Die Linken verachten die Arbeiter, findet Christian Baron. Doch das ist nicht die ganze Wahrheit, meint Jan Maas
Christian Baron verpasst der deutsche Linken einen ziemlichen Anpfiff. Nicht nur, dass sie die Arbeiterklasse, deren täglichen Kampf ums Überleben und deren Interessen aus den Augen verloren habe. Nein, in großen Teilen der Linken habe sich gar Verachtung gegenüber der Arbeiterklasse breit gemacht – deren Befreiung sie sich doch historisch eigentlich auf ihre Fahne geschrieben habe. Das ist eine These, die Streit hervorrufen wird – was allerdings auch die erklärte Absicht des Autors von »Proleten, Pöbel, Parasiten« ist.
Baron arbeitet als Feuilleton-Redakteur bei der Tageszeitung »Neues Deutschland«. Diese Position wurde ihm nicht in die Wiege gelegt. Baron stammt aus einem von Gewalt und Drogen geprägten Elternhaus und schaffte den Ausweg über Abitur und Studium nur dank engagierter Lehrerinnen. In seinem Buch erzählt er etwa von der Herablassung sowohl der Professoren als auch der linken Gruppen, in denen er sich engagieren wollte. Die Überheblichkeit besonders letzterer lässt ihn ratlos zurück.
Ausschnitt aus der Klassengesellschaft
Baron nimmt den Leser in einer Art Reportage mit zu den Stätten seiner Kindheit in einem armen Stadtteil Kaiserslauterns. Dort spricht er dann mit ehemaligen Nachbarn über seine Erlebnisse und die Ansichten der Uni-Linken über die Unterschicht. Diese lebendigen Szenen gehören zu den besten Stellen in Barons Buch. Sie veranschaulichen, dass sich ein Teil der Arbeiterklasse nicht nur vom Wohlstand abgehängt, sondern auch von der Linken im Stich gelassen fühlt.
Doch die größte Stärke von Barons Buch ist zugleich auch seine größte Schwäche: Seine Erfahrungen zeigen einen Ausschnitt aus der Klassengesellschaft und der Linken, aber eben nur einen Ausschnitt. Zwar liefert er auch Zahlen und Zitate, beispielsweise vom ehemaligen Berliner Finanzsenator und Armenhasser Thilo Sarrazin. Doch dieser Hintergrund bleibt ein Mosaik, wo eigentlich die jüngste Geschichte des Klassenkampfs in Deutschland zum Verständnis hilfreich gewesen wäre. So bleiben zu viele Fragen offen.
Die Linke und die Arbeiter
Wer, zum Beispiel, ist »die Linke« heute? Baron bezieht sich auf Milieus »vom anarchistischen Hausbesetzer bis zum staatstragenden Sozialdemokraten« – alles akademisch gebildete Angehörige der Mittelschicht in seinen Augen. Wer hingegen kaum auftaucht, sind zum Beispiel die Menschen, die 2004 gegen die Agenda 2010 auf die Straße gingen, deren Proteste in der Gründung der WASG mündeten, und deren Weg schließlich in DIE LINKE führte – Arbeitslose, Arbeiterinnen und Arbeiter.
Das führt zur zweiten offenen Frage: Wer sind »die Arbeiter« heute? Baron weist am Rande darauf hin, dass es nie so viele Lohnabhängige in Deutschland gab wie heute. Aber in seinem Buch tauchen vor allem weiße Menschen in prekären Lebens- und Arbeitsverhältnissen auf. Zur Arbeiterklasse gehören aber auch Migrantinnen und Migranten, Facharbeiterinnen und Facharbeiter. Und die Kämpfe, die sie zum Teil erfolgreich für ihre Interessen führen.
Solche Erfahrungen, die ein anderes Verhältnis zwischen Linken und Arbeitern zeigen könnten als das der Entfremdung, bleiben leider außen vor. Trotzdem ist das Buch wichtig: Es kann auch der Anpfiff zu einer überfälligen Diskussion sein. Denn Christian Baron hat in einem wichtigen Punkt recht: Der Aufstieg der Rechten ist auch ein Symptom der linken Krise. In Zeiten von Trump, Le Pen und Petry ist es höchste Zeit, Wege zu ihrer Überwindung zu finden.
Das Buch:
Christian Baron
Proleten, Pöbel, Parasiten. Warum die Linken die Arbeiter verachten
Verlag Das neue Berlin
Berlin 2016
288 Seiten
12,99 Euro (ebook 9,99 Euro)
Foto: UweHiksch
Schlagwörter: Arbeiterklasse, Bücher, Didier Eribon, DIE LINKE, Donald Trump, Frauke Petry, Klasse, Klassenfrage, Klassenpolitik, Linke, Linkspartei, Marine Le Pen, WASG