Nur ein Jahr nachdem Jeremy Corbyn bei den Parlamentswahlen über 10 Millionen Stimmen für Labour einholte, wurde er von der Partei vorläufig suspendiert. Und auch nachdem diese Maßnahme wieder zurückgenommen wurde, darf er Labour im Parlament nicht vertreten. Wie konnte der Hoffnungsträger der britischen Linken so schnell abstürzen? Von Phil Butland
Vor einem Jahr schien alles ganz anders zu sein. (1) Jeremy Corbyn führte einen Wahlkampf auf Grundlage eines Wahlprogramms, das bedeutende, durch Besteuerung der Reichen finanzierte Sozialreformen versprach. Seine radikalen Pläne genossen breite Unterstützung. Eine Umfrage zu Corbyns Forderung nach Wiederverstaatlichung der vier großen Industrien ergab hohe Zustimmungsraten – 83 Prozent für die Wasserversorgung, 77 Prozent für Elektrizität und Gas und 76 Prozent für die Bahn. (2)
Wir alle wissen, dass Corbyn die Wahl verlor und es Boris Johnson war, der Premierminister wurde. Aber es bleibt, dass Ende 2019 10,27 Millionen Menschen für Labour stimmten – zwar weniger als die 12,88 Millionen, die noch im Jahr 2017 Corbyn wählten, aber wesentlich mehr als bei allen Labour-Wahlkämpfen seit dem Jahr 2001.
Im Jahr 2015 gewann Labour unter Ed Millibands Führung 9,35 Millionen Stimmen, fünf Jahre zuvor unter Gordon Brown waren es 8,61 Millionen und im Jahr 2005 gewann Tony Blair die Wahlen mit 9,55 Millionen Stimmen. Gemessen an den absoluten Wählerstimmen war Corbyns Ergebnis vergleichbar mit Blairs zweitem Sieg im Jahr 2001, als 10,72 Millionen Menschen Labour ihre Stimme gaben. (3)
Der Rückgang der für Labour abgegebenen Stimmen ist weitgehend der Debatte über den Brexit, den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union (EU) geschuldet. Hier ist nicht der Ort, diese Debatte aufzurollen, aber wer sich dafür interessiert, kann zwei von mir im vergangenen Jahr verfasste Artikel dazu lesen, einen zu Jahresbeginn (4) und den anderen unmittelbar nach den Wahlen (5).
Es sollte aber erwähnt werden, dass Corbyn in den Jahren zuvor Zielscheibe einer systematischen, von der liberalen Presse angeführten Schmähkampagne war. Vorreiter war der Guardian, der seine Seiten Anti-Corbyn-»Dissidenten« zur Verfügung stellte. Eine von ihnen war die Labour-Abgeordnete Jess Phillips, die damit drohte, »Corbyn ein Messer in die Brust zu jagen« (6), ein weiterer war Tony Blairs alter Handlanger Peter Mandelson, der erklärte, er lasse »keinen Tag verstreichen, an dem er Jeremy Corbyn nicht zu schwächen versucht«. (7)
Wenn die Rechten in der Labour Party an die Einheit der Partei appellieren, sollten wir uns daran erinnern, wie unerbittlich sie Corbyn mitten im Wahlkampf angegriffen haben.
Der Vorwurf des Antisemitismus
Die Kampagne gegen Corbyn nahm unterschiedliche Züge an. Im Jahr 2016 machte das konservative Magazin Spectator den Aufschlag mit einem Artikel unter der Überschrift »Jeremy Corbyn darf nicht damit durchkommen, die Geschichte seiner Unterstützung der IRA umzuschreiben« (8), während der Daily Telegraph kreischte, er habe »im Parlament die ›vollständige Rehabilitierung‹ Leo Trotzkis gefordert« (9), und die Sun, das Pendant zur Bild, zitierte genüsslich das in Ungnade gefallene Parlamentsmitglied Simon Danczuk, der Corbyn und dem Abgeordneten John McDonnell vorwarf, sie feierten Marx und Stalin. (10)
Diese Angriffe blieben weitgehend wirkungslos, und Corbyns Beliebtheit stieg ungebrochen. Unter seiner Führung verdreifachte sich die Mitgliedschaft der Labour Party, womit sie zur größten politischen Partei Westeuropas aufstieg. (11) Zu diesem Zeitpunkt begannen sich wüste Anschuldigungen wegen Antisemitismus zu häufen. Insbesondere der Guardian war zunehmend besessen von der Idee eines »Labour-Antisemitismus«, der in dieser Partei anscheinend sehr viel mehr verbreitet und bösartiger war als der Antisemitismus in der Gesellschaft insgesamt.
Es wurden tatsächlich einzelne antisemitische Vorfälle berichtet – was sich in keiner Organisation mit über einer halben Million Mitgliedern vermeiden lässt. Welche Wirkung aber die unablässigen Anschuldigungen in der Presse hatten, beschrieb Greg Philo: »Wenn Meinungsforscher die britische Öffentlichkeit danach fragten, wie hoch der Anteil der Labour-Mitgliedschaft sei, dem Antisemitismus vorgeworfen werde, schätzten die meisten diesen auf etwa 34 Prozent.« (12) In einer Partei mit 550.000 Mitgliedern ergäbe das fast 200.000 Antisemiten.
In Wirklichkeit wurde die Anzahl von Labour-Mitgliedern, die sich vielleicht des Antisemitismus schuldig gemacht hatten, auf höchstens 0,3 Prozent geschätzt, das sind 2.000 Menschen. (13) Laut einer kürzlich von YouGov durchgeführten Umfrage unter den großen Parteien ist die Labour Party noch am wenigsten von Antisemitismus geplagt. (14) Merkt euch diese Zahlen – sie werden später noch nützlich sein.
Keir Starmers Aufstieg
Labours Misserfolg bei den Wahlen von 2019 machte einen Führungswechsel mehr oder weniger unvermeidlich. Aus den parteiinternen Wahlen ging Keir Starmer mit über der Hälfte der abgegebenen Stimmen als eindeutiger Sieger hervor. Bekannt vor allem für seinen adretten Anzug und teuren Haarschnitt, gelang es ihm mit dem Versprechen, die Partei zu einigen, die Stimmen vieler ehemaliger Corbyn-Unterstützer zu gewinnen, die in ihm eine »Fortsetzung« Corbyns sahen. (15)
Das hielt ihn nicht davon ab, als eine seiner ersten Amtshandlungen als Parteiführer die Unterstützung der Labour Party für die Unabhängigkeit Kaschmirs zurückzuziehen – unter offener Missachtung des auf dem Parteitag gefassten Beschlusses. Als Begründung führte er an, »eine Labour-Regierung unter meiner Führung wird noch engere Geschäftsbeziehungen mit Indien knüpfen«. (16)
Verständlicherweise waren manche Labour-Mitglieder etwas skeptisch, aber viele ließen sich von Starmers »Zehn Versprechen« (17) beeindrucken, einer Liste von Garantien, die an Corbyns radikalen Reformismus anknüpften. Solche Versprechen wie die auf Klimagerechtigkeit, Gemeineigentum und Stärkung der Rechte von Lohnabhängigen verleiteten viele zu dem Glauben, lediglich die Person am Steuer sei ausgewechselt worden.
Der zunehmend wirklichkeitsfremde Paul Mason, einst ein Vertreter der Linken, verkündete stolz, er habe für Starmer als Vorsitzenden gestimmt, weil »Starmers Politik faktisch die Gerechtigkeitstheorie des verstorbenen Rawls verkörpert, wonach der demokratische Sozialismus ein besserer Weg hin zu sozialer Gerechtigkeit sei als die regulierte Marktwirtschaft. Das ist das Prinzip, das den ›Zehn Versprechen‹ zugrunde liegt, die die Basis für ein zielgerichtetes, radikales, auf grüne Investitionen und Umverteilung ausgerichtetes Regierungsprogramm darstellen sollen.« (18)
Das Versprechen, das vielleicht das größte Aufsehen erregte, war das zehnte: »Echte Opposition zu den Konservativen«. Angesichts einer gleichermaßen käuflichen wie ineffizienten Regierung Johnson würden sich wohl viele Menschen schon über eine wie auch immer geartete Kampfansage an das korrupte Status quo freuen. Obwohl Großbritannien eine Insel ist, verzeichnet es die größte Anzahl an Covid-19-Toten in ganz Europa. (19) Es konnte also nur besser werden.
Lahme Opposition
Und genau hier lag das Problem. Dem Anführer der Opposition war anscheinend jegliches Gespür für eine wirksame Opposition gegen Johnsons skrupellose Regierung abhanden gekommen. Immer wieder boten sich goldene Gelegenheiten, Johnson in die Mangel zu nehmen. Und jedes Mal ließ er sie verstreichen, weil er anscheinend mehr damit beschäftigt war, von den Medien und der Geschäftswelt als »regierungstauglich« wahrgenommen zu werden.
Eine sehr beliebte Sendung im britischen Fernsehen ist »Gogglebox«, in dem Leute aus der Bevölkerung dabei gefilmt werden, wie sie sich zu Hause neue Fernsehsendungen anschauen und diese kommentieren. In einer mittlerweile berühmt-berüchtigten Folge konnte das verblüffte Publikum verfolgen, wie Starmer Fragen ständig auswich und immer wieder dem im prestigeträchtigen Eton College ausgebildeten Boris Johnson zustimmte. (20)
Wie die linke Nachrichtenseite Labour Heartlands berichtet, »beantwortete Starmer Marrs Fragen stets mit: Ich unterstütze die Regierung. Das veranlasste ein Familienmitglied in der Show zu spotten: ›Wenn das ein Trinkspiel wäre und du jedes Mal, wenn er sagt: Ich unterstütze die Regierung, einen Schluck nehmen müsstest, wärst du schon längst besoffen!‹« (21)
Aber es sollte noch schlimmer kommen. Im Oktober brachte Johnson eine Gesetzesvorlage für den Einsatz verdeckter Ermittler ein, landläufig als SpyCops bekannt. Wie Anna Southern berichtete, würde das Gesetz »verdeckte staatliche Ermittler dazu ermächtigen, im Rahmen ihrer Arbeit Verbrechen zu begehen – einschließlich Mord, Folter und sexueller Gewalt.« (22)
Dies war eine ausgesprochen provokative Gesetzesvorlage, die ausgerechnet zu dem Zeitpunkt eingebracht wurde, als Berichte in der Presse über eine jahrzehntelange verdeckte Polizeioperation auftauchten, mit der vor allem linke Gruppierungen infiltriert worden waren. Viele Spitzel waren mit ahnungslosen Aktivistinnen Beziehungen eingegangen, manche hatten Kinder gezeugt, die sie ebenfalls betrogen und später verließen. Sogar die Eltern des ermordeten schwarzen Teenagers Stephen Lawrence wurden ausspioniert. (23)
Man muss nicht so radikal wie Jeremy Corbyn sein, um diese Maßnahme abzulehnen. Dennoch wies Starmer seine Fraktion an, sich der Stimme zu enthalten. Seine Begründung dafür lautete, dass Labour auf diese Weise Änderungsanträge stellen könnte, und selbstverständlich würde die Partei bei der dritten Lesung das Gesetz ablehnen. Als es so weit war, ordnete Starmer wieder Stimmenthaltung an und lediglich 34 Labour-Abgeordnete stimmten mit Nein.
Damit nicht genug: Die prominenten Labour-Abgeordneten Margaret Greenwood und Dan Garden und fünf parlamentarische Geschäftsführer wurden zum Rücktritt gezwungen, weil sie die Gesetzesvorlage ablehnten – wohlgemerkt, ein Gesetz, das Mord, Folter und nicht einvernehmlichen Sex (also Vergewaltigung) seitens Vertretern des britischen Staats legitimiert.
Labour enthielt sich auch bei weiteren Gesetzen, darunter einem zu Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie (24), und allem Anschein nach wird Labour sich auch bei dem Gesetz über den Brexit enthalten. (25)
Labours Enthaltung bei der Covid-19-Vorlage bewog sogar Gary Neville, den ehemaligen Fußballer und Hotelbesitzer, zu der Äußerung: »Die Aufgabe der Labour Party ist es doch, die Benachteiligten und die Gefährdeten zu schützen. Sie muss Stellung beziehen. Wenn du gewählt wirst und im Parlament in Westminster sitzt, dann musst du Stellung beziehen. Du enthältst dich nicht. Du nimmst an dem Spiel teil. Du bist die Opposition. Du sitzt nicht auf die Zuschauertribune.« (26)
Jeremy Corbyns Suspendierung
Das ist der Kontext, in dem Jeremy Corbyn suspendiert wurde und Keir Starmer später verfügte, dass Corbyn nicht mehr Fraktionsmitglied sein könne. Wir haben es also zu tun mit einer gefährlichen Regierung, einer wirkungslosen Opposition und Hunderttausenden Labour-Mitgliedern, die nicht für so etwas der Partei beigetreten waren. Diejenigen, die Starmer eine Chance geben wollten, begannen nun ungeduldig zu werden.
Die offizielle Erklärung für Corbyns Suspendierung war seine Reaktion auf die Veröffentlichung des Berichts der britischen Equality and Human Rights Commission (Kommission für Gleichheit und Menschenrechte; EHRC) über Antisemitismus in der Labour Party. Corbyn hatte dazu gesagt, das Problem des Antisemitismus in der Labour Party werde von seinen Gegnern und den Medien aus politischen Motiven drastisch überzeichnet. (27)
Die EHRC stellte fest, dass »die Untersuchung der Gleichheitskommission auf eine Kultur in der [Labour] Party deutet, bestenfalls nicht genug zu tun, um Antisemitismus zu verhindern, und schlimmstenfalls den Eindruck zu erwecken, diesen zu dulden.« (28) Aber das war nicht ihr einziger Befund. Die EHRC verlangte nämlich, dass Labour »auf Führungsebene die Auswirkungen politischer Einmischung in die Bearbeitung von Beschwerden wegen Antisemitismus anerkennt und klare Regeln und Richtlinien schafft, die politische Einmischung in das Beschwerdeverfahren verbieten und ahnden.« (29)
Dabei war es Keir Starmer, der sich in Beschwerdeverfahren eingemischt hatte. Corbyn erkannte die Untersuchungsergebnisse an, erklärte aber, das Ausmaß des Problems Antisemitismus in der Labour Party sei drastisch überzeichnet worden. (30)
Nun, lasst uns auf die oben erwähnte Statistik zurückkommen: Die öffentliche Wahrnehmung war, dass ein Drittel der Labour-Mitgliedschaft des Antisemitismus schuldig seien. Die wirkliche Zahl ist 0,3 Prozent. Mit seiner Feststellung, der Antisemitismus in Labour sei übertrieben dargestellt worden, sagte Corbyn nur die Wahrheit.
In dem EHRC-Bericht heißt es ausdrücklich, dass »Artikel 10 Mitglieder der Labour Party schützt, die beispielsweise legitime Kritik an der israelischen Regierung üben, oder sich zu innerparteilichen Angelegenheiten wie das Ausmaß des Antisemitismus in der Partei äußern.« (31) Und doch entzog Starmer Corbyn seine Fraktionsmitgliedschaft wegen »seiner Reaktion auf den EHRC-Bericht« (32), also für seine Bemerkung zu dem angeblichen Ausmaß an Antisemitismus in der Partei.
Was ist die EHRC?
Es sollte vielleicht angemerkt werden, dass die EHRC nicht jene unparteiische Organisation ist, die sie zu sein vorgibt. Vorstandsmitglied Alasdair Henderson hat Postings in sozialen Medien, die die Bewegung Black Lives Matter kritisieren, »gelikt« oder geteilt und die Worte »frauen-« und »homosexuellenfeindich« als »hochgradig ideologische Propagandabegriffe« abgetan. (33)
Nachdem der Philosoph Roger Scruton für seine Beschreibung Budapester Juden als Teil des »Soros-Imperiums« und seine Behauptung, Islamophobie und Homophobie seien »erfunden« und Homosexualität sei nicht »normal«, öffentlich kritisiert wurde, stimmte Henderson einem Tweet mit dem Wortlaut zu: »Wenn Roger Scruton, einer unserer meist geschätzten Denker und Schriftsteller, von leicht zu beleidigen Eiferern aus dem öffentlichen Leben gedrängt wird, dann können wir gleich einpacken und nach Hause gehen.« (34)
Ammar Kazmi stellte fest, dass der »einwandererfeindiche islamophobe Journalist Douglas Murray neulich bekannte, von den Konservativen gebeten worden zu sein, in der EHRC mitzuarbeiten. Murray wurde zwar nicht Mitglied, dafür ernannten die Tories erst kürzlich David Goodhart zum Kommissionsmitglied.« (35) Goodhart tritt dafür ein, dass der Skandal der unrechtmäßigen Abschiebung Hunderter schwarzer britischer Bürger der »Windrush-Generation«, die in den Jahren 1948 bis 1971 aus der Karibik nach Großbritannien kamen, »nicht zu einer radikalen Lockerung des ›feindlichen Umfelds‹ führen darf.« (36)
Im Jahr 2004 veröffentlichte Goodhart einen Artikel unter der Überschrift »Zu divers?«, in dem er behauptete, dass »signifikante Ressourcen des britischen Gesundheitssystems jedes Jahr für ausländische Besucher, vor allem in London, verwendet würden. Viele von uns mögen in der Theorie dem zustimmen, dass die Bedürfnisse verzweifelter Fremder oftmals größer als unsere eigenen sind. Aber wir würden uns dagegen wehren, wenn unsere eigenen Eltern oder Kinder aufgrund des Einsatzes von Ressourcen für Nichtbürger schlechter behandelt würden.« (37) Das sollte genügen, um die Unparteilichkeit der EHRC bei der Beurteilung von Rassismus infrage zu stellen.
Nebenbei sei daran erinnert, dass etliche Personen des Antisemitismus bezichtigt wurden, die lediglich ihre Solidarität mit den Palästinensern zum Ausdruck gebracht hatten. Erst zwei Jahre zuvor hatte es eine Masse von palästinensischen Flaggen auf dem Parteitag von Labour gegeben. (38) Mittlerweile gilt auch das leiseste Anzeichen der Unterstützung für ein unterdrücktes Volk als Beleg für grassierenden Antisemitismus in der Labour Party.
Derweil wurde gegen Islamophobie in der Partei weiterhin nichts getan. Ein Bericht des Labour Muslim Network (LMN) stellte fest, dass über die Hälfte aller muslimischen Parteimitglieder Starmer nicht zutrauten, gegen antimuslimischen Rassismus vorzugehen, und kein Vertrauen in das Beschwerdemanagement der Partei hatten. (39) Die Labour-Führung bedankte sich bei dem LMN für seinen Bericht (40), änderte aber nichts an ihrer Praxis.
Dabei haben wir noch nichts über die tief sitzende Islamfeindlichkeit bei den Konservativen gesagt. Als der Muslim Council of Britain (Britischer Muslimrat; MCB) die EHRC bat, Islamfeindlichkeit bei den Konservativen zu untersuchen, antwortete die EHRC, das sei nicht angemessen (41) – und das, obwohl Islamophobie in der Tory Party viel weiter verbreitet ist als der Antisemitismus in der Labour Party. Erst im vergangenen Jahr sagte der konservative Parteiführer und Premierminister Boris Johnson, Islamophobie sei eine »natürliche Reaktion« auf den Islam und dass »der Islam das Problem« sei. (42)
Warum wurde Corbyn angegriffen?
Vielleicht sollten wir jetzt einen kleinen Abstecher machen und untersuchen, warum Corbyn und die Labour-Linke angegriffen wurden. Wer viel auf sozialen Medien unterwegs ist, so wie ich, stößt früher oder später auf die Theorie, hinter Corbyns Sturz stünde die israelische Regierung, gestützt auf die israelische/jüdische Lobby (je nach Stand deines politischen Bewusstseins).
Während ich keine Zweifel daran hege, dass Israel ein lebhaftes Interesse an britischer Politik hat, wie die Dokumentation »The Lobby« von Al Jazeera (43) gezeigt hat, denke ich, dass damit das Pferd von hinten aufgezäumt wird. Keir Starmer und Konsorten handeln nicht so, weil sie etwa im Sold der israelischen Regierung stünden. Ihre Unterstützung für Israel ist natürliche Folge ihrer rechten Politik.
Starmer ist es gelungen, zwei Gruppierungen hinter sich zu scharen. Auf der einen Seite sind es jene, die von Corbyns Erfolgen aufrichtig begeistert waren, aber angesichts der von der liberalen Zeitung Guardian angeführten feindlichen Medienkampagne glauben, der Weg in die Regierung (was für sie Machtübernahme heißt) erfordere es, ständig Kompromisse einzugehen und so zu tun, als sei die Gesellschaft ganz in Ordnung.
Es hat sich aber eine zweite Schar hinter Starmer versammelt: jene rechten Anhänger Tony Blairs, die während Corbyns Führung etwas in Deckung gingen, aber die Macht über den Parteiapparat niemals aus der Hand gaben. Nicht gewählte Funktionäre behielten meist ihre Posten und auch Abgeordnete aus Blairs Umfeld hatten ihren Job auf Lebenszeit, weil es fast unmöglich war, sie abzuwählen.
Für diese Menschen mit ihrem höchst privilegierten Zugang zur bürgerlichen Presse war eine Regierung der Konservativen schon immer die bessere Alternative zu einer Regierung Corbyn und sie taten ihr Möglichstes, um Corbyn zu sabotieren. Bei der Vorbereitung dieses Artikels sprach ich mit einem Labour-Mitglied, das sagte: »Die PLP [Parlamentsfraktion] und angestellte Mitarbeiter möchten aus der Labour Party eher eine SPD machen, sag das deinen Leser:innen, Phil.« (44)
Der Musiker und Aktivist Brian Eno stellte fest: »Die Rechte war zunächst fassungslos über die Aussicht, dass jemand mit einer bündigen, fortschrittlichen Agenda Premierminister werden könnte. Dann versuchten sie mit allen nur erdenklichen Tricks einen solchen Ausgang zu verhindern. (45) Im April 2020 veröffentlichte Novara media einen durchgesickerten Bericht, der aufzeigte, wie weit sie zu gehen bereit waren. (46)
In Gesprächsaufzeichnungen im Vorfeld der Parlamentswahlen von 2017 erklärt Labour-Generalsekretär Patrick Heneghan ausdrücklich, er wolle, dass Labour die beiden anstehenden Nachwahlen verliert. Das Führungsteam der Partei leitete Gelder um von wichtigen Wahlbezirken, in denen es ein Kopf-an-Kopf-Rennen gab, hin zu rechten, schon sicheren Wahlbezirken, und Neil Fleming, Presse- und Rundfunkverantwortlicher der Partei, erklärte die Abgeordnete Nia Griffith zur Heldin, weil »sie Corbyn soeben einen Dolchstoß versetzt« habe. (47)
Mit anderen Worten, der Vorwurf des Antisemitismus wurde als Waffe benutzt, um Corbyns Versuch, Sozialismus in die Labour Party zu tragen, scheitern zu lassen. Anschuldigungen, er sei Marxist oder unterstütze nationale Befreiungskämpfe, konnte er mit einem Achselzucken abtun, aber die neugewonnenen Sozialist:innen, die massenweise in die Partei strömten, waren viel leichter zu entmutigen, wenn ihnen weisgemacht werden konnte, dass sie dem Rassismus Vorschub leisteten.
Als Antwort auf den durchgesickerten Bericht richtete die Parteiführung (Labour Party National Executive Committee – NEC) eine Untersuchungskommission ein, die Forde Enquiry, um »eine unabhängige Untersuchung der Umstände und Inhalte des Berichts ›Die Arbeit der Lenkungs- und Rechtsabteilung in Bezug auf Antisemitismus 2014–2019‹ einzuleiten.« (48)
Auf der Website der Jewish Voice for Labour (Jüdische Stimme für Labour) stellte Alan Maddison folgende Fragen, die, wie er sagte, immer noch nicht befriedigend beantwortet seien und von der Untersuchungskommission in Angriff genommen werden müssten:
»Haben einige Funktionäre und Mitglieder der Parlamentsfraktion absichtlich Corbyns Wahlkampf im Jahr 2017 sabotiert?
Gab es inakzeptable rassistische Kommentare?
Haben Jeremy Corbyn und sein Team versucht, die Aufarbeitung von Antisemitismusbeschwerden zu beschleunigen und nicht zu behindern?« (49)
In der jüngsten Stellungnahme der Forde Enquiry heißt es, »die Untersuchung befindet sich jetzt in der nächsten Phase der Begutachtung und Analyse dieser Beschwerden und es werden Gespräche mit wichtigen Einzelpersonen geführt. Der Ausschuss wird dann unter Berücksichtigung der eingereichten Beiträge seinen Bericht vorbereiten.« (50) Es bleibt abzuwarten, ob Corbyn und die Linke Recht bekommen, aber angesichts der Tatsache, dass der rechte Flügel den Labour-Parteiapparat voll im Griff hat, kann jeder Sieg nur ein Pyrrhussieg sein.
Was ist aus Momentum geworden?
Corbyns Suspendierung war eine große Sache. Und was war die Antwort der Linken? Wichtige Flügel der Labour-Linken reagierten völlig unzulänglich, zum Beispiel Momentum. Momentum war eine Gruppierung, die als Sammelpunkt von BasisaktivistInnen innerhalb und außerhalb von Labour angesehen wurde, um Corbyn zu unterstützen.
Über viele Jahre priesen viele Linke in Deutschland Momentum als eine neue und dynamische Art, die Linke zu organisieren. Bruno Leopold beispielsweise schrieb in Prager Frühling: »Momentum ist nicht bloß eine Art ›Prätorianergarde‹ für Jeremy Corbyns Stelle als Parteiführer, sondern ein mächtiger Motor politischer Erneuerung und Wiederbelebung einer großen Partei.« (51)
Erst letztes Jahr erklärte Callum Cant in einem Interview mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung: »Momentum [agiert] in erster Linie als parteinahe Bewegung – ihre Rolle ist es, Einfluss auf parteiinterne Wahlen und demokratische Vorgänge zu nehmen und eine neue Linke innerhalb der Labour Party zu stärken. Darin ist sie bisher sehr erfolgreich – der Linksflügel gibt derzeit im Grunde in allen Parteiausschüssen den Ton an. Überall dort, wo es zu freien und demokratischen Wahlen kommt, fahren wir Siege ein.« (52)
Wenn Corbyns Suspendierung der richtige Augenblick war, diese Hypothesen auf die Probe zu stellen, dann hat Momentum klar versagt. In Wirklichkeit war Momentum schon seit Längerem der persönliche Machtbereich einer einzigen Person, Jon Lansman. Asa Winstanley berichtete auf Electronic Intifada, Lansman sei »Alleineigentümer der Gesellschaft Jeremy For Leader Limited, die die Mitgliedsbeiträge für Momentum kassiert.« (53)
Lansman hatte bereits schon vorher gelegentlich Corbyn angegriffen und im Jahr 2016 (54) und nochmals 2019 für dessen Absetzung als Parteiführer plädiert, weil es nun offensichtlich sei, »dass wir eine viel größere Anzahl von Menschen mit gefestigten antisemitischen Ansichten haben«. (55) In diesem Kontext meint Rob Hoveman, dass Momentum »einfach zu einem Werkzeug für Wahlwerbung verkam und nur aktiviert wurde, wenn Kandidat:innen aufgrund von Tod oder Ausscheiden nachgewählt werden mussten.« (56)
Bei den parteiinternen Wahlen zum neuen Vorsitzenden nach Corbyns Rücktritt unterstützte Momentum Angela Rayner und nicht den weiter links stehenden Richard Burgon. (57) Momentum-Mitglieder erhielten nicht einmal die Gelegenheit, Burgon zu unterstützen. Stattdessen bekamen sie Stimmzettel ausgehändigt, auf denen nur Rayners Name stand. (58) Trotzdem erhielt Rayner schließlich nur 52,15 Prozent der abgegebenen Stimmen, was 12,5 Prozent der Gesamtmitgliedschaft von Momentum entsprach. (59)
Als Antwort auf diese offene Wahlmanipulation twitterte die ehemalige Koordinatorin Laura Parker: »Obwohl ich es begrüße, dass die Leitung von Momentum das Prinzip der Wahl der Führung durch die Mitglieder akzeptiert hat, schmerzt es mich, dass sie anscheinend im Voraus entschieden hat, wie die Antwort aussehen soll.« (60)
Im Laufe des Jahres 2020 trat Lansman angesichts zunehmender Kritik von seinem Posten als Momentum-Vorsitzender zurück (61) und es gründete sich in Momentum eine offene linke Strömung, Forward Momentum (62). Deren Mitglieder beziehen sich weniger zwiespältig auf Corbyn und sein politisches Erbe. Faktisch kontrollieren sie jetzt Momentum, erweisen sich allerdings als relativ kraftlos angesichts der Hexenjagd.
Weitere Reaktionen der Labour-Linken auf Corbyns Suspendierung
Die Labour-Linke umfasst sehr viel mehr als Momentum, aber ein breites Spektrum der Linken reagierte unentschlossen auf Corbyns Suspendierung. Die Socialist Campaign Group (SCG), die linke Labour-Abgeordnete vereint, war gespalten. Corbyn genoss zu keinem Zeitpunkt die Unterstützung einer Mehrheit seiner Abgeordneten, und sogar nach einigen Zugewinnen bei den Wahlen von 2019 zählte die SCG lediglich 32 Mitglieder. Als Corbyn dann suspendiert wurde, unterzeichneten nur 18 von ihnen einen Aufruf für seine Wiederaufnahme in die Partei. (63)
Prominente linke Schriftsteller forderten Corbyn dazu auf, sich zu entschuldigen. Paul Mason twitterte: »Wie ich die Dinge sehe, veröffentlicht JC eine Entschuldigung für Labours Versäumnisse wegen AS (Antisemitismus) und Nick Brown nimmt ihn wieder in die Fraktion auf. Das ist nicht ideal für jene, die die Partei spalten und eine Sekte gründen wollen, aber ein gangbarer Kompromiss für die übrigen von uns – und ein Ärgernis für die Blair-Anhänger.« (64)
In einem Interview mit der BBC warf Owen Jones Corbyn »mangelnde emotionale Intelligenz« (65) vor, eine Anschuldigung, die er in seiner Kolumne für den Guardian wiederholte (66). Jones forderte Labour weiterhin zur Einheit auf. Die Partei solle die Misere akzeptieren und nach vorne blicken. Nur eine Woche nach dem Fernsehinterview verfasste er einen Artikel unter der Überschrift »Beide Seiten in Labours internem Krieg müssen sich darauf konzentrieren, eine Vision für Großbritanniens Zukunft zu entwickeln«. (67)
Sogar Corbyns alter Freund und Unterstützer John McDonnell, einer der 18 SCG-Abgeordneten, die gegen seine Suspendierung stimmten, »drängte Jeremy Corbyn und Labour, sich weiterhin »bei jüdischen Menschen für den Schmerz zu entschuldigen, der ihnen durch den Antisemitismus in der Partei zugefügt wurde«. (68) McDonnell meinte es immerhin gut mit seinem Ratschlag, aber er ist Ausdruck einer vollkommenen Fehleinschätzung des Hintergrunds der Hexenjagd.
Erstens stimmt es zwar, dass viele jüdische Menschen sich Sorgen wegen steigenden Antisemitismus machten, aber im Fall von Labour hatte das vor allem mit der falschen Berichterstattung über das Ausmaß des Problems zu tun. Eine Entschuldigung hätte den Schluss nahegelegt, dass Antisemitismus in der Labour Party tatsächlich eine besondere Gefahr darstellte, und Corbyns Gegner wären ermuntert worden, erst recht weiterzumachen.
Zweitens hatte Naomi Wimborne-Idrissi recht mit ihrer Behauptung, »es wird so getan, als handele es sich um den richtigen Umgang mit Antisemitismus, in Wirklichkeit geht es darum, Kritiker der Führung in einer ganzen Reihe von Fragen mundtot zu machen«. (69) Starmer und Co instrumentalisieren unbegründete Ängste in Bezug auf Antisemitismus, um die Erinnerung an Corbyn und an alles, wofür er eintrat, in der Partei zu tilgen.
Sich zu entschuldigen hätte lediglich zu weiteren Angriffen ermutigt. Und so sehr Mason, Jones und McDonnell auch an die Einheit der Partei appellieren und dazu aufrufen, dass beide Seiten zusammenkommen, so wenig hilft das, wenn gerade eine Parteisäuberung stattfindet. Viele linke Parteimitglieder, einschließlich Wimborne-Idrissi, widersetzten sich weiterhin den rechten Angriffen, aber die meisten führenden Mitglieder der Labour-Linken betonten die Notwendigkeit der Parteieinheit, ausgerechnet mit denen, von denen sie angegriffen wurden.
Die Suspendierungen hören nicht auf
Während die Parteilinke verzweifelte, war Starmer noch lange nicht fertig. Im Mai 2020 wurde David Evans zum Generalsekretär der Labour Party ernannt. Vor seiner Inthronisierung hatte der Leiter der Feuerwehrgewerkschaft, Matt Wrack, gewarnt, Evans habe »eine wesentliche Rolle in der Partei der Ära Tony Blair gespielt, als die Gewerkschaften an den Rand gedrängt wurden.« (70) Im Jahr 1999 hatte Evans ein Memorandum verfasst, in dem er vorschlug, die »repräsentative Demokratie in der Partei weitgehend abzuschaffen«. (71)
Am 26. November, nach Corbyns Suspendierung, wies Evans in einer E-Mail die örtlichen Parteisekretäre an, »jegliche ,Solidaritätserklärungen‹ (mit wem auch immer) oder jegliche Anträge, die Vorgänge in der Parlamentsfraktion zu diskutieren, zu unterbinden.« (72) Kurzum, sogar die bloße Diskussion über Corbyns Suspendierung war verboten.
Evans Rechtfertigung lautete, dass »Anträge (einschließlich Solidaritätserklärungen und Dinge, die die Interna der Parlamentsfraktion betreffen) einen Kristallisationspunkt für die Äußerung von Ansichten darstellen, die es der Labour Party erschweren, einen sicheren und einladenden Ort für alle Mitglieder, insbesondere jüdische, anzubieten. Deshalb stellen alle Anträge, die diese Fragen berühren, eine Ordnungswidrigkeit dar.« (73)
Evans verfügte sogar, dass Labour-Gliederungen nicht das Recht hätten, Anträge zu diskutieren, die sich auf den Entzug der Fraktionsmitgliedschaft Corbyns beziehen. (74) Das führte zu der absurden Situation bei Labour Berlin (und sicherlich nicht nur hier), dass linke Aktivist:innen zwar einen Misstrauensantrag gegen die gegenwärtige Führung stellen durften, aber ohne die Worte »Jeremy« oder »Corbyn« zu erwähnen.
Labour-Mitglieder, einschließlich prominenten Juden wie Moshe Machover und Naomi Wimborne-Idrissi, wurden suspendiert, weil sie eine Debatte zuließen. (75) Das heißt, sie durften nicht an Mitgliedertreffen teilnehmen oder für ein Parteiamt kandidieren. Die im Namen der »Möglichkeit der Labour Party, einen sicheren und einladenden Ort für alle Mitglieder, insbesondere jüdische, anzubieten« (76) durchgeführte Säuberung richtete sich jetzt gegen jüdische Parteimitglieder.
Obwohl die Funktionäre, die Machover suspendierten, ihn aufforderten, nicht darüber zu reden, veröffentlichte er eine Stellungnahme, in der es heißt: »Ich widersetze mich der Anordnung der anonymen Inquisitoren, weil ich der Überzeugung bin, dass diese Angelegenheit besser in der Öffentlichkeit, ganz offen, diskutiert wird, nicht im Geheimen, wie sie sich das wünschen. Ich publiziere, mögen sie verdammt sein. Ich werde ihren Brief nicht durch eine direkte Antwort aufwerten, sondern die Leser:innen dieses offenen Briefs sollen sich ihre eigene Meinung bilden.« (77)
Die Labour-Linke war gefangen zwischen Pest und Colera: Schwiegen sie, würde die Hexenjagd einfach weitergehen, äußerten sie sich öffentlich, riskierten sie, selbst suspendiert zu werden. Und die suspendierten Mitglieder durften nicht einmal über ihre Suspendierung reden. (78) Für jene, die keine Zukunft für sich außerhalb der Partei sahen, war das keine einfache Entscheidung. Man mag mit der die Taktik des Schweigens nicht einverstanden sein (so wie ich), aber an der Parteibasis war das vorherrschende Motiv jedenfalls nicht Feigheit.
Die Heftigkeit der Angriffe war einfach zu viel für viele junge Leute, die der Labour Party wegen Corbyns Vision von einer besseren Zukunft beigetreten waren. Das suspendierte jüdische Mitglied Naomi Wimborne-Idrissi hat den Antisemitismusvorwurf mit dem der Pädophilie verglichen. (79) Angesichts solcher Hetze überrascht es nicht, wenn viele Leute stillhielten in der Hoffnung, sich neu gruppieren und den Kampf wieder aufnehmen zu können.
Labour rückt weiter nach rechts
Am UN-Tag der Internationalen Solidarität mit dem palästinensischen Volk besuchten Keir Starmer und seine Stellvertreterin Angela Rayner eine von der Gruppe Friends of Israel in der Labour Party und der gleichfalls proisraelischen und an Labour angeschlossenen Jewish Labour Movement organisierte Konferenz. Auf dieser Versammlung versprach Rayner – richtig, die von der Momentum-Führung unterstützte Kandidatin: »Wenn ich Tausende oder Abertausende [Labour-]Mitglieder suspendieren muss, werde ich genau das tun.« (80) Es war sehr klar, dass sie damit die Verteidiger der Rechte der Palästinenser meinte.
Im Dezember wurden gegen Gemma Bolton, die frisch in den geschäftsführenden Vorstand, das führende Organ der Labour Party, gewählt worden war, Ermittlungen wegen eines zwei Jahre zuvor veröffentlichten Tweets eröffnet, in dem sie geschrieben hatte: »Wenn ich Gefahr laufe, suspendiert zu werden, weil ich Israel einen Apartheidstaat nenne, dann sei es so. Suspendiert mich doch. Dafür, liebe Genoss:innen, kämpfe ich gerne bis zur letzten Patrone.« (81)
Der Liverpooler Stadtrat Tony Norbury wurde wegen Teilnahme an einem Treffen suspendiert, auf dem zwei Solidaritätserklärungen für Jeremy Corbyn und eine dritte zur freien Meinungsäußerung verabschiedet wurden. (82) Es ist eine kafkaeske Welt, in der die Diskussion über Meinungsfreiheit zur Aussetzung der Mitgliedschaft in einer sich sozialistisch nennenden Partei führen kann.
Nachdem der Labour Party des Wahlkreises Bath (CLP) untersagt worden war, überhaupt Anträge zu diskutieren, außer ironischerweise einen zu George Orwell (83), verbot ein Parteifunktionär auch eine Spende von 3.600 Pfund (knapp 4.000 Euro) an die Bather Tafel und zwei weitere Wohltätigkeitsorganisationen. Die angeführte Rechtfertigung lautete, es sei die Aufgabe der CLP, »die Wiederwahl von Labour-Vertretern ins Parlament und bezirkliche Regierungsämter durch Förderung der Parteipolitik und Parteiprinzipien im gesamten Wahlkreis sicherzustellen.« (84) Der ungenannte Funktionär drohte mit rechtlichen Schritten, sollte die CLP ihre Spende weiterleiten.
Während all das passierte, schrieb Keir Starmer einen Brief an den Bauunternehmer David Abrahams mit der Bitte um eine Geldspende. (85) Abrahams hatte erklärt, dass Muslime »nicht ungeteilt loyal« seien, die konservative muslimische Kultur von Grund auf gewalttätig sei und die muslimische Jugend zu Selbstmord neige. (86) Er legte auch nahe, dass Schwarze in Südafrika unter der rassistischen Tyrannei der Apartheid glücklicher lebten als heute unter der demokratischen Mehrheitsherrschaft. (87)
All das war bekannt. Bereits im Jahr 2007 war Labour wegen Spenden Abrahams an die Partei in einen öffentlichen Skandal verwickelt. (88) Starmers Sprecher rechtfertigte jedoch das Herantreten an Abrahams mit dem Argument: »Wir wollen unsere Spendenbasis verbreitern, so wie es alle vorherigen Parteiführungen getan haben. […] Keir schrieb noch sehr viel mehr Personen an, die schon mal an die Partei gespendet hatten, nicht nur David Abrahams.« (89)
Die Schattenministerin für Religion, Janet Daby, sagte, Standesbeamte müssten das Recht haben, aus Gewissens- oder Glaubensgründen die Beurkundung einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaften zu verweigern, und dass müsse respektiert werden. (90) Eine solche Position hatte zuvor nur die rassistische Partei UKIP vertreten. Es ist eine kleine Genugtuung, dass Daby daraufhin zurücktreten musste, aber die Tatsache, dass sie überhaupt in Starmers Führungsmannschaft Platz finden konnte, spricht Bände.
Was tun? [Lenin!]
Starmers Angriffe stießen auf Widerstand. 175 Ortsvorsitzende der Partei haben Evans geschrieben, dass seine Anweisungen »unsere Anstrengungen im Aufbau der Parteistrukturen vor Ort schwächen«. (91) Ein Brief mit der Forderung nach Demokratie und Meinungsfreiheit in der Partei wurde von 230 Funktionären und 160 Wahlkreisverbänden (CLPs) unterzeichnet. Das macht ein Viertel aller lokalen Parteiverbände aus. (92) Am 12. Dezember waren es bereits 230 CLPs, die Resolutionen verabschiedet oder an Starmer geschrieben hatten, um eine Kursänderung zu fordern. (93) Diese Zahlen steigen weiter an und werden auf dem Twitter-Account »Solidarity with Jeremy Corbyn« erfasst. (94)
Trotz Evans’ Bemühungen, jede Debatte zu ersticken, hatten bis zum 7. Dezember 81 CLPs, acht angeschlossene Gewerkschaften, 28 Abgeordnete und die Jugendorganisation Young Labour gefordert, dass der Abgeordnete Jeremy Corbyn wieder in die Labour-Fraktion aufgenommen wird, ihre Solidarität mit Corbyn zum Ausdruck gebracht, Keir Starmer oder David Evans ihr Misstrauen ausgesprochen oder verlangt, dass die Richtlinien für die CLPs zurückgenommen werden. (95) Einige jüdische und auch nicht jüdische Mitglieder drohen zudem, die Labour Party zu verklagen. (96)
Das alles ist sehr zu begrüßen, aber wie weit sind wir innerhalb von nur zwölf Monaten zurückgefallen. Im Jahr 2019 beteiligten sich Labour-Mitglieder (und andere) an einem dynamischen Wahlkampf zur Besteuerung der Reichen und der Verstaatlichung der vier führenden Industrien. Und jetzt unterschreiben sie Petitionen für das Recht, auf Parteiversammlungen den Namen der Person nennen dürfen, die diesen Wahlkampf angeführt hat. All die Hoffnungen und die Begeisterung der Corbyn-Jahre werden jetzt verspielt.
Eine Reaktion auf das Ausmaß der Angriffe Starmers besteht darin, so zu tun, als gebe es sie nicht, oder es wird behauptet, die Offensive des rechten Flügels beweise, dass dieser verloren habe. Diese Einstellung zeigte sich deutlich nach den jüngsten Wahlen zum geschäftsführenden Parteivorstand (NEC). Noch im Jahr 2018 konnte die linke Plattform #JC9 alle offenen Posten als Kreisdelegierte mit ihren Kandidat:innen besetzen. (97)
Im Jahr 2020 war alles anders. Die meisten Stimmen aus den Wahlkreisverbänden erhielt der schreckliche Luke Akehurst, den Asa Winstanley als einen »Berufslobbyisten für Israel beschreibt, der zugleich ein rechter Labour-Party-Aktivist ist.« (98) Akehurst bezeichnet sich selbst stolz als »den Typ, der glaubt, dass Amerika in Vietnam die Guten repräsentierte«. (99)
Zwei Jahre nach ihrem überwältigenden Wahlsieg gewannen linke Kandidat:innen der Liste »Stimme der Basis« lediglich fünf Sitze. (100) Wie Sienna Rogers berichtete: »Nach den Nachwahlen im April und vor den Wahlen zum NEC im Jahr 2020 konnte Starmer sich auf 18 Stimmen im NEC stützen (von insgesamt 38, mittlerweile 37, nach Pete Willsmans Suspendierung). Er kann manchmal auch mit der Unterstützung der Gewerkschaft GMB rechnen, wie bei der Wahl des Generalsekretärs, aber diese Vertreter gelten als Wechselwähler. Der Chef der Labour Party hat jetzt unter dem Strich zwei NEC-Mitglieder mehr, die ihn bedingungslos unterstützen.« (101) (Hervorhebung im Original)
Dass die Linke die Kontrolle über das NEC verloren hat, ist weitgehend der Tatsache geschuldet, dass Starmer die Wahlordnung für die Wahl der Delegierten der Wahlkreisverbände (102) geändert hat (während das Wahlsystem für alle übrigen NEC-Mitglieder unverändert ist). Was auch immer der Grund, dies war eine schwere Niederlage der Linken, die ein Mitspracherecht bei Parteientscheidungen für sich beanspruchen.
Manche linke Kommentator:innen sehen das anders. Unter der Überschrift »Linke Labour-Liste mischt die NEC auf«, berichtet der Morning Star atemlos von einem »großen Sieg der sozialistischen Linken«, und: »Momentum feierte den Sieg der Liste Stimme der Basis, weil dieser, wie sie sagen, ›zeige, dass Mitglieder sich von Labour die Unterstützung eines transformativen sozialistischen Programms wünschten‹.« (103)
Ich bin sehr dafür, nach vorne zu schauen, aber wir können zukünftige Niederlagen nur dann vermeiden, wenn wir die in der Vergangenheit erlittenen zur Kenntnis nehmen. Mit ihrer Weigerung anzuerkennen, dass Starmer und seine Riege jetzt die Hegemonie über alle Leitungsgremien innehaben, übersieht ein Teil der Linken jene Bereiche, in denen wir kurzfristig Siege erringen können.
Samen der Hoffnung
In den Jahren 2015 bis 2019 schöpften viele junge Menschen Hoffnung und Energie. Einige dieser neu gewonnenen Aktivist:innen nahmen ein Studium an der Universität Manchester auf, wo sie in diesem Jahr wegen des Coronavirus in ihren Wohnenheimen eingesperrt waren. Sie organisierten den größten Mietenstreik der Universitätsgesschichte, weil sie trotz Einstellung des Lehrbetriebs die volle Miete zahlen mussten. Die Miete wurde schließlich um 30 Prozent gesenkt. (104) Studierende an mindestens zwanzig weiteren Universitäten folgten dem Beispiel von Manchester. (105) Auch Mitglieder der Labour Party waren aktiv dabei, aber Labour als Organisation glänzte durch Abwesenheit.
Ben McGowan, Student an der Universität Manchester und Mitglied der Labour Party, berichtet: »Dieses Umfeld scheint die besten Bedingungen für Labour zu bieten, sich mit der Studierendenbewegung in ihrem Kampf zu solidarisieren: große Wut auf die Tory-Regierung, erfolgreiche Streikaktionen, Unterstützung durch die Gewerkschaftsbewegung, Tausende junge Wähler:innen, die einen höheren Lebensstandard fordern. Aber die Partei scheint abgetaucht zu sein.« (106)
Während Starmer vor allem Mitglieder der eigenen Partei unter Beschuss nahm, blieb die Opposition zu den Konservativen überbezahlten Fußballern und ehemaligen Fußballern überlassen. Wir haben bereits Gary Neville erwähnt. Ein weiterer Star von Manchester United, Marcus Rashford, engagierte sich gegen Kinderarmut und zwang die Regierung zu einer Kehrtwende. (107) Starmer versuchte später, den Erfolg der Kampagne für Labour zu beanspruchen, obwohl die Partei auffallend abwesend war.
Als Starmer die rassistische Wählerschaft umwarb, twitterte ein weiterer Schwarzer Fußballer, Stan Collymore, »das Beunruhigendste an dem akzeptierten, zur Schau gestellten Rassismus, der sich überall in UK zeigt, sind die vielen Labour-›Leuten‹, die vom demokratischen Sozialismus zu einem kaum verhüllten Rassismus umgeschwenkt sind, weil die Partei die Stimme von Dave dem Rassisten aus Burnley braucht.« (108)
Ist es an der Zeit, Labour zu verlassen?
Viele der Labour-Linken flehen ihre Genoss:innen an, in der Partei zu bleiben, weil »ihr den Rücken zu kehren genau das ist, was die Rechten wollen«. Ich denke, das trifft nicht ganz zu. Die Labour-Rechte hat überhaupt kein Problem mit einer fügsamen und schweigenden Linken. Es sind schließlich linke Aktivist:innen, die überproportional in Wahlzeiten von Tür zu Tür Werbung für die Partei betreiben. Was Starmer und die Labour-Rechte wirklich wollen, ist, jegliche linke Organisation brechen – sowohl innerhalb als auch außerhalb der Partei. Und die Taktik vieler Labour-Linken, die Parteieinheit zu betonen, hilft den Rechten und spornt sie an.
Rob Hoveman kommentierte eine jüngste Momentum-Versammlung zur Unterstützung von Corbyn folgendermaßen: »Richard Burgon [wahrscheinlich der beste derzeitige Labour-Abgeordnete; PB] drängte Starmer, die Suspendierung aufzuheben, damit die Linken und die Rechten in der Labour Party sich (hinter Starmer) sammeln und die Tories angreifen könnten. Wie fast alle Redner:innen ließ er unerwähnt, dass Starmer die Partei auf einen strammen Rechtskurs steuert. Sich gemeinsam hinter Starmer zu stellen bedeutet – für die, die es vielleicht nicht gemerkt haben –, diesen Rechtsruck zu unterstützen.« (109)
Rob merkte ferner an, dass ein weiterer Redner auf der Versammlung, John McDonnell, die meiste Zeit damit verbrachte, die »Sektierer«, die die Partei verlassen hatten, anzugreifen. »Er nannte die Sektierer auch in einem Atemzug mit Agents Provokateurs.« (110)
Starmers wachsende Kontrolle über Labour ist ein Schlag gegen alle Sozialist:innen in und außerhalb der Partei und es ist eine legitime Frage, ob unsere Kämpfe erfolgreicher in oder außerhalb der Partei geführt werden können. Eine gründliche Debatte in der Linken tut Not, aber Verleumdungen à la McDonnell tragen nicht zu einer fruchtbaren Debattenatmosphäre bei.
Rob Hoveman schreib an anderer Stelle: »Tatsache ist, dass Jeremy sein Bestes gegeben hat, um die Rechten in der Partei und die Feinde außerhalb der Partei mit ihrer Offensive und dem niederträchtigen Antisemitismusvorwurf, der einzig fraktionellen Zwecken dient, zu beschwichtigen. Das war Teil einer umfassenderen Strategie angesichts einer Parlamentsfraktion, die sich in ihrer großen Mehrheit und oftmals instinktiv gegen Corbyn und die Linke wandte. Die Hoffnung war, dass die Rechte bei der Herstellung von Einigkeit mitspielen würde.« (111)
Ich kann verstehen, dass viele Menschen kein besonders gutes Bild von der außerparlamentarischen Linken Großbritanniens haben, die in jüngster Zeit von schädlichen Spaltungen geplagt war. Mir wäre es wirklich lieber, wenn Sozialist:innen in Labour organisiert zusammenhalten, statt in Pessimismus zu versinken und gar nichts mehr zu tun. Aber die Frage stellt sich: Ist das alles, was wir erhoffen können?
Vorwärts zu Frieden und Gerechtigkeit?
Einige hegten die Hoffnung, Corbyn würde Labour verlassen und eine neue Partei gründen, so wie Oskar Lafontaine die SPD im Jahr 2005 verließ, um den Zusammenschluss von WASG und PDS zur Partei Die Linke voranzutreiben. (112) Wer Corbyns historische Verbundenheit mit Labour kennt, hielt eine solche Entwicklung für unwahrscheinlich, aber er hat, obwohl er Labour-Mitglied geblieben ist, einen interessanten Schritt gemacht.
Während ich diesen Artikel schreibe, hat Corbyn das Projekt »Frieden und Gerechtigkeit« initiiert mit dem Ziel, »einen Raum, Hoffnung und eine Gelegenheit für jene zu schaffen, die für soziale Gerechtigkeit streiten«. (113) Ein Video wurde veröffentlicht, in dem Unterstützer wie Alexei Sayle, Lowkey und Ken Loach anschaulich erklären, warum wir dieses Projekt unterstützen sollten. (114) Eine Auftaktveranstaltung ist für Januar geplant mit Redner:innen wie Ronnie Kasrils, die Abgeordnete Zarah Sultana und Yannis Varoufakis. (115)
Corbyn nahestehende Quellen versichern, dass »dies kein Schritt zur Gründung einer konkurrierenden Partei ist«. (116) Vielmehr sei das Ziel, eine »Plattform für Kampagnen gegen Krieg und für konzertierte internationale Aktionen gegen den Klimawandel und die wachsende Ungerechtigkeit zu schaffen«. (117) Jede Initiative, die auf Internationalismus gründet und darauf abzielt, alle zu aktivieren, die sich von Corbyn inspirieren ließen, ist natürlich willkommen.
Jedoch scheint das Projekt für sich genommen unzureichend zu sein, um die derzeitigen Probleme zu bewältigen. Eine breite, über Grenzen hinweg reichende Bewegung, die sich das Ziel setzt, Europa zu demokratisieren, bevor es auseinanderfällt, klingt gut. Das waren aber auch genau die Worte Varoufakis’, als er vor fünf Jahren die Bewegung Democracy in Europe (DiEm25) in Berlin ins Leben rief. (118) Es gibt unterschiedliche Einschätzungen, wie erfolgreich DiEM25 ist, aber sie hat die internationalen politischen Machtverhältnisse bisher nicht fundamental verschoben.
Das heißt nicht, dass das Projekt Frieden und Gerechtigkeit denselben Weg gehen wird. Zunächst einmal scheint es stärker in einer klassenorientierten Politik verankert zu sein und es genießt die Unterstützung wichtiger Gewerkschafter:innen und der Kampagne »Wahrheit und Gerechtigkeit für die Bergarbeiter von Orgreave«. Aber das Projekt muss sich auch potenziellen Problemen stellen. Deshalb finde ich es problematisch, wenn in keiner der Ankündigungen Corbyns Kampf der letzten fünf Jahre gegen Keir Starmer und die Labour-Rechte auch nur erwähnt wird.
Kurzfristig mag es eine gute Sache sein, sich auf den Kampf für soziale Gerechtigkeit zu konzentrieren. Aber früher oder später müssen wir verstehen, wie es dazu kommen konnte, dass unsere Seite in so kurzer Zeit so gewaltige Niederlagen einstecken musste – und sei es nur, um eine Wiederholung dieser schrecklichen Erfahrung zu vermeiden. Eine ehrliche Debatte ist notwendig. Dennoch ist der Versuch, die Linke innerhalb und außerhalb der Partei zusammenzubringen, wichtig. Ich hoffe, dass daraus ernsthafte gemeinsame Aktivitäten entstehen.
Jeremy Corbyn wurde auf einer Welle der Begeisterung und in der Überzeugung, dass eine bessere Welt möglich ist, an die Spitze der Labour Party geschwemmt. Ich glaube nicht, dass dieses Gefühl verschwunden ist, aber das Selbstvertrauen der Menschen auf unserer Seite, dass wir diese Veränderungen wirklich erreichen können, ist arg geschwächt. Der Bedarf an einer lauten und organisierten Linken war noch nie so groß.
Eine Freundin und Genossin kommentierte diesen Artikel wie folgt: »Du sprichst von Begeisterung. Nun, ich meine, dass diese Begeisterung sich viel früher der Wirklichkeit hätte stellen müssen. Denn genau genommen hat die Mehrheit der Parlamentsfraktion und ihres Personals den Mitgliedern vom ersten Tag an den Krieg erklärt. Die furchtbare Ironie ist, dass eine Spaltungspolitik brutalster Art gegen Corbyn und seine Anhängerschaft betrieben wurde und immer noch wird. Begeisterung ist schön und gut, aber irgendwann muss man auf den Boden der Tatsachen zurückkehren und erkennen, dass Leute in der eigenen Partei versuchen, alles zu zerstören, woran du glaubst.« (119)
Ich stimme ihr zu, aber wir müssen Gramscis Leitsatz vom »Pessimismus des Verstands und Optimismus des Willens« folgen. (120) Starmers Konterrevolution ist sehr real und sollte nicht kleingeredet werden, aber ebenso real ist die unübersehbare Zahl vor allem junger Menschen, die sich von Corbyn begeistern ließen. In den vergangenen Jahren haben wir viele Höhen und Tiefen erlebt, und wir brauchen eine starke Linke, um durch die Strömungen zu steuern. Den besten Dienst, den wir Corbyn und seinem Vermächtnis erweisen können, besteht darin, diese Linke aktiv aufzubauen.
Dieser Text erschien ursprünglich auf Englisch auf der Website www.theleftberlin.com. (Übersetzung David Paenson und Rosemarie Nünning)
Phil Butland ist in Großbritannien aufgewachsen und lebt in Berlin. Er ist Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft Internationals in der Partei Die Linke.Berlin.
Fußnoten
1 Dank an Rob Hoveman, Carol McGuigan and Anna Southern für ihre Kommentare zu einer früheren Version dieses Artikels. Carol und Anna waren beide aktive Labour-Mitglieder während des Wahlkampfs von 2019. Anna hat inzwischen die Partei verlassen, während Carol noch unentschieden ist. Beide sind mit der jetzigen Führung höchst unzufrieden. Rob trat 1973 in die Labour Party ein, um ihr 1982 für immer den Rücken zu kehren.
2 https://www.theguardian.com/business/2017/oct/01/jeremy-corbyn-nationalisation-plans-voters-tired-free-markets
3 Quelle: Lukas Audickas, Richard Cracknell, Philip Loft UK Election Statistics: 1918–2019: A Century of Elections https://commonslibrary.parliament.uk/research-briefings/cbp-7529/ page 12
4 https://www.theleftberlin.com/post/brexit-in-the-time-of-corbyn-what-s-going-on-in-britain
5 https://www.theleftberlin.com/post/british-elections-what-just-happened
6 https://www.theguardian.com/politics/2015/dec/14/labour-mp-jess-phillips-knife-corbyn-vote-loser-general-election
7 https://www.theguardian.com/politics/2017/feb/21/peter-mandelson-i-try-to-undermine-jeremy-corbyn-every-day
8 https://www.spectator.co.uk/article/jeremy-corbyn-should-not-be-allowed-to-rewrite-the-history-of-his-support-for-the-ira
9 https://www.telegraph.co.uk/news/2016/08/15/jeremy-corbyn-called-for-complete-rehabilitation-of-leon-trotsky
10 https://www.thesun.co.uk/news/3511319/former-rochdale-mp-simon-danczuk-quits-labour-party-after-it-parachutes-in-a-corbyn-supporting-candidate-to-fight-for-his-old-seat/. Danczuk wurde von der Labour Party suspendiert, weil er angeblich anzügliche Nachrichten mit einem 17 Jahre alten Mädchen ausgetauscht hat. https://www.bbc.com/news/uk-politics-35204398
11 https://br.reuters.com/article/idUSKCN11R2C7
12 https://www.jacobinmag.com/2019/10/labour-party-antisemitism-claims-jeremy-corbyn
13 https://www.jewishvoiceforlabour.org.uk/article/bad-news-for-labour-a-response-to-channel-4s-factcheck/
14 https://evolvepolitics.com/yougov-polls-show-anti-semitism-in-labour-has-actually-reduced-dramatically-since-jeremy-corbyn-became-leader
15 https://www.politicshome.com/news/article/analysis-sir-keir-starmer-bids-to-be-the-real-continuity-corbyn-candidate
16 https://www.aljazeera.com/news/2020/5/6/starmer-changes-corbyns-kashmir-stand-as-he-woos-british-indians
17 https://keirstarmer.com/plans/10-pledges/
18 https://www.newstatesman.com/politics/uk/2020/12/labour-s-mutually-destructive-civil-war-should-end-now
19 https://www.newstatesman.com/science-tech/coronavirus/2020/11/how-uk-suffered-50000-covid-19-deaths-highest-number-europe
20 https://www.youtube.com/watch?v=AQwTI2F0FQQ
21 https://labourheartlands.com/gogglebox-have-just-utterly-dismantled-sir-keir-starmer/
22 https://www.theleftberlin.com/post/the-spycops-bill
23 Mehr dazu untere: https://www.spycops.co.uk/the-story/
24 https://www.itv.com/news/2020-11-30/covid-19-tier-vote-labour-to-abstain-and-tory-unrest-over-tough-new-measures-for-england
25 https://www.ft.com/content/c8bc84f2-9ea5-462c-9d4e-5d45d3bddd07
26 https://www.youtube.com/watch?app=desktop&feature=share&v=pyVz3dqj1zQ
27 https://www.theguardian.com/politics/2020/oct/29/jeremy-corbyn-rejects-findings-of-report-on-antisemitism-in-labour
28 https://www.equalityhumanrights.com/en/our-work/news/investigation-antisemitism-labour-party-finds-unlawful-acts-discrimination-and
29 https://www.equalityhumanrights.com/sites/default/files/investigation-into-antisemitism-in-the-labour-party.pdf Seite 13
30 https://labourlist.org/2020/10/corbyn-claims-labour-antisemitism-was-dramatically-overstated/
31 https://www.middleeasteye.net/opinion/ehrc-labour-antisemitism-civil-war-fire-added
32 https://www.theguardian.com/politics/2020/nov/18/jeremy-corbyn-refused-labour-whip-despite-having-suspension-lifted
33 https://www.theguardian.com/society/2020/nov/30/ehrc-board-member-under-scrutiny-over-social-media-use
34 Ebenda
35 https://jacobinmag.com/2020/12/jeremy-corbyn-echr-report-antisemitism-labour-party-uk
36 https://www.telegraph.co.uk/news/2018/07/28/do-cut-illegal-immigration-policing-britains-internal-border. »Empire Windrush« hieß das erste Schiff, das Arbeitsmigranten aus Jamaika, Trinidad, Tobago und anderen Inseln nach Großbritannien brachte. In dieser Zeit waren ihre Heimatländer noch britische Kolonien, weshalb der Einwanderungsstatus der Neubürger damals kein Problem war. »1971, als der Zustrom endete, bekamen Commonwealth-Bürger, die bereits im Vereinigten Königreich lebten, eine unbefristete Duldung. Doch das Innenministerium in London versäumte es, entsprechende Papiere auszustellen, weshalb es für die Betroffenen heute schwierig ist, ihren rechtmäßigen Aufenthaltsstatus zu belegen.« (https://www.dw.com/de/der-windrush-skandal-wirft-schatten-auf-die-britische-einwanderungspolitik/a-43472142)
37 https://www.prospectmagazine.co.uk/magazine/too-diverse-david-goodhart-multiculturalism-britain-immigration-globalisation
38 https://www.bbc.co.uk/news/uk-politics-45634379
39 https://www.theguardian.com/uk-news/2020/nov/14/over-half-muslim-labour-members-do-not-trust-party-to-tackle-islamophobia
40 https://labourlist.org/2020/11/labour-urged-to-tackle-islamophobia-within-party-by-new-report
41 https://www.theguardian.com/society/2020/may/12/equalities-watchdog-drops-plan-for-tory-islamophobia-inquiry
42 https://www.businessinsider.com/boris-johnson-islam-is-the-problem-and-islamophobia-is-a-natural-reaction-2018-8
43 https://www.aljazeera.com/program/investigations/2017/1/10/the-lobby-young-friends-of-israel-part-1
44 Persönlicher Briefwechsel.
45 https://www.opendemocracy.net/en/opendemocracyuk/leaked-labour-report-should-have-been-explosive-scandal
46 https://novaramedia.com/2020/04/12/its-going-to-be-a-long-night-how-members-of-labours-senior-management-campaigned-to-lose
47 Ebenda.
48 https://www.fordeinquiry.org
49 https://www.jewishvoiceforlabour.org.uk/article/the-leaked-labour-report-a-quantitative-assessment
50 https://www.fordeinquiry.org/forde-inquiry-update
51 https://www.prager-fruehling-magazin.de/de/article/1331.die-bewegung-hinter-jeremy-corbyn.html
52 https://www.zeitschrift-luxemburg.de/die-bislang-radikalste-wirtschaftliche-umgestaltung-grossbritanniens/
53 https://electronicintifada.net/content/how-jon-lansman-joined-labours-witch-hunt/28601
54 https://electronicintifada.net/content/ally-jon-lansman-wanted-jeremy-corbyn-removed/28306
55 https://www.standard.co.uk/news/politics/momentum-founder-jon-lansman-labour-has-major-problem-with-antisemitism-a4075736.html
56 Unveröffentlichtes Manuskript.
57 https://www.independent.co.uk/news/uk/politics/labour-leadership-momentum-member-ballot-deputy-candidates-a9283826.html
58 https://www.bbc.com/news/uk-politics-51140071
59 https://www.theneweuropean.co.uk/brexit-news/momentum-backs-rebecca-long-bailey-69612
60 https://twitter.com/parkerciccone/status/1216028944241233920?lang=en
61 https://www.theguardian.com/politics/2020/may/16/lansman-to-step-down-as-momentum-chair-but-remain-on-labour-nec
62 https://theclarionmag.org/2020/04/08/five-points-on-forward-momentum
63 https://labourlist.org/2020/11/18-socialist-campaign-group-mps-sign-call-for-corbyn-reinstatement/
64 https://twitter.com/paulmasonnews/status/1333359652785057792
65 https://manchester-city.uk/owen-jones-turns-on-corbyn-as-he-slams-ex-labour-chiefs-lack-of-emotional-intelligence-politics-news
66 https://www.theguardian.com/commentisfree/2019/dec/18/brexit-labour-election-corbyn-left
67 https://www.theguardian.com/commentisfree/2020/nov/28/labour-britain-future-starmer-leftwing-ideas
68 https://www.huffingtonpost.co.uk/entry/john-mcdonnell-corbyn-pain-jewish-community-anti-semitism-podcast_uk_5fbd9adec5b6e4b1ea46ac6a
69 Von der Labour Party suspendiert – Interview mit Naomi Wimborne-Idrissi https://www.youtube.com/watch?v=b2pWVam6Hs0
70 https://labourlist.org/2020/05/exclusive-fbu-leader-warns-against-factional-general-secretary-frontrunner
71 Meg Russell, »Building New Labour: The Politics of Party Organisation«, S. 229.
72 https://labourgrassroots.com/labour-members-barred-from-discussing-freedom-of-speech
73 https://www.theguardian.com/politics/2020/nov/27/labour-mps-and-members-ordered-not-to-discuss-corbyns-suspension
74 https://labourlist.org/2020/11/motions-on-corbyn-whip-suspension-will-be-ruled-out-of-order-local-parties-told
75 https://www.middleeasteye.net/news/uk-labour-senior-member-jewish-pressure-group-suspended
76 https://www.theguardian.com/politics/2020/nov/27/labour-mps-and-members-ordered-not-to-discuss-corbyns-suspension
77 https://www.jewishvoiceforlabour.org.uk/article/moshe-machover-suspended-again-he-has-issued-a-public-response
78 https://jacobinmag.com/2020/11/labour-party-jeremy-corbyn-suspension-uk-keir-starmer
79 https://beastrabban.wordpress.com/2020/11/30/introducing-naomi-wimborne-idrissi-one-of-the-wrong-type-of-jews
80 https://www.independent.co.uk/news/uk/politics/labour-angela-rayner-antisemitism-thousands-suspended-jeremy-corbyn-b1763577.html
81 https://ppost24.com/post/977/uks-labour-party-suspends-critic-of-israel
82 https://www.liverpoolecho.co.uk/news/liverpool-news/labour-councillor-suspended-after-voting-19421425
83 https://skwawkbox.org/2020/12/09/literally-orwellian-bath-labour-forced-to-abandon-meeting-to-protect-members-after-sw-region-bars-all-motions-except-one-to-mark-orwell-anniversary
84 https://skwawkbox.org/2020/12/09/exclusive-labour-bans-bath-clp-from-giving-3-6k-of-its-own-1-3m-to-foodbanks-poor-children-and-homeless-people-because-its-not-campaigning
85 https://www.thetimes.co.uk/article/blair-era-tycoon-backer-david-abrahams-donates-to-labour-again-hh7rv7cqh
86 https://www.theguardian.com/politics/2020/dec/01/keir-starmer-urged-to-return-donations-from-islamophobic-property-developer
87 https://tribunemag.co.uk/2020/12/capitals-b-team
88 https://www.theguardian.com/politics/2007/nov/30/labour.partyfunding
89 https://twitter.com/siennamarla/status/1336664560850362370
90 https://www.independent.co.uk/news/uk/politics/labour-janet-daby-same-sex-marriage-resigns-keir-starmer-b1767416.html
91 https://labourlist.org/2020/12/your-guidance-puts-us-in-firing-line-175-local-chairs-and-secretaries-tell-evans
92 https://skwawkbox.org/2020/12/10/number-of-local-partiess-signing-letter-demanding-democracy-and-free-speech-rises-to-a-quarter-230-officers-from-160-clps
93 https://skwawkbox.org/2020/12/12/number-of-clps-whove-passed-motions-or-written-to-starmer-to-demand-change-230
94 https://twitter.com/clpsolidarity/status/1329108337271726083
95 https://statsforlefties.blogspot.com/p/support-for-corbyn.html
96 https://skwawkbox.org/2020/12/10/jewish-members-and-others-file-court-claim-against-labour-for-breach-of-ehrc-principles-after-party-tells-them-ehrc-does-not-apply-to-you
97 https://labourlist.org/2018/09/full-jc9-slate-elected-to-labours-nec
98 https://electronicintifada.net/content/how-israeli-spies-are-flooding-facebook-and-twitter/27596
99 https://twitter.com/lukeakehurst/status/1227357634245865484?lang=en
100 https://www.theguardian.com/politics/2020/nov/14/labour-nec-election-returns-mixed-results-momentum-corbyn
101 https://labourlist.org/2020/11/what-we-can-learn-from-labours-2020-nec-results
102 https://labourlist.org/2020/06/labour-nec-changes-voting-system-for-internal-elections-in-starmer-win
103 https://morningstaronline.co.uk/article/b/left-wing-labour-slate-records-upset-nec-elections
104 https://mancunion.com/2020/11/25/uom-rent-strike-win-30-rent-reduction
105 https://www.theguardian.com/education/2020/dec/06/we-wont-be-cash-cows-uk-students-plan-the-largest-rent-strike-in-40-years
106 https://labourlist.org/2020/11/the-biggest-student-uprising-in-a-decade-is-forming-where-is-labour
107 https://www.bbc.com/news/uk-53065806
108 https://mobile.twitter.com/StanCollymore/status/1335608436671778819
109 Posting auf Facebook.
110 Persönlicher Briefwechsel.
111 Unveröffentlichtes Manuskript.
112 https://www.spiegel.de/politik/deutschland/abgang-im-streit-lafontaine-kuendigt-spd-austritt-an-a-357334.html
113 https://www.youtube.com/watch?v=RpoA01YerG4
114 https://www.youtube.com/watch?v=xetVOpBEMiM&feature=emb_logo
115 https://www.eventbrite.co.uk/e/jeremy-corbyns-project-for-peace-and-justice-live-launch-tickets-131909925137
116 https://skwawkbox.org/2020/12/13/breaking-corbyn-launches-new-project-for-peace-and-justice
117 https://jacobinmag.com/2020/12/jeremy-corbyn-project-for-peace-and-justice-launch
118 Siehe meinen Bericht für Philosophy Football: https://www.philosophyfootball.com/yanis-varoufakis-launches-democracy-in-europe-movement-diem25.html
119 Persönlicher Briefwechsel.
120 https://www.facebook.com/groups/5636348598/permalink/10157203557993599
Schlagwörter: Großbritannien, Jeremy Corbyn, Labour