Der Wahlsieg von Syriza in Griechenland ist kein Grund zum Feiern. Die Linke steht vor großen Herausforderungen, wenn sie der Erpressungspolitik der Troika etwas entgegensetzen will. marx21-Autor Dirk Spöri berichtet aus Athen.
Trotz enttäuschter Hoffnungen konnte die griechische Linkspartei Syriza bei den Wahlen in Griechenland mehr als 35 Prozent der Stimmen erobern. Der LINKEN-Vorsitzende Bernd Riexinger gratulierte Syriza-Spitzenkandidat Alexis Tsipras zum Wahlergebnis und nannte ihn einen »Sieger gegen neoliberale EU-Eliten und Meinungsmacher«. Doch ein Sieg sieht anders aus: Die Wahlbeteiligung ist um sieben Prozentpunkte gesunken, dazu kommen über zwei Prozent ungültige Stimmen und leere Stimmzettel. Auch Syriza verlor fast 330.000 Stimmen – ein Hinweis darauf, wie tief die Enttäuschung über die Politik der bisherigen Regierung sitzt. Im Januar noch sind Griechinnen und Griechen aus ganz Europa in ihre Heimartorte geflogen, um dort zu wählen. Diese Begeisterung, diese Hoffnung auf einen grundlegenden Wechsel ist vorbei. Am Wahlabend war der Tenor vieler Griechinnen und Griechen: »Kein Grund zum Feiern«.
Stark gesunkene Wahlbeteiligung
Die stark gesunkene Wahlbeteiligung führte dazu, dass fast alle Parteien Stimmen verloren. Lediglich die Volkseinheit (Laiki Enotita, LAE), eine Linksabspaltung von Syriza, die mit 155.000 Stimmen mehr dazu gewann als alle anderen Parteien, das antikapitalistische Bündnis Antarsya und die konservative, sich »unverbraucht« gebende Enosi Kendroon konnten zulegen. Mit anderen Worten: Nur die Parteien, die sich von der üblichen Politik abheben konnten, gewannen an absoluten Stimmen hinzu. Zusammen mit den vielen Nichtwählerinnen und Nichtwählern ist das ein Ausdruck dafür, dass sich viele Menschen von der bürgerlichen Politik abwenden.
Als Gewinner werden zudem die Nazis von der Goldenen Morgenröte angesehen, die ein Prozentpunkt zulegen konnten, auch wenn sie in absoluten Zahlen 10.000 Stimmen verloren haben. Sie sind damit zum zweiten Mal in Folge drittstärkste Kraft und haben insbesondere auf den Inseln, auf denen viele Flüchtlinge ankommen, ihre Stimmenanteile steigern können. Auf Kos konnten sie ihr Ergebnis von Januar sogar verdoppelten.
Zweite Chance für Syriza in Griechenland
Diejenigen, die Tsipras und Syriza gewählt haben, wollten der Linksregierung eine zweite Chance geben. Ein Zurück zur konservativen Nea Dimokratia oder zur ehemals sozialdemokratischen PASOK wünschten sich die wenigsten Menschen, denn diese Parteien haben Griechenland seit Jahrzehnten regiert und gelten bei vielen als vollkommen korrupt. Das erklärt, warum Nea Dimokratia trotz verändertem Personal nicht besser abschnitt.
Das weiterhin vorhandene Vertrauen in Syriza drückte auch Tsipras‘ Abschlusskundgebung auf dem überfüllten Syntagma-Platz in Athen aus, als er vor mehreren zehntausend Menschen sprach. Doch die wirklichen Auseinandersetzungen stehen noch bevor. Im Januar gewann Syriza die Wahlen mit dem Versprechen, die Austeritätspolitik und das Diktat der Troika zu beenden. Acht Monate später haben Merkel und Schäuble weitere Privatisierungen und Rentenkürzungen durchgedrückt. Die Strategie von Tsipras, in Verhandlungen mit der Troika zu einem besseren Ergebnis als ihre Vorgängerregierungen zu kommen, ist gescheitert. Das Dilemma ist allerdings auch, dass der Sieg von Syriza seine Position stärkt. Dieser Sieg kann, wie es der ehemalige Finanzminister Gianis Varoufakis ausdrückt, auch dem Ziel dienen, »das mutige OXI zu annullieren« und »die Kapitulation gegenüber dem dritten Memorandum zu legalisieren«.
Nach der Wahl ist vor dem Sozialabbau
Schon die kommenden Wochen könnten für Syriza zu »Wochen der Wahrheit« werden. Im Oktober muss die Regierung ein Drittel der Maßnahmen des letzten, »Memorandum« genannten Kürzungsprogramms umsetzen. Schon in zwei Wochen muss sie den Haushalt ins Parlament einbringen. Beides sind Voraussetzungen für weitere Hilfen – ohne die Griechenland im November pleite wäre. Die dortige Linke steht nun vor der Herausforderung, die Millionen, die beim Referendum mit OXI gestimmt haben, dagegen zu mobilisieren – und Syriza steht vor der Frage, auf welcher Seite der Auseinandersetzung sie sich dann befinden wird. Die Griechinnen und Griechen gaben Tsipras bei den Wahlen »eine zweite Chance«, eine dritte Chance wird er wahrscheinlich nicht bekommen.
Nazis bleiben gefährlich
Sollte Tsipras die Hoffnungen von Millionen Wählerinnen und Wählern enttäuschen, weil seine Linksregierung selbst brutalen Sozialabbau verkörpert, könnten auch die Nazis davon profitieren. Die Goldene Morgenröte, Xrysi Avgi, ist eine faschistische Partei, deren Mitglieder auch vor Morden nicht zurückschrecken. Viele der Nazikader sitzen zwar im Gefängnis. Doch dass die Nazis nicht jetzt schon stärker geworden sind, ist vor allem eine Folge der großen Mobilisierungen, die es in den Tagen nach dem Mord am linken Rapper Pavlos Fissos gab. Sotiris Kontogiannis von Antarsya berichtet, dass »viele Wählerinnen und Wähler erst in den vergangenen Jahren realisiert haben, dass es sich um gewalttätige Nazis handelt.« Die Gefahr, dass diese mit zunehmendem Sozialabbau stärker werden, bestätigt eine Umfrage unter Erwerbslosen: Dort sind die Nazis mit 16,6 Prozent stärkste Partei, gefolgt von LAE und der kommunistischen Partei KKE.
Ein weiterer Grund für das nicht ganz so starke Abschneiden der Nazis ist in der großen Solidaritätsbewegung mit Flüchtlingen zu sehen. Auf dem zentral gelegenen Platz »Plateia Viktorias« in Athen leben Geflüchteten unter freiem Himmel und ohne Toilette. Viele Nachbarn unterstützen sie und bringen Essen und Kleidung. Diese Solidarität ist vor allem deshalb beeindruckend, weil viele Menschen in Athen selbst kaum genug Geld haben, um ihre Miete, die Strom- oder Gasrechnung zu bezahlen.
Griechenland muss mit Merkels Europa brechen
Nur wenige Woche vor der Wahl spaltete sich aus Protest gegen Tsipras Zustimmung zur Sparpolitik die Volkseinheit, LAE, von Syriza ab. Kernauseinandersetzung war vor allem die Frage des Umgangs mit dem Euro und der EU. LAE will keinen Verbleib Griechenlands um jeden Preis, während Syriza versucht, im – von Merkel und Schäuble diktierten Rahmen – »das Beste rauszuholen«. Diese Debatte führt die Linke in ganz Europa. Vor einer Woche haben der frühere Finanzminister Varoufakis (Syriza), die ehemalige Parlamentspräsidentin Zoe Konstatopoulo (LAE) zusammen mit Jean-Luc Mélenchon (Parti de Gauche, Frankreich) und dem LINKEN-Politiker Oskar Lafontaine eine Erklärung für einen »Plan B«, einen Ausstieg aus dem Euro, veröffentlicht. Sie planen hierzu eine europaweite Konferenz im November. Ein Bruch mit dem Euro wäre kein Selbstzweck, sondern stünde für einen Bruch mit der Politik von Merkel und Schäuble, die in Griechenland wie in anderen Ländern Privatisierung und Sozialabbau durchsetzen.
Die Bundesregierung plant einen Ausverkauf der griechischen Wirtschaft nach dem Vorbild der Treuhand, die nach 1990 den Verkauf ostdeutscher Betriebe an westdeutsche Unternehmen zum Spottpreis organisierte. Dementsprechend sitzt Schäuble nun im Aufsichtsrats der Treuhandgesellschaft für Griechenland und die Fraport AG, der Frankfurter Flughafenkonzern, krallt sich die profitablen griechischen Flughäfen. Ein Bruch mit dem Euro würde es deutschen Konzernen erschweren, Zugriff auf die griechische Wirtschaft zu bekommen. Ein solcher Bruch müsste aber Hand in Hand gehen mit einer stärkeren Mobilisierung der griechischen Bevölkerung. Aktivistinnen und Aktivisten von Syriza und LAE kritisieren allerdings, dass in den vergangenen Monaten keine Einbeziehung der Basis stattfand und innerhalb der Regierungspartei die Entscheidungen nur »von oben« getroffen wurden.
Warum scheiterte die Volkseinheit?
LAE hat sich im Wahlkampf als OXI-Partei präsentiert – auf Wahlplakaten, auf den Kundgebungen und durch die Kandidatur der Parlamentspräsidentin Konstatopoulo, die die sichtbarste Figur für den innerparlamentarischen Widerstand gegen das Memorandum war. Trotz Wahlaufrufen von bekannten Personen wie dem ehemaligen Finanzminister Varoufakis schnitt LAE schlecht ab und verpasste den Einzug ins Parlament. Das ist bitter, weil dort nun die Kräfte geschwächt sind, die sich gegen die Memoranden richten.
Ein Grund für das schlechte Abschneiden ist sicher, dass die Volkseinheit als neue Partei unglaublich wenig Zeit hatte, sich auf den Wahlkampf vorzubereiten. Wichtiger für ihr schwaches Abschneiden sind jedoch andere Gründe: Zum einen gab es – im Unterschied beispielsweise zur Gründung der WASG als Vorgängerorganisation der LINKEN – keine Massenmobilisierungen gegen die Kürzungspläne der Regierung. Natürlich gab es die OXI-Bewegung und auch kleinere Streiks beispielsweise im Gesundheitswesen. Aber der Widerstand in Betrieben und auf der Straße erreichte nicht das Niveau wie noch in den Jahren vor dem Wahlsieg von Syriza. Ein solcher Anstieg der Klassenkämpfe hätte der neue Partei sicher den nötigen Rückenwind für den Einzug ins Parlament verschafft. Außerdem unterschied sich das Programm von LAE kaum von Syrizas Januar-Programm. Mit der Aussage »wir machen das, was Syriza eigentlich wollte«, ließen sich die Menschen nicht mobilisieren. Stattdessen ging die Wahlbeteiligung deutlich zurück. Gerade von Syriza enttäuschte Menschen blieben zu Hause. Ein linker Reformismus 2.0, sozusagen »das selbe in grün«, kann keine überzeugende Alternative zu einem soeben gescheiterten linken Reformismus sein.
Griechenland: Das OXI auf die Straße tragen
Das »Plan B«-Projekt ist ein guter Ansatzpunkt, die Debatte in der europäischen Linken zu führen und dort für einen Bruch mit der EU und dem Euro zu werben. In Griechenland selbst wird es aber nicht helfen, die Schuld nur »außen« zu suchen. Die LAE-Strategie funktionierte auch deshalb nicht, weil vielen Menschen klar ist, dass der Sieg der Troika nicht an der schlechten Verhandlungstaktik oder der mangelnden Charakterstärke von Tsipras lag. Eine alternative Strategie muss sich vor allem auf andere Mittel beziehen: Auf die Menschen, die sich zum Referendum in den OXI-Komitees organisierten, auf die Hafenarbeiter, die sich gegen die Privatisierung stellen, auf die Putzfrauen, die für Wiedereinstellung im öffentlichen Dienst streikten.
In ihrer Erklärung zum »Plan B« rufen die Autoren auch zu zivilem Ungehorsam gegen die Sparpolitik auf. Für die Linke, ob in Syriza, LAE, Antarsya oder den Parteien der europäischen Linken, stellt sich jetzt die Frage, wie außerhalb von Parlamenten eine gesellschaftliche Mobilisierung gegen die Sparpolitik organisiert werden kann. Denn Merkel und Schäuble muss nicht nur eine Regierung, sondern eine reale Bewegung entgegengesetzt werden, so dass sie bei jeder neuen Maßnahme mit Protesten konfrontiert sind – in Griechenland selber, aber ebenso in ganz Europa. Dies wäre die beste und praktischste Solidarität, die eine europäische Linke organisieren könnte.
Schlagwörter: Antarsya, DIE LINKE, Griechenland, Jean-Luc Mélenchon, marx21, Merkel, Oskar Lafontaine, Oxi, Syriza, Troika, Wahlanalyse, Wahlkampf