99,5 Prozent der am Kiosk verkauften Tageszeitungen gehen in Deutschland auf das Konto der fünf größten Verlagsgruppen. Die Medienmacht ist in der Hand weniger Milliardäre und Millionäre. Lügenpresse? Vertrauensverlust? Pressefreiheit? Die Debatten gehören in den Kontext der Besitzverhältnisse. Von Ulrike Sumfleth
99,5 Prozent – Das sind die Forschungsergebnisse von Horst Röper in seiner Untersuchung »Zeitungsmarkt 2016«. Der wahre Skandal ist, dass diese Zahl anscheinend kein Skandal ist. Wir haben uns so sehr daran gewöhnt, dass »die Medien« weltweit im Besitz milliardenschwerer Konzerne sind, dass wir uns fast gar keine andere Medienkultur mehr vorstellen können. Oder doch? Ich möchte an dieser Stelle wenig bekannte Themen einführen, die im Rahmen der Debatten über »Lügenpresse«, Pressefreiheit und Umverteilung eine Rolle spielen sollten.
»Lügenpresse«?
Wer über »Lügenpresse« diskutiert, landet meist in einer Sackgasse: Man zankt über journalistische Ergebnisse. Guter Artikel, mieser Beitrag… Das lenkt perfekt ab von darunter verborgenen Problemen. Es ist wichtig, diese Oberfläche abzulehnen und stattdessen zu fragen: Was sind denn die Ursachen für den Vorwurf »Lügenpresse«? In welcher Verbindung steht er mit der Geldmacht der Medienkonzerne?
Zur Bundestagswahl verstärkt die Entwicklungshilfeorganisation Oxfam ihre Kampagne gegen Armut. Ihr Bericht besagt: Ein Prozent der Weltbevölkerung besitzt die Hälfte des Weltvermögens. Auch das Bündnis »Reichtum umverteilen«, an dem etwa 30 Initiativen beteiligt sind (u. a. Verdi, attac, Arbeiterwohlfahrt), stößt in diese Richtung. Die Beteiligten fordern eine Vermögenssteuer und eine reformierte Erbschaftssteuer für Millionäre und Milliardäre. Es geht um Geldmacht – und das ist richtig so. Was aber noch hergestellt werden muss, ist die Verbindung von Vermögensmacht und Medienmacht.
Medienmacht in Deutschland
Denn unser Pressemarkt wird von Superreichen beherrscht. Milliardäre sind Springer, Bauer, Burda und Bertelsmann. Auf der Millionärsebene folgen Medien Union, Holtzbrinck-Verlag, Dieter von Holtzbrinck Medien, Funke, Münchner Merkur, M. DuMont Schauberg und Spiegel-Gruppe. Diese elf teilen sich im Wesentlichen den Pressemarkt auf. Wenn also immer mehr Menschen den Massenmedien misstrauen, dann müssen wir fragen: Wem gehören diese Medien? Und: Was gehört ihnen noch?
Journalisten sind Geiseln des Systems. Sie können nicht in der Presse über ihre Probleme berichten. Ihre Selbstbeschreibungen sind positiv. Ein anderes Bild erlangt man, wenn man sich ihre Arbeitsmarktsituation vor Augen führt. Diese beginnt bei dem irreführenden Begriff »Verlage«. Die Platzhirsche sind nämlich Konglomerate. Gemischtwarenkonzerne, die weltweit mit Waren und Dienstleistungen handeln, die nichts mit Journalismus zu tun haben. Ihre natürlich real vorhandenen Redaktionen und sonstigen Medien sind nur ein zweckdienlicher Teil davon. Konglomerate beherrschen die Massenmedien mehr denn je. Unabhängige Verlage mit Selbstzweck-Journalismus gibt es kaum noch. Wie lange kann sich eine Demokratie das leisten?
Der Alltag von Journalisten
Wenig weiter bringt uns die ständige Forderung nach »mehr unabhängigen kleinen Verlagen«. Was wir stattdessen brauchen, sind mehr große unabhängige Verlage! Allein große unabhängige Redaktionen mit Selbstzweck Journalismus hätten die Chance, den Multis etwas entgegenzusetzen. Der Alltag von Journalisten ist Lichtjahre davon entfernt. Es gibt kaum noch Jobs außerhalb der Konzerne. Seit der Jahrtausendwende wurden Journalisten massenhaft entlassen, outgesourct und prekarisiert. Das Marketing bestimmt die Inhalte, Controller regieren. Der Profitmaximierung hat sich alles unterzuordnen. Im Inneren der Redaktionen werden Journalisten zu diesem Zweck instrumentalisiert. Politisch durch Nicht-Herstellung von Zusammenhängen. Durch Inhalte, die nur kritisch sein dürfen, solange sie nicht die eigenen Machtverhältnisse in Frage stellen. Hier hebelt die »Lügenpresse«-Diskussion unbeholfen an.
Die Medienwissenschaft erklärt den Vertrauensverlust in die Presse so: Die Funktion der Massenmedien besteht in Herstellung und Absicherung des verbindlichen Sinnhorizonts einer Kultur – in der Bestimmung all dessen, was als »wahr und wirklich« gilt (Niklas Luhmann, 1995). Einen objektiven Zugang zur Wirklichkeit gibt es nicht. Wirklichkeit stammt von wirken, arbeiten. Sie ist ein Produkt menschlicher Tätigkeit. Medien konstruieren »Wirklichkeit« durch hochgradige Selektion – sie wählen aus.
Islam, Flüchtlinge, Terrorismus & Extremismus
Ein Beispiel, wie diese Auswahl stattfindet, lieferte kürzlich eine Studie des SPD-Politikers Marco Bülow. Er zeigte, wie »einseitig und verzerrend« ARD-ZDF-Talkshows in ihrer Themenwahl sind. In jeder zweiten von 204 Sendungen der vergangenen eineinhalb Jahre ging es um Islam, Flüchtlinge, Terrorismus, Extremismus. Armut war nur sechsmal Thema. Klimawandel kam gar nicht vor. Was wir öffentliche Diskurse nennen, ist darum auch nur eine Simulation. Solange die Presse den Nerv der Zeit trifft, geht das gut. Wird die Wirklichkeit jedoch als völlig anders empfunden als das Geschilderte, erweckt das zurecht den Verdacht, »belogen« zu werden. So etwa bei der Berichterstattung über Griechenland in der Schuldenkrise oder über den Krieg in der Ukraine.
Schaut man sich nun an, unter welchen Bedingungen Massenmedien ihre Sicht von »Wirklichkeit« basteln, landet man bei ihrer Struktur. Ihre Struktur als Gemischtwarenkonzern programmiert Interessenkonflikte. Um die ausufernden Geschäfte zu unterstützen, werden Journalisten zu Promotion-Handlangern instrumentalisiert. Sie machen »Schleichwerbung« in vielen Formen. Dies geschieht zum Teil sogar unwissentlich, weil sie gar nicht erfahren, woran sich ihr Arbeitgeber beteiligt.
Interner Lobbyismus
Bisherige Untersuchungen über Lobbyismus unterstellen ein veraltetes Modell: Dass externe Unternehmen versuchen würden, Einfluss zu nehmen. Es wird davon ausgegangen, dass die Verführer zur Umwelt gehören. Diese drohen zum Beispiel mit Anzeigenboykott oder bestechen Redakteure. Dieses Modell ignoriert, dass ein rasant wachsender Anteil der Firmen den Konglomeraten selbst gehört. Diese zählen nicht zur Umwelt des Konzerns, sie sind ein Teil von ihm. In dieser Kategorie handelt man unter Kollegen. Der Druck wird von innen heraus ausgeübt.
Eine Medienstatistik über Marktanteile besitzt die Politik nicht. Diese hat sie 1996 abgeschafft. Just, als die größte Umwälzung der Mediengeschichte begann. Ebenso fehlt eine zentrale Medienaufsicht. Bei uns ist sie in ca. 18 Instanzen zersplittert und Ländersache. Als machten Medien vor Grenzen halt. »Pressestatistiken« sind entsprechend irreführend. Sie ermitteln nicht die Macht aller Medien eines Konzerns insgesamt. Die Konzentration wird systematisch unterschätzt. Ignoriert werden etwa publizistische Verflechtungen und die Konzentration bei Druck und Vertrieb. Der gesetzliche Rahmen wird immer mehr verschoben.
Das Kartellrecht ist nur an wirtschaftlicher Macht orientiert. Es gibt der internationalen Wettbewerbsfähigkeit von Global Playern Vorfahrt vor dem nationalen Wettbewerb.
Sie nennen es Pressefreiheit
Entmutigend ist auch unser Betriebsverfassungsgesetz. Paragraf 180 verhindert innere Pressefreiheit. Die politische Tendenz bestimmt der Verleger allein. Bei »Pressefreiheit« wird stets auf staatliche Verletzungen wie in der Türkei verwiesen. Weil Staatseingriff bei uns kaum Thema ist, scheint es hier kein Problem zu geben. Ein Trugschluss. Nur die Inhaber genießen Pressefreiheit. Sie gilt nicht für ihre rund 20.000 Journalisten.
Zusätzlich setzt das boomende Content Marketing der Glaubwürdigkeit der Presse zu: Journalismus und Pseudojournalismus sind immer weniger unterscheidbar. Wir haben ein Bio-Label auf Äpfeln, aber keine Definition, was Journalismus von PR abgrenzt? Auch das muss sich ändern. Zumal die Konzerne selbst große Content-Marketing-Agenturen betreiben.
Was es braucht, um der Medienmacht der Konglomerate etwas entgegenzusetzen, ist eine starke Gegenöffentlichkeit. Linke Parteien, Organisationen, Verlage, Gewerkschaften und soziale Bewegungen sind hierbei zentral. Dass dies erfolgreich sein kann, zeigte sich jüngst in der Anti-TTIP-Bewegung, die trotz Geringschätzung der Konzernmedien eine halbe Million Menschen auf die Straße brachte. Genauso wichtig ist es jedoch, die Besitz- und Machtverhältnisse der Konzernmedien in den Blick zu nehmen und so eine linke Perspektive in die Debatte über »Lügenpresse« und »Vertrauensverlust« zu tragen. Dazu möchte ich mit meiner im Mai erscheinenden Broschüre einen Beitrag leisten.
Foto: dave pike
Schlagwörter: Inland, Kapitalismus, Lobbyismus