Die Berliner Krankenhausbewegung will 2021 zum Entscheidungsjahr machen und einen Tarifvertrag für Entlastung erkämpfen. Das Ultimatum ist gesetzt. Streik liegt in der Luft. Von David Wetzel
David Wetzel ist Gesundheits- und Krankenpfleger und Mitglied der ver.di-Tarifkommission an der Charité sowie des Koordinierungskreises der Berliner Krankenhausbewegung. Aktuelle News zur Kampagne von unserem Autor findest Du hier auf seiner Instagram-Seite.
Seit vier Jahren arbeite ich an der Charité am Campus Benjamin Franklin als Gesundheits- und Krankenpfleger auf einer onkologischen Station. Wir behandeln dort vor allem Leukämie-Patient:innen. Schon während meiner Ausbildung wurde mir schnell klar: Die Arbeitsbedingungen in der Pflege sind nicht hinnehmbar und es muss sich dringend etwas ändern. Deshalb hat mich die Auseinandersetzung für mehr Personal an der Charité im Jahr 2015 so begeistert. Die Kolleg:innen haben damals bewiesen, dass wir Beschäftigten die Macht haben, Veränderungen durchzusetzen, wenn wir uns organisieren und dafür streiken.
Dieser Beitrag ist ein Vorabdruck aus dem neuen marx21-Magazin mit dem Titel: »Was kann der grüne Kapitalismus?« (Das Heft erscheint am 28. Juli 2021). Bestelle jetzt ein Einzelheft oder Abo und bekomme die neue Ausgabe druckfrisch nach Hause geschickt.
Ich habe mich bewusst dazu entschieden, an der Charité zu arbeiten, aber nicht wegen ihrem Renommee als größtem Universitätsklinikum Europas, sondern weil ich dort hinwollte, wo Pflegekräfte den ersten Tarifvertrag für Entlastung erkämpft haben.
Letztes Jahr haben wir Beschäftigten der beiden landeseigenen Berliner Krankenhäuser Charité und Vivantes uns zusammengetan, um uns für die Tarifrunde im Öffentlichen Dienst zu koordinieren. Im ersten Jahr der Corona-Pandemie waren die Krankenhausbeschäftigten die Zugpferde der Tarifrunde. Klar war aber auch schon damals: Neben einer besseren Bezahlung brennen die Kolleg:innen vor allem für die Themen Personalmangel und zunehmende Arbeitsverdichtung. Es ist keine Überraschung, dass beide Punkte sich in der Pandemie nochmals verschärft haben und daher umso dringlicher angegangen werden müssen.
Folgerichtig läuft jetzt seit Anfang dieses Jahres in Berlin an den elf Krankenhäusern von Vivantes und Charité die bisher größte von ver.di initiierte Entlastungskampagne von Krankenhausbeschäftigten. Unterstützt werden wir dabei von einem Organizing-Projekt. Konkret fordern wir für die einzelnen Bereiche und Stationen feste Personalbesetzungen, die die Teams selbst festlegen sollen. Werden diese Besetzungen nicht eingehalten, muss ein Belastungsausgleich greifen. Darüber hinaus wollen wir für die outgesourcten Tochterunternehmen von Vivantes eine Bezahlung nach TVöD erkämpfen.
Arbeitskampf um Entlastung
Tarifverträge für Entlastung mit den von uns in Berlin geforderten Mechanismen wurden in den letzten Jahren bereits an der Uniklinik Jena, der Universitätsmedizin Mainz und an den Unikliniken in Schleswig-Holstein erkämpft. Kolleg:innen aus Jena berichten: Sie funktionieren. Pflegekräfte sind dort nun für weniger Patient:innen pro Schicht verantwortlich und die Belastung wurde spürbar reduziert. Und ganz zentral: Anders als bei dem Abschluss, der 2015 an der Charité erstritten wurde, hat jede und jeder einzelne Beschäftigte das Recht, bei zu hoher Belastung einen Ausgleich einzufordern.
Neben der Bundestagswahl steht in Berlin für den September auch die Abgeordnetenhauswahl an. Dieses Zeitfenster nutzen wir für eine politische Druckkampagne. Dafür haben wir als Startschuss unserer Bewegung eine Petition mit unseren Forderungen verfasst und Unterschriften der Beschäftigten gesammelt. Die Idee dahinter war natürlich, Druck auf den Berliner Senat und die politischen Parteien aufzubauen. Die Petition hatte aber auch den Zweck, bereits früh mit allen Kolleg:innen über unsere Forderungen ins Gespräch zu kommen und sie für unsere Bewegung zu gewinnen. Darüber hinaus war es ein erster Strukturtest, um herauszufinden, wie wir aufgestellt sind. Das Ergebnis: Wir sind sehr stark!
Wir sind kampfbereit!
Am 12. Mai konnten wir eine Mehrheitspetition aller Berliner Krankenhausbeschäftigten mit 8.397 Unterschriften an die regierenden Parteien Berlins übergeben. Das war nicht nur ein eindrucksvolles Zeichen an die Politik, sondern auch ein klares Signal: Wir sind kampfbereit!
Mit der Petitionsübergabe haben wir der Berliner Politik gleichzeitig ein 100-Tage Ultimatum gestellt, mit dem wir unseren Forderungen Nachdruck verleihen und ganz klar sagen: Passiert in diesen 100 Tagen nichts, treten wir vier Wochen vor der Abgeordnetenhauswahl in den Erzwingungsstreik, um uns das zu holen, was uns zusteht.
Eine Krankenhausbewegung aufbauen
Für uns ist wichtig, dass sich möglichst viele Kolleg:innen in die Bewegung einbringen. Die Mitgliedschaft in der Gewerkschaft ist daher zu Beginn keine Voraussetzung, um mitzumachen. Unser Ziel ist aber natürlich, im Laufe der Auseinandersetzung möglichst viele Kolleg:innen für die Gewerkschaft zu gewinnen. Dafür müssen wir ein Bewusstsein schaffen, dass Mitgliedsbeiträge Macht bedeuten. Sie bedeuten Zugang zu Informationen und Teilhabe an gewerkschaftlichen Entscheidungsprozessen, aber vor allem und am wichtigsten: Sie bedeuten Macht zur Durchsetzung der eigenen Teamforderung auf jeder einzelnen Station.
Die Berliner Krankenhausbewegung ist von Beginn an, darauf angelegt, eine Bewegung der Vielen, der Mehrheiten zu sein. Wir setzen daher bei jeder einzelnen Kollegin und jedem einzelnen Kollegen selbst an. Unsere Ansprache beschränkt sich nicht auf die bereits Aktiven, sondern geht an alle. Das Ziel ist eine sich selbst tragende gewerkschaftliche Struktur der Vielen über diese Kampagne hinaus. Hier haben wir aus der Auseinandersetzung an der Charité von 2015 gelernt.
Auf meiner Station haben 21 von 23 Kolleg:innen die Petition unterschrieben. Seit Beginn der Kampagne haben sich fünf weitere Kolleg:innen meines Teams gewerkschaftlich organisiert. Unser Organisationsgrad liegt damit inzwischen bei 35 Prozent. Das werden wir im Laufe der Auseinandersetzung noch steigern können. Ein wichtiger Schritt dafür war der Beitritt einer erfahrenen Kollegin, die von allen im Team respektiert wird und als Mittlerin zwischen jüngeren und älteren Kolleg:innen fungiert.
Ein großer Selbstermächtigungsprozess
Aktuell führen eine Kollegin und ich sogenannte Forderungsinterviews im gesamten Team. Das passiert momentan in allen Bereichen. Konkret heißt das, dass wir als Beschäftigte selbst definieren, wie viel Personal wir in den einzelnen Schichten brauchen und ab wann ein Belastungsausgleich greifen soll. Was wollen wir als Belastung auf unserer onkologischen Station festlegen? Das kann die maximale Anzahl der zu verabreichenden Chemotherapien sein, die Zahl der Patient:innen, die eine 24h-Monitior-Überwachung brauchen, oder auch generell das Arbeiten in Unterbesetzung. Bald ist die Mehrheit meines Teams mit den Interviews durch und wir werden die konkreten Forderungen für unseren Bereich beschließen, die dann in die Verhandlungen mit einfließen.
Außerdem werden wir Teamdelegierte wählen, die die Verhandlungen eng begleiten werden und mit unserem Team rückkoppeln sowie im Fall von Arbeitskampfmaßnahmen die Anbindung unseres Teams an die Streikleitung gewährleisten. Am 9. Juli werden alle Delegierten in der Alten Försterei, dem Stadion des 1. FC Union Berlin, auf einer Teamdelegiertenkonferenz zum ersten Mal berlinweit zusammenkommen. Hier werden wir neben etwa eintausend Delegierten aus allen Bereichen an sämtlichen Häusern von Vivantes und der Charité auch zahlreiche Unterstützer:innen aus der Stadtgesellschaft versammeln. Das Ziel ist, den Druck auf die politischen Entscheidungsträger:innen in Berlin weiter zu erhöhen.
Ich bin überzeugt: Dazu werden auch Streiks nötig sein
Mit der Berliner Krankenhausbewegung bietet sich uns Beschäftigten eine gewaltige Chance, unseren Arbeitsalltag im Krankenhaus nachhaltig zu verbessern. Zugleich ist es ein großer Selbstermächtigungsprozess, weil es auf uns und unser Wissen über die konkreten Arbeitsbedingungen ankommt. Außerdem braucht es den Zusammenhalt der Beschäftigten über alle Berufsgruppen hinweg – von Reinigungskräften bis zu Therapeut:innen. Unser gemeinsamer Kampf und die gegenseitige Solidarität wirken extrem politisierend. Unsere Bewegung baut schon jetzt die Gesundheitsstadt, die die Berliner Politik für 2030 ausgerufen hat.
DIE LINKE, die auch meine Partei ist, hat jetzt die Möglichkeit, klar zu zeigen, wer in Berlin die Partei der Gesundheitsarbeiter:innen ist. Nur mit besseren Arbeitsbedingungen in den Berliner Krankenhäusern wird es auch zu einer besseren Gesundheitsversorgung aller Berliner:innen kommen. Ich bin überzeugt: Dazu werden auch Streiks nötig sein. Here we go!
Schlagwörter: Charité, Entlastung, Krankenhausstreik