„Pflege am Boden“ ist ein unabhängiger Zusammenschluss von Menschen, die in Pflegeberufen arbeiten bzw. selber Angehörige pflegen. Inzwischen haben in über 150 Städten mehr als 50.000 Menschen an den Liegeaktionen teilgenommen. Unser Gesprächspartner Roger Konrad ist einer der Aktivisten aus Frankfurt am Main. Wir sprachen mit ihm über Form und Ziele der Proteste und welche Rolle die Gewerkschaft ver.di dabei spielt.
Marx21: Roger, in den letzten Jahren hat die Debatte um die Zustände in der Pflege, sowohl für die in der Pflege Beschäftigten als auch für die zu Pflegenden, stark an Fahrt aufgenommen. Das Thema Pflege ist sehr präsent in den Medien, die Politik und zahlreiche Institutionen beschäftigen sich damit. Welche Ziele verfolgt „Pflege am Boden“ und an wen richten sich eure Forderungen
Roger Konrad: „Pflege am Boden“ hat sich bundesweite Aufklärung zur Hauptaufgabe gemacht und ein Fernziel ist eine dreigliedrige Bewusstseinsveränderung: a) in der eigenen Berufsgruppe: „Machen statt Meckern“, b) in der Gesellschaft: „Unmut zeigen, statt schweigend Verständnis fürs Personal zu zeigen“ und c) in der Politik: „Handeln statt Reden“. Uns allen ist klar, dass dies ein langer Weg ist, aber der Weg ist das Ziel.
Euer Mittel des Protests sind kollektive Aktionen, sogenannte „Smartmobs“ an öffentlichen Plätzen. Was ist ein „Smartmob“ und warum habt ihr euch für diese Form des Protests entschieden?
Zunächst waren es ja „Flashmobs“ – blitzartige Menschenansammlungen, die sich im Anschluss an die Aktion wieder auflösen. Da aber einmalige und kurzzeitige Aktionen definitiv keinen nachhaltigen Erfolg mit sich bringen, wurden eben „Smartmobs“ daraus. Warum? Weil wir „ein Mob mit Aussage“ sind, der ganz bewusst zusammenkommt und erst aufhören möchte, wenn Veränderungen an der Haut der pflegebedürftigen Menschen angekommen sind!
Wie reagiert die Öffentlichkeit auf eure Aktionen und was noch wichtiger ist, wie reagieren eigentlich die Betroffenen, also andere Beschäftigte darauf?
Hier reicht das Spektrum von der Pflegekraft, die seit 30 Jahren in der Pflege tätig ist und die sagt: „da hat sich nix geändert, da ändert sich nix und da wird sich auch nix ändern“, bis hin zu 80-jährigen Menschen, die sich unser T-Shirt anziehen und mit uns für Veränderungen einstehen, weil „Pflege kann jeden treffen“!
Wir lassen uns von negativen Reaktionen der Arbeitgeber nicht einschüchtern.
Die Presse reagiert in Frankfurt bislang eher verhalten, an anderen Orten gab es bereits ganzseitige Artikel mit Bildern. Nach unserer Unterschriften-Übergabe an eine Vertreterin vom Magistrat haben wir Anfang Oktober einen weiteren politischen Termin mit Vertretern der CDU-Fraktion im hessischen Landtag.
Gibt es auch Aktionen am Arbeitsplatz also in den Einrichtungen selber?
Vereinzelt haben auch Aktionen in Einrichtungen stattgefunden, da ist z.B. ein Krankenhaus in Leverkusen gewesen und das Klinikum in Melle hat sich „quer gelegt“ als Herr Laumann (seit Dezember 2013 Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit und Bevollmächtigter der Bundesregierung für Patienten und Pflege, Anm. d. R.) zu Besuch kam.
Wie reagieren die Arbeitgeber auf die Aktionen, nehmen die großen Verbände euch überhaupt war?
Auch hier haben wir ein breites Spektrum von Arbeitgebern, die den Sinn immer noch nicht verstehen wollen oder können und sogar Sanktionen für die Teilnahme an den Aktionen in der Freizeit androhen. Es gibt aber auch Positivbeispiele, die sogar Dienstfahrzeuge, Materialien oder Räumlichkeiten für die Aktionen bereitstellen.
Das Negativbeispiel ist aus meiner Sicht eine zu erwartende Reaktion der Arbeitgeber. Doch wie verhalten sich die Betroffenen, also die Beschäftigten? Wie sind sie mit diesen Drohungen umgegangen?
Wir haben uns davon nicht einschüchtern lassen. Wir haben in kleiner Runde aber auch in größeren Zusammenhängen darüber diskutiert und sind offensiv damit umgegangen.
Gerade das mutige Hinterfragen der Reaktion führt meistens eher dazu, dass der Gegenwind ruhiger wird oder erst einmal nachlässt. Wir sind und bleiben auf jeden Fall bundesweit gut vernetzt und haben weiterhin offene Ohren für solche Situationen.
Wie nehmen die Aktivisten von „Pflege am Boden“ ihre Situation war und wenn du an die Anfänge eurer Bemühungen zurück denkst: Was hat sich an dieser Wahrnehmung im Laufe der zahlreichen Aktionen verändert?
Anlässlich des NRW-Tages wurden gerade die 10 Forderungen von „Pflege am Boden“ erstmals der breiteren Öffentlichkeit präsentiert. Politik und Presse nehmen die anfangs noch belächelte Bewegung zunehmend ernst und auch pflegeintern ist „Pflege am Boden“ inzwischen ein Begriff geworden. Alle aktiven MitstreiterInnen sind im letzten Jahr durch einige Hoch- und Tiefpunkte gesegelt, trotz allem immer noch auf Kurs und zunehmend selbstbewusster und auch professioneller. Das sehen auch Außenstehende. So wurde Pflege am Boden für den „Deutschen Engagement Preis 2014“ vorgeschlagen. Kurz gesagt: Wir sind an unseren Aktivitäten und Bemühungen gewachsen!
Welche Rolle spielt ver.di, die für den Pflegebereich zuständige Gewerkschaft, bei euch?
Auf Grund des bundesweiten Mottos „act local – think global“ variiert dies von Ort zu Ort. Aber insgesamt würde ich behaupten, dass inzwischen ein ernsthafter und sich durchaus ergänzender Austausch miteinander erfolgt. Das liegt auch daran, dass „Pflege am Boden“ Menschen zusammen bringt, die z.B. bei Tarifverhandlungen gegenseitige Sichtweisen vertreten – d.h. wir verbinden Leitungskräfte, Geschäftsführer, Pflegekräfte, Azubis, Angehörige und Sympathisanten miteinander.
Wie geht es weiter, was sind eure nächsten Schritte?
Nach dem NRW-Tag, den verschiedenen Gesprächen mit Politikern und den veröffentlichten 10 Forderungen, wird es am 22.11.2014 im Rahmen der Job-Medi in Hannover ein zweites Bundes-Treffen der Städte Organisatoren geben. Bei diesem Treffen wird es um die Jahresplanung 2015 und um Austausch mit anderen Gruppierungen gehen – denn breitere Bündnisse sind nötig, um eine „bessere Pflege“ zu ermöglichen.
Im Vorgespräch hast du erwähnt, dass du dich zur Konferenz „Erneuerung durch Streik II“ vom 2.-4. Oktober in Hannover angemeldet hast. Was interessiert dich an dieser Konferenz und warum fährst du dahin?
Mich als Person interessieren das Reisen und der Austausch mit Menschen. In berufspolitischer Hinsicht ist der interdisziplinäre Austausch für mich von großem Interesse. Außerdem ist es wichtig zu Netzwerken, d.h. Kontakte knüpfen, zu pflegen und im Anschluss verschiedene Menschen miteinander zu verbinden, um eines Tages spürbare und nachhaltige Veränderungen aktiv mitzugestalten.
Im Zweifelsfall reicht mir auch erst einmal der kleinste gemeinsame Nenner – so wie wir ihn auch mit den 10 Forderungen als breit angelegten Minimalkonsens vorgelegt haben. Ich möchte natürlich auch dort mit anderen über unser Engagement reden, denn vielleicht finden sich ja auf der Konferenz weitere Unterstützer. Dann möchte ich auch gerne von den Erfahrungen der anderen Teilnehmer profitieren und außerdem denke ich, dass solche Konferenzen für die Zukunft Richtungsweisend sind. Denn es geht nur gemeinsam! Und das beginnt nun einmal mit dem gegenseitigen Erfahrungsaustausch.
Das Interview führte Mario Wolf
Mehr Informationen
Die Konferenz Erneuerung durch Streik II – Gemeinsam Strategien entwickeln. Konflikte führen. Beteiligung organisieren. wird von der Rosa Luxemburg Stiftung und ver.di Hannover organsiert und findet vom 2. bis 4. Oktober statt. Das Programm und Anmeldung gibt es hier.
Mehr Informationen über Pflege am Boden gibt es hier.
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