Die israelische Armee fliegt die härtesten Luftschläge auf Gaza seit vier Jahren. Hinter der kollektiven Bestrafung der palästinensischen Bevölkerung steckt eine perfide politische Strategie. Von Yaak Pabst
In den letzten Tagen bombardierte die israelische Armee wiederholt Ziele im Gaza-Streifen. Es handele sich um »den größten Tageslicht-Angriff« seit dem Gaza-Krieg im Sommer 2014, sagte der israelische Armeesprecher Jonathan Conricus der Nachrichtenagentur dpa. Die israelische Regierung spricht von »Vergeltung gegen die Hamas«. Doch was sie nicht erzählen ist, dass sie damit den Menschen in Palästina weiteres Leid und Tod bringen. Bei den Angriffen am Wochenende töteten die israelischen Bomben mindestens zwei Jugendliche: Amir al-Nimri (15 Jahre alt) und Luay Kaheel (16 Jahre alt) starben an ihren Wunden am Samstag kurz nach einem Luftangriff auf al-Kateeba, ein Gebiet im westlichen Gaza. Mehr als 30 Menschen wurden durch die israelischen Luftangriffe verletzt.
Laut UN ist Gaza bis 2020 unbewohnbar
Obwohl die humanitäre Situation in Gaza sich immer weiter verschlechtert, zieht er israelische Staat seinen Würgegriff um den Gaza-Streifen, den er schon seit über einem Jahrzehnt belagert, immer enger zusammen. Doch die Menschen wehren sich, denn die Lebensbedingungen in Gaza sind längst unerträglich. Nach Einschätzung der Vereinten Nationen wird Gaza bis 2020 »unbewohnbar«.
Im Jahr 2000 hatten noch 98 Prozent der Einwohner des Gaza-Streifens Zugang zu sauberem Trinkwasser. Schon 2014 war dieser Anteil auf 14 Prozent gesunken. Die einzige Wasserquelle, warnen die Vereinten Nationen, werde bis 2020 unwiderruflich beschädigt sein, sollte die Übernutzung anhalten.
Schon jetzt können die Menschen mit 98 Prozent des Grundwassers nicht einmal mehr Wäsche waschen. Strom gibt es nur vier bis sechs Stunden täglich. Die Gesundheitsversorgung, das Bildungssystem und die öffentlichen Dienstleistungen liegen am Boden. Die Arbeitslosenrate liegt bei knapp 50 Prozent, bei den unter 30-Jährigen haben über 60 Prozent keine Arbeit.
»Kollektive Bestrafung« der Bevölkerung
Omar Shakir von Human Rights Watch meint, dass Israels Abriegelung Gaza zu einem »Freiluft-Gefängnis« macht. Die Ein- und Ausreise aus dem Gazastreifen ist für Palästinenserinnen und Palästinensern nur unter strengen Ausnahmeregelungen möglich. Angesichts der Ausmaße der israelischen Blockade spricht Shakir von »kollektiver Bestrafung« der Bevölkerung.
In einem Interview mit dem Deutschlandfunk meint er: »Hier geht es nicht um Israels Sicherheit. Es ist eine politische Strategie, mit der Druck ausgeübt werden soll, um Hamas zu stürzen. Aber diese Strategie wirkt nicht, sie ist illegal und sie ist zutiefst unmoralisch.«
Sobald sich Palästinenserinnen und Palästinenser wehren, reagiert die israelische Regierung mit Terror. Bei den Protesten zum Jahrestag der »Nakba« tötete die israelische Armee zwischen dem 30. März 2018 und dem 15. Mai 2018 110 Palästinenser. Nach Angaben des Roten Kreuzes wurden mehr als 13.000 Palästinenserinnen und Palästinenser durch Schüsse von Soldaten verletzt. Laut Robert Mardini, Direktor des Roten Kreuzes in Nahost, wurden etwa 1.400 Menschen von drei bis fünf Kugeln getroffen.
Gaza: Drei Kriege in zehn Jahren
Die Menschen in Gaza leiden unter den Folgen von drei Kriegen mit Israel. Die Kriege 2008, 2012 und 2014 haben Terror und Zerstörung über den Gaza-Streifen gebracht. Israelische Bomben zerstörten oder beschädigten nach UN-Angaben 240.000 Häuser. Eine halbe Million Binnenflüchtlinge innerhalb des gerade mal 365 Quadratkilometer großen Gaza-Streifens waren die unmittelbare Folge des Krieges von 2014.
Mittlerweile ist die Lage so schlecht, dass die Hälfte der Jugendlichen keinen Willen zum Leben mehr hat. »Das Ausmaß psychosozialer Leiden ist außergewöhnlich. Ärzte erzählen, eins von drei Kindern hat psychosoziale Probleme. Die Leute begehen Selbstmord, jungen Menschen sind verzweifelt, unglücklich«, erläutert Jamie McGoldrick, UN Koordinator für Humanitäre Hilfe in den besetzten Palästinensischen Gebieten. »Die Leute können unter diesen Bedingungen kein normales Leben führen. Ohne Zukunftsaussichten, ohne Aussicht auf Ausbildung, Abschluss, Job. Heiraten, aus dem Haus der Eltern ausziehen, ein eigenes Leben aufbauen – diese einfachen Dinge, die Menschen in anderen Teilen der Welt anstreben: In Gaza gibt es sie einfach nicht«, so McGoldrick. Dass es einmal ein anderes Leben gab haben nur die Älteren erlebt. Die jungen Menschen kennen nur Krieg, Schmutz, Mangel, Verzweiflung – und die Mauer.
Foto: justicenow_blog
Schlagwörter: Gaza, Hamas, Israel, Krieg, Luftangriff, Palästina