Wie weiter für die DIE LINKE? Wir sprachen mit Christine Buchholz über die Reaktion der Partei auf die grassierende Inflation und falsche Reaktionen auf die Rede von Sahra Wagenknecht
Der Parteivorstand von DIE LINKE hat sich am Wochenende zu einer Klausur getroffen. Worum ging es?
Im Zentrum der Beratung stand die massive Teuerung und die Antwort der Linken darauf. Mit dem Beschluss: »Ein heißer Herbst gegen die sozaile Kälte der Regierung – Preise und Profite deckeln – Klima schützen« wurden zentrale Forderungen gegen die sozialen Verwerfungen bekräftigt. Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband war zum Gespräch eingeladen. Es war ein interessantes Gespräch, allerdings wunderte mich schon, dass sich Ulrich Schneider deutlich gegen einen Preisdeckel aussprach.
Auch mit Blick auf die Mobilisierungen gegen die Folgen der Inflation hatten wir zum Teil unterschiedliche Meinungen. Dass er am Tag danach aus der LINKEN ausgetreten ist, ist sehr bedauerlich. Meines Erachtens geht es bei seinen Differenzen mit der LINKEN um mehr als um den Umgang mit Sahra Wagenknecht. Die Aufregung um die Rede von Sahra Wagenknecht am vergangenen Donnerstag war natürlich auch Thema (Lies hier den marx21-Artikel: »Rede von Sahra Wagenknecht: Problematische Pappkameraden«). Dabei ging es aber nur zum Teil um Sahras Rede. Die eigentliche Frage, die diskutiert wurde, war die öffentliche Äußerung von Mitgliedern der LINKEN, ein alternatives politisches Projekt zu starten. Der Parteivorstand war sich einig, dass wir um eine einige, plurale Linke kämpfen müssen.
DIE LINKE: Alle Kräfte für einen heißen Herbst
Wie das am besten geschehen soll, darüber gibt es auch Einigkeit: jetzt alle Kräfte in die Mobilisierung für einen heißen Herbst zu werfen. In Leipzig ist es am Montag den 5. September gelungen, eine gute, kämpferische Demonstration auf die Straße zu bringen und gleichzeitig ein klares Stoppschild gegenüber der AfD und anderen Faschist:innen und Rassist:innen aufzustellen. Ich denke, wir haben jetzt eine doppelte Aufgabe: zum einen Bündnisse gegen soziale Verwerfungen der Inflation aufzubauen, die so breit wie möglich sind und sich klar von rechts abgrenzen, die Parteikampagne für Entlastung voranzubringen und anstehende Lohnkämpfe zu unterstützen. Zum anderen müssen wir gegen Krisenmobilisierung von Faschist:innen und Rassist:innen gegenhalten. Der PV hat sich auch klar dafür ausgesprochen, sich gegen die Querfront-Strategie der Rechten zu stellen.
Bei aller Einigkeit, die LINKE jetzt in den heißen Herbst zu organisieren. Wo verlaufen denn Konfliktlinien im Parteivorstand?
Die Differenzen spiegeln sich in der Art und Weise wider, wie die Wagenknecht-Rede kritisiert wird. Meine Hauptkritik an der Wagenknecht-Rede ist der Standortnationalismus und die völlige Abwesenheit von den real existierenden Lohnkämpfen. Ihr eine Täter-Opfer-Umkehr vorzuwerfen, geht am Kern ihrer Rede vorbei. Manche in der Partei reden sich die Sanktionen schön, weil sie meinen, sie seien eine richtige Antwort auf Putins Angriffskrieg. Aber das ist wenig hilfreich. Die Sanktionen entwickeln sich zum Bumerang und natürlich sind die Sanktionen Teil des Wirtschaftskrieges. Das zu negieren geht an der Realität vorbei.
Wo gibt es noch unterschiedliche Auffassungen?
Bei der Beurteilung der westlichen Sanktionen gegen Russland. Die Frage ist nicht, ob allgemeine Wirtschaftssanktionen nicht wirken, sondern, dass sie falsch wirken. Sie machen die Armen noch ärmer und führen zu Massenentlassungen und senken damit die Kampfkraft der Arbeiterklasse: wer kann, flieht ins Ausland und wer nicht kann, passt sich an oder kämpft ums Überleben. Wenn Sanktionen diese Auswirkungen haben, sind wir als LINKE dagegen. Das haben wir auf dem letzten Parteitag beschlossen, allerdings spielt dies in der Kritik der Regierung und der westlichen Partner keine Rolle in der Außendarstellung der Partei. Das ist ein Problem, denn diese Lücke kann Wagenknecht füllen. Der Parteivorstand und die Fraktion muss hier gegensteuern.
Du bist im Parteivorstand mitverantwortlich für Friedenspolitik. Was gibt es da für Neuigkeiten?
Der Parteivorstand ruft auf, sich an dem dezentralen Aktionstag der Friedensbewegung am 1. Oktober zu beteiligen. Dazu wird es einen eigenen Aufruf geben. Die Ankündigung von Christine Lambrecht, Bundeswehr-Ausgaben mit dem Ziel einer militärischen Führungsrolle Deutschlands dauerhaft zu erhöhen, müsste jetzt im Zentrum unserer Arbeit stehen. Der Parteivorstand hat beschlossen, die Debatte um außenpolitische Positionen zu organisieren, wie es auf dem Parteitag in Erfurt beschlossen wurde. Ich sehe diese Debatten skeptisch, weil ich es als unsere Hauptaufgabe sehe, uns mit den dramatischen Entwicklungen des deutschen Militarismus auseinanderzusetzen. Es gibt keine Notwendigkeit für eine grundlegende Änderung unserer Grundsatzposition .
Hast du weitere Kritik?
Ich habe kritisiert, dass die neue Internationale Kommission, deren Aufgabe die Beratung des Parteivorstandes in internationalen und friedenspolitischen Fragen ist, ab jetzt von Kathrin Vogler und Wulf Gallert in einer Doppelspitze vertreten wird.
Kommende Kontroversen in der Außen-, Friedens- und Sicherheitspolitik
Warum ist diese personelle Besetzung ein Problem?
Ich hätte es lieber gesehen, wenn die langjährige Friedensaktivistin Kathrin Vogler das alleine gemacht hätte. Ich habe kritisiert, dass mit Wulf jemand, der die friedenspolitischen Positionen verschieben will, dem Gremium vorsitzt. Ärgerlich ist auch, dass der Antrag, die Sprecherin für Außen- Friedens- und Sicherheitspolitik in der Europa-Fraktion – diese Funktion hat Özlem Demirel inne – in die Kommission zu berufen, nach der Intervention des Parteivorsitzenden abgelehnt wurde. Gerade vor den Europawahlen wäre es wichtig gewesen, ihre Stimme gleichberechtigt in dem Gremium zu haben, dass mehr als ein Dutzend Personen umfasst. Es wird wichtig sein, linke und antiimperialistische Positionen in den kommenden Debatten starkzumachen.
DIE LINKE ist immer noch in einer tiefen Krise. Gleichzeitig profitieren in Umfragen vor allem die Nazis von der AfD. Was macht die LINKE falsch?
DIE LINKE braucht mehr Antikapitalismus und Widerstandswillen in ihrer Außendarstellung. Da ist noch deutlich Luft nach oben. Wenn wir Menschen mobilisieren wollen, müssen wir die Wut vieler Menschen über die Politik der Ampel und dieses System ausstrahlen.
Aber Antikapitalismus ist doch viel zu radikal und abstrakt. Wie soll das deiner Meinung nach gehen?
Es ist überhaupt nicht abstrakt. Beispiel Energiewende: Die Linkspartei fordert die Vergesellschaftung der Energiekonzerne. Diese Forderung ist heute wichtiger denn je, spielt aber in der Außendarstellung der Partei kaum eine Rolle. Dabei macht diese Forderung den Antikapitalismus konkret und bringt auch die wichtige Verbindung zur Klimabewegung und den Gewerkschaften. Die Energiewende wird nur schnell stattfinden, wenn mit dem Primat des Profits für die Energieerzeugung gebrochen wird. Dort können auch viele Arbeitsplätze entstehen.
Was steht als nächstes an?
Als Partei planen wir einen Aktionstag am 17. September gegen die enorme Teuerung. Es sind bereits in 160 Kreisverbänden Aktionen angemeldet. Darüber hinaus müssen wir überall nach Kräften Proteste aufbauen und auf diesen Protesten denen eine Stimme geben, die für höhere Löhne und um ihre Existenz kämpfen. Wenn wir zugleich migrantischen Stimmen Gehör verschaffen und uns klar gegen Rassismus und Faschismus positionieren, kann daraus eine Bewegung der Solidarität werden, die den Rechten das Wasser abgräbt.
Alle Beschlüsse des Parteivorstandes finden sich hier.
Bild: DIE LINKE / flickr.com
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