Warum Böhmermanns Schmähgedicht über den türkischen Präsidenten Erdogan sehr wohl Satire ist, wenn auch keine besonders gute und warum Merkel kuscht, obwohl sie alles andere als eine Marionette ist. Ein Kommentar von Martin Haller
Zugegeben, wir sind spät dran mit unserem Kommentar zum Fall Jan Böhmermann. Der Grund ist schlicht: Wir hielten das Thema für nichtig. Ein Irrtum?
Dass ein Gedicht, vorgetragen zu später Stunde in einer Satiresendung auf einem Spartenkanal, sich zu einer kleinen Staatsaffäre hochschaukeln konnte, ist vor allem die Schuld der Bundesregierung. Weil Angela Merkel ihren menschenverachtenden Deal mit der Erdogan Regierung nicht gefährden wollte, hat sie einer strafrechtlichen Verfolgung Böhmermanns wegen Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes zugestimmt.
Die Entscheidung kommt jedoch nicht überraschend, denn für die Bundesregierung steht viel auf dem Spiel. Mit dem EU-Türkei-Deal soll die brüchige Festung Europa wieder hergestellt werden. Dafür ist Merkel offenbar auch bereit sich dem Vorwurf des Duckmäusertums gegenüber dem türkischen Präsidenten auszusetzen.
Märtyrer der unabhängigen Satire?
Jetzt gibt es, anstatt über die geschlossenen Grenzen für Flüchtlinge zu diskutieren, eine ausufernde Debatte über die Grenzen von Satire. Während die eine Seite die Kunst- und Meinungsfreiheit gefährdet sieht und Böhmermann zum Märtyrer der unabhängigen Satire stilisiert, spricht die andere Seite von einer niveaulosen Aktion, welche mit Satire nichts mehr zu tun habe und juristisch verfolgt werden sollte. Beides ist falsch.
Alle, die Böhmermanns Gedicht dessen satirische Intention aberkennen, haben seinen Beitrag nicht verstanden oder wollen ihn nicht verstehen. Böhmermann macht sich lustig über Erdogans Empörung anlässlich des verhältnismäßig harmlosen Beitrags von extra3. Sicherlich hätte er auch, anstatt mit dumpfen Beschimpfungen, mit einem scharfen, aber treffenden Angriff auf Erdogan beweisen können, dass Satire sehr wohl alles darf. Böhmermann ging allerdings einen Schritt weiter und machte den Charakter von Satire daran deutlich, dass er, unter wiederholter Beteuerung nun etwas Verbotenes zu tun, den Rahmen der Satire verließ und plumpe Beleidigungen ausstieß. Satire muss überspitzen und wenn sie sich und ihre Grenzen selbst zum Thema macht, wie Böhmermann das getan hat, darf sie auch ihren eigenen Rahmen sprengen.
Rassismus ist nicht witzig
Das Problem an Böhmermanns Beitrag ist nicht, dass das Gedicht selbst eine platte und präpubertäre Beschimpfung darstellt – genau das war gewollt. Das Problem ist, dass ein weißer deutscher Satiriker rassistische und homophobe Motive in ein Gedicht verpackt und im Fernsehen zum Besten gibt. Böhmermann ist kein Rassist – immer wieder hat er sich in den vergangenen Monaten gegen Pegida oder das Erstarken der AfD ausgesprochen. Aber er braucht sich nicht wundern, dass in einem Land, in dem Menschen täglich mit rassistischen Vorurteilen konfrontiert werden, viele seine Verse zurecht als deplatziert und beleidigend empfinden. Dass in der polarisierten und rassistisch aufgeladenen Stimmung in Deutschland Islamhasser, Rechte und Ausländerfeinde sein Gedicht feiern und freudig verbreiten, ohne den Beitrag überhaupt wirklich verstanden zu haben, zeigt wie gefährlich es ist mit rassistischen Klischees zu spielen. Form und Inhalt lassen sich eben auch in der Satire nicht voneinander trennen. Für die AfD, die auf ihrem Bundesparteitag Ende des Monats den Fokus auf einen Anti-Islam-Kurs beschließen will, ist Böhmermanns Aktion jedenfalls ein gefundenes Fressen.
Satire ist dann gut, wenn sie nach oben tritt und nicht nach unten. Wenn sie Klischees und Vorurteile aufdeckt und entlarvt, nicht verbreitet. Böhmermann hat nicht nach unten getreten, aber er hat getreten, ohne sich zu fragen, welchen Fuß er nimmt. Warum er seine Botschaft in lauter rassistischen Motiven verpacken musste, bleibt sein Geheimnis, denn ebenso unpassend wie Erdogan als »Ziegenficker« zu titulieren, wäre es Netanjahu als »Judensau« zu bezeichnen. Böhmermann hätte den Rassismus und die Homophobie in dem Gedicht weglassen müssen. So hinterlässt die Aktion, milde ausgedrückt, einen sehr faden Beigeschmack. Mit Muslimen kann man es ja machen – Kunstfreiheit eben.
Kuscht die Kanzlerin?
Die Entscheidung der Bundesregierung die deutsche Justiz zu ermächtigen wegen Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes zu ermitteln, ist – vor allem mit der Begründung, nun würden die Gerichte entscheiden – lächerlich. Denn die deutsche Justiz hätte so oder so entschieden, da Erdogan bereits privat Strafanzeige erstattet hatte. Es ist richtig, dass der entsprechende Paragraph jetzt abgeschafft werden soll, aber warum ihn dann noch ein letztes Mal anwenden?
Den Fall Böhmermann jedoch als Beleg dafür zu nehmen, dass die deutsche Bundesregierung sich wie eine Marionette Erdogans verhalte, ist abwegig. Es ist schlicht falsch, dass Merkel nach der Pfeife von Erdogan tanzen würde. Im Gegenteil: Der Deal mit der Türkei ist vor allem im Interesse der Bundesregierung, die es damit geschafft hat, die Fluchtbewegung nach Europa zu stoppen, ohne sich selbst die Hände schmutzig zu machen. Trotz des Anscheins von Unterwürfigkeit gegenüber Erdogan im Fall Böhmermann, ist es Merkel nicht nur gelungen ihre Führungsrolle in der EU zu behaupten, sondern auch die Türkei in der Flüchtlingsfrage zum Büttel Europas zu machen. Natürlich lässt sich Erdogan das etwas kosten. Wer hierbei jedoch Auftraggeber und wer Lakai ist, dürfte offensichtlich sein.
Zum Abschluss noch drei Wünsche
1. Möge Böhmermann alsbald wieder aus seinem Versteck kommen und die erhöhte Aufmerksamkeit für seine Person dafür nutzen, scharfe Satire ohne Rassismus zu machen – vielleicht ja zur Abwechselung auch mal gegen die eigenen Herrschenden und ihre Sauereien, anstatt nur gegen die Herrschenden der Türkei.
2. Möge der Fall endlich in den Nischen des Boulevard verschwinden, wo er hingehört, damit sich die öffentliche Debatte wieder Wichtigerem zuwenden kann – zum Beispiel der Flüchtlings- und Türkei-Politik der deutschen Bundesregierung und der EU.
3. Mögen Sommerlochthemen in Zukunft doch bitte auf den Sommer warten.
Schlagwörter: Erdoğan, EU, Flüchtlinge, Inland, Merkel, Rassismus, Recep Tayyip Erdoğan, Satire, Türkei