Nach sechs Verhandlungsrunden ist die Deutsche Post AG unnachgiebig: Sie geht selbst auf das deutliche Entgegenkommen von Verdi nicht ein. Verdi geht es vor allem um die ausufernde Praxis der Befristungen, Arbeitsverdichtungen und chronische Mehrarbeit. Wir haben mit Marcus Schmid gesprochen, Angestellter der Post in Aachen, der bereits an den ersten Warnstreikkundgebungen teilgenommen hat.
Marcus, worum geht es bei den aktuellen Tarifauseinandersetzungen?
Es geht uns vor allem darum, dass immer mehr Bezirke der Post in Tochterunternehmen ausgegliedert werden, in denen dann zu wesentlich schlechteren Bedingungen gearbeitet werden muss. Auf diese Weise versucht die Unternehmensleitung den Haustarifvertrag zu umgehen. Ver.di fordert daher den Stopp der Ausgliederungen, den die Gewerkschaft als Tarifbruch betrachtet, und eine Arbeitszeitverkürzung um zwei Stunden auf 36,5 Wochenarbeitsstunden. Nun sind sechs Gesprächsrunden ergebnislos geblieben, obwohl ver.di Kompromissbereit war. Das hat bei einigen Kolleginnen und Kollegen für Irritationen gesorgt. So ging es am Ende nicht mehr um die Arbeitszeitverkürzung, sondern nur noch darum, die Tarifflucht der Post zu stoppen, indem der Haustarifvertrag auch für alle Tochtergesellschaften gilt. Das alles ist aber hinfällig, weil die Post nicht bereit ist, sich zu bewegen.
Und wie ist die Stimmung in der Belegschaft?
Kämpferisch, würde ich sagen. Ich arbeite seit fast acht Jahren bei der Post und erlebe nun die ersten Warnstreiks. Am ersten Streiktag waren wir um fünf Uhr morgen nur zehn Personen. Am Ende waren es dann vierzig. Mich beeindruckt, dass dieser Arbeitskampf mit viel angestauter Wut und Unmut geführt wird. Viele Kolleginnen und Kollegen verstehen ihren Streik als Ausdruck allgemeinen Unmuts.
Sie sind einfach frustriert, denn in der Branche hat sich nichts zum Besseren gewandelt, seitdem die Post privatisiert wurde. Wir haben in unserer Verteilstelle etwa 135 Mitarbeiterinnen, ein Drittel davon ist noch verbeamtet, der Rest angestellt. Es gibt ein massives Gefälle innerhalb der Belegschaft.
Was bedeutet das genau?
Beispielsweise gibt es die unterschiedlichsten Verträge für ähnliche Tätigkeitsfelder. Während die Beamten sichere Arbeitsplätze haben, die relativ ordentlich bezahlt werden, bekommen die Angestellten in der Regel Kettenbefristungen und geringere Sonderleistungen.
Kannst du ein Beispiel nennen?
Klar. Eine Kollegin arbeitet bereits seit mehr als drei Jahren in unserem Zustellstützpunkt. Fast genauso lang erhält sie ständig »betriebsbedingte Befristungen«. Das ist eine absolute Sauerei: Wie soll man so eine Familie oder seine Zukunft planen?
Andere arbeiten sogar noch länger im selben Zustellzentrum und sind trotzdem immer noch befristet angestellt. Die Post AG arbeitet auf Kosten ihrer Beschäftigten. Wir haben alle mitbekommen, dass sich die Arbeitsbedingungen seit der Umwandlung verschlechtert haben. Daher sind leider viele Kolleginnen und Kollegen der Meinung, dass die Post zum alten sozialpartnerschaftlichen Modell zurückkehren muss. Das fordert auch der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske. Natürlich kann man den Wunsch derjenigen verstehen, die die Zeit vor der Privatisierung noch erlebt haben.
Und wie geht die Post vor Ort mit eurem Streik um?
Ich glaube genauso, wie sich viele das vorstellen. Im Vorfeld der Warnstreiks gab es echt seltsame Aktionen. Die hausinterne Zeitung hat beispielsweise getitelt: »Ein Streik nützt nur den anderen«. Das war ein Versuch, die Kolleginnen und Kollegen einzuschüchtern. Vor wenigen Wochen wurden in den Filialen Monitore aufgestellt, auf denen den ganzen Tag lang Botschaften laufen wie »Die Post ist ein sozialer Arbeitgeber« und »Wir begehen keine Tarifflucht«. Das hat für große Aufregung innerhalb der Belegschaft gesorgt, schließlich wissen wir alle, dass das nicht stimmt.
Der Geschäftsführer vor Ort wies zudem durch die Blume darauf hin, dass viele ja nur befristete Verträge hätten. Eine Kollegin erklärte daraufhin: »Was hab ich schon zu verlieren, außer, dass ich keine Verlängerung bekomme?«
Einige Beamte, die nicht streiken dürfen, wurden angeblich dazu angehalten Pakete auszutragen. Der Einsatz von Streikbrechern hat sich in den vergangenen Tagen massiv ausgeweitet. So werden zum Beispiel einige unserer Aachener Kolleginnen und Kollegen im sechzig Kilometer entfernten Köln eingesetzt. Auch mich hat die Post bereits gefragt, ob ich nicht mehr Schichten übernehmen könne. Im Osten des Landes sollen sogar Leute außerhalb des Landes eingestellt worden sein, um als Streikbrecher eingesetzt zu werden.
Welche Rolle spielt ver.di vor Ort?
Zunächst einmal muss man betonen, dass die Haltung der Gewerkschaft sehr positiv ist, denn es geht ihr nicht nur um Lohnforderungen – sondern darum, die Praxis der Ausgliederungen in Tochtergesellschaften zu beenden. Ein aktuelles Beispiel hierfür ist DHL Deliveriy. Fast die Hälfte der DHL-Angestellten haben befristete Verträge. Ihnen hat man immer gesagt, es ist aus betriebsbedingten Gründen nicht möglich, sie unbefristet anzustellen. Nun jedoch stellt das Tochterunternehmen DHL Delivery diese Leute unbefristet ein. Allerdings verdienen sie durch geringere Zulagen fast 3.000 Euro weniger im Jahr. Leider müssen viele Kolleginnen und Kollegen dieses Angebot – zwecks Planungssicherheit – annehmen.
Ver.di es versäumt, diese zersplitterte Struktur der Belegschaft zu mobilisieren. Sie konzentriert sich in ihrer Auseinandersetzung nur auf die Stammbelegschaft. Meiner Meinung nach hätte die Streiktaktik im viel stärkeren Maße auch Teilzeitbeschäftigte und studentische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter miteinbeziehen müssen. So habe ich unseren Betriebsrat, mehrmals darauf angesprochen, dass ich beim Streik mitwirken möchte. Trotzdem erfahre ich vieles erst, wenn ich Kolleginnen und Kollegen frage. Dieser Spaltungstaktik der Post müsste ver.di etwas entgegensetzen.
Was sollte DIE LINKE in diesem Tarifkonflikt tun?
Das alles ist eine politische Frage, denn politische Richtungsentscheidungen haben zu dem gegenwärtigen Zustand der Post geführt. Ältere Kolleginnen und Kollegen wissen, dass es früher anders war: Das Arbeitsklima war angenehm und es gab eine sichere Versorgung. CDU, Grüne, FDP und SPD haben die Privatisierung der Post mitgetragen. Aber die Kolleginnen und Kollegen wissen auch, dass die Bundesregierung noch mehrheitlich Anteile an der Post hält. Daher sind auch die Erwartungen an politische Gruppen und Parteien hoch. DIE LINKE sollte sich vor Ort mit den Streikenden solidarisieren. Das bedeutet mehr als bloße Lippenbekenntnisse. Sie sollte an den Streikkundgebungen teilnehmen und mit den Beschäftigten reden und diskutieren und ihnen zeigen, dass dies nicht bloße Wahlkampfwerbung ist, sondern dass sie als Partei hinter den Forderungen von ver.di und der Belegschaft steht. Besonders die Privatisierung sollte in den Gesprächen thematisiert werden und verdeutlicht werden, dass es kein Zurück zur Sozialpartnerschaft gibt. In Aachen waren DIE LINKE und die Linksjugend bei den Warnstreiks dabei, haben Informationsflyer verteilt und mit den Streikenden Gesprochen. Die Resonanz darauf war gut.
Einige meiner Kolleginnen und Kollegen – das ist natürlich ein sehr subjektiver Eindruck – haben auf Facebook Reden von Sabine Zimmermann und Klaus Ernst zum Tarifeinheitsgesetz und allem, was den Poststreik thematisiert, geteilt. Es zeigt, dass sie genau hinschauen, was politische Gruppen machen.
Das Interview führte Daniel Kerekeš (Aktualisierte und erweiterte Fassung, zuerst veröffentlicht bei Freiheitsliebe.de)
Foto: opposition24.de
Schlagwörter: Deutsche Post AG, Gewerkschaft, Linke, Post, Streik, Streikbrecher, Tarifflucht, Ver.di, Warnstreiks