Der Oscar-Favorit „12 Years a Slave“ zeigt die Brutalität der Sklaverei, wie kein Film zuvor. Ein Film über den Kampf der Sklaven gegen ihre Unterdrückung muss aber noch gedreht werden.
Das italienische Publikum von „12 Years a Slave“ wundert sich vielleicht. Auf dem Filmplakat ist kein Sklave, sondern die blonden und blauäugigen Brad Pitt und Michael Fassbender. Chiwetel Ejiofor ist zwar in der Rolle des schwarzen Sklaven Solomon Northup für den Oscar als bester Hauptdarsteller nominiert, aber dem Filmverleih schien der Nebendarsteller Pitt für die Werbung offenbar besser geeignet.
Auch wenn liberale Hollywood-Filmemacher Rassismus vielleicht unerträglich finden, waren sie noch nie bereit zu zeigen, dass schwarze Sklaven ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen konnten. Auch in aktuellen Filmen zum Thema wie Steven Spielbergs „Lincoln“ sind die Helden weiße Sklaverei-Gegner. Quentin Tarantino geht mit „Django Unchained“ viel weiter und lässt Jamie Foxx als befreiten Sklaven zum erbarmungslosen Kämpfer gegen weiße Rassisten werden. Aber sein Widerstand ist nur durch die väterliche Hilfe des weißen Christoph Waltz möglich.
Sklaverei trieft vor Blut
Der schwarze Londoner Steve McQueen, Regisseur von „12 Years a Slave“, ist kein Hollywood-Insider wie Spielberg oder Tarantino. Seine bisherigen Filme „Hunger“ (über den Hungerstreik des IRA-Mitglieds Bobby Sands) und „Shame“ (über Sex-Sucht) haben sich eher mit persönlichen Dämonen beschäftigt. Mit „12 Years A Slave“ greift er erstmals ein gesellschaftliches Problem an.
McQueen zeigt uns eine bluttriefende Sklaverei, deren Brutalität noch in keinem Film zu sehen war. Von Vergewaltigung bis Auspeitschen, von der Trennung der Eltern von ihren Kindern bis zum Lynch-Mord, „12 Years a Slave“ bringt den mörderischen Alltag der Sklaven wie nie zuvor ins Kino.
Widerstand ist fast unmöglich
Neben der Brutalität sehen wir die absolute Machtlosigkeit der Sklaven, in der solidarisches Handeln fast unmöglich ist. In einer der besten Szenen wird ein Sklave mit dem Strick um den Hals einen Baum hochgezogen und zwar genau so weit, dass er mit den Zehenspitzen gerade noch den Boden erreicht und nicht stirbt. Die anderen Sklaven laufen schnell vorbei und sehen weg, weil jeder Versuch, ihm zu helfen, für sie eine ähnliche Strafe bedeuten würde.
Die Comic-ähnliche Gewalt in „Django Unchained“ war für den Film-Charakter wie für die Zuschauer teilweise befreiend und gab dem Guten einige moralische Siege. McQueen hingegen gönnt uns keine Erholung vom Grauen.
Sklaverei war für Weiße „normal“
Die Sklaven weinen viel, wegen ihrer schrecklichen und hoffnungslosen Situation. Es gibt keinen Ausweg. Hauptdarsteller Ejiofor hält einige Reden darüber, dass nichts für immer bleibt, aber ohne das Wissen über den Verlauf der Geschichte bleibt die Freiheit ein unrealistischer Traum.
Dass die Sklaverei für die Schwarzen als immerwährendes Schicksal erschien, lag auch daran, dass der größte Teil der weißen Gesellschaft in den südlichen USA sie als normal empfand. McQueen zeigt als Ursache dafür hauptsächlich kapitalistische Werte. Obwohl das „N-Wort“ häufiger benutzt wird als in „Django Unchained“, wird die Sklaverei häufiger mit dem Recht auf Eigentum als mit Rassismus gerechtfertigt.
Schwarze sind privates Eigentum
Manche Sklavenhalter sind tyrannisch und lieben Gewalt, andere haben Mitgefühl mit den Sklaven. Doch sie alle vereint das Verständnis, dass die einmal für viel Geld gekauften Sklaven ihr privates Eigentum sind über das sie verfügen. Die weißen Frauen der Sklavenhalter haben in ihrer Ehe wenig zu sagen, sind aber trotzdem hundertprozentige Herrinnen über die machtlosen Sklaven.
„12 Years a Slave“ zeigt den Kauf eines Sklaven als wirtschaftliche Investition. Sein Wert hing davon ab, wie viel er arbeiten konnte. Tatsächlich war die Sklaverei in Amerika stark verbunden mit der dortigen Entwicklung des Kapitalismus. Um in der schon im 19. Jahrhundert globalen Konkurrenz mit europäischen Konzernen wettbewerbsfähig zu sein, mussten die Lohnkosten auf den niedrigst möglichen Stand gesenkt werden. Und das bedeutete die Wiedererfindung der Sklaverei, die in Europa verboten war.
Der Aufstieg des Kapitalismus
Der schwarze marxistische Historiker Eric Williams erklärte, die Sklaverei habe „das ganze Produktionssystem befruchtet“, mit der Folge, dass 1770 knapp ein Drittel aller Vermögensanlagen in Großbritannien aus Profiten stammte, die mit der Sklaverei in Amerika erzielt wurden.
Ein weltweites wirtschaftliches System unterdrückte die Sklaven und machte gemeinsamen Widerstand für sie fast unmöglich. Daher gibt es in Filmen meist mutige Handlungen Einzelner aber nichts, was dieses System bedrohen könnte. Auch die Weißen nehmen die Zustände überwiegend hin.
Tatsächlich haben im 19. Jahrhundert jedoch schwarze und weiße Gegner der Sklaverei in den nördlichen USA eine so genannte „Untergrund-Eisenbahn“ aufgebaut, um Sklaven aus dem Süden nach Norden zu bringen, wo die Sklaverei bereits verboten war.
Der „weiße Retter“ steht im Mittelpunkt
So ist die einzige Schwäche des Films, dass er als einzige Hoffnung für die Sklaven den weißen kanadischen Wanderarbeiter Brad Pitt zeigt, der für die Hauptfigur, und auch nur für sie, die Rettung bedeutet. Das wirkt, als ob Pitt, der den Film auch koproduziert hat, sich als ehrbaren Kämpfer gegen die Sklaverei darstellen will.
Zwar hat der Sklave Solomon Northup tatsächlich gelebt und wurde tatsächlich von einem weißen Wanderarbeiter gerettet. Doch die Konzentration auf diesen Charakter des „Weißen Retters“ und die Befreiung Northups als Ende des Films ist mindestens ein Zugeständnis an die Vorstellung, dass die hilflosen Schwarzen von aufgeklärten Weißen befreit wurden.
Nur ein Text erwähnt Widerstand
An dieser Stelle zu enden, ist um so bedauerlicher, als dass der historische Solomon Northup nach seiner Befreiung in der „Untergrund-Eisenbahn“ aktiv gegen die Sklaverei gekämpft hat, was der Zuschauer jedoch nur durch eingeblendeten Text am Ende erfährt. Weil dieser Kampf illegal war und schwer bestraft wurde, ist leider unbekannt, wie Northups Arbeit genau aussah und wo und wie er gestorben ist.
Trotz dieser Schwächen hat Steve McQueen einen Film gedreht, wie es ihn noch nicht gibt und einen Teil der US-amerikanischen Geschichte gezeigt, der bisher zu wenig beleuchtet ist. Der Regisseur dazu: „Der Zweite Weltkrieg hat fünf Jahre gedauert, und es gibt hunderte Filme über den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust. Die Sklaverei hat 400 Jahre gedauert und es gibt weniger als 20. Wir müssen dieses Gleichgewicht wiederherstellen und dieses Zeitalter betrachten.“
In Hollywood sind Sklaven weiß
Von diesen weniger als 20 Filmen waren die ersten rassistisch, wie „Die Geburt einer Nation“ oder stark paternalistisch, mit Sklaven in Nebenrollen als ungebildete „gute Seelen des Hauses“ wie in „Vom Winde verweht“. Diesen Charakteren wurde nicht erlaubt, ihr Leben als Sklave in Frage zu stellen.
In den 60er und 70er Jahren trugen Sklaven in Filmen hingegen meist eine Toga. Ihre Hautfarbe war oft zu hell, selbst für ihre Rollen im antiken Griechenland oder Römischen Reich. Als Schwarze in manchen Bundesstaaten der USA noch nicht dieselben Trinkbrunnen benutzen durften wie Weiße, war Hollywood noch nicht bereit, Sklaven zu zeigen, die schwarz waren. Verglichen damit ist „12 Years a Slave“ ein großer Fortschritt.
Ein zweiter Film wäre interessant
Der Film ist für den Zuschauer anstrengend und erschöpfend, und muss das auch sein, um seine Geschichte richtig zu erzählen. Im Großen und Ganzen ist es die Geschichte einer Niederlage. Aber der Film verkörpert in etwa ein Zitat der Sklavin und späteren Anti-Sklaverei-Aktivistin Harriet Tubman: „Auf eines von zwei Dingen habe ich ein Recht: Freiheit oder Tod. Wenn ich das eine nicht haben konnte, dann das andere.“
Ein zweiter Film, der Northups Kampf gegen die Sklaverei nach seiner Befreiung zeigt, könnte sehr interessant werden. Und es gibt zurzeit kaum einen Regisseur, der dafür besser geeignet wäre als Steve McQueen.
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