Dies ist der zweite von drei Texten der marx21-Redaktion zu Paul Masons Begriff von Faschismus und der Kritik an seiner Strategie eines neuen Antifaschismus.
Nach »Postkapitalismus« scheitert Paul Mason ein weiteres Mal in seinen Analysen über Kapitalismus, Faschismus und den Kampf gegen diese. Denn dass diese zwei Seiten der gleiche Medaille sind, darüber wird in seinem neuen Buch geschwiegen. Von Simo Dorn
Der Faschismus ist auf dem Vormarsch, erneut. Aber welches Gesicht hat der Faschismus des 21. Jahrhunderts? Welche Narrative bedient er und welche Strukturen macht er sich zu nutze, um seinen Einfluss auszuweiten? Und natürlich die wichtigste Frage für Linke: Wie ihn stoppen? Der britische Journalist Paul Mason stellt in seinem neuen Buch »Faschismus. Und wie man ihn stoppt« die richtigen Fragen unserer Zeit. Jedoch scheitert nicht allein seine Analyse des Faschismus, damals wie heute, sondern auch in der Frage, wie ein wirksamer Antifaschismus zu gestalten ist. Seine Strategie ist nach wie vor die von ihm vielgepriesene Volksfront – von linkem Antifaschismus ist diese allerdings weit entfernt.
Eine Tragödie in drei Akten
Das Buch ist in drei Teile gegliedert. Im Ersten definiert Mason, was Faschismus sei. Was ihn damals ausmacht und zu was er sich entwickelt hat. Im zweiten Teil vertieft Mason die historische Analyse, die Entstehung des italienischen und deutschen Faschismus, den Kampf gegen diesen und wie dieser letztlich scheiterte. Hierbei führt Mason bereits historische Beispiele mehrerer Volksfronten an, führt deren Scheitern aber auf mangelnde Analyse der damaligen Antifaschist:innen und Tatkraft der Linken zurück und nicht auf das Konzept der Volksfront an sich. Im dritten Teil des Buches attestiert Mason dem Marxismus (als monolithischer Block) eine fälschliche und verkürzte Gesellschaftsanalyse zu sein, um im Kampf gegen Faschismus ein wirksames Werkzeug sein zu können. Darüber hinaus vertieft er seine Vorstellung der Volksfront von Liberalen und Linken, welche auf der Kompromissbereitschaft der radikalen Linken basieren müsse, ohne deren politische Zugeständnisse an die bürgerliche Mitte eine Einheit nicht herzustellen sei.
Masons Buch hat viele Widersprüche, fehlerhafte bzw. unabgeschlossene Analysen und Fallstricke, die alle erwähnenswert sind um es als ein gefährliches Buch zu demaskieren. Wir konzentrieren uns hier auf drei: Seine Kapitalismuskritik, sein Verständnis von Klassenauseinandersetzungen und sein Konzept von Volksfront im Zusammenhang mit den beiden vorher genannten.
Kapitalismuskritik
Laut Mason breiten sich faschistische Ideen aktuell so stark aus, weil wir mit einer multiplen Krise konfrontiert sind: »Unser Wirtschaftsmodell funktioniert nicht mehr. Die Zustimmung zur Demokratie schwindet rasch. Wir durchleben eine Krise der technologischen Kontrolle, in der einige Staaten, Unternehmen und nichtstaatliche Akteure Informationsnetze nutzen, um die Wahrheit zu unterdrücken und das rationale Denken zu zersetzen. Und über alldem schwebt die drohende Klimakatastrophe.«
Hier muss nüchtern entgegnet werden, dass alle Krisen letztlich natürliche Merkmale des Kapitalismus sind und nicht getrennt voneinander betrachtet werden dürfen. Eine kapitalistische Produktionsweise bringt automatisch Krisen aus sich hervor – so funktioniert dieses Wirtschaftsmodell. Es schwächt demokratische Strukturen, missbraucht Informationen und ihre Quellen um Profite zu akkumulieren und produziert nicht auf Bedarf sondern auf Rendite, was zwangsläufig das Ökosystem des Planeten zerstört.
Für Mason ist der Kapitalismus aber nichts was überwunden werden muss, da »der Kapitalismus (nach 2008) zu einem Wachstumsmodell überging, das auf Gelddrucken und Kredit beruhte, fachte er eine Zunahme der Ungleichheit an.« und nicht etwas schon immer auf diesem Prinzip basierte. So schlägt der Autor vor: »Die Art von Kapitalismus, die wir brauchen, um die Weltwirtschaft klimaneutral zu machen, ist eine, in der nicht der Markt, sondern die menschlichen Bedürfnisse das Wirtschaftsleben regulieren – und in der wir die globalen Gemeingüter ausweiten können, anstatt sie unablässig zu kommerzialisieren. (…) Dies wird tiefgreifende Verhaltensänderungen erforderlich machen: (…) Wir brauchen eine neue Form von Kapitalismus, die für die heutigen Kapitalisten inakzeptabel ist.«
Von dem einstigen Marxisten Paul Mason ist allem Anschein nicht viel übrig geblieben. Dieser Verklärte und revisionistische Blick auf Kapitalismus und Neoliberalismus lässt bereits die Schlagrichtung seiner Idee einer Volksfront erahnen.
Klassenauseinandersetzungen
»Der Faschismus entsprang dem Bedürfnis vieler Menschen, weniger menschlich zu werden, weniger Freiheit und Autonomie zu haben, zu gehorchen. Wenn wir den Faschismus verstehen wollen, müssen wir die Wurzeln dieses Bedürfnisses verstehen.«
Diese und viele weitere Aussage stellt Mason auf, ohne Belege für seine Annahmen oder Hypothesen zu liefern. Oft sind diese Aussage auch weder historisch geschweige denn logisch eingeführt. Viele Behauptungen Masons fallen mehr oder weniger vom Himmel und bilden dann die Grundlage seiner weiteren Argumentation. So auch die Aussage: »Sowohl das kommunistische als auch das sozialdemokratische Lager [der 1910er bis 1930er] verfügten nur über eine primitive Staatstheorie.«
Wendet man sich Masons Begriff von Klasse und Klassenkampf zu, so bedient er sich bei Antonio Gramsci: Der Faschismus, schrieb Gramsci, »kann nur teilweise als Klassenphänomen interpretiert werden, als Bewegung politischer Kräfte, die sich eines realen Ziels bewusst sind«: »Er hat sich ausgebreitet, er hat jeden denkbaren Organisationsrahmen gesprengt […], er entfesselte Elementarkräfte, die im bürgerlichen System der Wirtschaftlichen und politischen Regierung nicht gebändigt werden können.«
Aus Gramscis »nur teilweise« macht Mason »nicht«: Der Faschismus kann nicht als Klassenphänomen betrachtet werden. So gibt Mason die Schuld am Aufstieg des Faschismus der radikalen Linken mit ihrer Fixierung auf einen Klassenkampf in kapitalistischen Gesellschaftsverhältnissen: »Die Klassendynamik (in der Weimarer Republik) an sich kann den Aufstieg des Nationalsozialismus nicht erklären. Aber die übermäßige Fixierung der Linken auf die Klassendynamik trug zur Entstehung einer Kultur des Fatalismus bei, die noch lange nach Hitler Ernennung zum Reichskanzler Bestand hatte.« Gleichzeitig behandelt Mason weder faschistische Parteien an sich noch das Herausbildung einer SA als entscheidende Merkmale des Faschismus um als Werkzeuge des Masseneinflusses.
Der Faschismus entsprang dem Bedürfnis vieler Menschen, weniger menschlich zu werden, weniger Freiheit und Autonomie zu haben, zu gehorchen.
Neben »Klasse gegen Klasse« sucht Mason die Schuld ebenfalls in der »Sozialfaschismus«-These , wo man ihm in Teilen recht geben muss. Die Sozialfaschismus-These der Kommunistischen Partei hat den Kampf gegen die Nationalsozialisten enorm geschwächt, allerdings schwingt bei Mason hier und über das gesamte Buch ein Hufeisen-Narrativ mit, das die Machtergreifung der Nazi nicht anhand der faschistischen Partei selbst, sondern anhand der kommunistischen Partei erklärt.
Für Mason ist Klassenkampf lediglich ein selbst konstruierter »Euphemismus« der radikalen Linken, dass diese, damals wie heute, alleine gegen den Rest der Welt kämpfen müsse. Worüber Mason schweigt, ist das Klassenkampf, die Beschreibung eines Zustand von Klassenauseinandersetzungen ist. Einen Zustand, in dem sich eine Klassengesellschaft nun einmal befindet, wenn die diametralen Interessen dieser Klassen aufeinanderprallen und jede Seite um Einfluss und Durchsetzung ringt.
Dass in solchen Auseinandersetzungen die Faschisten nicht auf der Seite der unterdrückten Klasse stehen, ist nicht immer augenscheinlich wahr, dennoch ist aus der Struktur des Faschismus sehr deutlich ersichtlich, dass er dem Kapital die Schulden des Kampfes gegen die Arbeiter:innenklasse stets zurückzahlen wird, sobald er an der Macht ist.
Volksfront
Als Gegenmacht zum und letztlich einzig wirksames Werkzeug gegen den Faschismus führt Mason die »Volksfront« ins Feld. Als historische Beispiele führt Mason die Volksfronten in Frankreich und Spanien an, die beide sobald an der Regierung scheiterten und von einer faschistischen Partei mit Masseneinfluss entmachtet wurde. Das Scheitern der Volksfronten müsse laut Mason aber im historischen Kontext gesehen werden, da die Faschisten damals eine noch uneinschätzbare Bewegung gewesen wären. Diese unbelegte Behauptung ist nicht nur falsch – Trotzki schätzte die Nationalsozialisten korrekt ein und wies sehr früh auf die Unabwendbarkeit des Holocaust hin, sollten die Nazis die Macht ergreifen.
Mason plädiert dennoch für einen Waffenstillstand zwischen Liberalen und Linken. Die Liberalen müssten die Klimakrise als auch die Gefahr vor dem Faschismus nur als solche anerkennen und offen für eine Volksfront sein. Die Linken hingegen müssten die sozio-ökonomischen Standpunkt der Liberalen in einem Kompromiss den Faschismus zu zerschlagen anerkennen, um die Reihen der Volksfront zu schließen. Wenn dies erreicht sei, könne eine Volksfrontregierung mit der starken Hand des Staates den Faschismus entgültig zerschlagen. Dass staatliche Repression vermehrt Linke als Rechte treffen würde, stimme auch Mason zu, sei aber die Schuld der Linken selbst zu wenig gesellschaftlichen Druck auf den Staat auszuüben.
Dass diese Position so falsch wie revisionistisch ist, muss mit aller Deutlichkeit unterstrichen werden. Liberale paktieren seit jeher mit der Rechten und auch mit der extremen Rechten gegen die Linke und die Arbeiter:innenklasse, um ihre Macht zu festigen oder um sie gegen die Linken zu erlangen. Jüngste Beispiele sind die Wahl von Thomas Kemmerich gegen Bodo Ramelow in Thüringen 2020 mit den Stimmen der faschistoiden Höcke-AfD und nur wenige Stunden nach der Wahl in Frankreich 2022 hofierte Emmanuel Macrons Partei dem Rechtsextremen Rassemblement National, für bestimmte Gesetze wolle man »zusammen voranschreiten«.
Wer gegen Nazis kämpft, kann sich auf den Staat nicht verlassen – Esther Bejarano
Ebenfalls muss mit Blick auf den von Rechtsextremist:innen und Rassist:innen durchsetzen Staatsapparat von Polizei, Justiz und Behörden die Strategie mit der Stärke des Staates gegen Faschist:innen vorzugehen zumindest einmal kritisch und zu recht in Frage gestellt werden. »Wer gegen Nazis kämpft, kann sich auf den Staat nicht verlassen«, hat die Antifaschistin und Holocaust-Überlebende Esther Bejarano gesagt und mit dieser Losung sollten es auch alle halten, die sich der extremen Rechten in den Weg stellen wollen.
Abschließend muss erwähnt werde, dass Mason gegen Ende seines Buches (bewusst oder unbewusst) falsche Geschlechterbilder skizziert, die durchaus diskriminierend gelesen werden können, und diese versucht in seine Analyse des Faschismus des 21. Jahrhunderts einzubinden. Dieser extrem wichtigen Betrachtung des heutigen Faschismus und seiner Merkmale widmet Mason lediglich vier Seiten der insgesamt 442. Von sogenannten »dog whistles« (Hundepfeifen) im digitalen Raum auf pr0gramm, 4Chan, 8Chan, 8kan oder anderen Foren auf denen sich Neonazis, Rechtsextremisten und Incels austauschen, radikalisieren und Terroranschläge ankündigen, streamen und ihre menschenverachtenden Manifeste veröffentlichen, ist bei Mason keine Rede. Dieses neue Gesicht von neofaschistischen Bewegungen aufzuzeigen und zu dekonstruieren hätte dem Diskurs um Faschismus sehr gut getan.
Mason Buch »Faschismus. Und wie man ihn stoppt« ist mit der Volksfront nicht alleine die falsche Strategie den Faschismus zu bekämpfen, sondern darüber hinaus eine gefährliche Schrift, die Masons Säulen aus antifaschistischem Ethos, Volksfront und militanter Demokratie in Form des Staates selbst als alternativlos darstellt und jeglichen Widerspruch daran als illegitim darstellt.
Hier geht zum ersten und dritten Text der Reihe zu Paul Mason.
Das Buch:
Paul Mason
Faschismus. Und wie man ihn stoppt
edition suhrkamp
Berlin 2022
442 Seiten
20 Euro
Schlagwörter: Antifaschismus, Buchrezension, Faschismus, Paul Mason, Volksfront