Die SPD unterstützt den Ersten Weltkrieg. Trotzdem blieben die Linken um Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht in der Partei – zumindest fürs Erste. Von Stefan Bornost
Am Abend des 4. August 1914: Eine handvoll Vertreter der SPD-Linken versammelt sich in Rosa Luxemburgs Wohnung in Berlin-Südende. Die Stimmung ist gedrückt, denn das Unfassbare ist geschehen: Wenige Stunden zuvor hat die sozialdemokratische Reichstagsfraktion den kaiserlichen Kriegskrediten zugestimmt. Damit unterstützt die Partei genau den Krieg, vor dem sie seit Jahren gewarnt hatte.
Bisher vertrat die Sozialdemokratie einen klar antimilitaristischen Standpunkt. Noch im Jahr 1912 hieß es in einer Resolution der Sozialistischen Internationale, dass es im Falle eines Krieges »die Pflicht der Sozialdemokratie« sei, »für dessen rasche Beendigung einzutreten und mit allen Kräften dahin zu streben, die durch den Krieg herbeigeführte wirtschaftliche und politische Krise zur Aufrüttelung des Volkes auszunutzen und dadurch die Beseitigung der kapitalistischen Klassenherrschaft zu beschleunigen.« Doch jetzt, wo den Worten Taten folgen sollten, knickt die SPD-Führung ein.
Keine organisierte Linke in der SPD
Die Linken um Rosa Luxemburg hatten sich getroffen, um zu diskutieren, wie sie mit der Situation umgehen sollten. Sie waren wenige – lediglich Hermann Duncker, Hugo Eberlein, Julian Marchlewski, Franz Mehring, Ernst Meyer und Wilhelm Pieck saßen in ihrer Wohnung. Luxemburg hatte trotz oftmals großer Differenzen mit der SPD-Führung nie eine feste Gruppe von Gleichgesinnten um sich geschart. Sie hatte befürchtet, sich so in der Partei zu isolieren.
Allen Anwesenden war klar, dass die gesamte Arbeit jetzt auf den Aufbau einer Antikriegsbewegung zu richten sei. Umstritten war jedoch, welche organisatorische Konsequenz die Linken aus dem Verrat der SPD-Führung ziehen sollten. Die Idee eines gemeinsamen, öffentlichkeitswirksamen Parteiaustritts kam auf – und wurde nach kurzer Diskussion verworfen. Luxemburgs meinte dazu später: »Aus kleinen Sekten und Konventikeln kann man ›austreten‹, wenn sie einem nicht mehr passen, um neue Sekten und Konventikel zu gründen. Es ist nichts als unreife Phantasie, die gesamte Masse der Proletarier aus diesem schwersten und gefährlichsten Joch der Bourgeoisie durch einfachen ›Austritt‹ befreien zu wollen und ihr auf diesem Wege mit tapferem Beispiel voranzugehen.«
Zugleich benannten die SPD-Linken klare Kriterien für ihr weiteres Verbleiben in der SPD. Leo Jogiches, der sich der Gruppe bald anschloss, fasste sie zusammen: »Die Zugehörigkeit zur gegenwärtigen SPD darf von der Opposition nur solange aufrechterhalten werden, als diese ihre selbständige politische Aktion nicht hemmt noch beeinträchtigt. Die Opposition verbleibt in der Partei, nur um die Politik der Mehrheit auf Schritt und Tritt zu bekämpfen und zu durchkreuzen, die Massen von der unter dem Deckmantel der Sozialdemokratie betriebenen imperialistischen Politik zu schützen und die Partei als Rekrutierungsfeld für den proletarischen antiimperialistischen Klassenkampf zu benutzen.«
Rosa Luxemburg wollte um die SPD kämpfen
Luxemburg und ihre Genossen gingen davon aus, dass an der SPD-Basis große Verwirrung, aber auch Unmut über den Kurswechsel der Führung herrsche. Deshalb beschlossen sie eine Art Doppelstrategie. Zum einen wollten sie sich über Flugblätter direkt an die Arbeiterschaft wenden, um so eine außerparlamentarische Opposition gegen den Krieg aufzubauen. Zum anderen sollte auf allen Ebenen der Kampf um die Sozialdemokratie geführt werden.
Sehr schnell zeigte sich, dass es tatsächlich in der SPD rumorte. Aus vielen Ortsvereinen wurde Kritik an der Haltung des Vorstands laut, verschiedene lokale Parteizeitungen veröffentlichten Proteststimmen gegen die Zustimmung zu den Kriegskrediten.
Dieser Unmut erreichte bald auch die Reichstagsfraktion. Am 4. August hatten noch alle Abgeordneten für die Kriegskredite gestimmt, auch die Linken um Karl Liebknecht hatten sich der Fraktionsdisziplin untergeordnet. Doch nachdem Liebknecht bei Parteiversammlungen dafür kritisiert wurde, begann er, in der Fraktion gegen den Krieg zu arbeiten. Bei einer erneuten Abstimmung über die Kriegskredite am 2. Dezember 1914 stimmte er als einziger Abgeordneter mit »Nein« – und wurde so schlagartig zu einer Ikone des Widerstands. Im Lauf der Zeit konnte er immer mehr Abgeordnete auf seine Seite ziehen. So lehnten am 19. August 1915, knapp ein Jahr nach Kriegsbeginn, bereits 36 Parlamentarier der SPD die Kredite ab.
Die Basis sehnt sich nach klaren Worten
Um ihre Positionen bekannter zu machen, entschlossen sich Luxemburg und Genossen, eine Zeitschrift mit dem Namen »Die Internationale« herauszubringen. Diese sollte die namhaftesten Persönlichkeiten der Opposition zusammenbringen, um möglichst breit in die Partei hineinzuwirken. Außerdem sollte sie dabei helfen, das Netzwerk der Kriegsgegner auf ein ideologisches Fundament zu stellen. Die erste Ausgabe erschien im April 1915 und war ein Riesenerfolg: Von 9.000 gedruckten Exemplaren gingen allein am ersten Abend 5.000 weg. Der Bedarf nach klaren Worten und Ideen gegen den Krieg war an der SPD-Basis enorm.
Weil »Die Internationale« so erfolgreich war, kam nie eine zweite Ausgabe heraus – die kaiserlichen Behörden zensierten gnadenlos. Doch das half nichts: Infolge der einsetzenden Kriegsmüdigkeit erhielt die Antikriegsbewegung weiter Zulauf. Parallel dazu verschoben sich auch die Kräfteverhältnisse in der SPD. Im Jahr 1916 hatte die Opposition bereits Verbindungen zu Parteigliederungen in 300 Städten. Die Führung geriet immer mehr unter Druck.
Drei Strömungen in der SPD
Zu dieser Zeit war die SPD in drei innerparteiliche Strömungen zerfallen. Ganz links standen die revolutionären Internationalisten. Dazu gehörten die Spartakusgruppe, wie sie sich die Linken um Luxemburg jetzt nannten, oder auch die Bremer Linksradikalen.
Die Internationalisten hielten an den politischen Grundlagen fest, welche die Vorkriegssozialdemokratie formuliert hatte: keine Zusammenarbeit mit der eigenen herrschenden Klasse, sondern internationale Solidarität aller Arbeiter, um den Krieg zu beenden. Ihr Ziel war es, die Herrschaft der Kapitalisten zu brechen. Als Mittel hierzu sahen sie Proteste und Massenstreiks von Arbeitern und Soldaten.
Auf der »rechten« Seite befanden sich die »Sozialpatrioten« um den Parteivorsitzenden Friedrich Ebert – jene Sozialdemokraten, die den Krieg unterstützten. Sie kontrollierten die gewerkschaftlichen Führungen und versuchten, kampfbereite Arbeiter in den Betrieben zurückzuhalten, um den »Burgfrieden« mit der Regierung nicht zu gefährden. Den aufkeimenden innerparteilichen Protest versuchten die »Sozialpatrioten« autoritär zu unterdrücken, indem sie Kriegsgegner aus Gremien ausschlossen.
Zwischen diesen beiden Flügeln stand das »Zentrum«. Dessen Vertreter verfolgten eine Politik des »Sowohl-als-auch«. Anfänglich hatten sie mehrheitlich den Krieg unterstützt. Durch die zunehmenden Horrormeldungen von der Front und unter dem Einfluss der revolutionären Internationalisten bewegten sie sich später in Richtung Kriegsgegnerschaft. Doch die Zentrumsleute wollten keinen offenen Kampf gegen die »Sozialpatrioten« führen, um die Einheit der Partei nicht zu gefährden. Um den Krieg zu beenden, appellierten sie an Kaiser und Militärführung, in Friedensverhandlungen einzutreten. Den Aufbau einer außerparlamentarischen Antikriegsbewegung und deren Ausweitung in eine revolutionäre Bewegung unterstützten sie nur halbherzig. An der Spitze dieser Strömung stand der bekannte marxistische Theoretiker Karl Kautsky.
Wie mit dieser Strömung umgehen? Das war eine Frage, vor der die Spartakusgruppe stand. Ein Vorschlag war, eine gemeinsame Organisation innerhalb der SPD zu bilden. Luxemburg war dagegen. Als eine Konferenz der Kriegsgegner im Winter 1916 einberufen werden sollte, schrieb sie: »Unsere Taktik auf dieser Konferenz müsste dahin gehen, nicht etwa die ganze Opposition unter einen Hut zu bringen, sondern umgekehrt aus diesem Brei den kleinen, festen und aktionsfähigen Kern herauszuschälen, den wir um unsere Plattform gruppieren können. Mit organisatorischer Zusammenfassung hingegen ist große Vorsicht geboten. Denn alle Zusammenschlüsse der ›Linken‹ führen nach meiner bitteren langjährigen Parteierfahrung nur dazu, den paar aktionsfähigen Leuten die Hände zu binden.«
Sozialdemokratie vor der Spaltung
Luxemburg war nicht gegen die praktische Zusammenarbeit aller Kriegsgegner. Sie glaubte allerdings, dass die inhaltlichen Gegensätze so groß waren, dass ein organisatorischer Zusammenschluss mit dem Zentrum die Handlungsfähigkeit der Revolutionäre beeinträchtigen würde.
Im Herbst 1916 bewegte sich die SPD unaufhaltsam auf die Spaltung zu. Etliche Ortsvereine entschieden sich, dem Parteivorstand keine Mitgliedsbeiträge mehr zu überweisen. Am 7. Januar 1917 organisierte die Opposition schließlich eine erste Reichskonferenz. Daraufhin beschloss die SPD-Führung den Parteiausschluss sowohl der Revolutionäre als auch großer Teile des Zentrums. Das Schisma der Sozialdemokratie war vollzogen. Hatte die Partei zu Beginn des Weltkrieges noch eine Million Mitglieder, so waren es nun nur noch 200.000.
Die Ausgeschlossenen gründeten im Frühjahr 1917 die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD) – eine Partei mit einer sehr heterogenen Mitgliederschaft: Unter den prominenten Gründern waren Kriegsgegner der ersten Stunde wie Hugo Haase oder Kurt Eisner, marxistische Theoretiker wie Karl Kautsky, aber auch theoretische Wegbereiter der Rechten wie der »Revisionist« Eduard Bernstein.
Die USPD entsteht
Mit der Entstehung der USPD stellte sich auch für die Revolutionäre die Organisationsfrage neu: War es besser, unabhängig zu agieren oder Fraktionsarbeit innerhalb der neuen Partei zu betreiben? An dieser Frage spaltete sich die Linke. Die Bremer Linksradikalen traten der USPD nicht bei, weil sie den Zentrumsleuten ihre schwankende und halbherzige Haltung vorwarfen.
Auch Luxemburg nahm nichts von ihrer Kritik am Zentrum zurück. Trotzdem argumentierte sie für einen Eintritt der Spartakusgruppe in die USPD. Ihre Überlegung war folgende: Die deutsche Arbeiterbewegung brauche eine revolutionäre Massenpartei, die nicht nur gegen den Krieg, sondern auch gegen das kapitalistische System als Ganzes den Kampf aufnimmt. Eine solche Partei entstehe nicht von einem Tag auf den anderen, sondern sei das Ergebnis eines Gärungsprozesses, dessen erste Phase mit der organisatorischen Spaltung der SPD und der Gründung der USPD abgeschlossen sei. Die neue Partei stelle einen bedeutenden Schritt nach links von substanziellen Teilen der Sozialdemokratie dar. Gleichzeitig sei sie so uneinheitlich und die Spannbreite ihrer Flügel so groß, dass bei einer großen gesellschaftlichen Krise, wie zum Beispiel einer revolutionären Massenbewegung, eine Krise der USPD unausweichlich werden würde.
Anfang November 1918 passierte schließlich das, worauf die Spartakusgruppe jahrelang hingearbeitet hatte: Eine Massenbewegung stürzte den Kaiser und beendete den Krieg. Die Spartakusgruppe hatte bis zu diesem Zeitpunkt ihr Organisationsnetz weiter ausgebaut. Sie brachte acht verschiedene Publikationen heraus, deren Auflage zwischen 25.000 und 100.000 lag – und das, obwohl nahezu die gesamte Leitung im Gefängnis saß. Dennoch war die Gruppe im Verhältnis zu der gigantischen Bewegung, die nun begann, winzig klein: Sie hatte gerade einmal 3.000 Mitglieder.
Bedingungslos für die Revolution
In den Wochen vor Beginn der Revolution waren Vertreter der SPD vom angeschlagenen Kaiser in die Reichsregierung berufen worden. Luxemburg befürchtete nun, dass sich die Sozialdemokratie an die Spitze der revolutionären Bewegung setzen würde, um sie abzuwürgen. Deshalb kämpfe sie dafür, dass sich die USPD bedingungslos auf die Seite der revoltierenden Arbeiter und Soldaten stelle. Ihr Argument lautete: Wenn die Revolution nicht weitergetrieben wird, wenn die Arbeiter den Fabrikherren nicht die Macht entreißen, dann wird die alte Ordnung zurückkehren und fürchterlich Rache nehmen.
Doch im revolutionären Überschwang des November 1918 vertrat sie eine Minderheitenposition. Als die SPD verkündete, sie wolle eine gemeinsame Regierung mit der USPD bilden, willigte deren Führung ein. Luxemburg schrieb ernüchtert, die USPD diene nur noch »als Feigenblatt für Ebert-Scheidemann«. Der Spartakusbund, wie sich ihre Gruppe nun nannte, beschloss daraufhin, die USPD zu verlassen. Luxemburg verkündete, dass es »für eine Partei der Halbheit und Zweideutigkeit in der Revolution keinen Platz mehr« gebe.
Gemeinsam mit den Bremer Linksradikalen gründete die Spartakisten um die Jahreswende 1918/19 die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD). Die Delegierten erwarteten das baldige Auseinanderbrechen der USPD. Doch zunächst passierte das Gegenteil. Die USPD wuchs rasant – vor allem weil sie Ende Dezember 1918 die gemeinsame Regierung mit der SPD wieder verlassen hatte. Seitdem hatte sich ihre Mitgliederzahl verdreifacht: auf 300.000 im Januar 1919.
Die KPD nutzt ihre Chance nicht
Eine große Streikbewegung im Ruhrgebiet, die Bayerische Räterepublik und der Kapp-Putsch im März 1920 führten zu einem weiteren Wachstum der USPD. Im Oktober 1920 hatte sie fast 900.000 Mitglieder, bei der vorausgegangenen Reichstagswahl hatte sie 17,9 Prozent der Stimmen erhalten. Nicht nur, dass viele durch die Revolution neu radikalisierte Arbeiter bei der USPD landeten – auch die Partei radikalisierte sich und bewegte sich nach links.
Die KPD hingegen griff nicht in die Arbeiterschaft aus. Sie wurde Anfang 1919 verboten, kurz darauf wurden Luxemburg, Liebknecht und Jogiches von rechtsextremen Soldaten ermordet. Ihrer erfahrensten Führungspersönlichkeiten beraubt und durch interne Streitigkeiten gelähmt, kam die Kommunistische Partei bei der Wahl 1920 gerade einmal auf 2,1 Prozent der Stimmen.
Neues Leben wurde der KPD ausgerechnet durch die Spaltung der Partei eingehaucht, die viele ihrer Mitglieder zwei Jahre zuvor verlassen hatten. Rosa Luxemburg hatte Recht behalten: Die USPD zerbrach im Oktober 1920 an ihren inneren Widersprüchen. Viele Mitglieder hatten sich weit nach links entwickelt. 300.000 von ihnen entschieden sich für einen Zusammenschluss mit der KPD, die so über Nacht zu einer Massenpartei wurde. Die Vereinigte Kommunistische Partei Deutschlands (VKPD) sollte die Weimarer Republik maßgeblich prägen. Rosa Luxemburg erlebte das nicht mehr.
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Bei diesem Text handelt es sich um leicht überarbeitete Auszüge aus Stefan Bornosts Artikel »Der Weg zur KPD«. Dieser ist erschienen in der aktuellen Ausgabe unserer Theoriezeitschrift theorie21 »Best of KPD. Linke Organisierung damals und heute«.
Foto: S-T-R-E-E-T-L-I-V-E
Schlagwörter: Erster Weltkrieg, Franz Mehring, Geschichte, Karl Kautsky, Karl Liebknecht, KPD, Kriegskredite, Novemberrevolution, Rosa Luxemburg, Spartakisten, Spartakusbund, SPD, USPD, Weimarer Republik