1853, vor 170 Jahren, begann der Krimkrieg, der drei Jahre lang bis 1856 dauerte. Er fand großenteils in der Ukraine statt, die damals zum russischen Zarenreich gehörte. Ähnlichkeiten dieses Krieges zum heutigen Krieg in der Ukraine sind nicht zufällig. Thomas Walter hat sich die Ereignisse damals genauer angeschaut
Der Krieg begann damit, dass der russische Zar die Schwäche des Osmanischen Reiches mit dem Gebiet der heutigen Türkei als Zentrum für seine Interessen ausnutzen wollte. Sein Ziel war es, die Meerenge zwischen dem Schwarzen Meer und dem Mittelmeer, also Bosporus und Dardanellen, dem Zarenreich einzuverleiben. Dem stellten sich verschiedene Westmächte entgegen: Großbritannien und Frankreich, in dem Napoleon III. 1851 an die Macht gekommen war. Karl Marx hat Napoleons Staatsstreich und die Hintergründe in seiner Broschüre »Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte« beschrieben. Napoleon III. versuchte sein Regime auch durch militärische Abenteuer zu stabilisieren.
Zu den Westalliierten gehörte auch das Königreich Sardinien, ein Vorläuferstaat des heutigen Italiens. Preußen hielt sich möglichst raus. Als »neutraler« Staat sperrte es seine Ostseehäfen für Großbritannien. Auch das Kaiserreich Österreich blieb neutral, aber feindselig gegen Russland, weil es um seine slawischen Gebiete auf dem Balkan fürchtete.
Getreidemangel
Wichtige Schlachten fanden auf der Krim statt. Die Ukraine war schon damals eine Kornkammer. Wegen des Krieges fielen die Getreideexporte aus. Lebensmittel verteuerten sich in Westeuropa. Es kam zu einer Inflation. Wegen des hohen Getreidepreises verschlechterte sich die Handelsbilanz von Großbritannien so wie heute der Exportüberschuss westeuropäischer Länder wegen hoher Lebensmittel- und Energiepreise schrumpft oder negativ wird. Während heutzutage Länder der Europäischen Union einen Abfluss an Dollar, dem internationalen Zahlungsmitteln, erleben, erfuhren damals Großbritannien und Frankreich einen Abfluss am damaligen internationalen Zahlungsmittel Gold.
Krieg und Wirtschaftskrise
Zur Finanzierung des Krieges stieg die Staatsverschuldung in Großbritannien und Frankreich. Napoleon III. finanzierte mit seinem »kaiserlichen Sozialismus« (Marx) ein Almosen-Programm zur Brotverbilligung, um Aufstände zu verhindern. Doch die Finanzmärkte drohten Gold aus Frankreich abzuziehen, wenn aus ihrer Sicht die Staatsschulden überhand nehmen würden.
In Großbritannien waren die Eliten sich uneins, wie die Zentralbank, die Bank of England, auf die Krise reagieren sollte. Heutzutage wollen konservative Ökonomen, dass die Zentralbank auch in Krisenzeiten die Menge an umlaufendem Geld strikt begrenzt. Nach der großen Finanzkrise 2007-2009 setzten sich aber die Pragmatiker durch. Mit »Quantitativer Lockerung« wurden die Banken großzügig mit Zentralbankkrediten versorgt, damit sie sich und notleidende Konzerne weiter über Wasser halten konnten.
In Großbritannien floss damals Gold zur Bezahlung der teuren Getreideimporte ab. Die Konservativen verpflichteten die Zentralbank, jetzt auch die Menge an umlaufenden Banknoten zu vermindern. Im Vergleich zu den noch verbliebenen Goldreserven sollte nicht »zu viel« Geld umlaufen. Die Zentralbank vergab also den privaten Banken weniger Kredite. Kredite gab es nur noch zu hohen Zinsen. Die Krise drohte, so womöglich noch schlimmer zu werden.
»Quantitative Lockerung«
Doch ein Glücksfall kam damals der Weltwirtschaft zu Hilfe. Weil Gold damals Weltgeld war, wurde auch emsig nach Gold gesucht. Noch vor dem Krimkrieg wurden zuerst in Kalifornien 1848 und in Australien 1851 größere Goldvorkommen entdeckt. Das Gold verbreitete sich über die Weltwirtschaft und landete auch in den Kellern der Zentralbanken. Marx beobachtete, dass allein 1853 40 Prozent der britischen Exporte nach Kalifornien und Australien gingen. Dem Goldabfluss in Folge des Krimkrieges stand also ein Goldzufluss infolge der Goldfunde gegenüber.
Die Goldfunde wirkten wie die »quantitative Lockerung« und das Gelddrucken durch die Zentralbanken heute. Eine Wirtschaftskrise brach schließlich ein Jahr nach dem Krimkrieg 1857 aus. Marx meinte, die Krise wäre wegen des Goldzuflusses zwei Jahre später ausgebrochen, als ohne diese Goldzufuhr. Marx beobachtete die Entwicklung zur Krise sehr genau, weil die Krise 1847 zum europäischen Revolutionsjahr 1848 geführt hatte. Marx erhoffte sich von einer neuen Wirtschaftskrise weitere Anstöße für revolutionäre Bewegungen.
Marx ärgerte sich auch über bürgerliche Ideologen, die die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus nicht wahrhaben wollten. Angeblich zufällige äußerliche Ereignisse wurden für die Krisen verantwortlich gemacht. So wurden damals die revolutionären Bewegungen von 1848 als Ursache für die damalige europäische Krise behauptet, obwohl diese ein Jahr früher im Jahr 1847 ausgebrochen war. Der Krimkrieg sollte angeblich die krisenhaften Erscheinungen in den 50er Jahren verursacht haben. Heutzutage müssen die Corona-Pandemie und Putins Krieg als Krisenursache herhalten.
Nutznießer USA
Nutznießer der hohen Getreidepreise waren die USA. Dort kam es zu einem wirtschaftlichen Aufschwung. Es wurde nicht nur auf Kredit in die Landwirtschaft investiert, sondern auch in Transportwege, um das teure Getreide für den Weltmarkt exportieren zu können. Ähnlich profitieren ja auch heute die USA als Exporteur von Energie von den wegen des Krieges hohen Energiepreisen.
Da mit dem Kriegsende 1856 die Getreideexporte aus dem Zarenreich wieder anliefen, sank der Getreidepreis und die Investitionen in den USA erwiesen sich jetzt als unrentabel. Es kam in den USA 1857 zu einer Finanzkrise. Britische Banken, die in den USA investiert hatten, wurden mit in den Strudel der Krise gezogen. Andere europäische Länder folgten. 1857 wurde zu einem Jahr der wirtschaftlichen Weltkrise.
Nach dem Krieg ist vor dem Krieg
Wir wissen nicht, wie der Krieg in der Ukraine enden wird, aber wir kennen das Ende des Krimkrieges. Auf russischer Seite starben 450 000 Menschen, auf Seiten der Alliierten 220 000. Russland verlor den Krieg. Das Schwarze Meer wurde zum neutralen Gewässer erklärt. Das Zarenreich musste Gebiete abtreten, die es zum Teil später wieder bekam. Insgesamt mussten also 670 000 Menschen sterben, damit die Großmächte ihre Machtfragen für ein paar Jahre klären konnten, bevor es dann wieder zu neuen Kriegen kam.
Widerstand
Marx hatte nicht unrecht, wenn er mit Widerstand von unten als Antwort auf die Krise 1857 rechnete. In den USA kämpften Arbeiterinnen und Arbeiter, Sklaven und Sklavinnen gegen die Unterdrücker. Der US-Bürgerkrieg zeichnete sich ab, der 1865 zur juristischen Befreiung der Sklaven führte. Auch in Russland kam es nach dem verlorenen Krimkrieg zu Unruhen bei den Leibeigenen. Die Leibeigenschaft wurde dort 1861 juristisch abgeschafft.
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