Fabio de Masi, LINKE-Kandidat fürs EU-Parlament, hält den Protest gegen TTIP für einen entscheidenden Kampf gegen die Macht der Konzerne. Außerdem erklärt er im marx21-Gespräch, warum er »nicht in Brüssel verschimmeln« will
marx21.de: Fabio, du referierst auf dem »Marx-is-Muss«-Kongress über TTIP, das geplante Handelsabkommen zwischen europäischen und nordamerikanischen Staaten. Warum bist du dagegen?
Fabio de Masi: Das geplante Abkommen ist ein massiver Angriff auf Demokratie, Arbeitnehmerrechte, Verbraucherschutz und Umwelt. Es geht um fast alle Regeln und Gesetze, die Konzerne stören.
Wer macht das TTIP?
Über 600 Wirtschaftslobbyisten haben Zugang zu geheimen Dokumenten der TTIP-Verhandlungen, während selbst gewählte Europaabgeordnete im Dunkeln tappen. Daher sind auch die Versprechen der EU-Kommission hinsichtlich Wachstum und Jobs, die selbst nach Bertelsmann-Prognosen sehr bescheiden ausfallen, eine Nebelkerze.
Wer Gutes tut, versteckt es nicht. Wichtig ist: Konzerne sollen vor privaten Schiedsgerichten gegen Gesetze klagen dürfen, die ihre Profite hemmen.
Was könnte das bedeuten?
Vattenfall verklagt die Bundesregierung derzeit vor dem International Centre for Settlement of Investment Disputes (ICSID) der Weltbankgruppe in Washington wegen des Atomausstiegs auf Schadenersatz. Das würde mit TTIP Normalität.
Es soll sogar ein »Regulierungsgremium« geben, das die Einführung von Gesetzen, die Profite gefährden, im Vorfeld verhindert. Auch Arbeitnehmerrechte könnten als »Investitionshemmnisse« beschnitten werden, weil etwa ein US-Konzern wie »T-Mobile USA« Gewerkschaften systematisch bekämpft und unter Androhung von Entlassungen und Betriebsschließungen die Gründung von Betriebsräten verhindert.
Warum wollen die Regierungen dieses Abkommen?
Das ist die nächste Stufe des sogenannten freien Handels, der in Wahrheit das Gesetz des Stärkeren ist. Zölle wurden weitgehend abgeräumt. Es geht um einen riesigen Markt, die Konzerne haben Euro- und Dollar-Zeichen in den Augen.
Etwa 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der EU sind öffentliche Aufträge. In den USA ist etwa das öffentliche Beschaffungswesen weitgehend privatisiert.
Es geht um alles: Energie, Wasser, Müllabfuhr, Verkehr. Und die europäischen Konzerne erhoffen sich Zugang zum Pharma-Markt in den USA und die Beseitigung von Finanzmarktregeln, die in den USA im Zuge des »Dodd-Franc-Acts« teilweise schärfer sind, etwa hinsichtlich der Eigenkapitalregeln für ausländische Zweigniederlassungen. Die Konzerne wollen schlichtweg den Rest der Demokratie beseitigen und die Regierung hält Ihnen den Steigbügel.
Klingt sehr aggressiv
Ja. Das ist es auch. TTIP wurde von der US-Regierung zutreffend als »Wirtschafts-NATO« bezeichnet. Denn mittelfristig wollen die Konzerne über TTIP auch die Regeln für aufstrebende Schwellenländer wie China, Russland oder Brasilien diktieren.
Wie das?
In der EU und den USA leben etwa 12 Prozent der Weltbevölkerung. Aber die EU und die USA stellen etwa 44 Prozent der Weltproduktion und etwa 60 Prozent der ausländischen Direktinvestitionen. Das verleiht ihnen auch politische Macht. Sie können den Schwellenländern sagen: Wenn ihr hier mitspielen wollt, müsst Ihr uns denselben Zugang zu euren Märkten gewähren.
Können wir TTIP noch verhindern?
Ich denke schon. Auch das ACTA-Abkommen zum Urheberrecht wurde vor zwei Jahren nach Protesten in ganz Europa gestoppt. Und in den 90er Jahren scheiterte das MAI-Abkommen, das im Wesentlichen ähnliche Ziele wie TTIP hatte, am Veto Frankreichs.
Daher kommt es darauf an, dafür zu sorgen, dass das Abkommen als »gemischtes Abkommen« auch von den Nationalstaaten ratifiziert werden muss. Das versucht die EU-Kommission zu verhindern. Denn das Europäische Parlament darf am Ende nur »Ja« oder »Nein« sagen.
Der Kernpunkt ist: Die Chance, dass TTIP scheitert ist größer, wenn es von der Öffentlichkeit der Mitgliedsstaaten diskutiert wird. Politiker wollen schließlich auch wieder gewählt werden. Wird nur in Brüssel abgestimmt, sind die Hemmungen geringer.
Zeigt der Protest von Nichtregierungsorganisationen bereits Wirkung?
EU-Handelskommissar de Gucht, gegen den in Belgien übrigens ein Korruptionsverfahren anhängig ist, hat nun wegen der Proteste aus der Zivilgesellschaft angekündigt, über das Klagerecht neu nachzudenken. Die Bundesregierung betont mittlerweile auch, sie sei dagegen, weil es bereits hinreichenden Investorenschutz gebe. Allerdings hat sie uns bestätigt, dass ein solches Klagerecht im parallelen Abkommen mit Kanada (CETA) vorgesehen ist und Konzerne einfach Zweigniederlassungen in Kanada gründen müssen, um die dortige Schiedsgerichtsbarkeit zu nutzen. Australien, Ecuador und Südafrika unterzeichnen übrigens keine Handelsabkommen mehr mit solchen Klagerechten, beziehungsweise haben sie aus geltenden Abkommen entfernt, weil sie schlimme Erfahrungen damit gemacht haben.
In Deutschland sind Proteste normalerweise recht klein.
Es kommt darauf an, die Gewerkschaften und somit die Arbeitnehmer ins Boot zu holen. Das ist zum Beispiel eine Schwäche der Blockupy-Bewegung. Aber ich halte das für möglich, weil sich die Gewerkschaften zunehmend kritisch äußern.
Nützt es etwas, wenn die Gewerkschaften TTIP auf dem Papier ablehnen?
Natürlich brauchen wir Streiks und kämpferische Gewerkschaften, um die Macht der Konzerne zu brechen. Das erfordert aber, in Gewerkschaften aktiv zu werden. Denn viele Gewerkschaftsspitzen sind traditionell SPD-nah.
Und deswegen …
… können Linke eine wichtige Rolle spielen, wenn sie in den Gewerkschaften wirken und dort auch Druck machen für eine unabhängige und damit machtbewusste Gewerkschaft. Und wir würden besser verstehen, warum Beschäftigte nicht immer gleich hinter roten Fahnen hinterher laufen, wenn wir das in der Partei beschließen.
Du kritisierst nicht nur TTIP sondern auch die EU. Warum?
Weil es notwendig ist. Die EU ist übrigens etwas anderes als Europa. Ich kritisiere vor allem ihre Verträge, die natürlich von den nationalen Regierungen gemacht wurden, um wie bei TTIP eine Politik gegen die Bevölkerungsmehrheit durchzusetzen.
Die EU ist derzeit ein Instrument, damit Arbeitnehmer um die niedrigsten Löhne und Staaten um die niedrigsten Steuern für Konzerne konkurrieren. Das schließt nicht aus, dass es auch in bestimmten Bereichen wie Verbraucherschutz im Sinne des einheitlichen Marktes Fortschritte gibt. Wer es mit Europa gut meint, muss die EU kritisieren. Schon allein, weil sonst rechte Parteien immer stärker werden.
Ist eine andere EU möglich?
Ich hoffe. Das erfordert zunächst einen Neustart mit völlig neuen Verträgen, die Volksabstimmungen unterworfen werden. Das wird aber nicht vom Himmel fallen. Dazu müssen etwa die Gewerkschaften dieser Art von europäischer Interaktion die Unterstützung entziehen. Gelingt das nicht, schafft sich die EU selbst ab, aber in die falsche Richtung.
Welche Richtung meinst du?
Keine Demokratie hält auf Dauer eine Jugendarbeitslosigkeit von über 50 Prozent aus, wie derzeit in Griechenland oder Spanien. Und in Umfragen in Frankreich lag zeitweise die rechtsradikale Marine Le Pen vorn.
Das Europäische Parlament bekommt mehr Rechte. Haben die Regierungen verstanden, dass die EU reformiert werden muss?
Nein. Das EU Parlament ist weit davon entfernt, Kommission und Rat zu kontrollieren. Außerdem bedeutet nicht jede Stärkung des Europäischen Parlaments mehr Demokratie.
Aber Entscheidungen des Parlaments sind doch demokratischer?
Das kommt darauf an, wer diese Entscheidungen vorher getroffen hat. Wenn Kompetenzen von nationalen Parlamenten aufs EU-Parlament verlagert werden, kann dies auch einen Abbau der Demokratie bedeuten.
Sind internationale Entscheidungen nicht besser?
Da halte ich es mit Helmut Kohl: Entscheidend ist, was hinten rauskommt. Wenn etwa das Europäische Parlament Mindeststeuern für Konzerne verabreden würde, wäre das sicherlich gut. Würde aber das Recht des Bundestages beschnitten, im Rahmen der so genannten »EU-Battle-Groups« vorab über den Einsatz deutscher Soldaten im Ausland zu entscheiden, wäre das schlecht. Man stelle sich vor, die Friedensbewegung müsste jedes Mal eine Zugfahrkarte nach Brüssel kaufen.
Der SPD-Politiker Martin Schulz könnte Präsident der EU-Kommission werden. Könnte die EU sich dadurch positiv verändern?
Die SPD unterstützt TTIP, die Kürzungsdiktate und Rettung von Zockerbanken mit Steuergeldern. Martin Schulz schlägt im Wahlkampf kritischere Töne an. Ich befürchte aber, viel mehr als eine große Koalition eines EU-Kommissionspräsidenten Schulz mit einer Bundeskanzlerin Merkel käme nicht heraus.
Wirst du als EU-Abgeordneter Schulz zum Kommissionspräsidenten wählen?
Unser Kandidat ist Alexis Tsipras aus Griechenland.
Brauchen wir mehr oder weniger Europa?
Wir brauchen nicht mehr von diesem Europa sondern ein anderes Europa. Wenn zum Beispiel die SPD sagt, dass die Rettung von europäischen Investment-Banken mit Steuergeldern, und das ist auch mit der Banken-Union nach wie vor so, ein Ausdruck europäischer Solidarität sei, dann bin ich nicht für mehr Europa. »Mehr Europa« kann heute bedeuten, dass in Griechenland schwangere Frauen im Krankenhaus abgewiesen werden.
Was antwortest du, wenn dir jemand sagt, du seist anti-europäisch?
Dann antworte ich, dass eine Politik gegen die Mehrheit der 500 Millionen Menschen in Europa anti-europäisch ist. Ich bin lieber ein vermeintlicher Anti-Europäer als ein Freund der europäischen Konzerne und Banken, der Politik gegen irische Krankenschwestern, spanische Rentner, griechische Jugendliche und die Steuerzahler in Deutschland macht.
Du wirst ab Juni voraussichtlich Abgeordneter des EU-Parlaments. Was hast du in den nächsten fünf Jahren vor?
Ich bin Ökonom und möchte zeigen, dass es Alternativen zur Politik der Troika gibt. Ich werde aber auf keinen Fall in Brüssel verschimmeln, sondern will mein Mandat nutzen, um linke Europapolitik in Deutschland und auch in anderen Ländern bekannter zu machen.
Wie geht das?
Ein LINKE-Europa-Abgeordneter muss dort sein wo es weht tut. In den Kiezen, wo die Mieten steigen, in den Häfen wo mit einem neuen »Port Package« Angriffe auf die Arbeiter drohen.
Gleichwohl ist der Sitzungsalltag in Brüssel sehr zeitintensiv. Ich hoffe, ich kriege es hin. Ich werde mein Bestes geben.
Woran willst du inhaltlich arbeiten?
Einer meiner Schwerpunkte ist die Europäische Zentralbank (EZB), die mächtigste wirtschaftspolitische Institution Europas. Ich will erreichen, dass die Politik der EZB nicht mehr wie gottgegeben hingenommen, sondern kritisch hinterfragt wird. Unsere Forderung ist, dass die EZB demokratisch kontrolliert werden muss, anstatt dass sie die Demokratie kontrolliert.
Warum ist dir die EZB so wichtig?
Die EZB ist führender Teil der Troika und setzt die Kürzungsprogramme in Südeuropa durch. Sie hat zwar mit der Ankündigung, notfalls unbegrenzt Staatsanleihen von Krisenstaaten zu kaufen, die Märkte beruhigt. Aber sie knüpft dies an die Kürzungspakete und statt Liquidität in Banken zu pumpen, die das Geld wieder bei der EZB parken oder im Casino zocken, wäre es sinnvoller direkt öffentliche Investitionen zu finanzieren.
Künftig wird die EZB die Stabilität der Banken in der EU beaufsichtigen und entscheiden, welche Banken doch wieder gerettet werden müssen, weil sie »too big to fail« sind.
Die Banken müssen für solche Fälle einen Rettungsfonds aufbauen …
… der in acht Jahren 55 Milliarden Euro umfassen soll. Das sind Peanuts verglichen mit den 5 Billionen, die EU-weit für Banken bereitgestellt wurden. Wir werden auch künftig für Banken bezahlen.
Traditionell beteiligen sich wenige Menschen an der EU-Wahl. Ist sie unwichtig?
Sie ist sehr wichtig. Aber die Menschen glauben zu Recht, dass im EU-Parlament nicht für sie entschieden wird. Man kann nicht mehr von Demokratie sprechen, wenn die meisten Wähler nicht mehr hingehen.
Wir sollten die EU-Wahl zu einer linken Protestwahl machen, damit die Rechten nicht durchmarschieren.
Was kann DIE LINKE verbessern?
Die Gründung der LINKEN vor sieben Jahren war ein großer Erfolg. Damals haben wir Deutschland politisch ordentlich aufgemischt. Unser Kriterium für Erfolg muss aber die Verbesserung der materiellen Lage der Menschen sein und da waren wir noch nicht erfolgreich genug.
Misst DIE LINKE ihren Erfolg nicht an Wahlergebnissen?
Ja. Aber das sollte nicht alles sein. Wir müssen DIE LINKE dort verankern, wo Menschen sich von der Politik abgewendet haben, weil sie ihnen nicht ermöglicht, Miete und Strom zu bezahlen. Und auch bei den abstiegsbedrohten Mittelschichten.
Wir müssen DIE LINKE zu einem Machtfaktor machen, auch außerhalb der Parlamente. Denn es gibt einen Unterschied zwischen »an der Macht sein« und wirklich »Macht haben«.
Das Interview führte Hans Krause.
Marx is Muss:
Fabio de Masi spricht auf dem Marx-is-Muss-Kongress über »TTIP – Was steckt hinter dem Freihandelsabkommen«. Das gesamte Programm steht hier: http://mim14.de/programm/.
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Foto: campact
Schlagwörter: Alexis Tsipras, Brüssel, CETA, DIE LINKE, EU-Wahl, EU-Wahlen, Europa, Europäische Linke, Europawahl, EZB, Inland, Martin Schulz, Marx is Muss, TTIP