Karl Marx und Donald Trump haben sich nie persönlich kennen gelernt. Dennoch kann Marx eine Menge über Trump erzählen. Von Christian Schröppel
Wie ist es möglich, dass sich die herrschende Klasse der USA anscheinend selbst politisch entmachtet, um ihre unmittelbaren Interessen einer Truppe weitgehend unbekannter Hasardeure anzuvertrauen? Ist nicht das amerikanische System wie kein anderes darauf ausgelegt, durch die Politik von »checks and balances« Stabilität zu erzeugen und sicherzustellen, dass keine wesentlichen Interessen vernachlässigt werden? Doch während Trump damit droht, »den Sumpf in Washington auszutrocknen«, sind für die Posten des Finanzministers und des Wirtschaftsministers Abkömmlinge der Wall Street im Gespräch. Was ist da los?
Wir haben uns bei Karl Marx umgesehen und sind auf erste Erklärungsversuche gestoßen. Vor allem in seiner Schrift »Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte« von 1852 sind wir fündig geworden.
Marx analysiert darin den Übergang der französischen Republik zu einer autoritären Diktatur im Jahr 1851. Damals eroberte der scheinbar über den Klassen stehende Charles Louis Napoleon Bonaparte die Herrschaft und krönte sich, ausgestattet mit diktatorischen Vollmachten, zum Kaiser und ließ sich fortan Napoleon III. nennen.
Karl Marx über Napoleon III.
In seinem Text erklärt Marx, wie es dazu kam, dass die französische Bourgeoisie ihre eigene parlamentarische Vertretung zugunsten eines Diktators auflösen ließ. Das sogenannte bonapartistische Regime konnte entstehen, weil die herrschenden Klassen unter sich zerstritten waren. Sie brauchten eine »äußere Kraft«, eine starke Führungspersönlichkeit, um ihre internen Konflikte zu schlichten und ihre wirtschaftliche Macht zu bewahren. Die vormals liberale Bourgeoisie kam zu dem Schluss, so Marx, dass »um ihre gesellschaftliche Macht unversehrt zu erhalten, ihre politische Macht gebrochen werden müsse; (…) dass, um ihren Beutel zu retten, die Krone ihr abgeschlagen (…) werden müsse.«
Im November 1851 schrieb die britische Zeitung Economist: »Auf allen Börsen Europas ist der Präsident (Napoleon III.) nun als die Schildwache der Ordnung anerkannt.«
Auch nach Trumps Wahlstieg stiegen die Börsenkurse stark an. Insbesondere die Aktien der großen Finanzinstitutionen haben gewonnen, dicht gefolgt von denen der Rüstungsindustrie, der Pharmabranche, der Schwerindustrie und des Bausektors.
»Yes we can!« war der Leitspruch Barack Obamas 2008. Ihm lag der Glaube zugrunde, dass sich die allgemeinen Interessen der Kapitalistenklasse in der gesellschaftlichen Debatte im Wesentlichen durchsetzen würden. Jede einzelne Fraktion sei aufgefordert, auf dem Feld der öffentlichen Diskussion ihre Interessen zu formulieren und Anhänger zu finden.
Doch das Ringen um Kompromisse, die Zugeständnisse an die organisierten Kräfte der Massen, die vermittelnde Rolle in der internationalen Politik zehrten an den Nerven immer größerer Teile des Kapitals. Die ökonomisch schwächeren Teile des Kapitals hofften auf eine politische Lösung, um ihren Niedergang abzuwenden.
Während die führenden Sektoren die weltweite Konkurrenz nicht fürchten müssen und auf eine Durchdringung weltweiter Märkte mit Unterstützung einer weitsichtig und geschmeidig agierenden US-Regierung setzen, sehen sich andere Sektoren des US-Kapitals heute einer heftigen Unterbietungskonkurrenz gegenüber. Der breiten öffentlichen Diskussion der Präsidentschaft Obamas setzt Trump nun die Aura des präsidialen Dekrets entgegen. Ebenso wie Napoleon III., der erklärte, Frankreich wieder »groß« zu machen, will auch Trump die Größe Amerikas wiederherstellen.
Nur vermeintlich klassenneutral
Auf wen kann sich so eine vermeintlich klassenneutrale Herrschaft stützen? Karl Marx schreibt 1852 über die Parzellenbauern Frankreichs, die er als tragende Schicht der autoritären Herrschaft Napoleons III. sieht:
»Ihr Produktionsfeld, die Parzelle, lässt in seiner Kultur keine Teilung der Arbeit zu, keine Anwendung der Wissenschaft, also keine Mannigfaltigkeit der Entwicklung, keine Verschiedenheit der Talente, keinen Reichtum der gesellschaftlichen Verhältnisse.«
Die französischen Parzellenbauern waren formal selbstständig, litten jedoch in ihrer großen Mehrheit unter drückenden Schuldzahlungen, die sie oft an neue Gläubiger aus den Reihen der Bourgeoisie entrichten mussten.
Die heutige Industriearbeiterschaft in stagnierenden Branchen der USA sowie kleine Gewerbetreibende befinden sich oft in einer ähnlichen Situation: Der ökonomische Niedergang macht sie besonders anfällig für rückwärtsgewandte Ideologien. Um sich zu ihrem Volkstribun machen zu können, stellte sich Trump als Gegner des politischen Establishments dar. Er nutzte Rassismus, Sexismus und Nationalismus, um seine Anhänger aufzustacheln und zusammenzuschweißen. Oder, wie Karl Marx über Louis Bonaparte schreibt: »Nie hat ein Prätendent (jemand, der Anspruch auf eine Position erhebt, d. Red.) platter auf die Plattheit der Massen spekuliert.«
Diesen reaktionären Ideologien ist durch die Perspektive beschränkter branchenbezogener Kämpfe in schrumpfenden Wirtschaftssektoren kaum beizukommen. Jedoch zeigt die Kampagne des demokratischen Sozialisten Bernie Sanders, der in diesen Regionen eine Reihe von Vorwahlen der demokratischen Partei gewann, dass es durchaus eine linke Perspektive für umfassende Veränderungen des politischen und wirtschaftlichen Systems gibt, die diese Menschen erreichen und einbeziehen kann.
Marx verweist darauf, dass die unmittelbare ökonomische Lage der Menschen in diesen Wirtschaftszweigen nicht zwingend zu einem rückschrittlichen Bewusstsein führen muss: »Die Dynastie Bonaparte repräsentiert nicht den revolutionären, sondern den konservativen Bauern, nicht den Bauern, der über seine soziale Existenzbedingung, die Parzelle hinausdrängt, sondern der sie vielmehr befestigen will, nicht das Landvolk, das durch eigne Energie im Anschluss an die Städte die alte Ordnung umstürzen, sondern umgekehrt dumpf verschlossen in dieser alten Ordnung sich mitsamt seiner Parzelle von dem Gespenste des Kaisertums gerettet und bevorzugt sehen will.«
Donald Trump und das Establishment
Trumps Präsidentschaft ist alles andere als klassenneutral. In seinem Windschatten schickt sich eine schillernde Schar alter und neuer Kräfte des Kapitals an, die führenden Stellen des Staates in ihren Besitz zu nehmen. Im engeren Kreis um Trump befinden sich der zum Chefstrategen ernannte Stephen Bannon, ein ehemaliger Investmentbanker bei Goldman Sachs, der heute eine rechtsradikale Onlineplattform leitet, und der mögliche zukünftige Finanzminister Steve Mnuchin, ehemals Partner bei Goldman Sachs. Wilbur Ross, ehemaliger Zeremonienmeister bei der lichtscheuen Wall-Street-Burschenschaft Kappa Beta Phi, wird als möglicher Wirtschaftsminister gehandelt.
Mehrere mutmaßliche Amtsträger der neuen Regierung der USA waren nie anerkannte Mitglieder der politischen Elite oder sind dort in Ungnade gefallen. Sie stehen fest auf der Seite der Kapitalinteressen, sind gesellschaftspolitisch streng konservativ bis reaktionär, vertreten jedoch in Einzelfragen wie beispielsweise der Frage eines umfassenden Investitionsprogramms in die Infrastruktur oder der Rolle der USA im Nahen Osten oft widersprüchliche und gegensätzliche Positionen.
Im Juni 1848, kurz nach der Gründung der Zweiten Republik, führte die Entscheidung, die Nationalwerkstätten zu schließen, zu einem Aufstand der Arbeiterschaft. 5000 Arbeiter und 1500 Soldaten wurden in den Kämpfen getötet. Die bewegte Geschichte Frankreichs in den folgenden Jahren, darunter der Staatsstreich Napoleons III., fand vor diesem Hintergrund statt.
Die politische Struktur der USA ist gegenwärtig keinem vergleichbaren Druck ausgesetzt und auch daher hat jeder Vergleich dieser Zeit mit der Amtseinführung Trumps enge Grenzen.
Wenn allerdings Trump bislang den verfassungsmäßigen Ablauf der Gesetzgebung nicht in Frage stellt, so legt er doch die ideologische Grundlage für eine mögliche zukünftige Herrschaft der Bourgeoisie, die sich der »checks and balances« entledigt und im politischen Kampf das Florett durch den Säbel ersetzt.
Der Autor:
Christian Schröppel ist Sozialwissenschaftler und aktiv im Kreisverband Kassel-Stadt der LINKEN.
Zum Weiterlesen:
Karl Marx: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte (1852), in: Karl Marx und Friedrich Engels: Werke, Band 8, S. 111–207, Berlin 1960.
Foto: DonkeyHotey
Schlagwörter: Arbeiterklasse, Bauern, Donald Trump, Kapital, Karl Marx, Louis Bonaparte, Populismus, Revolution, Stephen Bannon, Steve Bannon, USA