Gregor Gysi hält »rote Haltelinien« für überflüssig und deutet »Kompromissbereitschaft« in der Außenpolitik an. marx21-Extra zur neuerlichen Debatte über Regierungsbeteiligungen
Im Vorfeld des Parteitags ist Gregor Gysi von den Tageszeitungen »Neues Deutschland« (26. Mai, »Der SPD fehlt der Mumm für eine echte Alternative«) und »taz« (29. Mai, »Ich kann auch still sein«) interviewt worden. In beiden Gesprächen plädierte er nachdrücklich für eine Regierungsbeteiligung der LINKEN nach der Bundestagswahl 2017. Zugleich benannte er zwei wesentliche Hindernisse, die einer Koalition mit SPD und Grünen – oder wie Gysi es formuliert: einem wirklichen Politikwechsel – im Wege stünden: Zum einen sei innerhalb der LINKEN der eindeutige Wille hierzu nicht vorhanden, zum anderen fehle der SPD noch der »Mumm«.
Gregor Gysis Strategie
Zunächst einmal muss die Frage erlaubt sein, ob es besonders klug ist, diese Debatte ausgerechnet in einer Situation anzustoßen, in der DIE LINKE alle Kräfte darauf richtet, Solidarität mit Griechenland zu üben – und sich damit explizit auch gegen die Sozialdemokratie stellt, die als Merkels Koalitionspartner Athen demütigen und unterwerfen will. Ebenso könnte man sich fragen, ob es besonders glaubwürdig ist, als Partei Arbeitskämpfe im Kitabereich zu unterstützen und eine Kampagne gegen prekäre Arbeits- und Lebensbedingungen durchzuführen – wenn die eigene Fraktionsspitze sich denjenigen anbiedert, die für ebendiese schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen verantwortlich sind. Doch es geht hier nicht nur um taktische, sondern um grundsätzliche Fragen, die innerhalb der Partei diskutiert werden müssen.
Ein großes Manko an Gregor Gysis Strategie ist, dass es für ihn offenbar keine Rolle spielt, die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse nach links zu verändern, bevor DIE LINKE in eine Regierung strebt. Vielmehr scheint er davon auszugehen, dass eine solche Regierungsbeteiligung selbst eine Kräfteverschiebung bewirken könne. Zugleich unterschätzt er die Auswirkungen einer Abkehr der LINKEN von ihren sozial- und friedenspolitischen Positionen. Nicht zuletzt überschätzt er die Bereitschaft der SPD für einen wirklichen Politikwechsel.
SPD bereit für eine rot-rot-grünen Koalition?
Gysi meint erkannt zu haben, dass sich Vizekanzler Sigmar Gabriel nicht besonders wohl in der Regierung Merkel fühlt. Eigentlich sehne sich der SPD-Vorsitzende nach einer von ihm geführten Koalition, an der auch DIE LINKE beteiligt ist. Letztlich fehle ihm nur der »Mumm« diesen Schritt zu gehen. Auf Gysis Angebot an Gabriel, Gespräche über die Bildung einer rot-rot-grünen Koalition zu führen, hat Sahra Wagenknecht völlig zu Recht erwidert, dass »Gabriel für die gleiche Politik wie Merkel« stehe. Tatsächlich will der Wirtschaftsminister beispielsweise die Freihandelsabkommen CETA und TTIP durchsetzen. Zudem hat sich die SPD-Spitze von den Themen Umverteilung und Steuergerechtigkeit verabschiedet. Statt der notwendigen Investitionen in die öffentliche Infrastruktur soll es mehr PPP-Projekte (»Public-private-Partnership«) geben. Die Kohlelobby in der SPD verhindert eine Energiewende und noch vor kurzem hat die Sozialdemokratie eine Verschärfung des Asylrechts mitgetragen. Gegenwärtig sind knapp dreitausend Bundeswehrsoldaten weltweit im Einsatz, etwa in Afghanistan, der Türkei oder im Kosovo. Auch das trägt die SPD mit, ebenso wie die Tatsache, dass Deutschland nach den USA und Russland der drittgrößte Waffenexporteur der Welt ist.
Was Gabriel wirklich von der LINKEN will
Nicht nur Gabriel, sondern auch der linke SPD-Flügel hat nach der letzten Bundestagswahl betont, dass eine zukünftige Koalition mit der LINKEN nur unter drei Bedingungen möglich sei: Es müsse erstens »eine stabile und verlässliche parlamentarische Mehrheit vorhanden sein«, zweitens müsse ein »finanzierbarer Koalitionsvertrag« verhandelt werden. Und drittens »muss eine verantwortungsvolle Europa- und Außenpolitik im Rahmen unserer internationalen Verpflichtungen gewährleistet sein«. Im Klartext bedeutet das: DIE LINKE soll weiteren Sozialkürzungen ebenso zustimmen wie weiteren Kriegseinsätzen der Bundeswehr und weiteren Waffenexporten. Auch die bundesdeutsche Politik der Unterwerfung der griechischen Linksregierung müsste sie mittragen.
Aus Sicht der SPD ergibt das Sinn. Aber warum muss DIE LINKE ausgerechnet jetzt zeigen, dass sie ein verlässlicher Regierungspartner ist und im vorauseilenden Gehorsam »Kompromissbereitschaft« gegenüber der Sozialdemokratie demonstrieren? Wir glauben nicht, dass unsere Partei durch eine solche Politik gestärkt wird.
Gysi macht Lagerwahlkampf
Gregor Gysis gesamte Argumentation läuft auf einen Lagerwahlkampf hinaus, in dem die Gemeinsamkeiten von SPD, LINKEN und Grünen gegenüber der Union betont und die Unterschiede im »linken Lager« kleingeredet werden. Deshalb weist er stets darauf hin, DIE LINKE müsse endlich aufhören, die SPD als politischen Gegner zu betrachten: »Wir müssen lernen: Das Gegenüber ist die Union. Da müssen wir die Auseinandersetzung in erster Linie suchen.« Warum eigentlich? Was ist an Merkel schlimmer als beispielsweise an Schröder und Fischer? Gregor Gysi möchte den »Wunsch nach einem Politikwechsel« vor allem bei jenen »ärmeren Bevölkerungsteilen« erzeugen, die heute weder selbst kämpfen noch zur Wahl gehen. Dieses Ziel teilen wir. In dem nicht ausreichenden Regierungswillen der LINKEN vermutet er eine der Hauptursachen für diese Apathie. Diese Ansicht teilen wir hingegen nicht. Vielmehr haben angesichts von jahrelangem Sozialabbau gerade in den unteren Bevölkerungsschichten viele Menschen das Gefühl, dass es für ihr Leben keinen Unterschied macht, welche Parteienkonstellation nun gerade regiert.
Politikwechsel braucht Durchsetzungskraft
Auch DIE LINKE ist für diese Entwicklung mitverantwortlich. Denn beispielsweise in Berlin und in Brandenburg hat es ihr keineswegs am Willen zum Regieren gemangelt – sondern an Durchsetzungskraft. Hier hat sie durchaus Maßnahmen mitgetragen, die zu Verschlechterungen für die sozial schwachen Bevölkerungsteile beitrugen. Genau deshalb haben die Wählerinnen und Wähler aus diesen Schichten die Partei abgestraft. Diesem Problem will Gysi durch eine bessere Außendarstellung begegnen.
Warum aber sollte die »ärmere Bevölkerung« Gysis Beteuerung auf einen Politikwechsel in ihrem Sinne Glauben schenken? Bisher sind wir gut damit gefahren, Forderungen an die SPD zu stellen und diese als klare Voraussetzung für eine Zusammenarbeit zu nehmen. Zu nennen sind hier der Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan, die Abschaffung von Hartz IV und der Rente mit 67 und die Einführung des Mindestlohns.
»Kompromissbereitschaft« bringt die LINKE nicht weiter
Doch stattdessen signalisiert Gysi »Kompromissbereitschaft« seiner Partei in der Außenpolitik. Zugleich behauptet er, dass die SPD Kriegseinsätze wie in Jugoslawien oder Afghanistan heute selbst nicht mehr wolle. Aber warum ist die Sozialdemokratie dann maßgeblich daran beteiligt, die Bundeswehr zu modernisieren und auf neue Einsätze vorzubereiten? Auch die Behauptung, uns stehe »die SPD in der Ukraine-Frage näher als die Grünen«, wäre erst einmal nachzuweisen. Der die Krise auslösende Streitpunkt mit Russland war die geplante Osterweiterung der EU. Die SPD ist davon bislang nicht abgerückt. Angesichts dessen ist Gysis Ansage, er sei dagegen, »überflüssige rote Linien für Koalitionsverhandlungen [zu] ziehen«, mit Vorsicht zu genießen. Das gilt auch für seinen Appell, man solle »seiner eigenen Verhandlungsdelegation trauen«. Wenn Gysi verlangt, DIE LINKE müsse »positiver werden, was die Regierungsverantwortung angeht«, dann meinen wir: Die Partei muss einen klaren und scharfen Oppositionskurs gegen die herrschenden Verhältnisse und gegen die Politik der Großen Koalition einschlagen.
Zudem betont Gysi noch, DIE LINKE solle sich weniger »mit sich selbst beschäftigten«. Es ist aber recht kühn, erst Vorstöße zu machen, welche die bisherige Linie der Partei infrage stellen – und dann zu verlangen, man solle sich nicht damit beschäftigen. Denn wer fordert, dass man dem einen oder anderen Bundeswehreinsatz zustimmen könnte, der provoziert halt eine »Selbstbeschäftigung«. So war es auch nach Gysis Vorstoß für Waffenlieferungen an PKK, Peschmerga und den Irak. Zum Glück hat die Partei anschließend klargestellt: Wir bleiben bei unserem Nein zu Waffenexporten. Ein Stimmungswechsel in Deutschland ist dringend nötig. Der entsteht keineswegs automatisch, wenn sich DIE LINKE in der Opposition befindet. Doch garantiert kommt er nicht durch ein paar LINKE in Ministerrang. Vielmehr müssen wir es schaffen, ein gesellschaftliches Gegengewicht zur Austeritätspolitik, zu Privatisierungen und zum militärischen Interventionismus aufzubauen.
Foto: DIE LINKE
Schlagwörter: DIE LINKE, Gabriel, Gregor Gysi, Grüne, Parteitag, R2G, Regierungsbeteiligung, Rot-Rot-Grün, SPD