Heute beginnt in Griechenland ein Prozess gegen die Nazis der »Goldenen Morgenröte«. marx21 sprach mit dem Anwalt Thanassis Kampagiannis, der an dem Prozess beteiligt ist
marx21.de: Thanassis, warum steht die »Goldene Morgenröte« (GM) jetzt vor Gericht?
Thanassis Kampagiannis: Die Strafverfolgung der GM begann direkt nach der Ermordung des linken Rappers Pavlos Fyssas im September 2013. Die Anklage lautete auf Bildung einer kriminellen Organisation. Gerade steht ein entsprechender Prozess gegen alle Mitglieder und Abgeordnete der GM wegen Bildung, Teilnahme und Führung einer kriminellen Organisation an, gemäß dem Artikel 187 des Strafgesetzbuches.
Neben diesem Fall gibt es drei weitere Prozesse, die gleichzeitig stattfinden werden. Der eine ist der Prozess wegen der Ermordung von Pavlos Fyssas; der zweite wird sich mit dem versuchten Mord an Aktiven der kommunistischen Gewerkschaft Pame in Perama bei Piräus befassen; und der dritte wird die Rolle der GM beim einem Angriff auf ägyptische Fischer im Jahr 2012, auch in Perama, untersuchen.
Um die Rolle der GM als kriminelle Organisation nachzuweisen, hat die Anklage alle Gerichtshöfe gebeten, die Gerichtsakten aller Fälle, in denen die Organisation involviert war, an den Obersten Gerichtshof zu schicken. Es gibt bereits 100 solche Fälle. Dabei handelt es sich um Morde, Mordversuche, Brandanschläge, Angriffe gegen Migrantinnen und Migranten und anderes. Die damit verbundenen Prozesse finden getrennt voneinander statt, deren Urteile werden jedoch für den Prozess wegen Bildung einer kriminellen Organisation berücksichtigt.
Bisher fielen der griechische Staat und besonders die Justiz immer wieder dadurch auf, dass sie Naziaktivitäten tolerierten oder sogar unterstützten. Wie steht es angesichts dessen mit den Erfolgschancen dieses Prozesses?
Die Toleranz der Behörden gegenüber der kriminellen Tätigkeit der GM ist eine Tatsache. Trotz Indizien, dass die Angriffe der GM zentral organisiert wurden, hat sich die Staatsanwaltschaft keine Mühe gegeben, eine Verbindungslinie zwischen den diversen Anklagen gegen Mitglieder der GM zu ziehen. Dies änderte sich erst mit dem Mord an Fyssas und der darauf folgenden Empörung.
Unter diesen Voraussetzungen kann es unsererseits kein Vertrauen gegenüber dem Staat geben. Wir stimmen nicht mit den Aussagen von Alexis Tsipras überein, der nach dem Mord an Fyssas meinte, die Justiz müsse ihre Tätigkeit ungehindert ausüben. Wenn dies geschieht, dann werden die Nazis freigesprochen oder mit milden Strafen davonkommen.
Da wir uns bewusst sind, dass die Strafverfolgung der antifaschistischen Bewegung und der massiven Wut nach dem Mord an Fyssas zu verdanken ist, sind wir uns auch bewusst, dass ohne den ständigen Druck und die Präsenz der antifaschistischen Bewegung innerhalb und außerhalb des Gerichtsaals eine Verurteilung der GM als kriminelle Organisation keineswegs eine Selbstverständlichkeit ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass einige Einzelne verurteilt werden, nicht jedoch die Führung, ist durchaus real. Deswegen haben wir als Antifa-Bewegung bereits im Oktober 2013 gesagt, dass die Bewegung für sich die Rolle der zivilen Anklage in Anspruch nehmen sollte.
Was genau ist das?
Im griechischen Recht ist die zivile Anklage eine intervenierende Rolle innerhalb eines staatsinitiierten Prozesses, die den direkt Betroffenen von Taten der Angeklagten zugesprochen wird. Damit verbunden sind der unabhängige Zugang zu den Gerichtsakten, die Möglichkeit der Zeugenbefragung, die Möglichkeit der Berufung eigener Zeugen, sowie das Recht zur Intervention in jeder Etappe des Prozesses bis zur endgültigen Verurteilung. Das ist auch die Rolle unseres Anwaltsteams.
Der beste Ausgang wäre also eine Verurteilung der GM als kriminelle Organisation…
Das ist aber schwierig und außerdem nicht ausreichend. Erstens: Wenn es Urteile gibt, müssen diese unwiderruflich sein. Die Nazis müssen auch in der zweiten Instanz verurteilt werden, die Gerichtsbeschlüsse müssen als endgültig deklariert werden. Wenn dies der Fall ist, dann wird es für den obersten Gerichtshof deutlich schwieriger sein, die GM zur legalen politischen Partei zu erklären.
Wir wissen aber, dass ein Urteil für die Nazis kein Hindernis sein wird. Sie werden einfach den Namen ihrer Partei ändern. Es kann keine juristische Lösung für das politische Problem GM geben.
Aus diesem Grund sollte die Antifa-Bewegung nicht das Gerichtsurteil abwarten. Die Front der Delegitimierung der GM muss im Hier und Jetzt aufgestellt werden. Wir erwarten keine Delegitimierung der GM durch rechtliche Beschlüsse seitens des Staates. Wir möchten, dass der GM nirgendwo die Möglichkeit einer Präsenz eingeräumt wird, vom Parlament bis zum letzten örtlichen Verein.
Wie ist der Zustand der GM nach den letzten Wahlen?
Die spürbarste Änderung bei der GM in letzter Zeit ist die Auflösung ihrer Sturmtruppen nach Beginn der Strafverfolgung. Nach September 2013 zeigen die Statistiken einen deutlichen Rückgang rassistischer Angriffe.
Das Wahlergebnis der GM war niedrig, wenn auch stabil. Das Bild ist jedoch komplexer. Die GM erlitt große Verluste in Arbeitergegenden und unter jüngeren Wählerinnen und Wählern, während sie es schaffte, diese Verluste durch Stimmen in bestimmten ländlichen Gegenden zu kompensieren, die traditionell rechts waren. Es handelt sich hier um eher rechtskonservative Stimmen.
In großen Teilen der Syriza-Wählerschaft herrscht die Meinung, dass die GM jetzt langsam verschwinden wird, wenn sich die materiellen Bedingungen unter Syriza verbessern, weil die GM durch die Krise stark wurde. Auch hier ist das Bild komplexer. Die GM schuldet ihr Wachstum nicht nur der Krise, sondern auch dem institutionellen Rassismus. Daher ist eine dauerhafte antifaschistische Bewegung notwendig um die Nazis endgültig zu schlagen.
Wie ist die Einstellung der Syriza-Führung gegenüber der GM?
Syriza unterschätzt oftmals die Notwendigkeit einer unabhängigen antifaschistischen Aktion, sowohl auf der Ebene der Straße als auch auf der Ebene der zentralen politischen Interventionen. Was das erste anbelangt, zeigte sich diese Unterschätzung bei den Demonstrationen am 21. Marz, dem internationalen Tag gegen Rassismus. Einige Gruppen innerhalb und in der Nähe von Syriza haben dort mitgemacht, Syriza als Partei wurde jedoch nicht mobilisiert.
Auf der Ebene der zentralen politischen Interventionen gab es leider einige Handlungen seitens einiger Führungspersönlichkeiten von Syriza, die die GM relegitimieren.
Inwiefern?
Insofern, dass diese Handlungen die GM zurück in die Sphäre der normalen politischen Parteien holen, raus aus dem Käfig, der sich durch die Strafverfolgung und die antifaschistische Bewegung rund um die GM formierte. Auf die politische Bühne zurückzukehren war ein großes Ziel der GM und sie hat dabei einige Erfolge zu verbuchen. Rena Dourou beispielweise, die Präfektin vom der Region West-Attika, hat Ilias Panagiotaros, einem der wichtigsten angeklagten Mitglieder der GM, Büros in der Präfektur gegeben.
Warum passiert so etwas? Sicherlich hat es nicht mit einer ideologischen Verwandtschaft oder Sympathien für die GM zu tun…
Als die konservative Nea Dimokratia und die sozialdemokratische Pasok noch stark waren und die Regierung kontrollierten, herrschte weitgehend die Ansicht, dass die Linke letztendlich Samaras den Rücken stärkt, wenn sie sich positiv zu einer Strafverfolgung der GM äußert, die unter seiner Regierung stattfindet. Aus diesem Grund äußerte sich die Linke selten zur Strafverfolgung der GM. Das war das Argument der Mehrheit des Tsipras-Flügels innerhalb von Syriza.
Aus der Minderheit dieses Flügels sowie aus der Linken Plattform kam eine eher orthodox-kommunistische Argumentation, nämlich, dass der Staat die Strafverfolgung der GM nur als Vorwand benutze, um ähnlich gegen die Linke vorzugehen.
Jetzt, wo Syriza regiert, stellt sich nicht nur die Frage, warum sich solche Äußerungen trotzdem fortsetzen. Die Entwicklung hat durch die Aussagen der Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou von Syriza sogar einen neuen Tiefpunkt erreicht. Diese meinte, Parlamentsabstimmungen können nicht bei Abwesenheit von vorbestraften Abgeordneten der GM stattfinden. Das war praktisch eine Einmischung in das Werk der Justiz, da nur diese in der Lage ist zu entscheiden ob die Vorbestrafung aufgehoben werden kann oder nicht.
Warum hat sie das deiner Meinung nach gesagt?
Ein Teil der Erklärung dürfte ein blindes Vertrauen gegenüber der herrschenden Rechtstaatlichkeit sein, das Argument, dass die Nazis halt vom Volk gewählt wurden, ein Agieren, das sehr stark an das Verhalten der SPD in den 20er- und 30er-Jahren erinnert.
Andererseits hat es mit einer Strategie von Mitte-Links-Parteien in Europa während der letzten Jahrzehnte zu tun. Dahinter steckt die Überlegung, dass eine rechtsextreme Partei das rechte Lager spaltet und schwächt.
Die Schwächung des rechten Lagers ist eine Strategie von Syriza in letzter Zeit. Aus diesem Grund holte sie die »Unabhängigen Griechen« in die Regierung, nominierte einen innerparteilichen Gegner von Antonis Samaras für das Amt des Staatspräsidenten und hält sich bis heute von einem aggressiveren Vorgehen gegen die GM zurück. Dabei handelt es sich keinesfalls um Sympathien für die GM, sondern um eine politische Strategie, die an Zynismus grenzt.
Gibt es Ausnahmen?
Es gibt die Frage, ob Regierungsminister auf Anfragen von GM-Abgeordneten im Parlament eingehen sollten. Die Minister von Syriza sind auf solche Anfragen eingegangen mit der Ausnahme von Tassia Christodoulopoulou, die für Einwanderungsthemen zuständig ist und sagte, sie werde keine Fragen der GM beantworten, da diese gerade unter dem Verdacht vor Gericht steht, eine kriminelle Organisation zu sein.
Vielen Dank für das Gespräch, Thanassis.
(Das Interview führte und übersetzte Leandros Fischer.)
Zur Person:
Thanassis Kampagiannis ist Mitglied der antirassistischen Bewegung Keerfa (»Gemeinsam gegen Rassismus und die faschistische Bedrohung«) sowie des linksradikalen Wahlbündnisses Antarsya. Er vertritt in einem Prozess gegen Mitglieder der »Golden Morgenröte« die von ihnen angegriffenen ägyptischen Fischer.
Mehr zu den Faschisten der »Golden Morgenröte« bei unserem Kongress »Marx is muss«, zum Beispiel bei der Podiumsveranstaltung »Der aufhaltsame Aufstieg der europäischen Rechten«:
http://marxismuss.de/sessions/der-aufhaltsame-aufstieg-der-europaeischen-rechten/
Foto: seven_resist
Schlagwörter: Alexis Tsipras, Antifa, Antifaschismus, Antifaschisten, Faschismus, Faschisten, Golden Dawn, Goldene Morgenröte, Griechenland, Nazis, Syriza