Während die Kolleginnen und Kollegen bei der Bahn, mit ihrem Arbeitskampf ihr Grundrecht auf Streik verteidigen, machen Bahnvorstand, Bundesregierung und nicht nur die BILD-Zeitung Stimmung gegen die GDL: Sie hetzen gegen den Bahnstreik und meinen die soziale Gerechtigkeit. Dabei liegt die Verantwortung für die Eskalation beim Bahnmanagement und der Bundesregierung. Von Yaak Pabst
Seit Monaten verhandeln Bahn und die Gewerkschaft der Lokführer über Tarifverträge – es ist einer der härtesten Arbeitskämpfe, die es in Deutschland seit Ende des Zweiten Weltkriegs gegeben hat. Die Medienberichterstattung ist einseitig. So schreibt die Bild-Zeitung vom »Größenwahn« des »Bahnsinnigen« (gemeint ist der GDL-Vorsitzender Claus Weselsky), die FAZ meint: »Die Forderungen der Lokführer-Gewerkschaft GdL sind vollkommen überzogen und rücksichtslos« und die Tagesschau erklärte Claus Weselsky nach der Streikankündigung sogar gleich »zum meistgehassten Mann der Republik«.
Politikerinnen und Politiker der etablierten Parteien singen das gleiche Lied und kritisieren die streikenden Kolleginnen und Kollegen scharf. Pendler und Reisende, aber auch die Deutsche Bahn und die gesamte deutsche Wirtschaft werden durch den Streik getroffen, meinte SPD-Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel in der »Bild«-Zeitung. Natürlichen fehlen auch Umfragen zum Bahnstreik nicht. So stellte Sat-1 eine Umfrage unter dem Titel: »Lokführer-Streik extrem – wie sauer macht euch das?« ins Netz und der Focus gibt nach eigener Umfrage zum Besten: »Verständnis für die GDL nimmt dramatisch ab«. Natürlich sind manche Pendlerinnen und Pendler verärgert darüber, dass Züge ausfallen. Im Regionalverkehr sind das etwa ein Drittel der Züge, im Fernverkehr zwei Drittel. Aber die Wut sollte sich gegen das Bahnmanagement und die Bundesregierung richten. Denn sie tragen die Verantwortung für die Eskalation.
Bahnstreik: Die Forderungen der GDL
Trotz dieser Widerstände kämpft das Zugpersonal der Deutschen Bahn für seine Rechte. In dieser Woche haben täglich rund 3.000 GDL-Mitglieder die Arbeit niedergelegt, denn die DB verweigert der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) nach wie vor den Abschluss von Tarifverträgen für das Zugpersonal in den Eisenbahnverkehrsunternehmen der DB. Die GDL fordert, die Arbeitszeiten zu senken. Die Deutsche Bahn geht in ihrem Angebot darauf überhaupt nicht ein. Die GDL fordert, die Überstunden zu senken. Die Deutsche Bahn geht in ihrem Angebot darauf nicht ein. Die GDL fordert, das momentane Zwei-Klassen-System abzuschaffen, bei dem die Lokrangierführer wesentlich schlechter gestellt sind als ihre Kollegen. Die Deutsche Bahn ignoriert auch diesen Punkt in ihrem Angebot.
Die DB verhandelt zwar über die Tarifverträge, aber nach zehn Monaten mit zahllosen Gesprächen, Verhandlungen und selbst nach sieben harten Arbeitskämpfen sind immer noch keine tariflichen Regelungen festgeschrieben, somit
- keine Begrenzung der Überstunden,
- keine Verbesserung bei den Ruhetagen und der Schichtfolge,
- keine Senkung der Arbeitszeit von 39 auf 38 Wochenstunden
- überhaupt keine Senkung der Belastung.
Stattdessen verlangt die DB immer wieder gleichlautende Tarifverträge im Unternehmen, somit die Unterwerfung der GDL unter die Tarifregelungen der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG). So sollen 2.500 der insgesamt 3.100 Lokrangierführer, die Züge auf der Strecke führen, somit »Streckenlokomotivführer« sind, weiterhin nur mit schlechten Arbeitszeitregelungen entlohnt werden. Nur wenn die GDL das alles akzeptiert, könnte das Entgelt um 3,5 Prozent für 30 Monate erhöht werden.
Der Bahnstreik und das Gesetz zur Tarifeinheit
Die DB weiß, dass dies für die GDL inakzeptabel ist. Sie denkt jedoch, dass sie damit den Tarifabschluss bis zum Inkrafttreten des Tarifeinheitsgesetzes im Juli 2015 verschleppen kann. Dann könnte sie künftig in aller Seelenruhe mit ihrer Hausgewerkschaft arbeitgeberfreundliche Tarifverträge schließen. Dabei nimmt sie billigend in Kauf, dass die Kunden durch die Streiks beeinträchtigt und 300 Millionen Euro verbrannt werden. Unterstützt wird sie dabei von der großen Koalition, die versucht, mit den Arbeitskämpfen von Lokomotivführern und Piloten das verfassungswidrige Gesetz zur Tarifeinheit zu rechtfertigen. Das Zugpersonal zeigt Regierung und Bahnvorstand zu Recht die rote Karte. Denn es ist vor allem die Deutsche Bahn AG, die durch ihre Blockadehaltung ein Ende des Arbeitskampfs verhindert. Dabei wird sie ganz maßgeblich vom Bund unterstützt, der die Deutsche Bahn AG zu 100 Prozent besitzt. Für die Arbeitgeberseite ist dies eine großartige Gelegenheit: Die Bundesregierung will ihr Gesetz zur Tarifeinheit noch in diesem Sommer durchboxen und die Deutsche Bahn spielt auf Zeit, um mithilfe dieses Gesetzes die kämpferische GDL de facto handlungsunfähig zu machen.
Einheit ist kein Selbstzweck
Vor diesem Hintergrund ist es verwunderlich, dass der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Reiner Hoffmann, die Strategie der Lokführergewerkschaft GDL im Tarifkonflikt mit der Bahn kritisiert und damit den Streikenden in den Rücken fällt. Im Deutschlandfunk sagte er: »Ich habe kein Verständnis, dass die Verhandlungen abgebrochen wurden letzte Woche, dass man jetzt wieder in den Streik getreten ist. Das ist eine nicht sehr solidarische Vorgehensweise.« Dem DGB gehört die mit der GDL konkurrierende Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) an. Laut Hoffmann, mache es grundsätzlich keinen Sinn, dass einzelne Berufsgruppen versuchten, Einzelinteressen zulasten der Gesamtbelegschaften durchzusetzen.
Die streikenden Kolleginnen und Kollegen, sehen es genau anders herum. Hoffmanns Kritik an der GDL während des Arbeitskampfes ist unsolidarisch und für einen Gewerkschaftsvorsitzenden unangebracht. Denn wenn Gewerkschaftsführer sich so verhalten, machen sie es den Arbeitgebern, Medien und Politikerinnen und Politikern leicht, ihre Angriffe auf Streikende fortzusetzen und die Bevölkerung zu spalten. Einheit ist kein Selbstzweck, sondern soll die Zersplitterung und Konkurrenz der Arbeiter untereinander aufheben, um so ihre Kampfkraft zu erhöhen. Einheit in der Untätigkeit und in der Kapitulation nutzt nur den zukünftigen Aktionären und demoralisiert die Kolleginnen und Kollegen. Auch die EVG hat noch immer kein befriedigendes Angebot der DB erhalten. Anstatt abstrakt von Einheit zu sprechen, kann diese jetzt durch praktische Solidarität im Kampf hergestellt werden.
GDL: Sie streiken für uns alle
Nicht nur bei der Bahn wird für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne gestreikt. Zwar ist Deutschland nach wie vor eines der streikärmsten Länder Europas. Gerade einmal 16 ausgefallene Arbeitstage pro 1.000 Beschäftigte gab es hierzulande von 2005 bis 2012, ein Zehntel von dem was zur gleichen Zeit in Frankreich gestreikt wurde. Und doch sind die letzten Jahre, was die Streikhäufigkeit anbetrifft, nicht mehr mit 2004, dem großen Jahr der Demontage der Arbeiterbewegung zu vergleichen. Und es sind keineswegs nur die kleinen »Spartengewerkschaften«, wie GDL, die Ärztegewerkschaft Marburger Bund oder die Fluglotsenvereinigung Cockpit, die sich durch Streiks hervortun. Nur 6 Prozent aller Streiks der letzten Jahre gehen auf ihr Konto. Dagegen hat sich die Zahl der Streiks im Bereich von ver.di seit 2004 vervierfacht. Streiks nehmen vor allem in den Bereichen zu, in denen sowohl die Tarifbindung als auch der gewerkschaftliche Organisationsgrad niedrig ist. 2009 wehrten sich die Gebäudereiniger erfolgreich mit der IG Bau gegen Lohndumping, monatelang streikten die Beschäftigten eines Call-Centers in Halle und bekamen einen Tarifvertrag, mit unangekündigten Streiks erreichte das Sicherheitspersonal an den Flughäfen in Düsseldorf und Köln deutliche Lohnerhöhungen. Aktuell kämpfen bei den Sozial- und Erziehungsdiensten die Beschäftigten der Kitas und Jugendämter, an der Charité in Berlin setzen die Kolleginnen und Kollegen ihren Arbeitskampf für eine bessere Personalausstattung fort. Auch die Beschäftigten bei der Post wehren sich: Sie streiken für kürzere Arbeitszeiten und gegen die Tarifflucht ihres Arbeitgebers.
Gelingt es Bundesregierung und Bahn mit ihrer Kampagne die GDL in die Knie zu zwingen, dann werden das auch ver.di, NGG oder GEW spüren, wenn sie das nächste mal Beschäftigte zum Streik aufrufen. Streik ist ein hohes Organisationsrisiko und eine Mutprobe für jeden Einzelnen. Wer jeden Abend in der Tagesschau sehen muss, wie die Lokführer von Bahn, Bundesregierung und Journalisten diffamiert und niedergemacht werden und dabei von allen alleine gelassen werden, der wird sich künftig viel schwerer tun, wenn seine Gewerkschaft ihn zum Streik aufruft. Umgekehrt: Ein Sieg der Lokführerinnen und Lokführer, kann anderen Beschäftigten Mut machen sich ebenso zu wehren. Deswegen: Solidarität mit der GDL und dem Bahnstreik – denn sie kämpfen für uns alle.
Schlagwörter: Arbeitskampf, Bahnstreik, Bundesregierung, GDL, Spartengewerkschaften