Auch dieses Jahr gleich zu Jahresbeginn hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung die Entwicklung der Aktien dargestellt. Die Botschaft lautet: an Aktien führt für Sparerinnen und Sparer kein Weg vorbei. Anlass, erneut hier, wie schon vor einem Jahr, einen kritischen Blick auf die sogenannte »Aktienkultur« zu werfen. Von Thomas Walter
Die FAZ (4. Januar 2022) stellt in einem sogenannten »Renditedreieck« dar, welche Renditen Aktien seit Ende der 40er Jahre in der BRD abwarfen. Das Renditedreieck gibt an, wie groß die durchschnittliche Rendite (Verzinsung) war, wenn man zum Jahresende t bis zum Jahresende t+x an einem Aktienfonds beteiligt war, der genau die Entwicklung des deutschen Aktienindex DAX nachzeichnet. Abzuziehen wären allerdings die Gebühren, die ein Fonds für solche Angebote verlangt. Die Zahlen sind außerdem für die Zeit vor 1988 zurückberechnet worden, weil der DAX erst zum 1. Juli 1988 geschaffen wurde.
Solche sogenannten ETFs (exchange traded funds), die einen Aktienindex nachbilden, werden als einfache Aktiensparmethode angepriesen. Die Sparer:innen müssen sich keine Gedanken machen, welche einzelne Aktien sie zum Kauf auswählen sollen. Der Fonds mixt die Aktien so, dass die gleiche Entwicklung wie beim DAX herauskommt. Solche ETFs setzen allerdings voraus, dass es einen von ihnen selbst unabhängigen Aktienhandel gibt, dessen Ergebnis sie dann nachbilden. Je größer der Anteil der ETFs an den umlaufenden Aktien, desto mehr beeinflussen die ETFs selbst die Entwicklung, was zu wilden Ausschlägen führt, die dann wieder Unterbrechungen des Aktienhandels erzwingen, bis sich die Lage wieder beruhigt. ETFs können also nicht als Aktiensparmethode für alle dienen.
Aktienrenditen und Zinsen
Von Jahresende 1948 bis Jahresende 1949 konnten Leute mit genug Geld, um Aktien zu kaufen, laut Renditedreieck eine Rendite von 152 Prozent einheimsen, von Jahresende 2020 bis Jahresende 2021 eine von 16 Prozent. 2019 bis 2020 waren es 4 Prozent gewesen, 2018 bis 2019 25 Prozent. Wer Ende 1948 in einen solchen DAX-Fonds investiert hätte, hätte bis heute eine durchschnittliche Jahresrendite von 11 Prozent erzielt. Wer dasselbe Jahresende 1989 tat, kam bis heute auf eine Durchschnittsrendite von 7 Prozent.
Diese Aktienrenditen (Kurssteigerung von Jahresende zu Jahresende plus Dividendenzahlung) schwanken stark, sind aber doch deutlich höher als die Nullzinsen, die man inzwischen auf dem Sparbuch bekommt. Oft ziehen die Banken ihren Sparer:innen sogar etwas ab. Auch wer festverzinsliche Wertpapiere kauft, muss mit null oder gar negativen Zinsen rechnen. Zehnjährige Bundesanleihen rentieren derzeit unter null, auch wenn vielleicht eine steigende Inflation die Renditen für neue Emissionen (Verkauf neuer Wertpapiere) über null treiben könnte.
Die langfristige Entwicklung
Betrachtet man jedoch die langfristige Entwicklung, dann tendieren auch die Aktienrenditen nach unten (siehe Abbildung unten). Es ist kein Zufall, dass die höchste Aktienrendite, die in diesem Dreieck zu beobachten ist (152 Prozent), die von 1948 bis 1949 ist, die zweithöchste (115 Prozent) war 1950 bis 1951. Doch im Unterschied zu dieser späten Nachkriegszeit sah es in den 70er Jahren mau aus. Erst mit der neoliberalen Wende zum Jahrzehntewechsel 70er auf 80er Jahre gab es wieder höhere Renditen. Jetzt aktuell würde der langfristige Trendwert etwa 2 Prozent betragen. Nimmt man einen Trend ab den 80er Jahren, dann wäre der Trendwert 5 Prozent.
Betrachtet man Jahrzehnte, dann betrug die durchschnittliche Jahresrendite von 1950 bis 1959 40 Prozent bei einer Inflationsrate von 1 Prozent. Von 1960 bis 1969 war die Aktienrendite im Durchschnitt null. Die Inflation betrug dagegen 2 Prozent. Von 1970 bis 1979 betrug die Aktienrendite 5 Prozent. Das glich die Inflationsrate von 5 Prozent gerade aus. Von 1980 bis 1989 war die Aktienrendite 15 Prozent (Inflation 3 Prozent), von 1990 bis 1999 18 Prozent (Inflation 2 Prozent), von 2000 bis 2009 5 Prozent (Inflation wieder 2 Prozent) und von 2010 bis 2020 9 Prozent bei einer Inflation von 1 Prozent.
Quelle: FAZ 4. Januar 2022, S. 23, eigene Darstellung und Trendberechnung
Aktien und Renten
Die Kampagnen, die Sparer sollten doch bitteschön in Aktien investieren, haben auch zum Hintergrund, dass so angeblich die Altersarmut vermieden werden könnte. Wer nicht in Aktien spart, ist selbst schuld, wenn er im Alter arm ist. Hierzu einige Zahlen:
Von 2010 bis 2020 betrugen im Durchschnitt die jährlichen Ausgaben für Renten der gesetzlichen Rentenversicherung etwa 255 Milliarden Euro. Setzt man die durchschnittliche Aktienrendite dieses Zeitraumes von 9 Prozent an, dann wäre ein Aktienkapital von 2830 Milliarden Euro notwendig. Zum Vergleich: in diesem Zeitraum betrug das von privaten Haushalten, genauer gesagt von den reichen Haushalten, gehaltene Aktienvermögen im Jahresdurchschnitt lediglich rund 340 Milliarden Euro. Die Unternehmen hielten Aktien in Höhe von rund 1160 Milliarden Euro und die Banken 730 Milliarden Euro. Insgesamt halten die inländischen Sektoren Aktien im Wert von 2200 Milliarden Euro. Um die Renten über Aktien zu finanzieren, müssten die Rentner über ein Aktienvermögen verfügen, das größer ist als das gesamte tatsächlich bestehende Aktienvermögen. Die Aktiengesellschaften müssten zugunsten der Rentner völlig enteignet werden.
Das »Demografieproblem«
Angenommen, ein solches sogenanntes Kapitaldeckungsverfahren wäre bereits da. Auf der einen Seite würden die Rentner:innen ihre angesparten Aktien verkaufen und so ihre Renten finanzieren. Auf der anderen Seite würden die »Arbeitnehmer:innen« für ihre zukünftigen Renten ansparen und deshalb Aktien kaufen. Verkäufe und Käufe gleichen sich so im großen und ganzen aus. Wenn es allerdings viele Arbeitnehmer:innen im Verhältnis zur Zahl der Rentner:innen gibt, dann überwiegen die Käufe und die Aktienkurse steigen zugunsten der Rentner:innen, umgekehrt umgekehrt.
In anderen Worten: das demographische Problem erscheint bei einem kapitalgedeckten Rentensystem genauso wie bei einem sogenannten Umlageverfahren, wie es bis jetzt im großen und ganzen noch besteht. Beim Umlageverfahren finanzieren die noch berufstätigen Arbeiter:innen mit ihren Sozialbeiträgen die Renten der Rentner:innen. Gibt es viele Arbeiter:innen im Verhältnis zur Zahl der Rentner:innen, dann reichen niedrige Beiträge aus, umgekehrt umgekehrt. Die Riesterrente als ein Einstieg in das kapitalgedeckte Rentensystem ist mit der Begründung gefordert worden, dass bei Kapitaldeckung im Unterschied zum Umlageverfahren kein demografisches Problem auftreten würde. Das wurde zwar auch von bürgerlichen Kommentatoren als Unsinn erkannt, aber die Lobby der Banken und Versicherungen setzte sich durch.
Der Vorteil eines kapitalgedeckten Verfahrens besteht für die Herrschenden darin, dass es privat durchgeführt werden kann. Die Verantwortung liegt dann beim einzelnen Individuum, ob es ausreichend spart und mit der nötigen Sorgfalt die richtigen Aktien kauft. Altersarmut kann dann nicht einem gesetzlichen, staatlichen Rentensystem angelastet werden, sondern nur den einzelnen »freien« Personen. Deswegen gab es auch bürgerlichen Widerstand gegen ein Ansparen mit staatlichem Zwang (»Zwangsriester«). Das hätte vielleicht noch mehr Geld in die Kassen der Banken gespült, doch die Verantwortung hätte dann wieder beim Staat gelegen. Das wollten die Herrschenden vermeiden.
Sozialstaat geht anders
Laut dem Sozio-ökonomischen Panel, einer fortlaufenden statistischen Befragung, entfallen auf 60 Prozent des ärmeren Teils der Bevölkerung 4 Prozent des gesamten Netto-Vermögens (Geldvermögen plus Sachanlagen wie Wohneigentum, abzüglich Schulden). Die 40 Prozent Reicheren vereinigen auf sich also 96 Prozent des deutschen Vermögens. Auf das reichste 1 Prozent entfallen laut diesem Bericht 20 Prozent des deutschen Nettovermögens. Für über die Hälfte der Bevölkerung stellt sich also gar nicht die Frage, ob sie für die Altersvorsorge Vermögen ansparen sollen, sie haben schlicht keines.
Es sei der Mittel- und Oberschicht, also den oberen 40 Prozent überlassen, wie sie ihr Vermögen anlegen und wie sie für ihr Alter vorsorgen wollen. Die Masse der Bevölkerung braucht ein gesetzliches Rentensystem nach dem Umlageverfahren, in welchem die Arbeitenden aus ihren Beiträgen die Renten finanzieren. Dieses System muss gegen neoliberale Angriffe verteidigt werden.
Bildquelle: Klaus Bärwinkel, wikipedia
Schlagwörter: Finanzsektor, Profitrate, Sozialabbau