Wütende Proteste gegen Armut und Not flammen im Libanon wieder auf. Sie sind begleitet von Straßenkämpfen gegen Polizei und Militär. Von Nick Clark
Hunderte Menschen demonstrierten in Tripoli und Beirut Ende April gegen die galoppierende Inflation, die viele Menschen, die es ohnehin schwer haben, noch tiefer in Armut stößt. Mindestens ein Dutzend Banken in verschiedenen Städten wurden in Brand gesetzt. Die größten und wütendsten Demonstrationen fanden in Tripoli statt, Libanons ärmste Stadt, nachdem Soldaten einen Protestierenden getötet hatten.
Fouaz al-Seman starb am 28. April, nachdem er in der Nacht zuvor auf einem Protestzug verletzt wurde. Seine 26-jährige Schwester sagt, die Armee habe auf ihn geschossen. Nach einem Trauerzug für Fouaz begannen Protestierende Banken in Brand zu setzen. Sie kämpften gegen Polizisten und Soldaten bis tief in die Nacht.
Hunger im Libanon
Fast die Hälfte der libanesischen Bevölkerung lebt in Armut. Und viele sind wütend auf die Regierung, die versucht, die Krisenlasten auf sie abzuwälzen. Im März hatte die libanesische Regierung es versäumt, eine internationale Schuld zu begleichen. Während der Wert des libanesischen Pfunds in den Keller rutschte, verfügte die Regierung Devisenrestriktionen, so dass die Leute ihr Geld nicht mehr in Dollar abheben können.
Ein Protestierender, Abdelaziz Sarkousi, sagte: »Was wir hier erleben, ist das Ergebnis einer Anhäufung von Problemen. Wir hatten eine Revolution, die Menschen litten, dann kam Corona und sie saßen anderthalb Monate lang in ihren Wohnungen fest, ohne dass der Staat Nahrung, Wasser oder sonst was organisiert hätte. Und jetzt haben wir den Punkt erreicht, an dem die Menschen sich leider nicht mehr zurückhalten können. Die Menschen haben Hunger.«
Yehya, ein Protestierender in Tripoli, sagte: »Die Menschen sind auf die Straße gegangen, weil sie keine Arbeit haben. Die Kinder bitten ihre Eltern, Essen zu kaufen, aber sie haben kein Geld mehr für den Einkauf.«
Erfolgreiche Massenproteste
Eine Massenbewegung gegen die Regierung hatte im Oktober letzten Jahres begonnen. Tausende Menschen gingen auf die Straße, nachdem die Regierung eine Steuer auf WhatsApp-Nachrichten verhängte. Die Steuer erzürnte die Menschen in einem von hoher Jugendarbeitslosigkeit geprägten Land, dessen öffentliche Daseinsfürsorge zerstört worden war.
Die Regierung musste die Steuer wieder zurücknehmen. Aber die Proteste entfalteten sich weiter in eine Bewegung, die grundsätzliche politische Veränderung verlangte. Viele Protestierende riefen nach einer Revolution gegen eine korrupte Elite, die sich bereichert hatte, während einfache Menschen leiden. Die Bewegung erzwang den Rücktritt des Premierministers Saad Hariri. Aber sein Nachfolger, Riad Salame, steht nicht für die fundamentale Veränderung, die die Bewegung verlangte.
Zurück trotz Corona
Nun ist die Bewegung wieder auf der Straße. Diese Protestrunde ist noch wütender und konfrontationsbereiter als zuvor.
Der Aktivist Bilal Jundi sagte in der Nachrichtensendung von Al-Jazeera: »Wir haben Hunger. Die Revolution ist gegen die Korruption. Alle Verantwortlichen sagen, ja, es gibt Korruption, aber was haben sie unternommen? Wir sehen keine Diebe in den Gefängnissen. Stattdessen schießen sie auf die Menschen.«
Zuerst erschienen auf socialistworker.org.uk.
Ins Deutsche von David Paenson
Foto: tongeron91 (Das Bild stammt von Oktober 2019.)
Schlagwörter: Libanon