Mit »Im Westen nichts Neues« hat zum ersten Mal ein deutscher Film vier Oscars gewonnen. Er erzählt vom Massensterben im Ersten Weltkrieg mit drastischen Bildern, hat aber ein fragwürdiges Geschichtsverständnis. Von Hans Krause
Frühjahr 1917: Paul (Felix Kammerer) fälscht die Unterschrift seines Vaters, um mit nur 17 Jahren in den Krieg ziehen zu dürfen. Von ihrem Deutschlehrer angefeuert, meldet sich die ganze Gymnasialklasse geschlossen zum Einsatz. An allen Fronten hat der Krieg schon Millionen Männer ermordet. Und doch glauben Paul und seine Freunde noch immer, in wenigen Wochen Paris erobern zu können, wenn sie jetzt für »Gott, Kaiser und Vaterland« kämpfen.
Stark bebildert, mit beeindruckendem Ton zieht Regisseur Edward Berger das Publikum hinein ins sinnlose Sterben. Seine Verfilmung des gleichnamigen Romans von Erich Maria Remarque von 1928 ist sehr frei. Berger verdichtet und verkürzt den Stoff, um den Überlebenskampf der jungen Soldaten in den Mittelpunkt zu stellen. Spoiler: Sie werden alle sterben.
Der Film hat seine stärksten Momente auf dem Schlachtfeld, gerade weil sie so grauenhaft sind. Berger gelingt es, das Publikum gerade durch das massenhafte Gemetzel nicht teilnahmslos werden zu lassen. Immer wieder zeigt er seine Figuren in Großaufnahmen, ohne sie zu Helden zu stilisieren. Berger rückt das Leid und Schrecken des Einzelnen in den Vordergrund.
Die Schrecken des Ersten Weltkrieges
Der Film kommt fast ohne Musik aus. Umso mehr hört man die Schüsse der Gewehre, das Einschlagen der Granaten und die Schreie der Sterbenden und Verletzten. Weil zudem oft eine Handkamera benutzt wird, fühlt man sich in den bittersten und deswegen stärksten Momenten von »Im Westen nichts Neues«, als wäre man selbst mitten im Kampf.
Wie sinnlos der Erste Weltkrieg selbst aus militärischer Sicht war, zeigt der Film eindrücklich. Trotz der klaren Antikriegsbotschaft befremdet es allerdings, dass der Film ausschließlich aus Sicht einer Kriegspartei, und zwar der deutschen, erzählt wird. Und doch gelingt es Berger fast hundert Jahre nach Veröffentlichung des Romans, dessen antimilitaristischen Kern mit den Mitteln des modernen Films neu zu interpretieren. Wie auch im Buch verdeutlicht sich diese Haltung weniger in Gesprächen über den Sinn des Krieges, sondern in der Darstellung seiner Sinnlosigkeit – etwa durch drastische Szenen des Horrors auf dem Schlachtfeld.
Frieden wurde nicht politisch erreicht, sondern durch die Revolution
Schwach wird der Film an den Stellen, wo der Regisseur das Geschehen auf die Friedensverhandlungen von 1918 lenkt. Zwar werden diesem Strang nur wenige Szenen gewidmet, doch die historisch korrekten, aber naturgemäß langweiligen Bilder von Politikern und Generälen am Verhandlungstisch reißen die Zuschauerin immer wieder aus dem eigentlichen Geschehen des Krieges. Doch der eigentliche Zweck dieser Nebenhandlung ist die Inszenierung von Staatssekretär Matthias Erzberger (Daniel Brühl) als Friedensstifter. Dieses Geschichtsverständnis ist mehr als fragwürdig.
Trotz zweieinhalb Stunden Laufzeit findet der Film keine Zeit, um zu erwähnen, dass der Erste Weltkrieg keineswegs durch Einsicht der Politiker:innen beendet wurde, sondern durch massenhaftes Meutern der Soldaten und die Novemberrevolution, die auch zum Sturz Kaiser Wilhelms II. und kurzzeitig zur Macht von Arbeiter- und Soldatenräten geführt hatte. Zwar erscheint auch im Roman selbst niemandem von den deutschen Soldaten eine Rebellion als Option. Doch hier ahnt Paul zumindest, wie der Krieg beendet werden muss: »Gibt es keinen Frieden, dann gibt es Revolution.« (Lies hier den marx21-Artikel »Wie kann Krieg beendet werden?«.)
Bergers »Im Westen nichts Neues« blickt auf die Menschen, die im Krieg immer verlieren, egal wer ihn gewinnt. Doch er versäumt es anzuerkennen, dass Menschen auch im Krieg mehr als nur Opfer sein können. Denn sie waren es, die versucht haben, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen und die Welt zu verändern.
Der Film
Im Westen nichts Neues
Drama
Regie: Edward Berger
2 Std. 28 Min.
Netflix
Schlagwörter: Erster Weltkrieg, Filmrezension