Eine Ausstellung von Fotos, die Kinder in Gaza gemacht haben, ist wegen der jüngsten Bombenangriffe relevanter denn je. Rezension von Phil Butland
Die Eröffnung der Fotoausstellung »Eyes of Gaza« am 18. Mai sollte eigentlich live aus der Forum Factory in Berlin übertragen werden. Doch aus Solidarität mit dem palästinensischen Generalstreik am selben Tag wurde die Veranstaltung aufgezeichnet und am nächsten Tag gesendet.
Die Vorbereitung der Ausstellung ist von Rückschlägen heimgesucht worden. Sie wurde seit Februar wegen der Corona-Pandemie verschoben. Nun können in Berlin nur noch wenige Präsentationen unter Einhaltung der Hygienemaßnahmen stattfinden. Später wandert die Ausstellung nach Gütersloh, Freiburg und Brühl.
Indessen konnten Fotografien und Filme von Amjad Al Fayoumi, die die Ausstellung begleiten sollten, nicht angesehen werden. Israelische Flugzeugen bombardierten sein Büro in Gaza. Glücklicherweise wurde Amjads Büro nicht dem Erdboden gleichgemacht, im Gegensatz zu den 33 Pressebüros, die während der elftägigen Bombardierung zerstört wurden, wie der Palästinensische Journalistenverband berichtet.
Kinder in Gaza fotografieren
Der Ausstellung liegt ein einfaches Konzept zugrunde. Eine Gruppe von Kindern in Gaza im Alter zwischen 13 und 17 Jahren wurde gebeten, Fotos von sich selbst, ihren Familien und ihrem Leben zu machen. Die Ergebnisse sind außerordentlich stark.
Es war seltsam, die Ausstellung zu besuchen, während Bomben auf Gaza fielen, und zu wissen, dass die Landschaften, die wir gerade betrachteten, so vielleicht nicht mehr vorhanden sind. Die Aufnahmen stammen aus dem Jahr 2020, einer Zeit des relativen Friedens, als die größte Angst sich auf die ersten Tage von Covid-19 konzentrierte. Das heißt, dass wir viele Fotos von Familien sehen, die gemeinsam kochen und spielen und sich nicht sicher sind, ob sie nach draußen gehen können.
Olivenernte und Fischer
Wenn wir die Häuser der Menschen dann verlassen, stehen die Bilder, die wir von Gaza sehen, in großem Kontrast zu den jüngsten Zerstörungen. Hier ist die Olivenernte, hier fahren Fischer auf das Meer hinaus, hier wird eine Krabbe am Strand hoch gehalten. Neben dem Foto der Krabbe findet sich folgendes Zitat von Jan Khaled, die das Bild aufgenommen hat:
»Ich bin das einzige Mädchen in der Familie und die Älteste. Meine Hobbys sind Malen, Musik und Schauspielerei. Ich mag sehr gerne Musik und spiele Gitarre und das Qanoon. Ich möchte eine Influencerin in den sozialen Medien werden und stehe gerne vor der Kamera. Das Meer ist der Ort, an dem ich mich am liebsten aufhalte. Ich wollte die Schönheit von Gaza zeigen, nicht nur die Zerstörung. Gaza und die Menschen in Gaza sind in meinen Augen schön.«
Verliebt in das Meer von Gaza
Diese Aussagen der Fotograf:innen helfen, das, was wir sehen, in seinem Kontext zu sehen. Viele der Bilder erinnern uns daran, dass Gaza auf ein Meer hinausschaut, das sowohl stürmisch als auch ziemlich schön ist. Samar Sharaf, die Fischer und Muscheln fotografiert hat, erklärt, was das für sie bedeutet:
»Ich gehe fast jeden Tag ans Meer. Ich bin in der Ukraine geboren und habe dort meine frühen Kindheitsjahre verbracht. In der Ukraine gibt es kein Meer. Als ich nach Gaza kam, verliebte ich mich in das Meer. Ich habe angefangen, Muscheln zu sammeln, und ich entschloss mich, das, was ich im Laufe der Jahre gesammelt hatte, in professionellen Fotos zur Geltung zu bringen. Ich werde dieses Foto an meine Familie und Freunde in der Ukraine schicken, damit sie das Meer von Gaza sehen können.«
Alles andere als normal
Und doch werden wir bei aller Schönheit und scheinbaren Normalität gelegentlich daran erinnert, dass Gaza alles andere als ein normaler Ort zum Leben ist. Die Kinder sind alle während der lähmenden Blockade aufgewachsen. Auch waren die jüngsten israelischen Bomben für keines dieser Kinder etwas Neues.
Baraa Faraj hat sich dafür entschieden, seinen kleinen Cousin zu fotografieren, der einen Teddybär hält. Er erklärt:
»Als ich neun Jahre alt war, wurde unser Haus während des Gazakriegs im Jahr 2014 zerstört. Ich war sehr traurig, weil ich alles verloren hatte, mein Haus und mein Zimmer, wo meine Spielsachen und alle meine Sachen drin waren. Ein paar Tage nach der Zerstörung konnte ich meinen Teddybär aus den Trümmern retten, und ich war so glücklich, ihn wiederzufinden; ich habe ihn noch heute bei mir im Zimmer. Mein kleiner Cousin ist eines der wenigen Kinder, die mit ihm spielen dürfen.
»Die Welt hat uns vergessen«
Ganz ähnlich machte Dania Hamad bewegende Schwarzweißbilder von Kacheln, die aus dem Haus des Onkels ihres Vaters, das bei dem Bombenangriff 2014 zerstört wurde, geborgen wurden. Sie denkt an den Tod ihres Vaters in jenem Jahr und an Mahmoud Darwishs Gedicht »Forgotten As if You Never Were« (»Vergessen, als ob es dich / euch nie gegeben hätte«) und sagt: »Manchmal denke ich, die Welt hat uns in Gaza vergessen.«
Wegen der gegenwärtigen Lage in Gaza wurde die Ausstellung von Fidaa Zaanin aus Gaza, die zur Zeit in Berlin lebt, eröffnet. Nach der Eröffnung schilderte mir Fidaa, wie die Ausstellung sie betroffen gemacht hat:
»Die letzten 11 Tage waren nicht einfach. Ich habe kaum gegessen oder geschlafen, weil ich daran gedacht habe, was im Gazastreifen vor sich geht, und Namen und Bilder von Märtyrern dokumentiert habe, mitansehen musste, wie Bomben wie ein Regen auf mein geliebtes Gaza gefallen sind, und die massive Zerstörung überall.«
Körperlich in Berlin, geistig in Gaza
»Die ganze Zeit über hatte ich das Gefühl, dass ich zwar körperlich in Berlin bin, aber geistig in Gaza bei meinen Leuten. Doch als ich die Ausstellung »Eyes of Gaza« besuchte, die Gesichter der jungen Fotograf:innen aus Gaza sah, ihre Arbeit, ihre Erinnerungen, ihren Lieblingsplatz im Haus und ihre Hobbys betrachtete und wie sie das Leben in Gaza wahrnehmen…
All die tollen Bilder, die sie gemacht haben, erzählen uns viel über ihr Leben und ihre Träume, aber auch über Gaza. Ich konnte mich mit ihren Beiträgen identifizieren. Das Meer ist auch mein Lieblingsplatz in Gaza. Die Bilder, die sie gemacht haben, wurden auch für mich selbst sehr persönlich. In diesem Moment hatte ich das Gefühl, als sei ich körperlich und räumlich in Gaza.
Ich hatte auch ein gemischtes Gefühl von Stolz und untröstlichem Kummer, weil ich gewusst habe, dass die Orte auf den Fotos in diesem Augenblick von Israel bombardiert werden und diese Erinnerungen vielleicht ausgelöscht worden sind. Ich habe gebetet, dass all diese Fotograf:innen am Leben und in Sicherheit sind und eines Tages die Gelegenheit bekommen werden, in Berlin zu sein und die Ausstellung selbst zu organisieren.«
Eine seltene Chance
Es wäre leicht, den Fotograf:innen von oben herab zu sagen, dass sie für ihr Alter gut sind. In Wahrheit sind sie unabhängig von ihrem Alter gut. »Eyes of Gaza« vermittelt uns einen Blick auf Gaza, der sich dem westlichen Auge nur selten zeigt. Die Chancen, ihn zu erleben, sind begrenzt. Man sollte sie nicht verpassen.
Die Ausstellung »Eyes of Gaza« wird in folgenden Städten gezeigt:
- Berlin ab dem 12. Juni in der Ulme35, Ulmenallee 35, 14050 Berlin
- Gütersloh ab dem 18. Juni
- Freiburg vom 9. bis 16. Juli in der Galerie ArtRaum, Hildastraße 17
- Brühl (bei Köln) im September
Voraussichtlich werden bald weitere Termine bekannt gegeben. Wer die Ausstellung in seiner oder ihrer Stadt ausrichten möchte, schreibt an: contact@zaitwaza3tar.berlin
Hier ein Interview mit den Ausstellungskuratorinnen Nahed Awwad und Cora Josting (in englischer Sprache).
Schlagwörter: Gaza, Israel, Kultur, Palästina