Kaum eine Partei hat jemals so schnell Wähler verloren wie die LINKE im Saarland. Doch die Hauptursache der Krise ist nicht der Streit im Landesverband, sondern ein Strategieproblem der gesamten LINKEN, meint Hans Krause
21 Prozent, 16, 13 und 2,6 waren die Wahlergebnisse der LINKEN Saarland in den Jahren 2009, 2012, 2017 und im März 2022. Die Zahl der Stimmen sank in diesem Zeitraum von etwa 110.000 auf 12.000. Als Ursache nannte die Co-Bundesvorsitzende Susanne Hennig-Wellsow am Wahlabend die Zerstrittenheit des Landesverbandes. Doch das ist nur ein Teil der Erklärung und zwar ein recht kleiner.
»Zerstrittenheit« wird von Journalist:innenund Politiker:innen aller Parteien immer wieder als Grund für Wahlniederlagen genannt. Angeblich mögen die Menschen ausschließlich Parteien, in denen alle Mitglieder in allen Fragen genau dieselbe Meinung haben.
Unpolitischer Streit
Tatsächlich war es für die LINKE schädlich, dass sich der frühere Bundes- und langjährige saarländische Fraktionsvorsitzende Oskar Lafontaine einen jahrelangen Kleinkrieg mit dem Bundestagsabgeordneten Thomas Lutze geliefert hat. Dieser Streit spaltete den Landesverband in einer völlig unpolitischen Frage und gipfelte 2021 in Lafontaines öffentlichem Aufruf, bei der Bundestagswahl im Saarland nicht die LINKE zu wählen und seinem Parteiaustritt kurz vor der Landtagswahl 2022. (Lies hier den marx21-Artikel: Austritt von Oskar Lafontaine: Geplatzte Illusionen in die SPD) Lafontaine und andere warfen Lutze vor, Leute dafür bezahlt zu haben, in die LINKE einzutreten, nur um bei der Aufstellung der Wahlliste für ihn zu stimmen.
Doch wie viele Mitglieder dieser Konflikt auch zur verständlichen Verzweiflung gebracht haben mag. Die Hauptursache für die jetzige Wahlniederlage ist er aus mehreren Gründen nicht.
Erstens haben die allermeisten Wähler:innen nichts davon erfahren. Kleine, oppositionelle Landtagsfraktionen spielen auch in den regionalen Medien fast keine Rolle und schon gar nicht ihre innerparteilichen Konflikte. Wer kennt, ohne nachzusehen, den Namen des saarländischen AfD-Fraktionsvorsitzenden? Eben.
AfD: Zerstritten und erfolgreich
Zweitens sind die mageren 2,6 Prozent der LINKEN Saarland in Westdeutschland nicht die Ausnahme, sondern eher die Regel. Schon bei der Bundestagswahl 2021 hatte die LINKE im Westen nur 3,6 Prozent und auch in den aktuellen Umfragen liegt sie in Nordrhein-Westfalen bei 4 Prozent, in Schleswig-Holstein bei 3 Prozent, oder in Baden-Württemberg bei 3 Prozent; unabhängig davon, ob der Landesverband zerstritten ist oder nicht.
Und drittens ist die AfD seit zehn Jahren deutlich zerstrittener, aber deutlich erfolgreicher als die LINKE. Von den bisher sechs AfD-Vorsitzenden sind mit Konrad Adam, Bernd Lucke, Frauke Petry und Jörg Meuthen vier aus der Partei ausgetreten. Lediglich Alexander Gauland und der heutige Vorsitzende Tino Chrupalla sind noch Mitglied. Trotzdem konnte die AfD ungefähr 10 Prozent Stammwählerschaft aufbauen. Das liegt einerseits an großen Medien wie bild.de und focus.de, die manchmal Propaganda für Friedrich Merz, oft aber deutlich weiter rechts machen. Zum anderen profitierte die AfD von rechten Bewegungen, die sie aktiv mit aufbaut. Erst gegen Einwanderung und dann gegen Corona-Schutz und -Impfung.
Radikale linke Forderungen, keine Strategie
Die LINKE hingegen hat zwar im positiven Sinne radikale Forderungen nach umfassender Umverteilung von oben nach unten, Austritt aus der NATO und Enteignung von Konzernen. Jedoch ist ihre Strategie dies zu erreichen, vorsichtig ausgedrückt nicht zielführend.
Denn fast immer ist der einzig aufgezeigte Weg zur Veränderung der Gesellschaft ein gutes Wahlergebnis. Um in Landes- und Bundesregierung zu kommen oder SPD und Grüne mit parlamentarischer Opposition nach links zu ziehen. Tatsächlich hat jedoch beides nie funktioniert.
Weder in Berlin noch in Brandenburg oder Thüringen hat die jahrelange Regierungsbeteiligung der LINKEN zu einer anderen Politik geführt als in den übrigen Bundesländern. In Thüringen stellt die LINKE gar mit Bodo Ramelow seit 2014 den Ministerpräsidenten, ohne dass sich Politik und Land beispielsweise groß von Sachsen unterscheiden. Wo seit 1990 der rechte Flügel der CDU regiert.
Die LINKE hat nicht gewirkt
Ebenso wenig hat die parlamentarische Oppositionsarbeit in anderen Landtagen und im Bundestag SPD und Grüne zu einer anderen Politik bewegt; siehe Aufrüstung und Waffenlieferungen in einen Krieg durch die heutige Regierung. „Die LINKE wirkt“, war in den Jahren nach der Gründung einer ihrer häufigsten Slogans. Doch die SPD nach links ziehen zu können, war keine durchdachte Strategie, sondern die gefährlichste Illusion der LINKEN.
Die Folge ist, dass immer mehr Menschen die Frage „warum soll ich LINKE wählen“, nicht mehr beantworten können. Laut Wählerwanderungsmodell im Saarland ist von den 69.000 LINKE-Wählern der Landtagswahl 2017 mit 18.000 die größte Gruppe zur SPD gewechselt, um den CDU-Ministerpräsidenten Tobias Hans abzuwählen. Wichtiger ist jedoch: Mit 13.000 hat die zweitgrößte Gruppe diesmal gar nicht gewählt. Diese Leute vertrauen offenbar nicht den anderen Parteien. Haben aber zurecht wenig Hoffnung, dass die LINKE ihre Ziele derzeit durchsetzen kann. Wieder LINKE gewählt haben hingegen nur 8000.
LINKE nur im Parlament?
Das Problem ist, dass die LINKE ihre Parlamentsfraktionen fast ausschließlich für parlamentarische Arbeit und die Vorbereitung aufs Regieren nutzt. Was selbstverständlich klingen mag, ist in Wahrheit ein großer Fehler. Weil dadurch die für linke Politik so dringend benötigten gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse nicht verändert werden.
Zwar gibt es einzelne Mitglieder und Kreisverbände, die sich derzeit zum Beispiel an der Krankenhausbewegung für mehr Personal in den sechs nordrhein-westfälischen Unikliniken beteiligen. Oder Demonstrationen für Klimaschutz und gegen Krieg und Aufrüstung mobilisieren. Jedoch werden die großen Strukturen in Bundestag und Berliner Parteizentrale, Landesgeschäftsstellen und Rosa-Luxemburg-Stiftung, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit dafür fast gar nicht genutzt.
Bei den deutschlandweiten Großdemos gegen den Krieg in der Ukraine war die LINKE wieder mal sehr wenig zu sehen. Geschweige denn dass sie in großem Stil versucht hätte, dort Argumente gegen Aufrüstung reinzutragen.
Regieren, koste es was es wolle
Stattdessen macht es die LINKE den anderen Parteien nach und will Regierungsbeteiligung, koste es was es wolle. Selbst die größte Wahlniederlage ihrer Geschichte bei der Bundestagswahl 2021 hat die Führung nicht davon abgehalten, nach der gleichzeitig stattfindenden Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern in die Landesregierung zu gehen. Obwohl diese die Interessen der regionalen Wirtschaft vertritt und nicht der Menschen.
Wer glaubt, die Posten der Minister in Mecklenburg oder des Ministerpräsidenten in Thüringen seien das eigentliche Ziel der LINKEN, sollte überlegen warum er in diese Partei eingetreten ist oder sie gewählt hat. Um die Herrschaft der Banken und Konzerne zu brechen? Oder um kopfschüttelnd zuzusehen, wie Ramelow als einer der bekanntesten Politiker der LINKEN verkündet: „Im Gegensatz zu meiner Partei bin ich für eine gut ausgerüstete Bundeswehr und eine allgemeine Wehrpflicht“?
Die LINKE: Weder tot noch begraben
Trotzdem ist die LINKE weder auf das Niveau der früheren PDS zurückgefallen, noch nutzlos oder gar dem Tode geweiht. Die PDS erhielt bei ihrer letzten Bundestagswahl 2002 in Westdeutschland nicht 3 oder 4 Prozent, sondern 1,1. Bei bayerischen Landtagswahlen trat sie niemals an. Weil Aufwand und Kosten in keinem Verhältnis zum erreichbaren Ergebnis standen.
Auch ist die LINKE trotz ihrer Wahlniederlagen in den großen Medien noch immer als linke Opposition gegen die Regierung wahrnehmbar. Hunderttausende Menschen orientieren sich an ihren Positionen. Wer das für nutzlos hält, sollte sich bei Linken zum Beispiel in Großbritannien erkundigen. Wo das undemokratische Mehrheitswahlrecht nahezu garantiert, dass linke Parteien nicht ins Parlament kommen.
Die Wähler: schwanken
Zudem schwankt das Wahlverhalten gerade in den letzten Jahren stark und mehrere Parteien haben nach schweren Niederlagen wieder Erfolge erzielt. Die SPD stieg nach 20 Prozent bei der Bundestagswahl 2017 letztes Jahr wieder auf 26 und stellt den Bundeskanzler. Die Grünen fielen 2013 auf 8,4 und erreichten 2021 mit 15 Prozent das beste Ergebnis ihrer Geschichte. Und die FDP flog 2013 gar mit 4,8 Prozent aus dem Bundestag und kam letztes Jahr wieder auf 12 Prozent.
Während bei den Grünen aber die Angst vor dem Klimawandel reicht, um ihnen zu Unrecht Rekordergebnisse zu bescheren, ist die LINKE vor allem von Bewegungen auf der Straße und Streiks in Betrieben abhängig. Und ob sie als Partei dieser Bewegungen wahrgenommen wird.
Die Möglichkeiten der LINKEN hängen dabei nicht in erster Linie von ihren Wahlergebnissen ab. Es ist recht wahrscheinlich, dass sie dieses Jahr bei den weiteren Wahlen in Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen ebenfalls unter 5 Prozent bleibt und 2023 in Hessen aus dem Landtag gewählt wird.
LINKE: Wahlen verloren, Mitglieder gewonnen
Doch unabhängig davon hat die LINKE weiterhin Potenzial, eine entscheidende Unterstützung für Demonstrationen, Volksbegehren und Kampagnen auf der Straße und mittelfristig auch in den Betrieben und Büros zu sein. Denn trotz ihres schlechten Wahlergebnisses und obwohl durch ihr hohes Alter jedes Jahr viele Mitglieder versterben, hat die LINKE letztes Jahr 331 mehr gewonnen als verloren und jetzt 60.681 Mitglieder; ein Wachstum von immerhin 0,55 Prozent.
In einigen großen Bundesländern ist die LINKE sogar deutlich stärker gewachsen: in Bayern um 8,3 Prozent, in Niedersachsen um 6,8 und in Baden-Württemberg um 6,1 Prozent. Sogar im Saarland hat die LINKE 10 Mitglieder mehr als vor einem Jahr.
Dass trotz der großen Probleme viele Menschen eintreten, zeigt das Potenzial, eine Partei der Aktivist:innen aufzubauen, die Kampagnen und Bewegungen entscheidend unterstützt und linke Ideen hineinträgt. Niemand tritt in die LINKE ein, nur um alle paar Jahre Parteitagsdelegierte zu wählen oder eine Karteileiche zu werden.
Mobilisieren gegen Krieg und Aufrüstung
Entscheidend ist jedoch, ob die LINKE künftig ihre Parlamentsmandate und Parteistrukturen für den Aufbau von Demos, Kampagnen und eine streikorientierte Gewerkschaftsarbeit nutzt. Oder ob Mobilisierungen nur auf dem Papier stattfinden, indem Mitglieder einmal im Monat eine Rundmail bekommen.
Wie beteiligen wir uns an der Bewegung für Klimaschutz, obwohl es Fridays for Future ablehnt, dass Parteien sich offen zeigen? Wie mobilisieren wir Demonstrationen gegen den russischen Krieg in der Ukraine und argumentieren dabei gegen Aufrüstung und Waffenlieferungen? Wie kämpfen wir in Berlin weiter für das Volksbegehren »Deutsche Wohnen Enteignen«, nachdem die rot-rot-grüne Landesregierung versucht, es mit einer sogenannten »Expertenkommission« kaputt zu machen? Ist die LINKE nur ein parlamentarischer Arm dieser Bewegungen? Trägt sie ihre Forderungen in den Bundestag und zuckt mit den Achseln, wenn ihre Anträge wie immer abgelehnt werden? Oder bauen wir eine Partei auf, die für Aktivist:innen Heimat und Werkzeug ist, um die gemeinsamen Ziele gegen die Herrschende Klasse durchzusetzen.
Die linke Flanke aufgerissen
Viele Menschen wollen eine große, linke Partei, die im Gegensatz zu allen anderen die Herrschaft der Menschen über die Wirtschaft anstrebt und nicht umgekehrt. Ein großer Teil davon glaubt nicht, dass Waffenlieferungen in die Ukraine Frieden schaffen.
»Die Ampel-Koalition hat die Flanke auf der Linken weit aufgerissen. In dem Moment in dem Grüne und SPD massive Aufrüstung befürworten, müssten allein der friedenspolitische Ansatz der LINKEN eigentlich für 7 Prozent ausreichen«, so der Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke.
Die Arbeit auf der Straße
Viele wissen und noch viel mehr ahnen insgeheim, dass dieser Kampf gegen die Macht der Banken, Konzerne und Kriegstreiber nicht ausschließlich mit Anträgen in Parlamenten geführt werden kann. Und einige davon sind bereit, persönlich aktiv zu werden. Wenn es eine realistische Chance gibt, diesen Kampf zumindest in einigen Bereichen zu gewinnen.
Nimmt die LINKE ihre Arbeit auf der Straße, den Hochschulen oder in den Betrieben genauso ernst wie im Bundestag? Dann können auch mit ihrer Hilfe gesellschaftliche Bewegungen entstehen, welche die Macht des großen Geldes und ihrer Politiker brechen. Tut sie es nicht, droht ihr, mittelfristig bedeutungslos zu werden oder eine schlechte Kopie der SPD oder beides.
Die Zukunft der LINKEN ist ungeschrieben. Denn sie ist das, was wir aus ihr machen.
Foto: DIE LINKE Landesverband Baden-Württemberg
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