Der Suhrkamp Verlag hat mit den Herausgebern Florian Butollo und Oliver Nachtwey zum zweihundertsten Marx-Geburtstag eine neue kommentierte Auswahl der Texte des Theoretikers veröffentlicht. Die 30 Euro für das Taschenbuch lohnen sich. Von Jan Maas
Passend zum Marx-Jahr 2018 (200 Jahre Karl Marx, 170 Jahre Kommunistisches Manifest) haben die Sozialwissenschaftler Florian Butollo und Oliver Nachtwey im Suhrkamp Verlag eine Sammlung von Originaltexten des Jubilars herausgegeben. Der im typischen Brikettschwarz der Wissenschaftsreihe gehaltene Band zählt 666 Seiten. Ein Teufelswerk? Der Klappentext zitiert immerhin Kardinal Reinhard Marx. Dieser erkennt an, dass sein Namensvetter »in einigen Bereichen in der Analyse« durchaus Recht hatte.
Von der MEW zur MEGA
Die »blauen Bände«, die Studienausgabe der Werke von Marx und Engels (MEW), besteht aus 44 Bänden. Die Gesamtausgabe (MEGA) wird 114 Bände umfassen. Um sich durch diese Textmenge zu kämpfen, braucht es einen dicken roten Faden. In diesem Fall: Marx’ Aktualität. Engels’ Texte sind kein Thema. Er kommt nur als Co-Autor vor. Wenn die Frage laute, »ob Marx ein wichtiger Ausgangspunkt für eine kritische Theorie der Gesellschaft ist, so glauben wir, diese Frage immer noch mit Ja beantworten zu können.«
Die Herausgeber gliedern die danach ausgewählten Texte in sechs Teile: Philosophie der Praxis, Historischer Materialismus, Arbeit und Gesellschaft, Politische Ökonomie, Modernisierung und Globalisierung sowie Politische Schriften. Jedem dieser Teile haben Butollo und Nachtwey eine Einleitung vorangestellt, die Hintergrund zu den Texten liefert, eine Verbindung zur Gegenwart zieht und die Auswahl kommentiert. Keine kleine Aufgabe, doch die Texte sind gut lesbar, interessant und überzeugend.
Philosophie der Praxis
Die erste Einleitung handelt über die »Philosophie der Praxis«, wie der italienische Revolutionär Antonio Gramsci den Marxismus nannte. Sie beginnt mit dem Marx-Zitat, Theorie dürfe »kein Selbstzweck« sein. Ein paar Seiten weiter findet sich dann die elfte These über Feuerbach: »Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt drauf an, sie zu verändern.« Damit setzen sich die Herausgeber von einem rein akademischen Blickwinkel auf Marx ab und betonen seine Rolle als Revolutionär.
Der Grund, eine Sammlung seiner Originaltexte herauszugeben, liegt darin, dass Marx’ Werk in der Vergangenheit und zum Teil bis heute von verschiedenen politischen und wissenschaftlichen Strömungen, die sich irreführenderweise zum Teil auch selbst marxistisch nannten, lückenhaft gelesen, aus dem Zusammenhang gerissen, falsch zitiert und fragwürdig interpretiert worden ist. Der Hauptzweck der Sammlung ist daher, Marx von diesen Entstellungen zu befreien, seien sie gut oder böse gemeint.
Sowohl Einführung als auch Nachschlagewerk
Damit zielen Butollo und Nachtwey zum einen auf eine Leserschaft, die Marx neu für sich entdecken möchte. Zum anderen geht es ihnen aber auch um Menschen mit Vorbildung, die ihre Kenntnisse verbreitern oder vertiefen möchten. Entsprechend haben sie die abgedruckten Texte ausgewählt. Darunter finden sich einerseits leichte Einführungen wie »Lohn, Preis und Profit«. Andererseits kommen auch weniger bekannte Texte vor, wie die Briefe über die britische Herrschaft in Irland.
Darin findet sich diese aktuelle Einsicht: »Dieser Antagonismus (englische vs. irische Arbeiter, JM) ist das Geheimnis der Ohnmacht der englischen Arbeiterklasse, trotz ihrer Organisation. Er ist das Geheimnis der Machterhaltung der Kapitalistenklasse.«
Der Band von Butollo und Nachtwey kann als Einführung gelesen werden, er funktioniert aber auch sehr gut als Nachschlagewerk. Man kann ihm nur viele Leserinnen und Leser wünschen, die trotz des Preises von 30 Euro die Zähne zusammenbeißen.
Das Buch:
Florian Butollo/Oliver Nachtwey (Hrsg.)
Karl Marx. Kritik des Kapitalismus. Schriften zur Philosophie, Ökonomie, Politik und Soziologie
Suhrkamp Verlag
Berlin 2018
666 Seiten
30 Euro
Schlagwörter: Marx