Mit einer Welle von Massenprotesten wurde das von der Regierung angestrebte totale Verbot von Abtreibungen verhindert. Rosemarie Nünning über den Sieg des Widerstands in Schwarz und warum Schwangerschaftsabbruch nicht nur eine »Frauenfrage« ist
Die regierende nationalkonservative Partei für Recht und Gerechtigkeit (PiS) wollte einen Gesetzentwurf durchpeitschen, mit dem der Schwangerschaftsabbruch vollständig verboten werden sollte. Das Gesetz sah Gefängnisstrafen von bis zu fünf Jahren für die Frau und die den Abbruch durchführende Person vor. Doch eine Massenbewegung von Frauen und Männern durchkreuzte die Pläne der Regierung.
Polen: Pessimismus durchbrochen
Die Proteste begannen im April mit der Einbringung des Gesetzes in das Parlament. Anfang Oktober erreichten sie ihren Höhepunkt mit dem »Frauenstreik«. Am Montag, den 3. Oktober, nahmen sich Zehntausende Frauen wie Männer frei, um auf die Straße zu gehen. Ein Bündnis hatte zu einem »Frauenstreik« am »Schwarzen Montag« aufgerufen. Angesichts der sichtbaren Dynamik der Proteste rief der Gewerkschaftsbund OPZZ offen zur Unterstützung auf. Die Lehrergewerkschaft wies auf Möglichkeiten hin, die Aktion zu unterstützen. Aktivistinnen boten Blutspendemöglichkeiten an, weil die Spendenden per Gesetz dafür einen Tag frei bekommen. In über 140 Städten und Ortschaften gab es Proteste. Die Teilnehmenden trugen Plakate mit der Aufschrift »Mein Körper, meine Entscheidung!« oder »Lasst meine Eierstöcke mit euren Rosenkränzen in Ruhe«. Ellisiv Rognlien von Pracownicza Demokracja (Arbeiterdemokratie) schätzt die Gesamtzahl der Demonstrierenden auf über 150.000. Sie sagt: »Der seit über 20 Jahren herrschende Pessimismus in der Frauenbewegung wurde durchbrochen.« Solidaritätsaktionen gab es in Berlin, Brüssel, Kiew. In den sozialen Medien wurde der Wut unter dem Hashtag #czarnyprotest (schwarzer Protest) Ausdruck verliehen. Der Druck auf die Regierung stieg. Das Parlament stimmte dann mit überwältigender Mehrheit von 352 zu 58 Stimmen gegen den Gesetzesentwurf, nachdem es ihn in erster Lesung mit deutlicher Mehrheit angenommen hatte.
Offensive der Abtreibungsgegner in Polen
In das Parlament eingebrachte worden war das Gesetz von der erzkatholischen Bewegung »Ordo Iuris« und ihrer Initiative »Stopp Abtreibung«. Gert Röhrborn aus dem Warschauer Büro der Heinrich-Böll-Stiftung schreibt: »Ordo luris, eine durch ultrakonservative Juristen gesteuerte Organisation, die wohl dem Opus Dei nahesteht und mutmaßlich durch radikale Abtreibungs- und LGBTIQ-Gegner aus den USA mitfinanziert wird, sammelte dafür ca. eine halbe Million Unterschriften.« In ihrer Propaganda verbreiten sie dieselben gefälschten Schreckensbilder von abgetriebenen Föten wie hier die christlich-fundamentalistischen »Lebensschützer« in Deutschland. In Polen haben die christlichen Fundamentalisten schon seit Langem versucht, noch schärfere Regelungen durchzusetzen. Dabei gehört Polen jetzt schon ebenso wie Irland und Malta zu jenen Ländern in Europa, in denen ein sehr restriktives Abtreibungsrecht herrscht. Bereits im Jahr 1993 war das liberale positive Recht auf Abtreibung innerhalb einer Frist von drei Monaten auf Druck der »Katotaliban« (der katholischen Taliban, wie sie in der polnischen Bewegung bezeichnet werden) gekippt worden. Selbst der einstige berühmte Führer der Gewerkschaft Solidarność, Lech Walesa, stellte sich hinter die christlichen Fundamentalisten. Zwar gab es eine Petition mit weit über 1 Millionen Unterschriften gegen die Gesetzesverschärfung. Diese blieb jedoch erfolglos.
In Polen ist so ein Schwangerschaftsabbruch bisher nur in drei Fällen möglich: wenn die Gesundheit oder das Leben der Mutter direkt in Gefahr sind, die Schwangerschaft aus einer Straftat hervorging oder der Fötus schwer geschädigt ist. Doch die Abtreibungsgegner in Polen wollten mehr. Im Jahr 2014 legten über 3.000 Ärztinnen und Ärzte ein »Glaubensbekenntnis« ab, in dem sie erklären, dass sie Frauen weder bei der Geburtenkontrolle, bei einem Schwangerschaftsabbruch noch bei einer künstlichen Befruchtung helfen werden, weil das gegen »Gottes Wille« verstoße.
Erfolg der Massenbewegung in Polen
Der jetzige Erfolg der Massenbewegung in Polen muss auch in Zusammenhang mit den Massenprotesten gegen die autoritären Bestrebungen der derzeitigen polnischen katholisch dominierten Regierung gesehen werden. Diese Bewegung hat das Regierungslager und die Kirchenhierarchie gespalten. Das Gesetz wurde nicht angenommen. Selbst 186 Abgeordnete der christlich-konservativen PiS (Partei für Recht und Gerechtigkeit) stimmten dagegen, nur noch 32 dafür. Bischöfe erklärten, sie lehnten eine Bestrafung der Frauen ab.
Die Beteiligung der Gewerkschaften mit ihrer Basis war ohne Zweifel für den Erfolg der Bewegungen wichtig – ebenso wie in Irland die Beteiligung der Gewerkschaften im September zu der Demonstration von Zehntausenden in Dublin beigetragen hat, die die Aufhebung des Abtreibungsverbots fordern. Die polnische Bewegung beinhaltet das Potenzial, jetzt nach vorne zu gehen und die frauenfeindliche und inhumane Gesetzgebung in Polen anzugreifen. Sie wird auch schon bald wieder gefordert sein, weil die Regierungspartei unter ihrer Ministerpräsidentin Beata Szydło angekündigt hat, ein eigenes Gesetz vorzulegen, um das »ungeborene Leben« zu schützen. Im Gespräch ist das Verbot der Abtreibung bei schwerer Schädigung des Fötus.
Welche katastrophalen Folgen solch ein Verbot haben kann, zeigte sich bereits im Jahr 2014, als bei einer im 7. Monat schwangeren Frau diagnostiziert wurde, dass der Fötus keine Schädeldecke und kaum Gehirn aufwies. Obwohl sie rein rechtlich Anspruch auf eine Schwangerschaftsabbruch hatte, weigerte sich die Ärzteschaft. Am Ende musste sie sich einem Kaiserschnitt unterziehen und das Kind starb kurz darauf.
Schwangerschaftsabbruch nicht nur eine »Frauenfrage«
Bei jeder gesetzlichen Regulierung des Schwangerschaftsabbruchs handelt es sich um einen fundamentalen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Frau und es ist ein Kernelement der Frauenunterdrückung. Es gibt keinen vergleichbaren gesetzlichen Eingriff in die körperliche Integrität des Mannes.
Schwangerschaftsabbruch ist aber nicht nur eine »Frauenfrage«. Wenn ein schwer geschädigter Fötu bis zum bitteren Ende ausgetragen werden muss, leidet die Frau wie der Partner oder die Partnerin darunter. Muss eine Frau wegen Abtreibung ins Gefängnis, trifft das auch den Partner oder die Partnerin und schon vorhandene Kinder.
In Polen und anderswo: Abtreibung ist eine Klassenfrage
Abtreibung ist immer noch eine Klassenfrage. Über Polen schreibt Gert Röhrborn aus Warschau: »Zur Realität gehört aber auch, dass es für betroffene Frauen (…) im öffentlichen Gesundheitssystem seit Jahren immer schwieriger wird, auch tatsächlich Zugang zu entsprechender medizinischer Versorgung und gegebenenfalls auch zu einer Abtreibung zu erhalten – im traditionell geprägten Südosten des Landes ist es beinahe schon ganz unmöglich. Viele Ärzte und Apotheker verweigern aus Angst vor Stigmatisierung und mit Verweis auf die Gewissensklausel ihre medizinische Unterstützung. Gleichzeitig nehmen nach unterschiedlichen Schätzungen pro Jahr bis zu 100.000 Polinnen Abtreibungen in privaten Kliniken, mit aus dem Ausland eingeführten Pillen oder bei Reisen in die Slowakei, Tschechien oder Deutschland, vor. Hinter der Auseinandersetzung steht also nicht zuletzt die soziale Klassenfrage, wer wann, wie und wo Zugang zu medizinischen Leistungen hat.« Wer Geld hat, geht ins Ausland, so wie früher Frauen in Westdeutschland in die Niederlande gereist sind, und heute polnische Frauen Hilfe in Deutschland suchen.
Die Lage in Deutschland
In Deutschland gibt es neben (und verbunden mit) den »Katotaliban« einen neuen Spieler in dieser Frage: die AfD. Sie stellt Frauenrechte und jede Art der Gleichstellung infrage und hat aktiv gegen das Recht auf Schwangerschaftsabbruch mit rassistischer Grundierung (gegen Zuwanderung, für deutsche Kinder von deutschen Frauen) Wahlkampf gemacht. Es ist eine Frage der Zeit, bis bürgerliche Parteien darauf anspringen, so wie sie den Rassismus der AfD bedienen.
Es ist notwendig, jetzt schon eine breitere Bewegung aufzubauen, die auch in die Gewerkschaften reicht. Deshalb brauchen wir die Verbindung von den gewerkschaftlichen Aktivitäten zu den politischen Fragen. Die »ökonomische« Frauenunterdrückung in Gestalt von Job- und Lohndiskriminierung ist nicht zu trennen von der politischen Ebene der Frauenunterdrückung – der Einschränkung des Rechts auf Selbstbestimmung, auch in der Frage Schwangerschaftsabbruch.
Bewegung in Polen: Wie weiter?
Was wirklich gut an der polnischen Bewegung ist: Sie ist groß, sie ist laut, sie hat Frauen wie Männer auf die Straßen gebracht und vorläufig einen Sieg errungen. Die Aktivistinnen und Aktivisten in Polen diskutieren jetzt über eine europaweite Initiative für das Recht auf Abtreibung in den ersten drei Monaten. Wenn eine Million Unterschriften zusammenkommen, muss die EU-Kommission dem Europäischen Parlament einen Gesetzentwurf für ein solches Abtreibungsrecht in den EU-Ländern vorlegen. Auch die Linke sollte diese Initiative unterstützen, aber gleichzeitig fordern: Ersatzlose Streichung aller gesetzlichen Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch, so wie in Kanada. Denn ob in Polen oder anderswo: »Mein Körper, meine Entscheidung!«
Foto: gregor.zukowski
Schlagwörter: Abtreibung, Frauenrechte, Frauenunterdrückung, Geburtenkontrolle, Massenbewegung, Polen, Schwangerschaftsabbruch