Ein neuer Dokumentarfilm zeigt die Verwüstungen, die die Finanzkrise in Europa angerichtet hat. Doch statt zu deprimieren, kann er auch Ansatzpunkte für mehr Widerstand bieten, findet Phil Butland
Es ist ein ungewohnter Anblick, wenn ein Börsenmakler in Krawatte und Anzug warnt: »Wenn Syriza das jetzt an die Wand fährt, wird in der nächsten Wahl rechts außen gewinnen«. Dieser Makler heißt Dirk Müller, auch bekannt als »Mister Dax«. Er ist einer der Interviewpartner von Christoph Schuch und Reiner Krausz in ihrem neuen Dokumentarfilm über Europa.
Es sprechen auch der Historiker Daniel Ganser, die Journalistin Teresa Galindo, und Fabio De Masi, Abgeordneter der LINKEN im Europäischen Parlament, das er als »kastriert« bezeichnet. Aber nicht nur Expertinnen und Akademiker kommen zu Wort: Aktivistinnen und Aktivisten gegen Gentrifizierung aus Valencia oder gegen den »Braindrain« in Portugal berichten ebenfalls von ihrer politischen Arbeit.
Die aktuelle Entwicklung der Europäischen Union versteht De Masi als eine »fundamentale Kriegserklärung gegen die Demokratie«, die nur den Interessen der Superreichen nütze. Die Staatsschulden wachsen zwar, aber dennoch übersteigt das Vermögen der Millionäre in Europa mit 17 Billionen Euro die gesamten Schulden aller 28 EU-Staaten.
Leerstand wegen Spekulation
In Spanien es Journalisten neuerdings gesetzlich verboten, über Repressionen durch die Polizei zu berichten. Überwachungsapparate werden aufgebaut, um die Opfer der Krise einzuschüchtern und Solidarität und Widerstand zu zerschlagen.
In Valencia berichtet Miguel Angel Ferris von der Wirkung der Gentrifizierung auf den Alltag. In der Stadt mit 800.000 Einwohnern stehen 100.000 Wohnungen aufgrund von Spekulation leer.
In Portugal befürchtet Aktivistin Paula Gil, dass die Abwanderung von gut ausgebildeten Leuten die Wirtschaft des Landes dauerhaft schädigen wird. Die Zahl der Portugiesinnen und Portugiesen, die wegen Arbeitslosigkeit das Land verlassen, ist zurzeit so hoch wie während der Diktatur.
Die Elite von Europa
»Europa – Ein Kontinent als Beute« stellt das Ausmaß der Krise deutlich dar. Aber wenn der Film versucht, zu erklären, wer dafür verantwortlich ist, ist er nicht immer überzeugend. Der Historiker Ganser gibt dem Kapital aus den USA die Schuld am griechischen Staatsdefizit und auch Müller meint, dass der eurasische Kontinent von den USA beherrscht wird.
Die Analyse ist nicht völlig falsch, unterschätzt aber die eigenständigen Interessen des deutschen und europäischen Kapitals. Griechenlands Probleme sind eher in Berlin als in Washington verursacht worden. Am Anfang des Films benennt Ganser die Ursache viel deutlicher: »Die Leute müssen mit einem Feindbild versorgt werden und dieses Feindbild darf auf keinen Fall die Elite sein. Denn dann könnte die Analyse Richtung Klassenkampf gehen.«
Die Macht der Mehrheit
Es ist die Mehrheit der Gesellschaft, die aufgrund dieser Politik verliert – in Athen, in Berlin und in Washington. Und es ist im Interesse dieser Mehrheit, gegen diese Politik zu kämpfen. Es bleibt die Frage nach dem »Wie?«. Darauf gibt De Masi am Ende des Films eine gute Antwort: »Wenn die Mehrheit entdeckt, wie mächtig sie ist, ist diese Politik in Gefahr. Wenn tausend Leute auf die Straße gehen, werden viele es gut finden, aber sie haben Angst, dass sie allein auf der Straße sind. Wir müssen anfangen, wieder mutig zu sein.«
Die Demonstrationen gegen Donald Trumps Amtsantritt als US-Präsident waren die größten in der Geschichte der USA und die größte internationale Mobilisierung seit dem 15. Februar 2003. Das sollte uns Mut machen, dass Widerstand doch möglich ist. Die Debatte über diesen empfehlenswerten Film kann dazu beitragen. Schaut ihn euch an, am besten zusammen mit anderen – dann könnt ihr danach gleich diskutieren, wie der Wunsch nach einer gerechteren Gesellschaft verwirklicht werden kann.
Der Film:
Europa – Ein Kontinent als Beute
Regie: Christoph Schuch und Reiner Krausz
Deutschland 2016
Edition Salzgeber
78 Minuten
Kinostart: 23. Februar 2017
Schlagwörter: Arbeitslosigkeit, DIE LINKE, Donald Trump, EU, Eurokrise, Europa, Finanzkrise, Gentrifizierung, Griechenland, Kultur, Spanien