Es gibt einen Roman oder ein Sachbuch, von dem du denkst, dass es alle einmal gelesen haben sollten? Dann schreib uns – und präsentiere an dieser Stelle dein Lieblingsbuch. Diesmal: marx21-Leser Max Manzey über die Romantrilogie »Wie eine Träne im Ozean« von Manès Sperber
Manés Sperber (geboren 1905 in der Ukraine und gestorben 1984 in Paris) war Kommunist. Nachdem er in Wien Psychologie studiert hatte, zog es ihn 1927 nach Berlin, wo er sich der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) anschloss. Er trat offensiv für eine marxistische Ausrichtung der Psychologie ein, was ihm – neben seinen jüdischen Wurzeln – 1933 nach der Machtübernahme der Nazis zum Verhängnis wurde. Nach kurzer Inhaftierung floh er über Österreich und Jugoslawien nach Paris. Dort stieg er zu einem wichtigen Intellektuellen der Kommunistischen Partei Frankreichs auf und arbeitete unter anderem eng mit Willi Münzenberg zusammen. 1937 brach Sperber wegen der stalinistischen Säuberungen mit der Sowjetunion und der Kommunistischen Partei und fing an die Romantrilogie »Wie eine Träne im Ozean« zu schreiben.
Zwar ist sie keine Autobiografie, aber Sperber verarbeitet darin viele eigene Erfahrungen: So spielt die Handlung vor allem an den Orten, wo der Autor selbst lebte, und die Parallelen zwischen der Hauptfigur Dojno Faber und Manés Sperber sind deutlich.
Der Linientreue, der Zyniker und der Rebell
Der erste und stärkste Teil, »Der verbrannte Dornbusch«, erzählt die Geschichte verschiedener Revolutionäre ab Anfang der 1930er Jahre. Sie geraten nach und nach durch die Stalinisierung der Sowjetunion und der KPD in immer tiefer werdende Widersprüche zwischen ihren Idealen und den Befehlen der Partei. Es ist eindrücklich, wie detailliert und realitätsnah Sperber die Mechanismen der Stalinisierung innerhalb Partei und die Arbeit im Untergrund nach der Machtübernahme der Nazis beschreibt. Dazu schuf er Charaktere, die jeweils stellvertretend für bestimmte Positionen stehen: die Linientreuen und diejenigen, die zwar immer mehr ins Zweifeln geraten, aber nicht aufhören zu hoffen, die Zyniker und nicht zuletzt diejenigen, die sich gegen die Parteiführung stellen und dafür reihenweise mit dem Leben bezahlen.
Die eigentliche Hauptperson der Trilogie ist Dojno Faber, Parteiintellektueller und einer der Cheftheoretiker der KPD. Am Tag der Machtergreifung der Nazis ist er erschüttert, dass es nicht zum Generalstreik kommt – Resultat einer verhängnisvollen Einstellung der SPD und der »Sozialfaschismus«-Theorie der KPD, die eine Einheitsfront mit den Sozialdemokraten verhinderte. Als aus Moskau trotz der Bedrohung durch die Nazis der Befehl kommt, diese Haltung beizubehalten, gerät Dojno in Verzweiflung. Diese Krise und die Zweifel am revolutionären Sozialismus angesichts des Stalinismus auf der einen und des Nationalsozialismus auf der anderen Seite schildert Sperber beunruhigend eindringlich.
Gegen Sowjetunion, Alliierte und Faschisten
Der zweite Teil der Trilogie, »Tiefer als der Abgrund«, beschreibt Dojnos Aufenthalt im Exil in Wien und Paris und die Frage, wie sich Kommunisten in Frankreich angesichts des anstehenden Krieges verhalten sollten. Dojno schließt sich der französischen Armee gegen die Nazis an und kämpft an der Front. In diesem Roman behandelt Sperber viele grundsätzliche psychologische und gesellschaftliche Themen.
Der letzte Teil, »Die verlorene Bucht«, dreht sich zunächst um den Partisanenkampf gegen die Faschisten in Kroatien. Sperber erzählt die Geschichte einer kleinen Kampftruppe, bestehend aus verschiedenen Revolutionären, die man im Laufe der Trilogie kennengelernt hat und die in Opposition gegen die Sowjetunion, die Alliierten und die Faschisten stehen. Die Erzählung wird immer düsterer und die hoffnungslose Lage der Truppe spiegelt generell die Lage des revolutionären Sozialismus wider, der zwischen den Mühlsteinen der unterschiedlichen Herrschaftssysteme zerrieben wird. Dojno erkennt zwar die Hoffnungslosigkeit, aber besteht darauf weiterzukämpfen, da nur so die Idee am Leben gehalten werden kann. Parallel dazu schildert Sperber, wie sich die jüdische Gemeinde in dem kleinen polnischen Dorf Wolyna mit Waffen gegen ihre Deportation zur Wehr setzt.
Eine Liebeserklärung an Revolutionäre
Der Roman endet nach dem Zweiten Weltkrieg und lässt einen, angesichts dieses düsteren Kapitels des Kommunismus, im ersten Moment mit einer gewissen Hoffnungslosigkeit zurück. Doch er zeigt auch, wie einige Wenige die Idee des revolutionären Sozialismus »von unten« unter schwierigsten Bedingungen am Leben gehalten haben.
Manés Sperbers Romatrilogie »Wie eine Träne im Ozean« ist ein beeindruckendes Zeitdokument, eine schonungslose Schilderung des beinahe aussichtslosen Kampfs gegen Stalinismus und Faschismus und eine Liebeserklärung an die Revolutionärinnen und Revolutionäre, die trotz alledem ihrer Idee treu geblieben sind. Am Ende lässt Sperber die Hauptfigur Dojno resümieren: »Wir sind verloren, aber die Sache selbst ist unverlierbar. Wir waren Nachfolger, wir werden Nachfolger haben.«
Das Buch: Manès Sperber: »Wie eine Träne im Ozean«, Romantrilogie, dtv, München 1980, 1040 Seiten, 19,90 Euro
Schlagwörter: Antifaschismus, Faschismus, Roman, Stalinismus