Mit dem 9-Euro-Ticket nach Sylt oder doch lieber mit Bahncard 25 und dem ICE? Mit dem maroden Infrastruktur kann beides ein Abenteuer werden. Um die Bahn fit für die Verkehrswende zu machen braucht es mehr als nur eine Verstetigung des 9 Euro Tickets. Von Marvin Berg
Es ist Ende Juni. Das 9-Euro-Ticket gilt seit fast einem Monat und nach ersten Zahlen findet es großen Anklang – etwa 14 Millionen verkaufte Tickets bislang. Das Angebot, für 9 Euro mit dem Nahverkehr durch ganz Deutschland zu fahren begrenzt die Bundesregierung auf drei Monate. Im August ist Schluss, wie Bundesverkehrsminister Wissing schon klar gemacht hat. Jetzt nur eine Verfestigung des 9-Euro-Tickets zu fordern ist zwar richtig, greift aber zu kurz. Statt 15 Stunden mit der Regio nach Sylt sollten vor allem kurzfristige Reisen mit dem Fernverkehr attraktiver gemacht werden, Bahnstrecken müssen ausgebaut werden, Busse müssen auch in kleine Dörfer fahren und dürfen nicht nur einmal die Stunde verkehren und vor allem die Bahn muss entprivatisiert werden. Den ÖPNV bezahlbar zu machen ist zwar ein wichtiger Schritt für eine Verkehrswende, reicht allein aber nicht aus.
Mit 9 Euro von Köln nach Berlin
Bereits kurz nach Bekanntmachung der Pläne für ein solches Ticket waren die öffentlichen Medien voll mit potentiellen Verbindungen: »in 9 Stunden von Köln nach Berlin, in 14 von Hamburg nach Lindau«, besonders präsent war dabei Sylt. Durch das verlängerte Wochenende mit Pfingstmontag in der ersten Juniwoche schienen auch einige diese Idee umzusetzen und reisten mit den Regionalzügen durch Deutschland, was durch die niedrigen Kosten und die häufig fahrenden Züge auch attraktiv war, wenn man die deutlich längere Fahrzeit als im Fernverkehr akzeptierte. Doch führte das dazu, dass immer wieder Züge ausfielen, Passagiere auf dem Bahnsteig stehen bleiben mussten, weil Züge so voll waren, dass die Türen nicht schließen konnten und Bahnhöfe, an denen sich Regionalverbindungen kreuzten, maßlos überfüllt waren. Auch Ende Juni sieht man diese Bilder immer noch.
Unattraktiver Fernverkehr
Das 9-Euro-Ticket wird mehr als Alternative zum teuren Fernverkehr als zum Individualverkehr dargestellt. ICEs sind eine komfortable Art zu reisen und für unter 27-jährige mit der günstigeren Bahncard 25/50 auch attraktiv, wenn man früh genug bucht. Mit Bahncard 25 von Frankfurt (Main) nach Berlin Ende Juli für rund 30 Euro (4 Wochen im voraus) oder sogar für 13 Euro Ende September (12 Wochen im Voraus). Versucht man jedoch kurzfristig zu reisen, kostet die gleiche Strecke nicht selten 80 bis 150 Euro. Unter dem Gesichtspunkt ist es verständlich die knapp doppelt so lang dauernde Verbindung mit den Regionalbahnen auf sich zu nehmen. Das verstärkt jedoch die bereits beschriebene Überlastung des Nahverkehrs, da dieser nicht auf lange Strecken ausgelegt ist, und es besteht die Gefahr, dass viele der Schiene enttäuscht den Rücken kehren könnten und wieder zurück zum Individualverkehr gehen würden. Falls das so eintrifft, könnte es umso schwieriger werden, diese für eine notwendige Verkehrswende zu begeistern.
Marode Infrastruktur
Vor allem in Städten wird jetzt vermehrt auf den ÖPNV zurückgreifen, sofern dieser verfügbar ist. In ländlichen Gegenden macht es das Ticket zwar bezahlbarer, wenn der nächste Bahnhof jedoch 20km entfernt ist und Busse nur wenige mal am Tag Haltestellen anfahren, bietet sich nicht die Möglichkeit vom Auto wegzukommen. Es zeigt sich, dass die Infrastruktur nicht darauf ausgelegt ist, von einem großen Teil genutzt zu werden. Seit der Bahnprivatisierung wird die Deutsche Bahn und der Personennahverkehr kontinuierlich kaputt gespart. Deutschland hat 2020 rund 88 Euro pro Person in den Schienenverkehr investiert, im vergleich zu der Schweiz und den Niederlanden eher ein geringer Betrag – diese investierten 440 Euro bzw 567 Euro. Und die Investitionen, die in den Schienenverkehr getätigt werden, kommen vor allem den Fernverkehr zugute, da dieser höhere Gewinne bringt als der Nahverkehr. Auch die oftmals nicht geringen Verspätungen sind das Ergebnis einer maroden Infrastruktur. So sind über 30 Prozent der Verspätungen über 6 Minuten (darunter zählt der Zug als pünktlich) Ergebnis einer kaputten Strecke oder Zügen.
Chefsache Bahn?
Ein drittes aber umso wichtigeres Argument ist das, wer die Kosten der Verkehrswende trägt. Busfahrer:innen und Lokführer:innen leiden, genauso wie die Bahnfahrenden, jetzt verstärkt an regelmäßig stark überfüllten Zügen und Bussen, sie sind es, die die Kosten dieses Versuchs der Verkehrswende tragen. Um die Bahn fit für die Verkehrswende zu machen, Schienen-, Bus- und Bahnausbau, reicht eine reine Investitionsoffensive in die Deutsche Bahn, wie sie jetzt Bundesverkehrsminister Volker Wissing angekündigt hat, nicht. Durch die Unternehmensstruktur landet das Geld selten dort, wo es gebraucht wird. Ein Beispiel sind die Streckengebühren. Die DB Regio zahlt der DB Netze jährlich hohe Gebühren um Bahnhöfe und Schienen zu nutzen, dieses Geld wird dann jedoch in die Gewinne des Konzerns übergeführt, der dann dieses Geld in die DB Schenker, die vor allem für die Logistik zuständig ist, oder bei der DB Arriva, eine britische Tochterfirma investiert. Für den Ausbau vom Streckennetz bleibt dann wenig übrig. Bundesverkehrsminister Wissing schlägt eine Alternative vor. Er will die Bahn zur Chefsache machen, will bis 2024 eine gemeinwohlorientierte Infrastrukturgesellschaft gründen, doch die Bahn soll weiterhin privatisiert bleiben. Die Maßnahmen von Wissing sind einerseits viel zu spät und lösen wenn nur Symptome, die Deutsche Bahn muss entprivatisiert werden. Eine Bahn für die Menschen statt die Manager lässt sich mit einer privatisierten und profitorientierten Struktur nicht vereinbaren.
Für 9 Euro mit dem ICE nach Sylt und mit Bus und Regio zur Arbeit, kombiniert mit einem sofortigen Ausbau des Nah- und Fernverkehrs. Es muss vor allem betont werden, die Verkehrswende nicht auf dem Rücken der Beschäftigten durchzuführen.
Bild: unsplash / Alexander Bagno
Schlagwörter: Bahnstreik, Eisenbahn, Privatisierung, Verkehrswende