Die Ausmaße des Coronavirus-Ausbruchs sind noch nicht abzuschätzen. Doch jetzt schon offenbart das Coronavirus die sich verändernde Struktur der Weltwirtschaft. Von Alex Callinicos
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Es ist noch zu früh, um zu sagen, wie ernst eine Epidemie wie Covid-19 – wie der jüngste Ausbruch des Coronavirus jetzt bekannt ist – sein wird. Es hat bereits weit mehr Menschen getötet als die Sars-Pandemie 2002-3, die durch ein anderes Coronavirus verursacht wurde.
Sicher ist jedoch, dass Covid-19 wie ein Röntgenbild gewirkt hat, das die sich verändernde Struktur der Weltwirtschaft offenbart.
Auch Sars hat seinen Ursprung in China, aber die chinesische Wirtschaft ist viermal so groß wie 2002-3. Covid-19 hat die zweitgrößte Wirtschaft der Welt gelähmt. Die chinesische Regierung hat letzte Woche verfügt, dass die Menschen nach einem verlängerten Neujahrsurlaub wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren werden. Aber am Mittwoch letzter Woche ging der Passagierverkehr in China im Vergleich zum gleichen Tag des Vorjahres um 85 Prozent zurück.
Abschwung als Symptom
Der Chef der Handelskammer der Europäischen Union in China schätzt, dass das Wirtschaftswachstum dort im ersten Quartal 2020 auf 2 Prozent sinken wird. Das ist ein Drittel der Wachstumsrate von 6,4 Prozent im gleichen Quartal 2019.
China ist der weltweit größte Exporteur und der größte Importeur von Rohstoffen. Eine Verlangsamung dort wird also große Auswirkungen auf das globale Angebot und die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen haben.
Chinesische Händler kürzen ihre Bestellungen für so unterschiedliche Waren wie Kupfer und Gas. China fängt an, lebende Hühner aus den USA zu importieren, um die Lücke in der eigenen Produktion aufgrund des Futtermangels infolge der Reisebeschränkungen zu schließen. Aber die Auswirkungen dürften auf der Angebotsseite am stärksten sein.
China und Globalisierung
Der Aufstieg Chinas zur größten produzierenden Wirtschaft der Welt war Teil einer globalen Umstrukturierung der Produktion. Nördliche transnationale Konzerne entwickelten globale Produktionsnetzwerke und verlagerten arbeitsintensive Montagearbeiten vor allem nach Ost- und Südostasien.
Das klassische Beispiel ist die taiwanesische Firma Foxconn, die über eine Million Arbeiter beschäftigt, um Apple-Produkte in China zu montieren. Die chinesische Regierung versucht, die Wirtschaft technologisch aufzurüsten. Sie will, dass hochwertige Aktivitäten wie Forschung und Entwicklung – die die nördlichen transnationalen Unternehmen in ihren Heimatregionen behalten – in China stattfinden.
Coronavirus macht Abhängigkeiten sichtbar
China produziert heute 30 Prozent der weltweiten Exporte von elektrischen und elektronischen Komponenten. Die großen asiatischen Volkswirtschaften sind ebenso wie die USA in hohem Maße von chinesischen Exporten von Maschinen und Transportausrüstungen abhängig.
Laut der Zeitung Financial Times hat sich die Provinz Wuhan, aus der Covid-19 stammt, »zu einer Drehscheibe für Chinas boomende Exporte von Autoteilen und -zubehör entwickelt, ein Sektor, der sich in den letzten zehn Jahren verdreifacht hat, während die Ausfuhren von Motoren und Fahrzeugen viermal gestiegen sind«.
Die verarbeitende Industrie befand sich weltweit bereits in der Flaute. Aber die Automobilindustrie ist auch wegen ihrer Abhängigkeit von globalen Lieferketten verwundbar.
Wie ein Kolumnist der Financial Times bemerkte, befanden sich die großen Autofirmen bereits in Schwierigkeiten. »‚Dieselgate‘, die ungewisse Zukunft des Verbrennungsmotors und der Aufstieg von Elektrofahrzeugen, die Handelsschranken von Brexit und die vom Weißen Haus aus geführten Handelskriege. »All dies hat zur industriellen Rezession in Europa und Amerika beigetragen.«
Hin zur »DeGlobalisierung«?
Covid-19 könnte in der Tat eine neue Front im Handelskrieg zwischen den USA und China eröffnen. Die medizinische Versorgungskette der USA ist bei Fertigarzneimitteln, Arzneimittelkomponenten und medizinischen Hilfsmitteln wie den heute so gefragten Gesichtsmasken auf chinesische Lieferanten angewiesen. »Dies ist ein Weckruf für ein Thema, das seit vielen Jahren latent vorhanden ist, aber für die wirtschaftliche und nationale Sicherheit der USA entscheidend ist«, sagte Donald Trumps Handelsberater Peter Navarro letzte Woche.
Covid-19 zeigt also nicht nur die Auswirkungen der Globalisierung – unsere physische Verwundbarkeit durch die planetarische Ausbreitung von Krankheiten und die wirtschaftliche Abhängigkeit von globalen Lieferketten. Es könnte weitere Anstrengungen zur sogenannten »DeGlobalisierung« auslösen – die Produktion in die Heimatregionen der fortgeschrittenen Volkswirtschaften zurückzubringen. Schließlich wirft es mehr Licht auf den ungesunden Zustand des heutigen Kapitalismus.
Zuerst erschienen auf socialistworker.co.uk.
Foto: Jumilla
Schlagwörter: Corona, Coronavirus, Covid-19, Globalisierung, Kapitalismus