Wie frei ist die Presse? marx21 hat mit Luc Jochimsen über den Zustand der Medienbranche gesprochen.
Zum Text: Der Artikel ist eine Veröffentlichung aus marx21, Heft 19, Februar/März 2011. Das neue Heft ist ab 3. Februar erhältlich. Hier bestellen…
marx21: Die Krise hat die Verlagsbranche hart getroffen. Im Jahr 2009 sind die Werbeeinnahmen, eine der wichtigsten Geldquellen der Branche, um 20 Prozent gesunken. Bekommen das auch die Journalisten zu spüren?
Luc Jochimsen: Ja sicher, die Arbeitssituation hat sich weiter verschlechtert. Laut einer Studie im Auftrag des Deutschen Fachjournalisten-Verbands vom Mai 2010 klagen medienübergreifend drei Viertel der Befragten, der Arbeitsdruck habe zugenommen oder stark zugenommen.
Die Studie bezieht sich allerdings auf die vergangenen fünf Jahre. Das ist wichtig, denn die Negativentwicklung in den Redaktionen hat schon vor der Krise angefangen. Verschlankung von Redaktionen, Umstrukturierung von Sendern – unter diesen Schlagworten wird schon seit geraumer Zeit an der journalistischen Arbeit gespart, im Wesentlichen an den Personalkosten.
Immer weniger Journalisten müssen dieselbe Arbeit oder zum Beispiel durch die gleichzeitige Bestückung von Online-Angeboten sogar mehr Arbeit stemmen. Selbstverständlich ist die Honorierung nicht gestiegen.
Aber wachsender Arbeitsdruck muss ja nicht gleichbedeutend mit schlechterem Journalismus sein – Druck gehört schließlich zu dem Beruf…
Muss nicht, aber die Wahrscheinlichkeit, dass nicht mehr genau hingeguckt, nicht intensiv recherchiert wird, steigt natürlich. Journalismus ruht auf zwei Fundamenten: Zum einen die Geschwindigkeit. Informationen müssen schnell verarbeitet und veröffentlicht werden. Diesem Geschwindigkeitsgebot des Journalismus kommt natürlich die technische Entwicklung sehr entgegen – wir erfahren Nachrichten schneller und können sie auch schneller bearbeiten und verbreiten.
Dazu kommt aber das zweite Fundament des Journalismus: Überprüfung, Analyse, Recherche. Die enorme Flut an Informationen und Nachrichten, die in einer Redaktion einläuft, muss überprüft und analysiert werden – eine zeitaufwendige und schwierige Arbeit. Meine Beobachtung ist, dass die Überprüfung vernachlässigt wird, um die Geschwindigkeit zu steigern. Dann kommen halt die Meldungen so wie die Presseagenturen sie rausgeben leicht oder gar nicht verändert ins Blatt. Nun sind aber die Presseagenturen ihrerseits nicht Horte journalistischer Unfehlbarkeit, sondern unter hohem Konkurrenzdruck stehende Nachrichtenkonzerne, die Nachrichten lieber schnell und vor allem als Erste verbreiten, als noch einmal genauer hinzuschauen.
Dadurch ist die Rolle des Journalisten nur noch die eines Vermittlers, der Presseerklärungen und Agenturmeldungen zusammenstellt – das ist eine technische Aufgabe, die theoretisch auch ein Apparat machen könnte, hat aber mit journalistischer Arbeit im eigentlichen Sinne nichts zu tun.
Journalisten werben nicht«, sagt der Deutsche Journalistenverband und möchte dadurch sicherstellen, dass Berichterstattung, Werbung und Öffentlichkeitsarbeit für Unternehmen und Verbände sich nicht vermischen. Ist das angesichts der Tatsache, dass zahllose freie Journalisten von ihrer journalistischen Arbeit allein nicht leben können, nicht weltfremd?
Das Gebot »Journalisten werben nicht« ist wichtig, ansonsten verzerren Interessenskonflikte die Berichterstattung noch mehr. Ein freier Journalist der über Autos schreibt und gleichzeitig über Pressearbeit von Mercedes-Benz finanziell abhängig ist, wird wohl kaum einen unbefangenen Testbericht eines neuen Mercedes-Benz-Modells machen. Das gilt auch für ganze Blätter – die Angst vor Anzeigenboykott durch Unternehmen ist sicherlich bei einigen Verantwortlichen bei der Auswahl der Berichterstattung präsent. Ich beobachte mit Sorge, wie sich die Werbung in das journalistische Arbeiten reinfrisst und reinpresst. Früher haben wir gesagt, es ist wichtig, dass die Nachricht getrennt wird von der Meinung dessen, der die Nachricht verbreitet. Heute ist die Meinung gar nicht mehr so sehr eine persönliche oder politische Meinung, sondern eine von Werbung beeinflusste Mentalität.
Die Menschen sollten schon die Möglichkeit haben, außerhalb von Stiftung Warentest eine werbefreie Produktinformation zu bekommen und eine werbungsferne Reportage zu lesen. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass Journalisten es sich überhaupt leisten können, unabhängig über ein Produkt zu berichten, ohne dass es ihre finanzielle Existenz angreift. Deshalb ist ein Gebot wie »Journalisten werben nicht« nicht einfach als moralischer Appell in den Raum zu stellen, sondern erfordert auch eine Kampfansage an die Prekarisierung der journalistischen Arbeit.
Nicht nur journalistische Arbeit, sondern auch die Presselandschaft hat sich verändert. In den 1950ern gab es in der Bundesrepublik knapp 630 Zeitungsverlage, jetzt sind es noch 350, obwohl die neuen Bundesländer dazugekommen sind. Wie wirkt sich die Monopolisierung aus?
Es werden nur noch eine Handvoll Positionen öffentlich vertreten. Nehmen wir mal ein Land wie Thüringen. Hier besitzt die WAZ-Gruppe drei der vier wesentlichen Regionalzeitungen: Die »Thüringer Allgemeine«, die »Ostthüringer Zeitung« und die »Thüringische Landeszeitung«. Sie hat also in dem Bereich ein Monopol, mit Seiten und Artikeln, die in den verschiedenen Blättern gleich oder sehr ähnlich sind. Wer kann in Thüringen noch gegen die Interessen dieses Unternehmens Politik machen? Zehn Konzerne haben heute in ganz Deutschland den weit überwiegenden Teil der Zeitungen und Zeitschriften in der Hand und dringen mehr und mehr auch in den Rundfunk ein. Das führt natürlich zu einer Verengung des Spektrums an Meinungen.
Eine neuere Entwicklung, die dazukommt, ist die Marktmacht der kostenlosen Verteilzeitungen, also jener »Zeitungen«, die sich komplett aus Werbung finanzieren. Das sind natürlich Werbeblätter durch und durch, die dazu ein paar Geschichtchen und Nachrichten als Tarnung bringen. Diese Blätter sind wie Zeitungen aufgemacht, viele Menschen werden sie auch für eine solche halten. Ich kenne arme Gegenden in Thüringen, da gibt kein Mensch mehr Geld für eine Zeitung aus, alle greifen zum »kostenlosen« Blatt, das sie über die Produkte, die sie kaufen und die in den Anzeigenblättern beworben werden, bezahlen.
Du warst lange Zeit für das öffentlich-rechtliche Fernsehen tätig. Doch auch diese Sender machen mehr und mehr Programme wie die Privaten. Brauchen wir sie dann noch?
Ja, aber unter neuen Rahmenbedingungen. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen steht politisch unter Druck, ebenso hohe Reichweiten zu erzielen wie die Privaten. Ziel ist, RTL die Marktführerschaft wieder abzunehmen. Die Förderungswürdigkeit der Öffentlich-Rechtlichen wird von den eigenen Verantwortlichen aus der Quote abgeleitet, nicht aus inhaltlichen Kriterien. Ich versuche immer, sowohl »heute« als auch die »Tagesschau« zu gucken, um zu sehen, ob und welche Unterschiede es gibt. Und siehe da: Oftmals dieselben Kameraeinstellungen, dieselben O-Töne. Selbst bei den Nachrichtenflaggschiffen schicken die Sender keine eigenen Teams mehr los, sondern bedienen sich aus einem Pool vorproduzierter Bilder und Stimmen, die an alle Sender verkauft werden. Damit gibt es natürlich auch nur eine Version einer Story und eine Darstellung, keine eigene Handschrift. Dass dann die öffentliche Förderung infrage gestellt wird, wundert mich nicht.
Wenn die Leute offensichtlich »Dschungelcamp« und Bohlen-Terror mit Höchstquoten versehen, warum sollen die Öffentlich-Rechtlichen dann Anspruchsvolles am Zuschauerwunsch vorbei produzieren?
Dass Angebot und Nachfrage bei den Öffentlich-Rechtlichen überhaupt die wesentlichen Kriterien sind, ist schon das Problem. Hier soll die kulturelle und politische Grundversorgung im Vordergrund stehen, die volle Palette der Unterhaltung können die Privaten schon so ganz gut abdecken, die müssen wir nicht doppeln.
Viele Missstände, aber was tun?
Wir müssen in Hinblick auf die Öffentlich-Rechtlichen angriffslustiger werden und darauf hinwirken, die Fehlentwicklungen zu korrigieren. Ein Verlag in Aktiengesellschaftsbesitz handelt nach denselben Kriterien wie eine Bank oder ein Autohersteller – das ist beklagenswert, bei den momentanen Kräfteverhältnissen, aber erst mal nicht zu ändern. Die Öffentlich-Rechtlichen hingegen haben als Erbe aus der Geburt der Demokratie hierzulande einen anderen Anspruch und durch die GEZ-Einnahmen auch die Mittel, nach Kriterien abseits der reinen ökonomischen Notwendigkeit zu handeln. Der Reflex bei uns Linken ist erst mal, die Öffentlich-Rechtlichen zu schonen und zu stützen, weil sie im Vergleich zu den Privaten meist besser sind. Doch der stattfindenden Erosion können wir nicht länger zuschauen. Da haben wir auch Bündnispartner in den Sendern selbst – viele Mitarbeiter sind unzufrieden mit den Entwicklungen. Letztes Jahr haben Mitarbeiter des WDR eine gefakte Ausgabe des Hausblatts »WDR Print« produziert und verteilt. Das Plagiat hieß »Auferstanden von den Quoten« und berichtet auf insgesamt 16 Seiten Revolutionäres: Künftig laufen »alle guten Sendungen« schon um 20.15 Uhr, der Wechsel von Günther Jauch zur ARD scheiterte an seinen überzogenen Geldforderungen, und der Rundfunkrat wurde durch ein Zuschauerparlament ersetzt. Die Reaktionen in der Belegschaft waren überschwänglich – offensichtlich ist das der Sender, den sich die Mitarbeiter wünschen – und das Publikum sicher auch.
(Die Fragen stellte Stefan Bornost)