Das Verhältnis von Klasse und Geschlecht sowie Arbeiter- und Frauenbewegung wird in der Linken nicht erst seit den 68ern kontrovers diskutiert. Ein neuer Sammelband beleuchtet die Debatte aus historischer Perspektive. Wir sprachen mit Vincent Streichhahn, Mitherausgeber des Bands, über Strategien zur Frauenbefreiung damals und heute
marx21: Die Frage nach dem Verhältnis zwischen Klasse und Geschlecht ist auch heute noch ein heißes Eisen. In eurem neuen Sammelband nähert ihr euch dem Thema aus historischer Perspektive. Welchen Beitrag kann ein solcher Blick in die Geschichte für heutige Debatten leisten?
Vincent Streichhahn: Mitunter entsteht der Eindruck, dass die Auseinandersetzung um das Verhältnis von Klasse und Geschlecht ein Produkt der zweiten Frauenbewegung gewesen sei. Berühmt für den deutschen Kontext ist der Tomatenwurf auf dem Kongress des Sozialistisch Deutschen Studentenbundes (SDS) im September 1968. Die feministische Sozialistin Helke Sanders forderte in ihrem Referat zur Befreiung der Frau von den Männern im SDS eine ernsthaftere Auseinandersetzung über die Ursachen der Frauenunterdrückung und ein aktives Eingreifen. Als die Tagungsleitung anschließend einfach zur Tagesordnung übergehen wollte, warf Sigrid Rüger eine Tomate auf das führende SDS-Mitglied Hans-Jürgen Krahl. In der Geschichtserzählung wird dieser Tomatenwurf, der ja im Grunde einen Konflikt um das Verhältnis von Klasse und Geschlecht darstellt, häufig als Geburtsstunde der zweiten Frauenbewegung in Deutschland bezeichnet.
Aber der Konflikt ist schon älter?
Ja. Der Blick in die Geschichte zeigt, dass diese Auseinandersetzungen die sozialen Bewegungen bereits seit ihrem Entstehen im 19. Jahrhundert prägen. Die Beiträge in unserem Sammelband gehen hauptsächlich auf die Geschlechter- und Klassendiskurse der damaligen Zeit ein, aber vor allem für den US-amerikanischen Kontext spielt natürlich auch »race« eine entscheidende Rolle. Die Antisklaven- und Frauenbewegung waren lange Zeit eng miteinander verbunden. Das Sprechen über Intersektionaliät, also das Vorhandensein verschiedener Unterdrückungsformen, und der Kampf dagegen sind also mitnichten ein junges Phänomen.
Ihr beschreibt das Verhältnis der Arbeiterbewegung des 19. und 20. Jahrhunderts zur »Frauenfrage« als ambivalent. Wie ist das gemeint?
Wir wollen darauf hinweisen, dass die progressive Beschäftigung mit der »Frauenfrage« innerhalb der Organisationen der Arbeiterbewegung historisch keinen Automatismus dargestellt hat. Heutzutage reden wir wohl eher von Geschlechterverhältnissen, aber die »Frauenfrage« war seit Mitte des 19. Jahrhunderts ein stark umkämpftes Thema.
Worum ging es in den Debatten damals?
Dabei wurde die gesellschaftliche Stellung der Frau debattiert, die in der Moderne immer enger an Haus und Herd, um es etwas platt auszudrücken, gekettet wurde. Zugleich waren aber im Zuge der Industrialisierung immer mehr Frauen gezwungen, einer Erwerbsarbeit nachzugehen, wenn sie und ihre Familien nicht verhungern wollten.
Ist das kein Widerspruch?
Doch. Dennoch fanden beide Prozesse parallel statt. Die bürgerliche Familienideologie wurde immer restriktiver, obwohl – oder gerade weil – immer mehr Frauen arbeiten mussten. Daher war die bürgerliche Vorstellung von der »Hausfrau« und der glücklichen Kleinfamilie für proletarische Frauen keine realistische Option. In dieser Zeit kamen, angetrieben durch ökonomische und politische Entwicklung sowie die entstehende Frauenbewegung, immer mehr Stimmen auf, die sich für Reformen einsetzten, die die Situation von Frauen verbessern und ihnen mehr Freiheiten und Rechte geben sollten.
Wie verhielt sich die frühe Arbeiterbewegung zur »Frauenfrage«?
Die Organisationen der Arbeiterbewegung, welche zu Beginn reine Männerorganisationen waren, machten in dieser gesellschaftlichen Auseinandersetzung anfangs keine sonderlich gute Figur. Der Historiker Werner Thönnessen führte für die Periode der frühen deutsche Arbeiterbewegung, damit meinte er vor allem den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (ADAV) unter der Führung von Ferdinand Lassalle, den Begriff des proletarischen Antifeminismus ein. Der ADAV setzte sich beispielsweise für ein Verbot von Frauenarbeit ein, über politische Rechte für die Frau wurde überhaupt nicht nachgedacht und stattdessen ebenfalls ein bürgerliches Frauenbild und Familienideal vertreten.
Wann begann sich das zu ändern?
Es war ein langer und umkämpfter Prozess, in dem sich die Arbeiterorganisationen von antifeministischen Positionen und – das war vielleicht schwieriger – von antifeministischen Mentalitäten und Verhaltensweisen emanzipierten. Letzteres ist vermutlich bis heute nicht gänzlich gelungen. Dass die SPD jedoch im Erfurter Parteiprogramm von 1891 das allgemeine Wahlrecht unabhängig vom Geschlecht forderte und auch ansonsten für die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter eintrat, war das Resultat eines gemeinsamen Kampfes von Vertreterinnen der proletarischen Frauenbewegung wie Emma Ihrer und Clara Zetkin mit führenden Genossen der SPD wie August Bebel und Wilhelm Liebknecht.
Die Arbeiterbewegung hat sich bereits im 19. Jahrhundert, insbesondere aber im 20., politisch erheblich ausdifferenziert. Welche Unterschiede gab es bezogen auf die »Frauenfrage« zwischen den verschiedenen Strömungen der Arbeiterbewegung?
Das ist keine leichte Frage. In der marxistischen Auseinandersetzung wird häufig davon ausgegangen, dass der revolutionäre Flügel der Arbeiterbewegung sich tendenziell stärker für die Frauenbefreiung eingesetzt und der revisionistische Flügel diesem Anliegen weniger Bedeutung beigemessen hätte. Die feministischen Diskussionen wiederum gehen oft davon aus, die Geschlechterfrage sei im Marxismus nur ein Nebenwiderspruch gewesen, der hinter dem Klassenwiderspruch zurückstecken musste. Die Fronten sind teilweise noch heute sehr hart. Ich halte beide Narrative für zu kurz gegriffen.
Inwiefern?
Diese unsägliche Nebenwiderspruchsdiskussion, die es in orthodoxen linken Gruppen bis heute geben mag, verkennt den selbstbewussten Einsatz von Sozialistinnen wie Clara Zetkin, aber auch Helma Steinbach, Ottilie Baader und von vielen anderen, gegen das sexistische Verhalten von Genossen oder deren ausbleibende Unterstützung. Die Hamburger Genossin Luise Kähler stellte die Männer auf den Gothaer SPD-Parteitag im Jahr 1896 zur Rede: »Viele Genossen behandeln die Frauenfrage so scherzhaft, daß man sich wirklich fragen muß: sind das Parteigenossen, die für gleiches Recht eintreten?« Eine Tomate ist damals nicht geflogen, aber wir finden viele solcher Kritiken von Vertreterinnen der proletarischen Frauenbewegung. Diese ließen sich von den Widerständen, mit denen sie konfrontiert waren, nicht unterkriegen, sondern stellten ganz selbstbewusst Forderungen auf, bei denen sie auch von manchen Genossen unterstützt wurden. Dabei ging es um sehr konkrete Fragen, wie eigene Publikationsorgane und Organisationsformen oder spezifische Forderungen des Arbeiterinnenschutzes sowie der Einsatz für das Frauenwahlrecht.
Aber die Haltung zur »Frauenfrage« war nicht deckungsgleich mit den Hauptflügeln der SPD?
Um die Frage nach den Positionen der verschiedenen Flügel zur »Frauenfrage« zu beantworten, wird gelegentlich auf den Sozialdemokraten Edmund Fischer verwiesen. Fischer, gewiss Anhänger des reformorientierten Flügels, schrieb noch 1905 in den Sozialistischen Monatsheften, dass die Frauenemanzipation »der weiblichen Natur und der menschlichen Natur überhaupt« widerspreche und daher undurchführbar sei. Ohne jetzt näher auf Fischers Position einzugehen, kann diese meiner Meinung nach nicht einfach als Folge des Revisionismus gedeutet werden, sondern ist das Ergebnis eines tradierten proletarischen Antifeminismus, der in den Organisationen der Arbeiterbewegung nie ganz verschwunden war. Die proletarische Frauenbewegung war auch nicht durchweg auf dem linken Flügel der SPD angesiedelt, was häufig als Argument angeführt wird, sondern spätestens ab 1908 und dem schwindenden Einfluss Clara Zetkins ebenfalls in zwei Flügel geteilt.
Welche Position man in der Arbeiterbewegung zur »Frauenfrage« eingenommen hat, ob man ihr überhaupt Bedeutung beimaß, hing stärker von anderen Faktoren ab. Gleichwohl hatten die Flügel bzw. theoretischen Annahmen dahinter einen Einfluss auf die Strategien und Lösungsvorschläge.
Was waren die Unterschiede in den Strategien zur Frauenbefreiung?
Die Revisionisten hielten es mit der »Frauenfrage« ähnlich wie mit dem Kapitalismus. Durch beständige Reformen innerhalb des Kapitalismus sollte die Geschlechterungleichheit nach und nach abgebaut werden. Mit diesem Programm befanden sie sich näher bei der bürgerlichen Frauenbewegung. Die Vertreterinnen des revolutionären Flügels banden die »Frauenfrage« viel stärker an die soziale Frage und betonten, dass die Unterdrückung der Frau erst endgültig mit dem Sturz des Kapitalismus überwunden werden kann. Das hinderte sie aber nicht daran, für Reformen im Hier und Jetzt zu kämpfen. Wie man diese unterschiedlichen Problemdiagnosen und Strategien auch einschätzt, ist dann eine andere Frage.
Die proletarische Frauenbewegung musste sich sowohl gegen die Dominanz von Männern in der Arbeiterbewegung behaupten wie auch gegen die bürgerlichen Ideen einer klassenlosen Frauenemanzipation. Mit welchen Mitteln verfolgte sie ihre Ziele?
Ein weiteres großes Hindernis, um das noch zu ergänzen, waren in Deutschland die reaktionären politischen Verhältnisse des Kaiserreichs. Das preußische Vereinsgesetz verbot es Frauen noch bis 1908 überhaupt Mitglied in einer politischen Partei zu werden oder an politischen Versammlungen teilzunehmen. Deshalb wurden die Arbeiterinnenvereine auch ständig von den Behörden aufgelöst und verboten. Die bürgerlichen Frauenvereine hatten hier größere Handlungsspielräume, aber hielten auch entschiedene Distanz zu den Proletarierinnen. Diese Abgrenzung beruhte auf Gegenseitigkeit, so propagierte Zetkin seit Mitte der 1890er Jahre die Politik der »reinlichen Scheidung«, also der klaren Abgrenzung zu den Frauenrechtlerinnen. Allerdings wurde die Strategie in dieser Härte nicht von allen innerhalb der SPD geteilt.
Die proletarische Frauenbewegung unternahm trotz dieser schwierigen Organisationsbedingungen nach der Aufhebung der Sozialistengesetze 1890 den Versuch, sich in den Reihen der Sozialdemokratie zu organisieren.
Wie sind sie dabei vorgegangen?
Sie setzten dabei auf relativ autonome Strukturen innerhalb der SPD, um die Arbeit zu koordinieren und als Bewegung zu wachsen. Es wurde viel ausprobiert. Die sogenannten Agitationskomitees boten in der Anfangszeit eine gewisse organisatorische Grundlage, wurden aber nach wenigen Jahren wieder von den Behörden verboten. Die meiste Zeit arbeiteten die Genossinnen mit Vertrauenspersonen, hinter denen sich kleinere und größere Gruppen von Sozialistinnen verbargen. Auf Versammlungen wurde gemeinsam diskutiert, Positionen entwickelt und Arbeitskämpfe organisiert. Ungemein wichtig war die proletarische Frauenzeitung »Die Gleichheit«, welche unter der Leitung von Zetkin seit 1891 herausgegeben wurde und dabei half, dass die proletarische Frauenbewegung überhaupt erst eine Identität herausbilden konnte. Meines Erachtens werden die sozialdemokratischen Frauenkonferenzen, welche seit 1900 alle zwei Jahre, mit einer Ausnahme, bis 1911 vor den regulären Parteitagen stattfanden, stark unterschätzt. Hier gab es einen physischen Raum, in dem die proletarische Frauenbewegung über aktuelle Herausforderungen debattieren und Lösungen finden konnte.
Der Aufbau dieser autonomen Strukturen war unter den spezifischen Bedingungen der damaligen Zeit für das Wachsen der proletarischen Frauenbewegung ein richtiger Schritt. Es war aber auch heikel, da in der Praxis ein Spannungsverhältnis zwischen dem eigenen Anspruch der gemeinsamen Organisation von Männern und Frauen und der faktisch weitgehend getrennten Organisation bestand.
Welchen Umgang fanden die Aktivistinnen mit diesem Widerspruch?
Für diese Problematik etablierte sich in der Partei die Formulierung der Zwecksmäßigkeit. Solange die Bedingungen eine gemeinsame Organisation verhinderten, waren die separaten Strukturen aufgrund der Zweckmäßigkeit zu akzeptieren. Als das Vereinsverbot für Frauen 1908 im gesamten Kaiserreich aufgehoben wurde, baute die Parteiführung diese separaten Strukturen relativ schnell ab, teilweise gegen den Widerstand von Vertreterinnen der proletarischen Frauenbewegung, welche beispielsweise an den sozialdemokratischen Frauenkonferenzen festhalten wollten.
Der zweite Teil eures Sammelbandes bietet verschiedene internationale Perspektiven auf die Frage von Geschlecht und Klassenkampf. Sind die Auseinandersetzungen in den von euch untersuchten Ländern überall ähnlich oder gibt es auch Beispiele für grundlegende Abweichungen?
Zunächst wollten wir die gemeinsame Geschichte der Arbeiter- und Frauenbewegung herausstellen, da diese in der Forschung oft sehr getrennt voneinander erzählt wird. Dabei offenbaren die Fallbeispiele in dem Sammelband – egal ob in Deutschland, Frankreich, den USA, Großbritannien, Russland oder Japan – überall ein ähnliches Bild: Die politischen und ökonomischen Transformationsprozesse der Moderne und des Industriekapitalismus waren überall der Motor für das Aufkommen der Arbeiter- und Frauenbewegungen. Den Emanzipationsbestrebungen von Frauen wurden in internationaler Perspektive zwar durchaus ungleichzeitig von Arbeiterorganisationen, die länderübergreifend durch patriarchale Strukturen und Mentalitäten geprägt waren, starke Widerstände entgegengesetzt. Frauen mussten sich ihren Platz erst erkämpfen, der stets prekär blieb. Sie griffen dafür im Grunde überall auf eigene Organisationsstrukturen und Publikationsorgane zurück. Insgesamt erscheint es also schlüssiger, die internationalen Gemeinsamkeiten herauszustellen. Bei einem genaueren Blick auf die spezifischen nationalen Allianzen, Strategien, Argumentationsmuster, Kontextbedingungen sowie Aktions- und Mobilisierungsformen treten aber gewiss eine Reihe von Differenzen zum Vorschein.
Auch in der heutigen Debatte über Klasse und Geschlecht wird oft ein Gegensatz zwischen Klassenpolitik und sogenannter Identitätspolitik aufgemacht. Was hat sich im Vergleich zu früher geändert?
Manchmal habe ich den Eindruck nicht viel. Das ist natürlich überspitzt, aber die Vorstellung eines Gegensatzes zwischen Klassen- und Identitätspolitik wird heutzutage ja gerne bemüht, um die Entfremdung der Arbeiterparteien von der Arbeiterklasse bzw. Wählerschaft zu erklären. Abgesehen davon, dass die Sozialdemokratie in Europa schon lange vor der vermeintlichen Dominanz von Anerkennungs- und Identitätsfragen durch Sozialabbau ihren Kontakt zur Arbeiterklasse verloren hat, verkennt dieses Gerede den Zusammenhang von beiden Bereichen. Diejenigen, die sich beispielsweise bei Black Lives Matter, Fridays for Future oder Frauenstreik organisieren, sprechen dabei durchaus handfeste materielle Fragen an. Sexismus und Rassismus prägen die Lebensrealitäten von Frauen sowie Migrantinnen und Migranten. Sie sind tendenziell schlechter bezahlt, gehen prekäreren Arbeitsverhältnisse nach, sehen sich struktureller Gewalt ausgesetzt, haben eventuell Probleme eine Wohnung zu finden. Diese Problemlagen als Identitätsfragen abzutun, bedeutet einem verengten Klassenverständnis anzuhängen und dadurch die Arbeiterklasse zu spalten.
Also ist etwa der Kampf gegen Sexismus auch Teil des Klassenkampfs?
Ja, es sind gerade unsere mannigfaltigen Identitäten, die in der Geschichte immer wieder als Spaltungslinien genutzt wurden und zu Ausschlüssen geführt haben. Fakt ist: Die globale Arbeiterklasse ist multiethnisch, multigeschlechtlich und hat verschiedene Begabungen. Die Vorstellungen des weißen Lohnarbeiters als Repräsentant der Klasse war seit jeher eine Fiktion, wenn auch eine wirkmächtige. Sie bildete immer nur einen Teil der Realität ab. Es ist daher einer der schlimmsten politischen Fehler mit abstrakten Modellen bestimmen zu wollen, was als Klassenkampf gilt und was nicht. Stattdessen kommt es darauf an, die Vielfältigkeit der Kämpfe und unserer Identitäten nicht als Manko, sondern als Stärke zu betrachten und die Bewegungen zusammenzubringen. Das ist eine enorme Herausforderung, aber niemand hat gesagt, dass es leicht wird.
Welche Aufgaben siehst du für die heutige Linke, um den Kampf gegen Ausbeutung und verschiedene Formen der Unterdrückung zusammenzubringen?
Unsere Kämpfe müssen die Bedürfnisse der arbeitenden Klasse in all ihrer Vielfältigkeit ins Zentrum rücken. Bei diesem Versuch gab es in den letzten Jahren durchaus Grund zur Hoffnung. Die globalen Kämpfe im Bereich der sozialen Produktion haben es teilweise geschafft, die verschiedenen Formen des Klassenkampfes miteinander zu verbinden. Die Streiks in den Schulen, Kindergärten, Krankenhäusern und Universitäten zeigen das eindrücklich. Im Zuge der Finanzkrise von 2008 kam es zu einer Verschärfung der Austeritätspolitik, in deren Folge vor allem im Sozial-, Bildungs- und Gesundheitssektor massiv Gelder gekürzt wurden. Die Kämpfe um soziale Reproduktion und Fürsorge haben daher im neoliberalen Zeitalter eine neue Bedeutung erlangt. Die Klassenkämpfe im Bereich der sozialen Reproduktion besitzen das Potenzial, eine enorme strategische Macht zu entfalten. Dieses Potenzial ist spätestens in Zeiten von Covid-19 offenkundig geworden. Es kommt darauf an, die Verbindungen herzustellen, zwischen der prekären Situation in den Krankenhäusern, Pflegeheimen, Schulen usw. Hier handelt es sich um neuralgische Orte, an denen die Klasse zusammenkommt, wo alle betroffen sind. Beginnen wir also damit, diese Vielfalt der sozialen Beziehungen als Bestandteil eines sozialen Ganzen zu begreifen, welches durch unsere Arbeitskraft hervorgebracht wird. Das kann der Arbeiterklasse das Selbstvertrauen und die Kraft geben, die wir für eine andere solidarische Welt brauchen.
Die Fragen stellte Martin Haller.
Das Buch:
Geschlecht und Klassenkampf. Die ›Frauenfrage‹ aus deutscher und internationaler Perspektive im 19. und 20. Jahrhundert
Vincent Streichhahn, Frank Jacob (Hrsg.)
Metropol Verlag
November 2020
337 Seiten
24 Euro
Foto: Streikende Näherinnen protestieren um das Jahr 1909 für bessere Arbeitsbedingungen. Credit: Kheel Center for Labor-Management Documentation & Archives, Cornell University
Schlagwörter: Frauenbefreiung, Frauenbewegung, Geschichte