Der preisgekrönte Film »Parasite« des koreanischen Regisseurs Bong Joon Ho ist ein Fenster zur Lebensrealität der gesellschaftlich Abgehängten. Von Oliver Medina
»Wenn du dich einmal überwunden hast und dich auf Untertitel einlässt, wirst du jede Menge großartiger Filme kennenlernen«, so Regisseur Bong Joon Ho, und damit hat er Recht. Sein mittlerweile siebter Film »Parasite« macht es Filmliebhabern, die bislang Berührungsängste mit koreanischen Filmen hatten, sehr leicht, sich auch für diese zu begeistern. Kaum ein anderer Film hat 2019 dermaßen viele Preise abgeräumt und das verdienterweise.
»Parasite«: Worum gehts?
»Parasite« beleuchtet sehr eindrücklich das Leben der Familie Kim, welche mit allen erdenklichen Mitteln versucht, sich über Wasser zu halten. Die Kims befinden sich in der Hackordnung Südkoreas ganz unten (Lies hier das marx21 Interview mit südkoreanischen Sozialisten: »Kampf gegen Corona: Ist Südkorea ein Vorbild?«). Der modrige Geruch einer Kellerwohnung im Armenviertel von Seoul haftet an ihnen und brandmarkt sie als arm. Das Kellerfenster bietet beim abendlichen Besäufnis am Essenstisch einen Ausblick auf die urinierenden Trunkenbolde des Arbeiterviertels.
Niemand rechnet damit, was dann passiert
Mit dem sozialen Aufstieg rechnet vorerst niemand in der Familie, bis der Sohn Ki-Woo zufällig die Gelegenheit bekommt, der Tochter der wohlhabenden Familie Park Nachhilfeunterricht zu geben. Einmal über die Türschwelle der Villa findet Ki-Woo leicht Möglichkeiten, auch den Rest seiner Familie durch eine sehr kreative Betrugsmasche in den Haushalt der naiven Familie Park einzuschleusen. Als die Kims sich schon fast an den »sozialen Aufstieg« und den schönen Ausblick aus dem riesigen Fenster der Villa gewöhnt haben, taucht plötzlich die von ihnen verdrängte ehemalige Haushälterin wieder auf und lüftet in ihrer Not ein großes Geheimnis. Niemand rechnet damit, was dann passiert.
Soziale Ungleichheit in Südkorea
Es ist ziemlich offensichtlich, dass es sich bei dem Film um eine Kritik an der sozialen Ungleichheit in Südkorea handelt – einem der reichsten Länder Asiens. Aber es steckt viel mehr in diesem Streifen. Er zeigt auch deutlich, wie die Abgehängten sich selbst die Logik des Kapitalismus angeeignet haben und dieser folgen. So glauben die Kims, sie seien selbst schuld an ihrer prekären Situation, weil sie amoralisch handeln.
Groteske über »oben« & »unten«
Auf die Idee, dass der wahre Grund ein System ist, dessen tragende Säulen Prekarität und Ausbeutung sind, kommen sie nicht. Die Abgehängten zeigen lieber Respekt gegenüber der reichen Familie Park, anstatt sich gegenseitig miteinander zu solidarisieren und in ihrer Situation zu unterstützen. Nach oben buckeln und nach unten treten, ist hier das Bild, welches von den demoralisierten Abgehängten gezeigt wird.
Kritik am Kapitalismus
Obwohl der Film viele Facetten der südkoreanischen Kultur beleuchtet, waren die Reaktionen der Zuschauer weltweit die gleichen. Der Regisseur kennt den Grund: »Wir leben alle in einem Land namens Kapitalismus«. Eine Unterschicht zu portraitieren, die sich gegen Ausbeutung zur Wehr setzt, ist in den Filmen Joon Hos keine Neuheit. Klassengegensätze anzuprangern und als Gedankenspiel weiterzuentwickeln sind wichtiger Bestandteil fast aller seiner Filme. Kein Wunder, dass er in der sozialistischen »Minju-nodong-Partei« in Südkorea aktiv war. Mit »Parasite« zeigt Bong Joon Ho in klarer und doch vielschichtiger Bildsprache eine Groteske über das entsetzliche Ausmaß sozialer Ungleichheit in der Welt – und das auf eine Weise, die unter die Haut geht, ohne dabei moralisch belehrend daherzukommen. Hier kann wirklich niemand mehr wegsehen.
Spielfilm
Parasite
Regie: Bong Joon Ho
Südkorea 2019
132 Minuten
2019
Schlagwörter: Filmkritik, Südkorea