Anne Alexander über die Gründe für Trumps Entscheidung, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen und über einen entscheidenden Faktor, der oft übersehenen wird
Die von Trump verkündete Verlegung der US-Botschaft von Tel-Aviv nach Jerusalem rief weltweit Proteste in Solidarität mit den Palästinenserinnen und Palästinensern hervor. Auf den Stufen zum Gebäude der Journalistenunion in Kairo verbrannten Protestierende die US-Flagge und hielten Plakate hoch, auf denen sie Trump und seinen örtlichen Komplizen, Ägyptens Dikator al-Sisi, verurteilten. Zeitgleich strömten tausende Menschen auf die Straßen Jordaniens, Libanons, Algeriens, Marokkos, Iraks, Jemens und Syriens.
Zweckbündnis rechter Zionisten und Evangelikaler
Es gibt zwei verschiedene Interpretationen für Trumps Schritt, die beide eine gewisse Erklärungskraft bieten. Die erste Interpretation beruht im Wesentlichen darauf, dass Trump sein Wahlversprechen an radikale pro-Israel Gruppierungen und an rechte evangelikale Christen einlösen wollte.
In der Tat besteht zwischen beiden Gruppierungen schon seit Jahren ein Zweckbündnis. Der Glaube der evangelikalen Christen, die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt würde die Apokalypse schneller herbeiführen, wird von rechten Zionisten in den USA und auch in Israel gefördert, um so die offene Zustimmung der USA für die israelische Besetzung Ostjerusalems zu erreichen.
Konflikt der Regionalmächte
Doch die arrangierten Abendessen mit Trumps Anhängern von der radikalen und religiösen Rechten sind nicht die einzige Erklärung für die Entscheidung des US-Präsidenten. Vielmehr muss auch die regionale Verschiebung der Machtverhältnisse in den Blick genommen werden – insbesondere die sich zuspitzende Konkurrenz zwischen den arabischen Golfstaaten und dem Iran.
Der Anspruch des neuen saudi-arabischen Kronprinzen Mohamed Bin Salman auf die politische Führungsrolle in der Region beruht auf dem Aufstieg des Golfs zu einem Zentrum der globalen Kapitalakkumulation. Dieses Zentrum ist aber nicht nur eingebettet in die neoliberale Weltordnung, sondern darüber hinaus auch eine Hauptsäule des US-Imperialismus und der Dominanz der USA im Nahen Osten seit dem Rückzug der Sowjetunion in den 1980er Jahren.
Die Kooperation mit Israel ist seit eh und je der von den USA und ihren Verbündeten verlangte Preis für den Eintritt in ihren Wirtschaftsclub. So hat der gegenwärtig verschärfte Wettkampf zwischen Saudi-Arabien und dem Iran die sunnitisch-arabischen Staaten, die Mohamed Bin Salman anzuführen beansprucht, enger auf Linie mit den aufsteigenden rechten politischen Kräften in den USA und in Israel selbst gebracht.
Potenzial für Widerstand
Doch es gibt noch einen weiteren gewichtigen politischen Faktor in der Region, der unsere Aufmerksamkeit verdient, da er die Karten ganz neu mischen könnte: das Potenzial für Widerstand an der Basis der palästinensischen Gesellschaft und darüber hinaus in der arabischen Welt.
Dass dieses Potenzial oft übersehen wird, überrascht zunächst nicht: Die revolutionären Explosionen des arabischen Frühlings liegen mittlerweile sieben Jahre zurück und die derzeitige Vorherrschaft und tödliche Konkurrenz zwischen dem Iran und Saudi-Arabien ist direktes Resultat der Konterrevolutionen der Herrschenden in der Region. Die Massenbewegungen mit ihren Forderungen nach Brot, Frieden und sozialer Gerechtigkeit haben sich zurückgezogen, zehntausende Aktivistinnen und Aktivisten darben in Gefängnissen, und der bunte Haufen an republikanischen Diktaturen und autoritären Monarchien scheint die Opposition nahezu ausgelöscht zu haben.
Solidarität mit Palästina
Das Problem mit dieser Sichtweise ist, dass sie außer Acht lässt, welche historisch bedeutende Rolle die Solidarität mit Palästina bei der Entwicklung sozialer Bewegungen in der Region spielte, die die herrschenden Klassen der arabischen Staaten immer wieder von unten herausgefordert haben.
In Ägypten beispielsweise lassen sich die Wurzeln der revolutionären Mobilisierung, die Anfang 2011 den Sturz Mubaraks bewirkte, auf die Gründung verschiedener Solidaritätsnetzwerke mit der Zweiten Intifada im Jahr 2000 zurückverfolgen. Aus diesen Netzwerken ist eine neue Generation von Aktivistinnen und Aktivisten hervorgegangen, die den Widerstand auf die Straßen Kairos und Alexandrias brachte.
Keine Verbündeten in den Palästen
Das Zusammenrücken Israels mit den neoliberalen Kapitalisten am Golf und Teilen der palästinensischen Bourgeoisie, die von ihrem behaglichen Verhältnis mit den Besatzern profitiert, zeigt, dass der Kampf für die Befreiung Palästinas nicht zu trennen ist vom umfassenderen Kampf für revolutionäre Veränderung in der gesamten Region. Das unterstreicht die zentrale Bedeutung der Mobilisierung der Arbeiterklasse über die Grenzen Palästinas hinaus für den Erfolg der palästinensischen Befreiung.
Die wichtigsten Verbündeten des palästinensischen Kampfes hausen nicht in den Präsidentenpalästen der Region, es sind vielmehr diejenigen, die in den Fabriken, auf den Straßen und Feldern der arabischen Länder von eben jenen Herrschern unterdrückt und ausgebeutet werden.
Zur Autorin: Anne Alexander ist Aktivistin, Journalistin und forscht über soziale Bewegungen in Ägypten, Tunesien, Syrien, dem Irak und den Golfstaaten.
Der Artikel erschien zuerst auf der Homepage des Magazins »Socialist Review« unter dem Titel »Palestine and the Arab street«.
Übersetzt aus dem Englischen von David Paenson.
Foto: Gigi Ibrahim
Schlagwörter: Arabischer Frühling, Golfstaaten, Intifada, Iran, Israel, Jerusalem, Palästina, Saudi-Arabien, Trump, USA, Zionismus