisierung der Außenpolitik zu erhöhen und währenddessen die Bürgerrechte weiter auszuhöhlen.
Muslime sind am stärksten von Terrorismus betroffen
Eine kleine Anfrage der LINKEN im Bundestag ergab, dass sich im Jahr 2014 die Zahl der Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte gegenüber dem Vorjahr fast verdreifacht hat. Insgesamt gab es 150 Brand- und Sprengstoffanschläge, Angriffe auf Bewohnerinnen und Bewohner sowie volksverhetzende Parolen. Ähnlich besorgniserregend war der Anstieg von Attacken auf Moscheen, Muslimas und Muslime. Es ist nur eine Frage der Zeit bis es wieder Tote und Verletzte gibt. Was Medien und Politik gerne verschweigen: Die Menschen, die am stärksten vom Terrorismus betroffen sind, leben nicht im Westen, sondern oft genau in den Ländern, in denen der Westen seine Kriege und Stellvertreterkriege führt. Das in London ansässige Institut für Wirtschaft und Frieden veröffentlicht jährlich einen »Globalen Terrorismus Index«. Demnach ereigneten sich mehr als achtzig Prozent der tödlichen Terroranschläge im Irak, in Afghanistan, Pakistan, Nigeria und Syrien. Besonders vom Terrorismus betroffen ist der Irak. Dort starben allein im Jahr 2013 bei 2492 Anschlägen mehr als 6300 Menschen.
Die Lehre aus all dem ist klar: Der »Krieg gegen den Terror« produziert Terror. Deswegen hat Oskar Lafontaine recht, wenn er sagt: »Wir können den Terrorismus in der Welt nur bekämpfen, wenn wir damit beginnen, unseren eigenen Terrorismus endlich einzustellen.« Das heißt: Abzug der Bundeswehr aus dem Ausland und Stopp jeglicher Waffenexporte.
Schlagwörter: Afghanistan, Imperialismus, Irak, Islam, Islamfeindlichkeit, Kopenhagen, Krieg, Linke, Merkel, Paris, Syrien, Terror, Terrorismus