Der erste Band des »Kapital« von Karl Marx – die »Kritik der politischen Ökonomie« – erschien vor 150 Jahren. Dass es auch heute noch eines der wichtigsten politischen Bücher ist, zeigt eine Ausstellung im Hamburger Museum der Arbeit. Christoph Timann hat sie besucht
Der Reichtum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht, erscheint als eine ›ungeheure Waarensammlung‹«, schrieb Karl Marx vor 150 Jahren im ersten Band seines Werks »Das Kapital«. Dass das auch heute noch so ist, präsentiert die gleichnamige Ausstellung ihren Besucherinnen und Besuchern gleich zu Beginn anhand eines riesigen Regals voller gleichförmiger weißer Konservendosen, die laut Beschriftung Lebensmittel, Bildung, Gesundheit, Wohnung, Wasser, aber auch Sex und Glück enthalten. Mit diesem Auftakt macht die Ausstellung gleich klar, dass es ihr nicht nur um die Historie geht, sondern auch um die Aktualität der marxschen Theorien.
Nach einer Rückwärts-Zeitreise durch einen Gang, dessen Wände die wichtigsten historischen Daten der letzten 150 Jahre zieren, gelangt der Besucher in die sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts und damit in die Zeit, in der das »Kapital« entstanden ist. Historische Karten von Hamburg zeigen, wo der Verlag Otto Meissner seinen Sitz hatte. Eigens von London per Schiff angereist, reichte Karl Marx dort persönlich das fertige Manuskript ein. Heute gibt es das Verlagshaus nicht mehr, es wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört. An dieser Stelle befindet sich jetzt die »Europapassage« ‒ ein größenwahnsinniges Einkaufszentrum mit einer »ungeheuren Waarensammlung«.
Spielerisch die Kräfteverhältnisse verändern
Sehr anschaulich und vielfach auch zum Anfassen löst die Ausstellung die Herausforderung, abstrakte Begriffe darzustellen, die im »Kapital« eine Rolle spielen. Beispielsweise zählt Marx in einer Passage einige Dinge auf, die zu seiner Zeit alle denselben Tauschwert hatten: »20 Ellen Leinwand = 1 Rock oder = 10 Pfd. Tee oder = 40 Pfd. Kaffee oder = 1 Quarter Weizen oder = 2 Unzen Gold oder = 1/2 Tonne Eisen oder = etc.« Genau diese Waren in den angegebenen Mengen haben die Aussteller zusammengetragen.
Dass Gegenstände mit unterschiedlichen Gebrauchswerten den gleichen Wert haben können, basiert für Marx auf dem »Doppelcharakter der in den Waren dargestellten Arbeit«. Arbeit ist in jedem Fall »produktive Verausgabung von menschlichem Hirn, Muskel, Nerv, Hand usw.«, das symbolisiert in der Ausstellung ein medizinisches Körpermodell.
Arbeit ist zwar nicht die »einzige Quelle der von ihr produzierten Gebrauchswerte«, denn der Mensch wird »beständig unterstützt von Naturkräften«. Aber sie ist ‒ als »abstrakt menschliche Arbeit« ‒ die einzige Quelle für den Tauschwert, da nur sie einen »Mehrwert« ermöglicht: Ihr Preis, der Lohn, wird nicht bestimmt durch den Wertzuwachs in der Produktion, sondern nur durch die Kosten für die Wiederherstellung der Arbeitskraft. Dass diese Kosten, ebenso wie die tägliche Arbeitszeit, Ergebnis gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse sind, symbolisieren mehrere Gerätschaften, an denen man diese spielerisch verändern kann ‒ unter anderem eine »Lohnwaage«.
Die Umfrage am Ausgang endet eindeutig
Kapitalisten eignen sich die Differenz zwischen Lohn und produziertem Wert, den Mehrwert, an. Dies führt auf lange Sicht zu einer Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich – und zur Instabilität der Gesellschaft. Das deutet ein großer Haufen von Bauklötzen an, die mit »Reichtum« und »Elend« beschriftet sind und dazu einladen, Türme zu errichten, die über kurz oder lang in sich zusammenstürzen werden.
Millionen Menschen haben sich in den letzten 150 Jahren intensiv mit der Lektüre des »Kapital« beschäftigt. Die Ausstellung präsentiert exemplarisch ein paar von ihnen, wobei ein Schwerpunkt auf der Kapital-Lese-Bewegung liegt, die durch den Aufbruch von 1968 inspiriert wurde. Dass die Marxsche Kapitalismuskritik auch heute geschätzt wird, kann man nicht nur an den großen Pinnwänden nachlesen, an denen Besucher der Ausstellung aufgefordert sind, ihre Gedanken zu den Problemen des Kapitalismus zu hinterlassen. Auch das Ergebnis der Umfrage am Ausgang ist eindeutig: Mehr als 80 Prozent finden Marx hochaktuell.
Die Ausstellung:
Museum der Arbeit, Hamburg
Noch bis 5. Mai 2018
Öffnungszeiten: Montag: 13 bis 21 Uhr, Dienstag bis Samstag: 10 bis 17 Uhr, Sonntag und feiertags: 10 bis 18 Uhr
Foto: SHMH/Elke Schneider
Schlagwörter: Ausstellung, Das Kapital, Hamburg, Kapital, Marx, Museum, Ökonomie